Shakespeare: Julius Caesar
Was für ein Titel, was für ein Versprechen für ein Stück! Julius Caesar, eine der berühmtesten Personen der Weltgeschichte und nun ein ganzes Drama über ihn. 'Alea jacta est' - 'Veni, vidi, vici' - 'Bellum Gallicum' - 'Iden des März' - legendärer Eroberer - Namensgeber für Monarchentitel - Teil des Bildungskanon - man kennt ihn, man hat ihn zu kennen. Und sei es nur durch 'Asterix' oder natürlich Hollywood. Auf dem Forum Romanum immer noch zu sehen (und Touristenführer weisen die andächtige Menge gerne darauf hin) die Stelle, an der sein Leichnam verbrannt wurde. Ein gutes Stück entfernt davon, im Theater des Pompeius, der Ort seiner Ermordung, heute darüber ein Supermarkt und witziger- , groteskerweise an der Stelle nun die Fleischtheke, an der immer noch selbiges zerstückelt wird. Caesar ein Name, ein Begriff, wie Alexander der Große, wie Napoleon, wie Kleopatra - geradezu zu einem Mythos geworden.
Also bestens geeignet der Held eines Theaterstücks zu werden. Nur leider scheint Shakespeare da anderer Meinung gewesen zu sein. Ganze fünf Szenen gestand er ihm zu und nach ziemlich genau der Hälfte ist es dann auch schon vorbei mit ihm. Titelheld - ja, aber Hauptperson - noch lange nicht. Die ist eher Marc Anton oder doch Brutus oder vielleicht gar Cassius? Das Stück scheint sich nicht entscheiden zu können, aber vielleicht geht es auch gar nicht darum.
Vielleicht geht es vielmehr um verschiedene Themen, die hier durchgespielt werden, schließlich sind wir bei Shakespeare und ihm ging es bekanntermaßen selten um reine Historie und Monothematik lag ihm auch eher fern.
Da wäre dann zunächst einmal der Tyrannenmord, seine Berechtigung und auch die Verwerfungen, die dieser anrichtet, in den ihn verübenden Menschen und in der Gesellschaft. Aber Vorsicht! Schon der Begriff ‚Tyrannenmord‘ ist ein problematischer, denn was erfahren wir über diesen ‚Tyrannen‘ Caesar?
Darstellen und erzählen - zwei großen Bestandteile des Theaters. Wissen aus erster und aus zweiter Hand. Was also wird uns gezeigt? Caesar dargestellt, in bestimmten Situationen und in ihnen offenbart er sich als ein arroganter, selbstsicherer, durchaus auch eitler Charakter, was allerdings einen Mord an ihm noch lange nicht rechtfertigen würde. Dazu bedarf es seines Griffes zur unumschränkten Macht, aber genau diese Momente, zum Beispiel seine dreimalige Weigerung ein ihm angetragenes Diadem anzunehmen, genau dieses wird uns nur erzählt und das von einem Beteiligten (Casca), der nicht unbedingt zuverlässig ist. Ist der Tyrannenmord also gerechtfertigt? Shakespeare lässt diese Frage offen. Dazu viele andere Erzählungen. Caesar als Schwächling, Caesar als Epileptiker, Caesar als Machtmensch, Caesar als künftiger Diktator. Alles sehr überzeugend dargebracht, aber deshalb auch Tatsachen entsprechend?
Selbst Brutus, vielleicht der 'edelste' Charakter im Stück, jedenfalls der idealistischste, entschließt sich zum Töten bevor (!) eine Tat vollbracht wurde, präventiv sozusagen, auf den Verdacht hin. Rechtfertigt das den Tyrannenmord? Wehret den Anfängen - klar, aber woher nimmt er seine Überzeugung? Zweifel über Caesars Absichten scheinen ihn schon länger beschlichen zu haben, die schwelten aber bislang nur. Seine Entscheidung erfolgt letztlich durch Berichte, durch Erzähltes, nämlich von Casca und von einem von Neid zerfressenen Cassius. Scheinbar recht leicht lässt er sich dadurch einspannen, gibt seinen Unsicherheiten zwar noch einmal in einem Monolog Ausdruck, dieser bleibt aber psychologisch oberflächlich, kann jedenfalls mit der Seelenerforschung eines wohl zeitgleich entstandenen 'Hamlets' nicht mithalten.
‚It must be by his death…‘
...steht für ihn zu Beginn dieses Monologs (II. Akt, 1. Szene) bereits fest, bevor er dann eher Allgemeinplätze über menschliches Verhalten offenbart bzw. wiedergibt. Seine Ehrlichkeit in dieser Situation bleibt unangetastet, aber beruht sein späteres Handeln wirklich auf zuverlässigen Quellen? Das Stichwort 'Verschwörungstheorie' drängt sich hier automatisch auf, womit Shakespeare nicht nur den Tyrannenmord thematisiert, sondern gleichzeitig die Frage nach seiner Berechtigung aufwirft. Und wie immer bei ihm gibt es keine abschließende Antwort.
Ein weiterer Themenstrang sind dann die Auswirkungen der Tat, einerseits bei den Freunden Caesars und andererseits bei den Verschwörern. Brutus und Cassius auf der einen Seite, Marc Anton und Octavius auf der anderen. Zwar gibt es viel mehr Verschwörer, aber sie verschwinden im Laufe des Stücks mehr oder weniger unauffällig, genauso wie Lepidus, einer der Triumvirn. Also untersucht Shakespeare vor allem diese vier. Koalitionen und ihre Beständigkeit. Theorie und Praxis, denn wehe, wenn sie unter Druck geraten. Brutus und Cassius, erst gemeinsam, dann gegeneinander, sich dabei Verdächtigungen, Eitelkeiten und Verrat an den Kopf werfend, um sich schließlich wieder zusammenzuraufen. Letztlich scheitern sie aber doch, verüben Selbstmord - und edle Absichten hin oder her, in Dantes tiefster Hölle werden sie vereint mit Judas Ischariot. Die Nachwelt war nicht gnädig mit ihnen.
Dagegen Marc Anton und Octavius: politisches Zweckbündnis, auf eine bestimmte Zeit angelegt (ihnen vielleicht gar nicht einmal bewusst), rücksichtslos, ideologiefrei, amoralisch - und deswegen vielleicht erfolgreich. Auch hier eine Koalition, diesmal nicht geschmiedet aus Idealismus (oder Neid), sondern aus Machtbewusstsein. Wehe wiederum, wenn sie ihr Ziel erreicht. Die Geschichte kennt das Ende, das Stück noch nicht.
Und dann ist da ja auch noch das Volk, um das es in der Politik ja ausschließlich geht. Ein schwankend Rohr im Wind - diese Beschreibung wäre noch untertrieben bei Shakespeare. Im Zentrum dieses Stücks steht, nach der Ermordung Caesars, die große, wirklich geniale Rede Marc Antons:
'Friends, Romans, Countrymen
Lend me your ear.
I come to bury Caesar, not to praise him….'
Das ist Rhetorik vom Feinsten und in dieser Hinsicht der 'Gettysburgh Adress' vergleichbar oder der 'Sportpalast - Rede'. Wie bekomme ich eine feindselige, mindestens meiner Intention abgeneigte Zuhörerschaft auf meine Seite? Wie muss ich reden, um sie zu überzeugen, sie anzustacheln, sie aufzuwiegeln? Hier könnten sie es studieren, all die gut- und schlechtmeinenden Politiker jeglicher Couleur. Denn hier funktioniert es, bei diesem Musterfall einer Rede. Egal ob vorher Brutus das Volk auf seine Seite gebracht hat, Marc Anton dreht sie wieder um. Nein, Shakespeare geht nicht gnädig mit den Massen um. Hin und her in seiner Meinung dreht es sich. Erst alle für Brutus und gegen Caesar und kurz danach alles für Marc Anton und für Caesar. Funktionierende Propaganda und Verführbarkeit von Massen. Hitler und Stalin und all die anderen lassen grüßen.
Aber Vorsicht! Keine schnelle Bewertungen und ein weiteres Thema vielleicht. Denn alles beruht ja schließlich auf Angenommenem. Brutus wird durch Hörensagen überzeugt und Marc Anton verteidigt möglicherweise einen künftigen Diktator. Nichts ist klar und eindeutig. Nichts für uns als Zuschauer, noch für die Menschenmassen, die eben auch alles nur aus zweiter Hand erfahren. Jeder hat seine Sicht auf die Dinge bzw. auf Caesar, wird in seinem Urteil beeinflusst durch Propaganda, Eitelkeiten, Idealismus, durch den eigenen Charakter. Manipuliert werden sie aber alle - 'die Welt will belogen werden' - und wir natürlich gleich mit.
Warum scheitern die Attentäter eigentlich? Natürlich: die Übermacht ist zu groß, falsche strategische Entscheidungen werden getroffen, Zwist und Uneinigkeit herrschen. Shakespeare gibt verschiedene Antworten, aber einmal fährt er auch schweres Geschütz auf. In der Nacht vor dem Mord, vor der möglicherweise entscheidenden Senatssitzung für Caesar, in der Nacht in der sich die Verschwörer noch einmal zur letzten Absprachen treffen, tobt die Natur, bricht ein Unwetter herein, treten nicht rational erklärbare Phänomene auf, wird Calpurnia von prophetischen Albträumen geplagt. Einmal mehr ist die Welt aus den Fugen, wie so oft bei Shakespeare in diesen Situationen. Aber ist es, weil die Verschwörer sich gegen die angestammte Ordnung vergehen wollen oder weil Caesar nun den entscheidenden Schritt zur endgültigen Macht antreten und damit die jahrhundertealte republikanische Ordnung zerstören wird? Oder geschieht das alles einfach nur, um uns noch einmal durchzurütteln, um uns klarzumachen: Fallt nicht drauf herein! Glaubt nicht einfach dem Gezeigten und schon gar nicht dem Erzählten!
Aber einmal mehr lässt der Barde uns hier allein. Billig entlässt er uns aus der Verpflichtung zum eigenen Urteil, zur eigenen Position nicht. Vorschnelle Urteile aber könnten gefährlich sein, denn die Indizien sind zweifelhaft und auf welcher Seite wir stehen, wem wir das Recht seiner Handlung zuerkennen, liegt eher in uns begründet, denn in den Fakten, die Shakespeare vor uns ausbreitet.
Darstellung und Erzählung eben. So viel Geschildertes und so wenig Gezeigtes. Und selbst das, was uns direkt vorgeführt wird, zum Beispiel die beiden Reden von Brutus und Marc Anton, wie sind sie fragwürdig, beruhen sie doch vor allem auf dem Wort, dem zweifelhaften, vielgeplagten, manipulierten. Politikerwort eben und da ist es egal, ob es von Caesar, Brutus, Cassius, Marc Anton oder Octavius kommt.
Aber nicht nur Politiker reden hier. Auch ein Poet tritt auf. Ziemlich unpolitisch wohl, aber jemand, der ein Mann des Wortes ist, dem es - so können wir annehmen - mehr bedeutet als all den Manipulatoren, der es zu seinem Beruf gemacht und eben nicht einer politischen Idee untergeordnet hat. Cinna heißt er, der zweite seines Namens in diesem Stück und auf tritt er nun in einer ganz kurzen Szene nach den entscheidenden Reden auf dem Forum.
'I have no will to wander forth of doors,
Yet something leads me forth.'
Ein wenig Weltabgewandheit spricht daraus, aber letztlich ist es wohl so, dass er zu Caesars Begräbnis will. Nun allerdings wird er in den Straßen von einer Gruppe Plebejer aufgehalten. Wer er wäre, wohin er wolle, ob er verheiratet sei, wird er gefragt. Dass er Junggeselle ist, missfällt zunächst, seine Absicht wird noch anerkannt, sein Name ist es aber schließlich, der ihm zum Verhängnis wird. Cinna der Poet wird verwechselt mit Cinna dem Verschwörer. Und das Volk spielt wieder einmal keine sehr smpathische Rolle dabei.
'Tear him to pieces! He’s a conspirator.'
Das kann der Poet noch aufklären:
'I am Cinna the poet, I am Cinna the poet.'
Woraufhin die Menge sofort einen weiteren Grund findet, sich an ihm auszutoben.
'Tear him for his bad verses, tear him for his bad verses.'
Was genau mit Cinna, dem Poeten, geschieht, lässt Shakespeare im Unklaren. Laut einer, nicht in allen Quellen, vorhandenen Anweisung ziehen sie ihn von der Bühne, was auch immer sie dann mit ihm machen. So absurd - grauenhaft die Szene ist, entbehrt sie aber auch nicht einer gewissen Komik. Die 'bad verses' sind es, die dem Poeten (wohl) das Leben kosten. Das Wort, das in Ernsthaftigkeit benutzt wird, bringt den Tod, die politische Rede voller Verdrehungen, Beschönigungen und Lügen hingegen verfängt und kann Menschen zur Raserei aufstacheln. An dieser Stelle im Stück eine bittere Erkenntnis und möglicherweise eine der wenigen 'Offenbarungen' des Autors. Aber vielleicht ist es auch nur ein deprimierter Kommentar Shakespeares über seine eigene Profession oder eine zynische Antwort auf gerade neu erlassene Zensurbestimmungen.
Noch einmal: darstellen und erzählen. Nicht nur wichtige Bestandteile des Theaters, sondern auch überhaupt des Lebens. Aber was ist daran wahr, wem oder was kann man vertrauen? Damals wie heute. Fake News kommen einem in den Sinn, KI, Propanda, politische Strategien oder auch halt nur die Unklarheiten im menschlichen Verhalten und unsere Unfähigkeit, diese wirklich eindeutig lesen zu können. Und vielleicht sind das Volk, die Masse einfach nur wir, die Zuschauer. Stellvertretung: hin- und hergerissen, verführbar, der Erzählung verfallend und dem Geschauten. Aber auch Mahnung, es dem ja nicht gleichzutun.
'This was the noblest Romans of them all.'
Das Urteil Marc Antons über Brutus, nach dessen Tod. Und mit allen Ehren soll er begraben werden. Ehre für den politischen Gegner! Ein Zeichen, um die gespaltene Gesellschaft zu versöhnen! Also anständig, geradezu ehrenhaft. Doch eine Art Happy End. Oder vielleicht auch nicht? Vielleicht doch eher die Instrumentalisierung des politischen Feindes für eigene Absichten? Auch in der allerletzten Minute des Stücks gibt uns Shakespeare keinen Hinweis. Immer und immer wieder sind wir gefragt, hilflos alleingelassen zwar, aber aufgerufen zu einer eigenen Position, zur eigenen Meinung. Dass die von Wahrheit weit entfernt sein kann, sein wird, das ist die bittere Botschaft Shakespeares. Aber vielleicht auch die augenzwinkernde. Wer weiß das schon!
Shakespeare orientierte sich größtenteils an der literarischen Vorlage Plutarch, wich aber immer wieder an entscheidenden Stellen von ihm ab. Durch einen Zeitzeugen ist eine Aufführung von 1599 belegt, überliefert wurde das Stück aber nur durch die 'First Folio' von 1623.
Wolfram