Beiträge von Benutzername

    Komme gerade aus dem Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Das Hagen Quartett gab einen Mozart-Abend mit KV387, 464 und nach der Pause 465. Für meine im Vergleich ziemlich ungeschulten Ohren war das von der kompositorischen Güte her jeweils eine Steigerung. Die Einleitung bei 465, 1. Satz war (wer hätte es gedacht) die harmonisch deutlich auffälligste Passage, aber auch insgesamt empfand ich dieses letzte Quartett als Höhepunkt des Abends.

    Macht übrigens Spaß, hier mitzulesen.

    Ja, es ist sicherlich zum einen freiwillig.

    Zum anderen sehe ich es als eine wünschens- und erhaltenswerte Konvention an, dass ein Publikum sich nach einer Darbietung nicht einfach grußlos vom Acker macht. Insofern gehört auch das Danach für mich noch in den Kontext einer Aufführung. Wenn jemand nach dem Schlussakkord hochschnellt und ohne weiteres Feedback den Künstlern gegenüber aus dem Saal eilt, ist das eben auch eine Art von Feedback. Und zwar aus meiner Sicht weder ein schönes noch ein angemessenes - solange die Darbietung nicht abgrundtief schlecht war.

    Als Extremfall sähe ich folgende Haltung von Rezipierenden an, der ich auf keinen Fall das Wort reden möchte: Der Künstler hat mein Geld bekommen, ich eine qualitativ adäquate Performance. Das war der Deal. Einen Applaus bin ich niemandem schuldig, also haue ich ab.

    Dieser ist doch sehr belastet und per se fragwürdig.

    Einerseits ja, weil Zusammenhang diese Begriffschose belasten kann ....

    Zumindest auf den Begriff "asozial" sollte man tunlichst verzichten, finde ich.

    Andererseits fällts meinen Brägen schwer drauf zu verzichten.

    Denn Kunst kommt m.E. halt mit "asozialen" Schlag-Seite rüber, indem ein Teil von ihr nicht totalst im Realitätsprinzip abzukacken bereit ist ...

    Na ja. Dafür gibt es ja einen Begriff wie 'Fiktion'. Und die kann und darf dem "Realitätsprinzip" natürlich monströs vor die Füße kotzen. "Asozial" ist was Anderes für mich. Ich würde es eher so sehen, dass die Kunst die asozialen Abgründe der prosaischen Lebenswirklichkeit ins Rampenlicht bringt. Womit das Asoziale anders verortet wird als bei dir.

    "Speiübel", "nicht jugendfrei", "asozial" - das ist ein Vokabular, das vom Theater Läuterung und Umkehr angesichts des dort präsentierten Schmutzes einfordert.

    Ich fordere gar nichts ein, das wäre ja wohl auch zwecklos. Ich nehme nur für mich in Anspruch - und darum dreht sich ja die ganze Diskussion - daß ich mir das nicht antun muß, wenn ich das nicht möchte. Nichts und niemand kann mich dazu zwingen.

    So sehe ich das auch. Wenn eine Kunstdarbietung zur persönlichen Qual würde, ließe ich mich nicht im Saal einsperren. Raus bei Applaus oder Pause, wäre dann die Devise.

    Ist mir allerdings auch nur ein Mal zu Studienzeiten passiert, dass es so gekommen ist - ebenfalls bei Sprechtheater.

    Ansonsten bin ich vor einiger Zeit mal bei einem Cameron Carpenter - Solorecital aus Solidarität mit und Rücksicht auf meine Begleitung in der Pause gegangen, ein anderes Mal aus Verantwortung meiner Begleitung gegenüber beim "Mozart"-Musical geblieben, obwohl ich schwere Mühe hatte, meine Fluchtreflexe einzudämmen.

    Ich werbe gerne für größten Respekt gegenüber Kunstschaffenden. Aber das kann nicht bedeuten, dass ein Publikum seine Freiheit auf Selbstbestimmung an der Garderobe abgeben muss. Und wenn jemand in der Pause geht, ist das auch nicht mit Respektlosigkeit den Künstlern gegenüber gleichzusetzen.

    Einfacher Test: Beobachtet die Gesichter der Orchestermusiker, wenn der Applaus endet. Wirken sie unzufrieden oder freuen sie sich, dass sie gehen können?


    Sicherlich trifft es zu, dass es solche und solche gibt. Meine Erfahrung ist jedoch, dass der Orchestergraben sich z. B. bei Repertoire-Vorstellungen in der Oper sehr schnell leert, wenn der Applaus endlich vorbei ist. Dabei müssten sie doch nach Auffassung mancher Kunstweihe-Experten doch noch ergriffen verharren.

    Ich selbst bin davon ausgegangen, dass du dich auf ein Orchester auf der Bühne beziehst. Nur dann ergäbe dein Tipp mit dem einminütigen Klatschen Sinn (wie ernst der auch immer gemeint war). Und dort ist es ja oftmals so, dass die Musiker den Applaus äußerlich professionell entgegennehmen, um sich abschließend von ihrem Pultnachbarn zu verabschieden. Dabei wird es dann automatisch lockerer. Daraus aber zu schließen, dass sie zuvor vom längeren Beifall genervt gewesen sein sollten, überzeugt mich nicht. Zudem weiß ich von einigen Orchstermusikern, dass ein frenetischer Applaus etwas sehr Tolles sein kann, das man sich gerne gefallen lässt und dabei auch in Kauf nimmt, 5 Minuten später zu Hause zu sein...

    Ich plädiere demnach also für ungehemmtes Klatschen nach Lust und Gutdünken. Geeignete Adressaten finden sich schon dafür. Mit trockenen Brötchen unter den Musikern, denen das nichts bedeutet, hätte ich so überhaupt kein Mitleid. :P

    In diesem Zusammenhang wird oft der Respekt gegenüber den Musikern bemüht. Ist es aber nicht so, dass die Orchestermusiker nach dem Ende des letzten Stückes einfach nur schnell nach Hause wollen und in Wahrheit denken: Wann hören die denn endlich mit dem Klatschen auf?

    Nein, das ist nicht so. Zum einen gibt es "die Orchestermusiker" nicht. Zum anderen gibt es faktisch Orchestermusiker, die sich sehr freuen, wenn sie ein gutes Konzert gespielt haben und merken, dass die Hütte deshalb brennt. Begeisterter, langer Applaus kann sehr befriedigend sein.

    Ich finde, dass hier schon ein paar fette Brocken in den Ring geschmissen wurden. Mein Empfinden als etwas zu spät Geborener: 1972 war ein sehr "reifer" Jahrgang. Klar, das Prog-Genre war nicht mehr taufrisch. Aber mit "Close to the edge", "Foxtrot", ELPs "Trilogy", "Thick as a brick", den erwähnten Zappa-Alben und nicht zuletzt dem Gentle Giant-Doppelpack "Octopus" und "Three friends" kamen m.E. ziemlich "abgerundete" Alben heraus. Mahavishnu brachte "Birds of fire" heraus - bis heute eines der zentralen Fusion-Alben.

    Die Frage ging nicht an mich, ich möchte dennoch einen Aspekt zu Thomas Manns Faustgestalt einbringen, den ich in Peter Michelsens Studie "Faust und die Deutschen" gelesen habe und sehr bedenkenswert finde.


    Eine Problematik der "Doktor Faustus"-Konstellation kann darin gesehen werden, dass das Künstlerschicksal Leverkühns mit dem Deutschsein korreliert. Manns Darstellung des Deutschen als schicksalhaft dämonisch verstrickt bzw. teuflisch gebrandmarkt erhöht dieses. Michelsen sieht hier die Gefahr einer "Hybris tragischer Erwähltheit". Diese Hybris verkörpert nun im Roman die menschlich gleichermaßen erwählte wie isolierte (!) Künstlerfigur Adrian Leverkühn. Und diese symbolisch aufgeladene Konstellation des erwählten Einsamen führt in seinem Fall zu größter künstlerischer Höhe - einem einzigartigen Werk, welchem der Erzähler eine "Unsterblichkeit" attestiert.
    Michelsen abschließend: "So fällt auf das mit dem Teufelsmal gezeichnete Deutschland ein blendender - wenn auch höllischer - Glanz."

    Ich verstehe ehrlich gesagt das Problem nicht: Beim Hören jeder Musik, die mich berührt, erfahre ich doch auch etwas über mich selbst, über meine "Identität", die im Pons-Wörterbuch unter anderem als "die erlebte innere Einheit einer Person, durch die sie sich auch in der Gesellschaft bestimmt" definiert wird.

    Sehr schön. Das ist auch alles andere als ein "Problem". Vielmehr bestätigt dies nochmals, dass es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen dem Musikgenuss des Einzelnen im Hinterstübchen und einem Live-Konzert, das durch den sozialen Aspekt unmittelbarer Begegnung und Interaktion ein nicht zu ersetzendes, identitäts- und kulturstiftendes Ereignis sein kann (nicht nur ein kulturelles).

    Es ist immer spannend, welche Lesarten ein Text erlaubt :) Das gilt ja auch in der Musik :) :cincinbier:

    Es gibt ja noch Ulrich Gaier, dessen dreibändiges Werk "Faust-Dichtungen" über 2000 Reclam-Seiten Kommentar beinhaltet. Darin widmet er sich u.a. acht unterschiedlichen Lesarten des Dramas (religiöse, naturphilosophische, magische, geschichtliche, soziologische, ökonomische, anthropologische und poetische). Ich habe die noch nicht alle durch, aber es ist ja klar, dass Gaier nicht einfach gewaltsam Ansätze über den Text stülpt. Reichtum und Komplexität der Dichtung sind einfach unfassbar.


    Der Gaier ist aber nur bedingt eine Empfehlung, der ist ziemlich hart zu kauen. Einer meiner "Faust"-Lieblinge, den ich unbedingt noch empfehlen kann, ist aber sicherlich Peter Michelsens "Im Banne Fausts" mit zwölf Aufsätzen, die Michelsen über 35 Jahre hinweg verfasst hat und demnach auch unabhängig voneinander zu lesen sind. Michelsen bleibt darin jeweils sehr textbezogen, ohne sich die Fessel einer reinen Textimmanenz anzulegen. Aber der Vorteil ist hier, dass er den Text sehr direkt und unmittelbar abklopft - für mein Textverständnis war das äußerst erhellend. Große Teile gibt es auf books.google zu lesen, das reicht auf jeden Fall, um einen Eindruck zu gewinnen: Im Banne Fausts
    Der erste Aufsatz widmet sich übrigens gänzlich der "Zueignung" und ist großartig! :love:

    Noch einmal zu Albrecht Schöne (die Links in Caesars von mir zitierten Beitrag funktionieren bei mir nicht): Da würde mich Näheres interessieren!

    Der Schöne ist nichts Sekundäres zum Weglesen, sondern eine Neueditierung der "Faust"-Texte (inkl. Paralipomena und Zusatztexten) im einen und deren Kommentierung/Erläuterungen im anderen Band. Standardwerk zum Nachschlagen und textbegleitenden Lesen; sehr verdienstvolle Arbeit, auf die sich nachfolgende Literaturwissenschaftler häufig beziehen (neulich habe ich irgendwo auch mal was ziemlich Kritisches gelesen).

    Gerade lese ich übrigens wieder einmal die beiden Wilhelm-Meister-Romane und bin jetzt in den Wanderjahren, die, ähnlich wie Faust II gegenüber Faust I, deutlich unzugänglicher und geheimnisvoller sind als die Lehrjahre.


    :wink:

    "Inkommensurabler", würde Goethe das vielleicht genannt haben... :D
    Ich selbst schätze die "Wanderjahre" und den "Faust II" immer mehr, je älter ich werde. Und sie sind ja auch durchaus so etwas wie Antipoden in dem Sinne, dass zumindest der Protagonist in Ersterem diesen Ausgleich zwischen sich bildender Selbst- und Welterkenntnis hinbekommt und dann seine "Bestimmung" im Arzt-Beruf findet (ein "perfektibilistischer" Weg), während dies mit Heinrich genau umgekehrt ist - der ist zum Schluss ja blind sowohl für seine Umgebung als auch seine eigene Verzweiflung geworden (und agiert destruktiv). In beiden Werken laufe ich mit allergrößtem Staunen (und ja: auch Liebe) umher und wundere mich unter anderem über diese unerhörte Modernität Goethes auch im poetologischen Sinne.
    Aber klar: Den "Faust II" hätte ich ohne Sekundärliteratur niemals zu schätzen gelernt. Und da muss ich sagen, dass ich besonders Michael Jäger wundervolle Anregungen und unerwartete "Erkenntnisse" verdanke. Bei keinem anderen Autoren hatte ich bislang den Eindruck, dass sich so viel bei der Lektüre "zusammenfügt" und eine wirkliche Nähe zu Goethes Weltsicht, Denken und nicht zuletzt auch Fühlen entsteht. Jäger ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten "Faust"-Interpreten geworden.
    Wen es interessiert: Es gibt einen recht schmalen Band mit Titel "Global Player Faust oder Das Verschwinden der Gegenwart - Zur Aktualität Goethes", mit dem man Jägers Anknüpfungspunkte an den "Faust" gut kennen lernen kann. War jedenfalls bei mir so. Allerdings hatte ich dann erst richtig Blut geleckt und mir zwei weitere (und dicke) Publikationen Jägers zugelegt, die mir eine irre Lesefreude und Faszination beschert haben. Zentral bei Jäger ist der letzte Akt als Goethes unglaublich berührendes Lebensvermächtnis. Der Wanderer (eine Art Alter Ego Goethes) kehrt an die Stelle seiner ehemaligen Rettung durch Philemon und Baucis zurück und erlebt dann nicht nur jäh verstummend die brutale Zerstörung eben dieses Landstriches mit (Fausts "Kolonisation" des dem Meer vermeintlich abgewonnenen Landes), sondern wird mit seinen Rettern und deren Heimat durch Fausts entfesselte Schergen auch selbst niedergewalzt - das ist natürlich auch Goethes persönlich so empfundener Weltverlust der letzten Lebensjahre mit allem, was einmal richtig, wichtig und "heilig" war. Es ist aber ebenso das hochreflektierte Gleichnis eines gewaltsamen Paradigmenwechsels auf allen Ebenen menschlicher Kultur. Tragisch deswegen, weil die entfachten modernen Kräfte alte Wahrheiten und Prinzipien "gelingenden Lebens" nicht nur (völlig blind!) verdrängen, sondern unwiederbringlich auslöschen. Aber darin erschöpfen sich Jägers Ausführungen natürlich überhaupt nicht.
    Dass Goethe die letzte "Summe" seiner Welterfahrungen dann im Kästchen einschließt und es tunlichst vermeidet, seine Mitwelt zu Lebzeiten daran teilhaben zu lassen, ist angesichts dessen, dass der "Faust" eben auch 60 Jahre Entstehungszeit auf dem Buckel hatte und nur unter größten Anstrengungen im hohen Alter fertiggestellt wurde, höchst bewegend und aussagekräftig für die Wucht dessen, was im zweiten Teil enthalten ist.

    Ich danke euch sehr für die Antworten! :verbeugung2: :cincinbier:
    Bislang sehe ich die Stufentheorie im Vorteil, weil ich im Pop/Rock (ja, ich fasse das auch eher weit) nicht erkennen kann, dass z.B. die Bedeutung von Haupt- und Nebenfunktionen wirklich wesentlich/konstitutiv für die Harmonik ist. Und beim Thema 'Modulation' sehe ich bislang noch immer grundsätzliche Probleme hinsichtlich funktionsharmonischer Analyse von Popularmusik. Aber ich achte da mal weiter drauf.

    Ergibt es Sinn, Rockmusik funktionsharmonisch zu betrachten?

    In einem Buch mit Schwerpunkt Rockmusik stolpere ich gerade über den Begriff 'Funktionsharmonik' und komme ins Grübeln. Ich hoffe, ihr könnt mir bei meiner Themenfrage helfen, denn leider bin ich nicht sonderlich fachkundig.


    Ist der Begriff 'Funktionsharmonik' denn nicht nur dann sinnvoll, wenn es um kadenziell geprägte Dur-/Moll-Tonalität geht? Natürlich gibt es in der Rockmusik noch und nöcher z.B. I-IV-V-I-Verbindungen, aber das scheinen mir eher Stufenfolgen zu sein - nach der Stimmführung und funktionaler Bezüglichkeit zu fragen, spielt für Songwriter in der Regel doch überhaupt keine Rolle. Zudem dachte ich bislang immer, dass es zur Funktionsharmonik gehört, Tonartenwechsel mit bestimmten Arten von Modulation zu erreichen, bei denen ebenfalls der Stimmführungsaspekt berücksichtigt wird. Derlei Modulationen wären sicherlich auch im Rock grundsätzlich möglich, kommen aber (so gut wie?) nie vor. Außer freier Beliebigkeit finde ich in harmonisch raumgreifenderen Stücken/Songs, in denen der tonale Bezugspunkt wechselt, keinerlei bedeutsame Konvention in diesem Sinne.


    Was wäre mit dem Begriff 'Funktionsharmonik' im Rock also gewonnen? Oder ist er - dies meine Überlegung bislang - schlicht unangebracht?

    Ich habe das Trio noch Anfang des Jahres in Hamburg auf der Bühne gesehen. Kadel ist eine mutige Pianistin und Leaderin, wirkt sehr auf künstlerische Autonomie und einen "poetischen" Ansatz bedacht. Sie schafft sich und der Combo dafür recht frei angelegte Spielfelder. Vieles war reizvoll, einiges wirkte auf mich aber auch nicht ganz so "reif" und superklasse. Das machte aber nichts, denn sie vertraut offenbar sehr auf sich, ist recht jung und wird gewiss noch einiges an Potenzial ausschöpfen können. Heißt: Es war sehr hörenswert und findet nach wie vor mein Interesse. Kennst du auch die anderen Alben von ihr? Ich meine mich zu erinnern, dass ich "Kaskaden" am besten fand.

    wenn es gelingt, die Diskussion um "kulturkritische" Aspekte zu führen und von den eigentlichen politischen Parteiungen zu abstrahieren, hat die Moderation vielleicht nichts dagegen.


    Daß die Mod. ihre warnende Stimme erhoben hat, fand ich jedenfalls angebracht und ok.

    Nach kurzer Besinnung: Ich korrigiere mich hinsichtlich des Vorgehens der Moderation. Ich kann dir in beiden Punkten folgen.

    Völlig richtig. Auch ich habe mich schon mal an dem ersten Satz probiert und hatte in der Tat die meisten Probleme nicht mit den schnellen Läufen oder den Tremoli, sondern mit diesen schnellen Handüberkreuzungen im zweiten Thema. Natürlich schon bei drastisch langsamerem Tempo.
    Das fiese ist ja, dass man nicht hört, dass das schwer ist.

    Mein Blick ginge zum 3. Satz, zum Trio: Nicht zu unterschätzen, das ist fieses Zeug. (Klar, auch tempoabhängig.)

    Ein sehr guter und ein sehr wichtiger Artikel. Auf einige der dort genannten Punkte wäre ich in #179 auch eingegangen, aber sowas ist ja hier nicht gewünscht.


    Ich muss sagen: Vorweg, ich werde mich an die eingeforderten Regeln hier halten. Aber ich möchte auch einmal kurz mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass man hier zu einem solch gesellschaftlich wichtigem Thema, gerade in der heutigen Zeit, schweigen muss, und das in einem Kulturforum. Das macht mich recht unglücklich. Es ist ja wichtiger, dass man sich an Regeln hält.


    maticus

    Ich sah bislang auch noch keinen Grund, den Austausch hier zu bremsen. Zumal es auch um die Frage nach der Vermengung von Musikkritik und außermusikalischem Diskurs ging. Jedenfalls größte Zustimmung zu Frau Emcke, die im Gegensatz zur "Stellungnahme" der SZ die neuralgischen Punkte des Problems erfasst und mit großer Klarheit sowie der notwendigen Empathie kommentiert. Vorbildlich nach meiner Einschätzung.

    In diesem Sinne bleibt so ziemlich jedes Stück "offen", selbst wenn wie bei Shakespeare am Ende nur noch Tote auf der Bühne liegen. Wird die Beziehung von Papageno und Papagena halten und so kinderreich sein, wie sie sich das in ihrem Duett ausmahlen? Werden Susanna und Figaro sich scheiden lassen (wie Horvath sich vorgestellt hat)? Das wissen wir alles nicht, aber hier war mit "offenem Ende" doch wohl gemeint, dass im Stück selbst die Zukunft der beiden Paare in Frage gestellt wird. Da wüsste ich schon gern, wo genau und mit welchen Mitteln das geschieht.

    Bei Letzterem kann ich mich dir sofort anschließen: Ich sehe die Zukunft der Paare im Stück nicht infragegestellt. Es ist klar: Über das gegenwärtige Sagen und Handeln der Figuren hinaus kann ich das Stück nicht strapazieren. Und wenn da jemand einen Liebesschwur bis zum Tode leistet, dann "sagt" die Oper nicht mehr darüber, als dass da jemand in genau diesem Moment ein Wollen äußert. Wesentlich erschiene mir dann natürlich auch im Zusammenhang die Musik. Da bin ich aber gerade überfragt, so gut und genau kenne ich das Wort-Ton-Verhältnis nicht. Stefan Kunze weist interessanterweise darauf hin, dass Mozart eine ausgesprochen "gegenwärtige" Musik komponiert hat, welche die Bewegungen der Figuren unmittelbar ernst nimmt - dass also die Musik den Paaren am Ende eine bestimmte Zukunft "weisen" sollte, würde mich deshalb überraschen. Diese nämlich ist offenbar für das Wesentliche der Oper nicht relevant.
    Wenn die Musik (nach Kunze) eine gewichtige Stimme wahrhaftiger Empfindsamkeit ist, spricht einiges dafür, den Schluss nicht vorschnell als "unwahrhaftig" zu diskreditieren. Wenn ich mich deinem "Optimismus" also anschließen kann, dann darin: Eine Versöhnung der Liebenden erweist sich trotz der Brüchigkeit und Ambivalenz des Problems "Liebe" als möglich. Eine Haltbarkeit dieser Versöhnung steht dabei nicht abschließend zur Debatte.
    Jetzt kommt aber das Wissen um den Gesamtkontext dazu: Die Handlung zuvor hatte ja deutlich gemacht, dass die Liebenden grundsätzlich "gefährdet" sind. Don Alfonsos "kalter" Versuch, der eine Ähnlichkeit zum quasi-chemischen Experiment in Goethes "Wahlverwandschaften" aufweist, hat ja gezeigt, dass sich die "Versuchskaninchen" entsprechend verhalten haben. Kunze spricht diesbezüglich vom "Marionettenhafte[n] der Figuren". Wenn man also auf die Handlung selbst schaut und sie auch in diesem Sinne ernst nimmt, gibt es Anhaltspunkte für eine anthropologische Grunddisposition, die sich mit der Versöhnung natürlich nicht einfach erledigt haben kann. Letztere zeigt eine Möglichkeit, mit dieser Disposition umzugehen (m.E. durchaus im Sinne einer aufgeklärten Erkenntnis) - aber keine wesenhafte Verwandlung der Figuren. Die sind und bleiben mit Blick auf das Geschehen(e) weiterhin gefährdet. Mein vorläufiger Eindruck: Der Schluss der Oper steht damit trotz Versöhnung unter einer Spannung, die nicht aufgelöst wird bzw. werden kann.

    Ich frage mich, warum eigentlich alle ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass es am Schluss ein "Vakuum", eine "Aporie" oder ein "offenes Ende" gibt. Das Stück erzählt von all dem jedenfalls nichts. Da sind vielmehr vier junge Leute, die in der "Schule der Liebenden" in einem schmerzhaften und auch gefährlichen Prozess lernen, dass sie sich weder ihrer Partner noch sich selbst so sicher sein können, wie sie zu Anfang gedacht haben. Die Sache drohte zwischendurch außer Kontrolle zu geraten und fürchterlich schief zu laufen. Am Ende haben die vier (um mit Gabriel Garcia Marquez zu sprechen) gelernt, dass "nichts auf der Welt schwieriger als die Liebe" ist und wissen gerade deshalb den Wert ihrer alten Partnerschaften nun erst wirklich zu schätzen, zu denen sie dann zurückkehren. Es gilt heutzutage als schick, das Scheitern dieser Beziehungen für unausweichlich zu erklären oder sich gar (in meinen Augen ziemlich zynisch) eine "Ménage a quatre" als "Happy End mit Zauberstab" herbeizufantasieren, aber das Stück erzählt von all dem nichts. Das optimistische Ende finde ich bei weitem interessanter, klüger und bewegender als den für uns zeittypischen Pessimismus, der doch vielleicht viel eher zynischer Egoismus ist, für den es aber jedenfalls im Stück keine Grundlage gibt.

    Borchmeyer bezieht sich bei mit dem Begriff der "Aporie" auf das Problem von Schein und Sein. Er "glaubt" der Versöhnung am Ende nicht.
    Der Treueschwur Dorabellas - unmittelbar nach dem Schock der "Entdeckung" ausgestoßen - wirft auch für meine Begriffe innerhalb dieses situativen Kontextes zumindest die Frage nach dessen Glaubwürdigkeit auf. Und diese Frage bleibt m.E. deshalb offen, weil der Schwur sich nun innerhalb der Handlung nicht mehr "beweisen" kann.
    Was mir nicht offen erscheint, ist die Versöhnung selbst. Die gibt es natürlich. Und Erkenntnismöglichkeiten haben sich auch aufgetan.