Beiträge von B. Thoven

    Ja, das kann man so verstehen. Aber "würde ... gerne" deutet vielleicht auch schon eine Tendenz an, die nicht vollständig realisierbar ist. Jeder bringt immer schon gewisse Vorstellungen vom Komponisten & den Umständen, unter denen ein Stück entstanden ist, mit. Wenn man ein Stück das erste Mal hört, handelt es sich immer um die Lesart eines Interpreten. Die ist oft prägend.
    Aber man kann sich ja auf andere Aspekte konzentrieren. Und so Sachen wie Gattungsgeschichte oder Kompositionsmittel hat B. Thoven ja nicht explizit ausgeschlossen.

    Das stimmt. Die vollkomene Emanziapation von Musik ist ein sehr theoretisches Phänomen. Ich interessiere mich auch für Biographien und Entstehungsgeschichten. Aber die Musik würde nie an Wert verlieren (oder gewinnen), wenn ich all diese Dinge nicht wüsste. Auch wenn mir für diese Behauptung wahrscheinlich rhetorisch der Kopf abgerissen wird, schließe ich ich im Sinne der Emanzipation den historischen Kontext eines jeden Musikstückes sowie ausdrücklich auch Gattungsgeschichte aus. Kompositionsmittel hingegen nicht, denn diese stecken ja in der Musik drinne bzw. machen sie aus.
    Viele Komponisten werden für ihre Fortschrittlichkeit gelobt. Auf der einen Ebene kann ich das verstehen, nämlich bezogen auf den Komponisten als Person, als künstlerische Persönlichkeit. Dieser hat jedoch nichts mit der Musik zu tun, die er komponiert hat. Es ist ebenso egal, wann er sie geschrieben. Auf der rein musikalischen Ebene sind alle diese Umstände irrelevant. (Unter "Umstände" fasse ich in diesem Fall auch den historischen Kontext, sowie den Komponisten selbst, in dem Sinne, als dass er als "Umstand" dazu beitgetragen hat, dass die Musik entstanden ist.)

    Musikalische Motive und Phrasen können außermusikalische Bedeutung haben. Z.B. haben durch die jahrhundertelange Verwendung bei Jagd, Post, Militär bestimmte Signalmotive eine entsprechende Assoziation erhalten (selbst wenn in der musikalischen Verwendung keine exakte Bedeutung wie "Rückzug", "Angriff", "Sau ist tot" etc. mehr haben). Entsprechend können solche oder davon abgeleitete Motive auch allgemeiner z.B für "Abschied" stehen, wie am Beginn von Beethovens Sonate Les Adieux.

    Solche außermusikalische Bedeutung hat allemal symolischen Wert. Durch bestimmte Motive werden meinetwegen Asssoziationen hervorgerufen. In diese Richtung bewegt sich ja auch die Tonmalerei. Das ist aber dann ein anderer Anspruch an die Musik, der sich auch dementsprechend auf einer anderen Ebene abspielt, als auf der rein musikalischen. Bei absoluter Musik - nehmen wir eine Sinfonie von Mozart - bezieht sich die Musik allerdings nur auf sich selbst. Wie Philmus so schön gesagt hat, wird sie zu einer eigenen Sprache, die nicht der Übersetzung in eine andere bedarf.
    Jede gute Musik muss meiner Meinung nach auf dieser rein musikalischen Ebene funktionieren und ich kann es nicht einsehen, dass Programmmusik davon ausgeschlossen sein soll. Ich muss nicht Nietzsche lesen, um Strauss' Zarathustra zu mögen. Ich muss überhaupt nicht wissen, worum es dabei (programmatisch) geht, was die (außermusikalischen) Hintergründe sind um es (musikalisch) zu verstehen.

    Wenn das bei Musik anders ist, sollte man vielleicht ein anderes Wort wählen oder jedenfalls erklären, was es mit einer so ganz anders gearteten Bedeutung auf sich hat und vielleicht auch, warum sie der normalen Bedeutung von Bedeutung ähnlich genug ist um sie so zu nennen, anstatt gar nicht von Bedeutung zu sprechen.

    Ich habe den Begriff übernommen, finde ihn aber keineswegs unpassend. Wenn ich auf dem Klavier ein g' spiele, hat das z.B. erstmal überhaupt keine Bedeutung. Wenn es hingegen in einen musikalischen Kontext eingebunden wird, kann es sowohl welche erlangen. Nehmen wir an, es ist der Spitzenton einer langen Melodie, die mehrere Anläufe nimmt, bis sie endlich dieses g' erreicht. Durch diese Vorbereitung erhält es eine sehr große Bedeutung, aber eben (nur) eine rein musikalische. Man kann es nicht übersetzen in eine andere Sprache. Es bedeutet weder "Pferd" noch "Paarhufer" noch sonstwas, sondern einfach nur "g'", bzw. in diesem Fall "Höhepunkt einer melodischen Linie".

    Der "intellektuelle Überbau" ist allerdings mißverständlich - meinst Du damit auch, daß man sich an den motivischen Verknüpfungen erfreut, also praktisch "musikimmanente" intellektuelle Anteile, oder Außermusikalisches?

    Sowohl als auch. Wobei z:B. motivische Verknüpfungen eben gerade einen musikalischen Wert besitzen. Die Kritik geht vielmehr in die Richtung, dass ein Komponist beim Komponieren oder ein Musikwissenschaftler beim Analysieren irgendwelche Dinge konstruiert, die sich weit von der Musik entfernen. Wobei das sicherlich ungenau von mir formuliert ist und auch sehr vorurteilsbehaftet...

    MMn bedarf kein Werk einer Rechtfertigung seiner selbst. Seine einzige Aufgabe ist es, zu sein.

    Aber davor sind noch so ein paar Begriffe, die m. E. der Definition bzw. des Maßstabs bedürfen, um darüber diskutieren zu können: Wann ist ein Werk "gut"? Wann ist ein Werk "musikalisch eigenständig"? Sind das binäre Eigenschaften (es gibt nur "trifft zu" oder "trifft nicht zu") oder kontinuierliche Eigenschaften ("auf einer Skala von 0 bis 10 ist der gut-Aspekt bei 8,1563")? ;)

    Ja, damit schwingen wir uns natürlich in musik-philosophische Höhen, die ich gar nich zu ermessen vermag. Bei der Rechtfertigung durch sich selbst liegt die Betonung auf "nur durch sich selbst". Damit meine ich, dass Musik funktionieren muss, auch ohne ein außermusikalisches Programm. Mit "gut" ist durchaus eine subjektive Bewertung gemeint, die jeder für sich selbst treffen kann. Und "musikalisch eigenständig" bedeutet, dass es wie gesagt unabhängig und quasi entkoppelbar von z.B. einem außermusikalischen Programm ist. Z.B. das die Moldau ein tolles Stück ist, auch ohne das Wissen um die Beschreibung eines Flusslaufes.
    Ob binär oder kontinuierlich möchte ich zu dieser Uhrzeit gar nicht mehr entscheiden. Ich tendiere aber zu kontinuierlich...

    Was ist denn eine "nur musikalische Bedeutung"?

    Die Bedeutung von Musik liegt immer nur in der Musik selbst. Ich finde, dass hat Bernstein ganz wunderbar erklärt.

    "What does music mean?" - Die Frage nach "programmatisch"/"absolut"

    Dann möchte ich meinen Einstand im Capriccio-Forum mal mit einem einfachen Thema begehen: Was bedeutet Musik? Ich bin mir nicht sicher, wie weitgehend diese generelle Frage hier bereits diskutiert wurde. Ich hoffe, dass der Thread noch einen gewissen Neuheitswert besitzt.

    "What does music mean?" - Diese Frage stellte Leonard Bernstein 1958 (?) in der Carnegie Hall Kindern und Jugendlichen in einem seiner "Young People's Concerts". (nachzugucken auf youtube, URL: "

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    "). Wie er selbst sagt, "a hard question". Umso verdienstvoller, dass er dieses bemerkenswerte Thema jungen Leuten näherbringt.
    Um es etwas abzukürzen: Lenny kommt zu dem Schluss, dass Musik immer nur eine musikalische Bedeutung hat. Alles andere - Titel, Programme... - sind ihr hinzugefügt.
    Ich würde diese These gerne ausweiten, und Musik von allem emanzipieren: Von den Umständen, unter denen das Stück entsanden ist, von der Biographie des Komponisten, vom Komponisten selbst, vom Interpreten usw. Das ist meiner Meinung nach alles belibig und austauschbar und ändert nichts an der Musik selbst.
    Zunächst würde ich jedoch die Diskussion auf die Frage nach dem Sinn von der Unterteilung in Programm- und absolute Musik beschränken, welche ich aus Bernsteins Erkenntnis ableite. Ich möchte nicht missverstanden werden; ich kritisiere keinesfalls eine solche Unterteilung prinzipiell, nur möchte ich hinterfragen, welche Schlüsse man daraus zieht. Worin liegt z.B. der Unterschied zwischen einer absoluten Sinfonie, einer Programmsinfonie und einer sinfonischen Dichtung, außer eventuell in der formalen Satzstruktur? Dass die Grenze verwäscht, ist ein weiterer Hinweis auf das Problem. Besitzt programmatische Musik einen anderen Wert als absolute? Sicherlich nicht! Jedes gute Werk muss musikalisch so eigenständig sein, dass es sich selbst rechtfertigt - auf musikalischer Ebene und weder durch irgendwelche Geschichtchen noch einen intellektuellen Überbau!

    Ich bin gespannt, ob eine Diskussion entsteht und in welche Richtung sie treibt :)