Beiträge von Sadko

    Danke, Sadko, für deinen schönen Aufführungsbericht (und die viele Mühe, die du generell in deine Berichte investierst).

    Lieber Peter Jott!

    Gerne! Es ist mir ein Bedürfnis, nach jeder von mir besuchten Opernaufführung ein paar Zeilen zu schreiben. Wenn diese Berichte dann auch gerne gelesen werden, umso besser!

    Interessant finde ich deine recht kritische Beurteilung von Asmik Grigorian. Ihre Berliner Jenufa wurde in den Rezensionen überschwänglich gelobt. Ich habe sie live noch nicht erlebt, ihre Lisa in Petrenkos konzertanter Pique Dame hatte sie leider abgesagt, die nächste Berliner Jenufa gibt's erst im April (ein Ticket habe ich bereits). In Streams, die ich gesehen und gehört habe, - Bayreuther Holländer, Salzburger Trittico - hat sie mich sehr beeindruckt. Ihren besonderen Stimmcharakter, der sich von Denoke sicher stark unterscheidet, muss man freilich mögen, auf puren Schönklang scheinen ihre Rollengestaltungen nicht angelegt zu sein.

    Grigorian ist keine schlechte Sängerin, aber meiner Meinung nach doch ziemlich überschätzt (man könnte vermuten, dass ihre Vermarktung auch was mit ihrem Aussehen zu tun hat); einen ähnlichen Eindruck hatte ich schon im Februar dieses Jahres (siehe hier). Allerdings werde ich noch dreimal in diese Jenůfa-Serie gehen und ja dann Gelegenheit haben, meinen gestrigen Eindruck zu bestätigen oder zu revidieren.

    Ihre Berliner Jenufa war ganz wunderbar, ich war drinnen und habe selten eine bessere erlebt (und mindestens zehn verschiedene hatte ich inzwischen auch schon).

    Lieber Stimmenliebhaber!
    Ich freue mich, von Dir wieder hier zu lesen!

    Frage: Welche Jenůfa-Sängerinnen waren das, und war Angela Denoke darunter? (Für mich das Maß aller Dinge in dieser Partie und Grigorian sehr überlegen.)

    Beitrag eigentlich vom 8. Okt. um 22:02:

    Liebe Ira! Danke für die genaue Schilderung, die ich mit Interesse gelesen habe! [von der Moderation gekürzt]

    Ich bin, wie Symbol, auch überrascht, dass Dir diese Inszenierung, die man ja durchaus "Regietheater" nennen kann, gefallen hat! Die (Opern-)Welt ist eben nicht schwarz-weiß 8)

    Ebenfalls ein schönes Wochenende!

    So., 9. Oktober 2022: WIEN (Staatsoper): Leoš Janáček, Její pastorkyňa / Jenůfa

    Obzwar ich mich klar zum späten Janáček bekenne („Füchslein“, „Makropulos“ und „Totenhaus“ sind nicht nur meine drei Lieblings-Janáček-Opern, sondern meine drei Lieblingsopern generell!), finde ich „Jenůfa“ ganz wunderbar, das Stück besitzt von vorne bis hinten großartige Musik, kombiniert mit einem packenden Libretto. Meine beiden Lieblingsstellen sind das Geigensolo, als die Küsterin Jenůfas Kind wegbringt, und das „zweite“ Finale – aber nicht nur diese beiden Stellen sind von überirdischer Schönheit, die gesamte Oper ist großartig. Umso erfreulicher ist also nicht nur, dass dieses Stück heute nach mehreren Jahren endlich wieder an der Wiener Staatsoper zu hören war, sondern auch, dass die Vorstellung von hervorragender Qualität war.

    Zuerst zur Inszenierung von David Pountney, deren Bühne (auf der sich von Akt zu Akt das Bühnenbild reduziert) von Robert Israel und deren Kostüme von Marie-Jeanne Lecca geschaffen wurden: Diese Produktion ist ganz wunderbar, sie erzählt die packende Geschichte ohne jede Art von Neudeutung (was aber vollkommen ausreicht) und besticht mit berührenden Bildern, sehr gut eingesetzten Lichteffekten (wie dass die Bühne im zweiten Akt beim Öffnen eines imaginären Fensters heller ausgeleuchtet wird), ausgezeichnet organisierten Massenszenen, toller Personenführung und guten Einfällen, wie dass Števa ganz am Ende des ersten Aktes auftaucht und sich sogleich nach dem Anblick von Jenůfas entstelltem Gesicht von ihr abwendet. Besonders gut gefällt mir, dass im zweiten Akt Jenůfas Kind (in Form einer Puppe) präsent ist, dadurch gewinnt die Szene, in der Števa auftritt, ordentlich an Brisanz. Kurz: Die Inszenierung ist ausgezeichnet, bitte unbedingt für alle Zeiten behalten.

    Musikalisch fand DAS Ereignis in erster Linie im Orchestergraben statt: Das Staatsopernorchester unter Tomáš Hanus war in Bestform, hier stand ein ausgezeichneter Dirigent am Pult, der offenbar gut geprobt hat. Die Hausdebütantin Eliška Weissová (ursprünglich angekündigt war Violeta Urmana) singt, wie dem Internet zu entnehmen ist, derzeit Rollen überwiegend wie Isolde und Abigaille, womit eigentlich schon alles gesagt ist: Ihre Stimme ist in der Mittellage und Höhe sehr laut, durchschlagskräftig und scharf, was nicht in jeder Rolle angemessen wäre, aber für die Küsterin hervorragend passt. Lediglich in der tiefen Lage ist nicht viel vorhanden, das fällt aber kaum auf (störend ist es nur ganz am Ende des zweiten Aktes bei „Jako by sem smrt načuhovala!“) – insgesamt eine wunderbare Gesamtleistung; es war höchste Zeit, dass diese Sängerin in Wien debütiert. Der zweite Hausdebüt David Butt Philip gestaltete einen sehr guten Laca: Im Dezember wird man hören, ob es für den Stolzing reicht, als Laca gefiel er mit mit seiner eher dunkel timbrierten und durchschlagskräftigen Stimme jedenfalls ausgezeichnet. Ebenfalls ausgezeichnet war Michael Laurenz als Števa, der (mit Ausnahme des Pedrillo) bisher nur in kleinen bzw. kleineren Rollen zu hören war und heute einmal zeigen konnte, was in ihm steckt. Die Sängerin der Jenůfa konnte mit diesen drei hervorragenden Besetzungen leider nicht mithalten: Asmik Grigorian besitzt eine passable Stimme, mit der ihr imposante Höhen gelingen (wenngleich da manches nach Raubbau an der Stimme klingt), somit konnte sie einen guten Eindruck hinterlassen – aber wenn man daran denkt, wie wunderschön Angela Denoke weiland die Jenůfa gesungen hat, wird man mit Grigorian (die obendrein extrem textunverständlich unterwegs war) nicht glücklich. Margarita Nekrasova war eine wohltönende Großmutter, selbiges ist über Dan Paul Dumitrescu als Dorfrichter zu sagen; die anderen Mitwirkenden waren „rollendeckend“ bis auf Stephanie Houtzeel, die als Frau des Dorfrichters mit kleiner, brüchiger Stimme unangenehm auffiel.

    Insgesamt trübten die (wenigen) genannten Mängel keinesfalls den großartigen, überwältigenden Gesamteindruck. Sehr ärgerlich finde ich jedoch, dass man sich 2016 auf den fatalen Irrweg der tschechischen Originalsprache begeben hat, der seitdem fortgesetzt wird, OBWOHL sich der Regisseur klar dagegen ausgesprochen hatte: „Man sollte generell alle Werke von Janáček in der Sprache des Publikums bringen, da es sich ja nicht um typische Opern, sondern viel eher um Theaterstücke mit Musik handelt. Die unnötige Barriere einer komplett fremden Sprache erschwert in diesem Fall die Aufnahme ungemein.“ (Diese Stellungnahme ist einem im „Jenůfa“-Programmheft der Saison 2001/02 befindlichen Interview entnommen, Seite 12.) Ich stimme hier vollkommen zu, nur die Muttersprache geht ins Herz, Untertitel hin oder her. Von 2011 habe ich noch im Ohr, wie Števa die „apfelglatten Wangen“ Jenůfas, der „Allerallerschönsten“, besingt – und die deutsche Übersetzung würde deutschsprachigem Publikum diese großartige Oper noch unmittelbarer näherbringen.

    Übrigens ergab sich durch verschiedene Umstände, dass ich „Jenůfa“ an verschiedenen anderen Häusern teils mehrfach gehört habe (nämlich im Theater an der Wien und in München, Prag, Brünn und Pressburg), heute jedoch erst das zweitemal an der Wiener Staatsoper. Und hierhin gehört dieses Stück, denn der Orchesterklang braucht einen großen Saal und ein erstklassiges Orchester, im kleinen Theater an der Wien „zündet“ das Stück einfach nicht. Daher werde ich von den folgenden vier Aufführungen noch drei besuchen (nur deshalb nicht vier, weil am 15. Oktober gleichzeitig das „Füchslein“ im Theater an der Wien gespielt wird, was für eine total idiotische Planung seitens der Verantwortlichen!) und kann jedem nur dringend raten, sich die Gelegenheit eines Besuchs nach Möglichkeit keinesfalls entgehen zu lassen.

    Ich drücke Dir die Daumen, dass es heute für Dich szenisch spannender wird!

    Trotzdem drücke auch ich Dir die Daumen, lieber Sadko und wünsche Dir einen schönen Abend!

    Danke! :cincinbier: Ich freue mich schon sehr auf die Aufführung, weil Jenůfa zu meinen Lieblingsopern gehört. Die Inszenierung, mit der ich das Stück 2011 kennengelernt habe, ist (meiner Erinnerung nach) nicht außergewöhnlich spannend, aber sehr praktikabel und insgesamt gut (bei Interesse hier ein paar Fotos). Genauer werde ich es heute abend erfahren, und meinen Eindruck schreibe ich nach der Aufführung natürlich im "Operntelegramm Saison 2022/2023" :)


    Edit: Es handelt sich um eine großartige Inszenierung, siehe hier.

    Noch eine Frage: ist Andreas Dresen eigentlich zu den Klassikern zu zählen oder zum "RT"?

    Das kann ich nicht beantworten, weil ich ja nicht in den Kategorien "Klassiker" vs. "Regietheater" denke. Ich mag zum Beispiel die Arbeiten von Jean-Pierre Ponnelle, obwohl man den heutzutage wohl eher bei den "Klassikern" als beim "Regietheater" einordnen würde. Umgekehrt finde ich, dass die "Regietheaterinszenierung" von La Traviata von Peter Konwitschny das Stück viel besser inszeniert als die des "Klassikers" Otto Schenk. Andreas Dresen kenne ich nicht, mir sagt nur Adolf Dresen etwas (dessen "Wozzeck" gab es bis 2014 in Wien).

    Heute werde ich in Wien eine "klassische" Jenůfa-Inszenierung von David Pountney sehen (von 2002) -- aber derselbe Mann verantwortete ein paar Jahre später (2008) in Wien eine "Regietheaterinszenierung" von Verdis Forza. Kommt also immer drauf an, selbst die, die die Kategorien "Regietheater" und "Nicht-Regietheater" verwenden, werden wohl nicht alle Inszenierungen eines bestimmten Regisseurs in dieselbe Kategorie stecken.

    Und, siehe da, im Jahre 1967/8 empörte sich der Wiener Stehplatz über Otto Schenks Giovanni-Inszenierung (durchaus humorvoll dokumentiert hier bzw. hier) also über eine Inszenierung genau desselben Otto Schenk, der ein paar Jahrzehnte später in Wien als Musterbeispiel des Regisseurs der wahren und guten und schönen Opernproduktionen gilt Grins2

    Videoeinspielungen können gut gemacht sein, aber natürlich auch nicht. Kommt also auch auf den Einzelfall an Grins1

    Es ging mir mit meinem Posting eigentlich nur darum, dass ich den Erfolg von Ólafsson nachvollziehen kann und dass es keineswegs "anrüchig" ist, eine große Fangemeinde zu haben. Er macht eben einfach großartige Aufnahmen und ist auch live im Konzert ganz ausgezeichnet. Dass andere Künstler (Beispiel Jenny Lin), die diesen Erfolg nicht haben, es sich ebenfalls verdient hätten, tut dem keinen Abbruch.

    Okay, danke für die Erläuterung! Jetzt kann ich nachvollziehen, was Du gemeint hast :cincinbier:

    Wenn du lesen kannst, es ging um Jonas Kaufmann!

    Es ging zuerst um Currentzis, dann um Kaufmann, aber Du hast dann -- für mich aus unerklärlichen Gründen -- Grundheber in die Diskussion eingebracht und gleichzeitig Ira vorgeworfen, sie sollte vor ihrer Antwort in den Spiegel schauen; oder war das alles auf jemand anderen bezogen?

    Naja, was du als entbehrlichen Seitenhieb hältst, interresiert mich herzlich wenig, aber du hast ja mittlerweile eine tolle Freundin an deiner Seite, :etsch1: frag sie doch mal wie das mit den Seitenhieben ist sie kennt sich das bestens aus!

    Viel Spass weiterhin!

    Hä? Erstens kenne ich Ira im Unterschied zu Dir nicht persönlich, zweitens stimme ich oft genug nicht mit ihr überein, und drittens verstehe ich Deinen giftigen Tonfall nicht.

    Was soll eigentlich dieses ganze Gift? Faß Dich in puncto Seitenhiebe am besten an die eigene Nase!

    Der Frage schließe ich mich an.

    Davon abgesehen sind Libretto und Partitur kein Kochrezept, an das man sich sklavisch zu halten hat. Ja, Musiker und Regisseur haben sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, und zwar möglichst intensiv. Aber die Aufführung selbst gestalten sie nach ihrem freien Willen. Und das geht in beiden Fassungen.

    Hallo! Da bin ich ganz Deiner Meinung, aber irgendwie passt das nicht zu dem, was Du letztens hier (siehe folgendes Zitat inkl. meiner Entgegnung) geschrieben hast, oder?

    Die letzte Fassung ist die "gültige". Jedenfalls dann, wenn sie vom Komponisten kommt.

    Das sehe ich komplett anders: Es gibt für mich keine "gültige" Fassung, die deshalb gültig ist, weil sie die letzte des Komponisten ist. Künstlerisch gut muss die Fassung sein, ob sie die letzte oder erste ist, spielt dafür keine Rolle.

    Die Autorität des Komponisten erkenne ich in diesem Fall nicht an. Analog dazu auch auf Komponisten zu übertragen (natürlich nicht völlig, aber die Tendenz stimmt): Roland Barthes, Der Tod des Autors.

    Lieber Music Lover!

    Auch wenn ich mich jetzt als Banause oute, weil ich weder Vikingur Ólafsson noch Jenny Lin kenne, muss ich zugeben, dass ich Dein letztes Posting nicht verstehe: Du schreibst, dass Ólafsson seinen Status "hart erarbeitet" habe und er "nicht etwa vom Himmel gefallen" sei, gleichzeitig bezeichnest Du Lin als "faszinierende Pianistin", aber da steckt ja ebenfalls viel harte Arbeit dahinter. Ich verstehe daher irgendwie nicht, was Du mit dem Eintrag sagen willst, außer dass es tolle Musiker gibt, die bekannt sind, und tolle Musiker, die nicht so bekannt sind: Aber das ist ja nichts Neues.

    Man darf die Oper nicht auf ein paar Arien reduzieren, wie "Mein Sehnen, mein Wähnen" oder "Glück das mir verblieb". Die Oper birgt so viel Schönes.

    Liebe Ira! Da bin ich ganz Deiner Meinung: Ich finde zum Beispiel auch den Anfang der Oper (die Brigitta-Szene) wunderbar oder Mariettas Tanz im dritten Akt, die mit dem verhängnisvollen Satz "Jetzt gleicht sie ihr ganz! Marie!" abgeschlossen wird.

    (die beiden von Dir genannten Musiknummern sind zwar keine Arien, sondern Lieder, aber das ändert ja nichts an der wesentlichen Aussage Deines Eintrags! :cincinbier: )

    weil auch ich die "Tote Stadt" eigentlich immer unterbewertet habe. Bis wir in München eine Produktion hatten, von Simon Stone. Da stirbt Marietta schließlich an Krebs.

    Da bin ich neugierig, wie schlüssig passt ein Krebstod Mariettas zum restlichen Inhalt? Und verstehe ich richtig, dass Dir diese "Regietheaterinszenierung" (8o) gefallen hat?

    Abgesehen davon, dass Franz Grundheber (meines Erachtens der beste lebende Opernsänger) in einer GANZ anderen künstlerischen Liga spielt als Currentzis, hinkt der Vergleich doch völlig, weil ich mich gar nicht entsinnen kann, dass Ira "niemand anders mehr gelten läßt und die Fähigkeit zur Kritik völlig verloren hat". Im Gegenteil, ich bin zwar recht oft nicht ihrer Meinung, habe sie aber bisher immer als umgänglich und tolerant erlebt, "in den Spiegel schauen" muss sie also nicht.

    Wieso Du jetzt diesen (recht entbehrlichen) Seitenhieb anbringst, erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht.

    Fr., 7. Oktober 2022: LINZ (Musiktheater): Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt

    Nicht allzu viel hatte ich mir von meinem heutigen Linz-Ausflug erwartet, denn Korngolds „Tote Stadt“ hatte ich bisher eher unter „langweilig“ angesiedelt (insbesondere, was den zweiten und dritten Akt anbelangt) – die heutige Aufführung hat mich aber beeindruckt, sie lag deutlich über dem, was in Wien 2017 und 2022 zu hören war. Ich möchte nochmals zu einer weiteren Aufführung hinfahren. (Und am kommenden Dienstag, Bruckners Todestag, bin ich ganz in der Nähe, nämlich bei einem spannenden Konzert in der Stiftskirche St. Florian: Auf Bruckners „Adagio II“ zur dritten Symphonie folgt Schnittkes 2. Symphonie, zu der er in ebendieser Stiftskirche inspiriert wurde!)

    Sensationell gut gefiel mir der mir vorher völlig unbekannte Andreas Hermann in der Rolle des Paul: Sein eher hell timbrierter Tenor besitzt sowohl Metall und die Eignung zur stimmlichen Attacke, als auch die Fähigkeit, schön zu singen, und beides ist ja für den Paul essentiell. Er legte die Rolle eher dramatisch als melancholisch an, was insbesondere dann sehr erfrischend ist, wenn man den fürchterlichen Klaus Florian Vogt im Ohr hat und jetzt hört, wie diese Rolle gleich viel besser gesungen werden kann. Nur ganz selten war zu hören, dass Hermann an seine stimmlichen Grenzen stieß, die er aber nie überschritt. Ebenfalls sehr gut, wenn auch nicht hervorragend war Erica Eloff, die als Marie/Marietta mit einer schönen Stimme antrat, zwischendurch (besonders ganz am Anfang) klang ihre Stimme aber seltsam belegt, vielleicht ein gesangstechnisches Problem? Einen schwachen Start hatte Martin Achrainer als Frank, im dritten Akt steigerte er sich aber deutlich. Adam Kim war ein sehr guter Pierrot-Fritz (seit seinem völlig profillosen Barak 2017 hat er sich offenbar gesteigert), Manuela Leonhartsberger eine sehr gute Brigitta (mit dieser Saison wechselte sie von der Wiener Volksoper nach Linz), wie auch alle kleineren Rollen gut besetzt waren. Grandios war die Leistung des Linzer Bruckner-Orchesters unter Markus Poschner, der sehr zügig dirigierte, aber niemals gehetzt. Die Orchesterleistung war extrem gut, es war zu merken, dass sehr gut geprobt wurde und die Proben noch nicht mehrere Monate her sind. Es könnte übrigens sein, dass ungekürzt gespielt wurde, jedenfalls mit weniger Strichen als in Wien.

    Auch die Inszenierung betreffend (von Andreas Baesler mit einer Bühne von Harald B. Thor und Kostümen von Tanja Hofmann) war ich sehr zufrieden: Die Inszenierung legt nahe, dass Marie von Paul ermordet wurde, was mir ja generell enorm plausibel erscheint (der Regisseur sagt im Programmheft dazu: „Weder bei Rodenbach noch bei Korngold wird uns erklärt, was eigentlich mit Marie, Pauls Frau, passiert ist. Es wird nur von ihrem Tod gesprochen, und das evoziert Assoziationsräume, die auch die Möglichkeit bergen, dass das zwanghafte Verhalten Pauls auf ein Schuldgefühl zurückzuführen ist.“, Seite 19). Paul ist offenbar Insasse einer psychiatrischen Anstalt, Brigitta ist eine dort tätige Klosterschwester, Frank könnte als Arzt verstanden werden. Möglich ist die Lesart, dass die ganze Story mit Marietta eine Therapie war, um Paul von seiner psychischen Krankheit zu heilen, was mit Erfolg geschehen ist, denn am Ende schreitet er gut sichtbar durch ein Tor, vielleicht hinaus aus der psychiatrischen Anstalt? Denkbar, wenngleich weniger wahrscheinlich, erscheint mir auch die umgekehrte Interpretation, dass Paul am Ende vom Krankenhaus ins Gefängnis geht. Sehr präsent auf der Bühne ist ein praktikables Metallbett, dadurch wird schon am Ende des ersten Aktes verdeutlicht, dass einiges nur im Traum Pauls stattfindet. Generell ist festzustellen, dass die Inszenierung den Charakter des Stückes hervorragend einfängt und handwerklich ausgezeichnet gearbeitet ist (was sich im zweiten Akt in der Wiener Decker-Inszenierung weit hinten auf der Bühne abspielte, ist in Linz gut sichtbar und daher bestens zu sehen), filmische Sequenzen sind sehr treffend eingesetzt.

    Fazit: Hinfahren!!! Ende ist genau um 22:12, also muss man für den Zug um 22:16, falls man ihn überhaupt „derrennen“ will, die Beine in die Hand nehmen.

    Man findet hier einiges von ihm - ich fand seine Beiträge in dieser Sache sehr erhellend.

    Genau. Der Verlust, den das Capriccio-Forum durch das (hoffentlich nur vorübergehende!) Fernbleiben von Argonaut erlangt, ist massiv -- mir ist bis heute nicht nur unverständlich, wieso es keine Versuche gibt, ihn zurückzuholen (man ist wohl froh, den "Besserwisser" los zu sein), sondern noch viel unverständlicher, wieso er öffentlich zum Schweigen aufgefordert (siehe hier) und öffentlich desouviert werden konnte (siehe hier). Übersehen wurde (geflissentlich?) dabei aber, dass Argonaut ein Besserwisser im wahrsten Sinne des Wortes ist, also jemand, der tatsächlich vieles besser weiß.

    Das Problem dürfte auch nicht so sehr sein, dass Regisseure das, was sie tun, "gut und richtig" finden, sondern eher die teilweise merkwürdige Engagement-Politik an den Opernhäusern. Wenn es nicht die immer gleichen Personen sind, die als Regisseure engagiert werden, dann ist es häufig der (vermeintlich) "spannende" Quereinsteiger. Der kann zwar gar nicht Regie führen, aber was soll's, irgendwie wird schon interessant sein, was einem Fernsehschauspieler oder einem Fotografen zu Mozart einfällt.


    Es gibt in nicht geringer Zahl Regie-Nachwuchs in Deutschland, der es aber sehr schwer hat, zum Zuge zu kommen. Erhält dann doch mal jemand aus dieser Klientel eine Chance, kann es passieren, dass sich nach einer etwas missglückten Inszenierung kein Folge-Engagement ergibt. So können keine künstlerisch reifen Persönlichkeiten wachsen.


    Über solche Dinge sollte man m. E. eher sprechen als über die immer wieder gleichen Argumente zum Frevel der hundsgemeinen Regisseure, die es wagen, ein Stück nicht nach dem eigenen Gusto zu inszenieren.

    Volle Zustimmung!

    Ganz generell widerstrebt mir das rauschartige seiner Musik immer mehr.

    Hm, also ich bin auch gar kein Wagner-Fan, aber "rauschartig" wäre nicht das erste, das mir zu Wagner einfällt. Mir geht eher das entsetzlich Plakative bei ihm auf die Nerven: Immer, wenn irgendwer mit dem Schwert herumfuchtelt, ertönt prompt das Schwertmotiv... *gähn*. Die Musik anderer Komponisten (Mahler, Zemlinsky, Schreker etc. etc. etc.) gibt mE deutlich mehr her.

    Wenn man sagt, dass Wissenschaft nicht Wahrheiten sucht, sondern Gangbarkeiten, weil wir nicht wissen können, was die Wahrheit ist, setzt das keinesfalls das Wissen der Wahrheit voraus.

    "Gangbarkeiten" von Einzelwissenschaften erfordern sowas wie unbedingte Geltung. Sonst käme absurde Behauptung auf, dass z.B. Fallgesetz im nächsten Jahr nicht mehr funzen könnte.

    Woher speist deine Kenntnis sich, „das wir nicht wissen können, was die Wahrheit ist“.

    Aus Erfahrung? Erfahrung als Begründung kommt nicht konstant rüber, denn Erfahrungen sind wandelbar, gelten nicht unbedingt. Oder schließt du in diesem Fall von Erfahrung auf Zukunft. Dann wäre deine Behauptung Hellseherei bzw. eine Art schlechte Metaphysik 2.0 ... oder checkst du deine Behauptung bloß als Hypothese ...

    Es ist doch so, dass "Wahrheiten" dann, wenn es notwendig ist, durch andere ersetzt werden. Daher nehme ich an, dass Menschen die unumstößliche Wahrheit nicht bestimmen können. Ich schließe aus, dass es mehrere Wahrheiten gibt.

    Warum "MUSS" der Speer gezeigt werden?

    Ich habe tatsächlich noch keine Inszenierung des "Ring" gesehn, in der es den Speer nicht gibt.

    Denke bloß mal an den tollen Schluß der "Walküre": "Wer meines Speeres Spitze fürchtet" usw. Das ist ohne Speer doch bloße Makulatur.

    Und wenn Wotans Speer von Siegfried zertrümmert wird. Das ist mit einer Aussage beladen, nämlich der, daß Wotan nun endgültig seiner Macht verlustig gegangen ist.

    Oder die Runen die er in seinen Speer geschnitzt hat (wohin sonst soll er die bitte schnitzen?), die als Garanten vertraglicher Ordnung dienen. Ich meine, das reicht schon.

    Danke für die Erklärung, ich bin da anderer Meinung: Ich finde es nicht zwingend, den Speer auf der Bühne zu zeigen, denn davon hängt, finde ich, nicht das Gelingen oder Nicht-Gelingen einer Inszenierung ab. Ob der Speer zu sehen ist oder nicht, ist meiner Auffassung nach oberflächlich , im "Ring" geht es um wichtigere Sachen. Wenn man da auf dem Speer besteht, verstellt man sich ja den Blick auf das Wichtige.

    Wir werden nie aus der Höhle rauskommen und die Wahrheit finden...

    Na ja. Wer die Chose mit "nie" rüberwachsen lässt, hausiert m.E. schon mit so was wie negativen Begriff von Wahrheit ...

    Zudem setzt Unmöglichkeit Wahrheit zu ergrübeln, bereits die Kenntnis von Wahrheit voraus

    Was ist denn ein in Deinem Sinne "positiver Begriff von Wahrheit"?

    Den zweiten Satz verstehe ich nicht bzw halte ich ihn für völlig falsch. Wenn man sagt, dass Wissenschaft nicht Wahrheiten sucht, sondern Gangbarkeiten, weil wir nicht wissen können, was die Wahrheit ist, setzt das keinesfalls das Wissen der Wahrheit voraus.

    Lieber Garcia!

    Da kann ich nicht widersprechen, und auch wenn Teodor Currentzis nicht denselben Bekanntheitsgrad wie Anna Netrebko hat (die auch viele Leute ohne Klassik-Bezug kennen), genießt er doch innerhalb seiner Fangemeinde -- meiner Beobachtung nach -- eine messiasähnliche Verklärung. Ob man das Starkult nennt (wie ich) oder einen anderen Begriff wählt, ist nicht vorrangig.

    Wie gesagt, auch ich habe in der Nacht von gestern auf heute (hier) ausgedrückt, dass mich freut, dass Music Lover ein gelungenes Konzert erlebt hat. Aber Eindrücke, aus denen hervorgeht, dass die Currentzis-Inszenierung mit ganzen Drumherum polarisiert, finde ich trotzdem angemessen.

    Aber manches MUSS gezeigt werden. Dazu gehört der Speer.

    Die Frage klingt vielleicht provokant, aber ich meine sie ganz ehrlich: Warum "MUSS" der Speer gezeigt werden? Und was ist das andere, das gezeigt werden "MUSS"?

    Aber nur ganz kurz, mir fällt dazu wieder Platons Höhlengleichnis ein: Wir werden nie aus der Höhle rauskommen und die Wahrheit finden...

    Genau, und hier finde ich sogar Platons Modell wert, darüber nachzudenken (obwohl ich so einiges aus der antiken Philosophie, wie zum Beispiel den Wiedergeburts-Blödsinn, der zB im Platonischen Dialog Menon steht, für Unsinn halte).

    Ich glaube: Die Wahrheit gibt es, aber werden wir nie erreichen. Wir können nur möglichst gute Gangbarkeiten erreichen und sie beim Vorliegen einer besseren Gangbarkeit wieder verwerfen (so wie das geozentrische Weltbild verworfen wurde, weil das heliozentrische besser ist).

    Im Holländer zB wird eben genau anhand der Erlösungsthematik ein mMn völlig absurdes Frauenbild reflektiert und als Ideal aufgetischt. Ebenso im Lohengrin, wenn man nicht Wagners Schreibwerk dazu entsprechend massiert und positiver auslegt. Man muss im Grunde an gegebenen Stellen die Klappe halten, damit man heutzutage niemandem seinen Wagner-Genuss verdirbt.....Natürlich ist das nicht in allen Wagner Opern so und nicht bei allen Frauenfiguren bei Wagner.

    Ganz abgesehen davon, dass die Frage nach der Absurdität eines Frauenbildes eher eine Geschmacks- als eine Sachfrage ist, aber welche Frauenfiguren sind bei Wagner nicht "völlig absurd". Mir fällt da wenig ein: vielleicht Ortrud, die aus durchaus nachvollziehbaren Gründen handelt. Isolde vielleicht. Aber sonst?

    Nein, aber wenn ich mich einfach unreflektiert berieseln lasse, dann finde ich, dass ich mich zu einem Agenten einer unterschwelligen "Message" über ideales Frauenverhalten machen lasse, die mir nicht gefällt.

    Wenn man das so sieht, macht man sich bei so ziemlich JEDEM Stück, das man nicht hinterfragt, zum "Agenten" einer bestimmten Botschaft. Kann man so sehen oder auch nicht. Ich sehe es nicht so.

    Ich war Physiker. Da glaubt man, alles beweisen zu können. Aber ich gebe Dir recht. Alles basiert auf Grundannahmen. Und die Physik hat sich zum Grundsatz gemacht, alle neuen Erkenntnisse so zu interpretieren, dass sie als Erweiterung der bestehenden Gesetze formuliert werden und nicht als Über-den-Haufen-Werfen von allem und einem totalen Neuanfang.

    Die Physik sollte (meinem bescheidenen Überblick nach) eine Vorbild-Wissenschaft sein hinsichtlich argumentativer Stringenz und der Vermeidung von Blabla-Aussagen. Aber auch in der Physik geht es ja (soweit ich einen Eindruck von der Sache habe) darum, Thesen zu entwickeln (und mit ihnen zu arbeiten), die auf keine Widersprüche stoßen: Ob sie wahr sind oder nicht, werden wir leider nie erfahren.

    Wir wissen auch nicht, ob es die Zahl "Null" gibt (angreifen kann man sie jedenfalls nicht), aber es ist gangbar, damit zu rechnen.