Beiträge von Sadko

    Prag 2019/20

    Der Spielplan 2019/20 der Prager Opernhäuser ist online:

    Premieren (Oper):
    3. Oktober 2019 / Ständetheater: Rodion Konstantinowitsch Schtschedrin / Lolita
    23. Jänner 2020 / Nationaltheater: Giacomo Puccini / Turandot (Inszenierung von Katharina Wagner)
    26. März 2020 / Nationaltheater: Pjotr Iljitsch Tschaikowski / Pique Dame
    28. Mai 2020 / Nationaltheater: Jaromír Weinberger / Schwanda der Dudelsackpfeifer
    25. Juni 2020 / Nationaltheater: Bohuslav Martinů / Špalíček (das ist ein Ballett mit Gesang)

    Im Repertoire (Oper):

    Nationaltheater:
    Georges Bizet: Carmen
    Antonín Dvořák: Der Jakobiner
    Antonín Dvořák: Der Teufel und Katharina = Die Teufelskäthe = Čert a Káča
    Antonín Dvořák: Rusalka
    Umberto Giordano: Andrea Chénier
    Leoš Janáček: Jenůfa
    Leoš Janáček: Das schlaue Füchslein
    Leoš Janáček: Ausflüge des Herrn Brouček
    Bohuslav Martinů: Juliette oder Das Traumbuch
    Jules Massenet: Werther
    Sergei Prokofiev: Die Liebe zu den drei Orangen
    Giacomo Puccini: La bohème
    Giacomo Puccini: Tosca
    Giacomo Puccini: Madama Butterfly
    Bedřich Smetana: Dalibor
    Bedřich Smetana: Libusa
    Bedřich Smetana: Die verkaufte Braut
    Giuseppe Verdi: Aida
    Giuseppe Verdi: La traviata
    Giuseppe Verdi: Un ballo in maschera
    Richard Wagner: Lohengrin

    Ständetheater:
    Gaetano Donizetti: Viva la Mamma
    Wolfgang Amadé Mozart: Don Giovanni
    Wolfgang Amadé Mozart: Le nozze di Figaro
    Wolfgang Amadé Mozart: Die Zauberflöte
    Michael Nyman + Steven Stucky: Mozart and the Others
    Gioachino Rossini: La Cenerentola

    Neue Bühne:
    Ivan Acher: Sternenhoch
    Miloš Orson Štědroň: Don Hrabal
    Petr Wajsar, Pavel Novotný: Tramvestie

    Das Karlín-Theater ( = Ausweichquartier für die derzeit in Renovierung befindliche Staatsoper) wird offenbar 2019/20 nicht bespielt.

    Näheres unter: Link

    Ich finde Eure beiden Beiträge sehr interessant! Dass man sich so über diese Oper unterhalten kann, spricht ja eindeutig für ihre Qualität.

    Ariane, die selbstbewußte Frau, dringt in die Burg des Patriarchen Blaubart ein, um dessen in Verliesen schmachtende Frauen zu befreien.

    Nur dieses Detail würd ich nicht so stehenlassen. Ich habe das Stück bisher so verstanden, dass Ariane nicht von vornherein weiß, was sie in den Verliesen erwartet, sondern dass sie erst im Laufe des Stückes draufkommt. Und ist Ariane wirklich so selbstbewusst? Ja, einerseits schon, anderseits gibt es ja auch die Amme, durch die sie ermutigt und in ihrem Tun immer weiter bestärkt wird (das passt ja auch zu einer psychologisierenden Interpretation). Vielleicht hätte sie ohne die Amme schon aufgegeben und wäre geendet wie die gefangenen und verängstigen Frauen?

    Danke, Areios, für die vielen Informationen. Besonders der Abschnitt mit der poetologischen Lesart ist sehr interessant, der scheint mir sehr schlüssig. Aber es ist hier ja so wie bei allen (?) guten Kunstwerken: Es gibt keine einzig richtige Interpretation..

    Auch das originelle Libretto ist etwas Besonderes. Man könnte es feministisch oder auch antifeministisch interpretieren, für mich ist das ziemlich unklar.

    Wie meinst Du das? Ich habe die Oper zwar nur einmal gesehen in einer Inszenierung, in der ich das Fortschreiten Arianes im Schloss als psychologische Auseinandersetzung mit sich selbst verstanden habe und in der die früheren Frauen Blaubarts als verschiedene Wesenszüge der Ariane gedeutet wurden (eine Lösung, die für mich absolut Sinn ergibt), und ich sehe diese Oper eigentlich als psychologische Auseinandersetzung, Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und Loslösung von früheren Erlebnissen. Feministische oder antifeministische Anhaltspunkte kann ich da kaum erkennen (gut, eine Frau löst sich von einem gewalttätigen Mann - aber die Auseinandersetzung zwischen den beiden steht ja überhaupt nicht im Vordergrund, das Stück ist ja eigentlich ein Psychogramm der Ariane, wie auch Pelléas et Mélisande mE ein Psychogramm des Golaud ist). Wie würdest Du das Stück interpretieren?

    Habe inzwischen festgestellt, dass ich schon einmal eine Inszenierung von Ihr gesehen habe, Brittens "Midsummernight's Dream" in Kassel (2012). Das habe ich als ziemlich öden Abend in Erinnerung, konnte aber mit dem Stück musikalisch wie dramatisch so gar nichts anfangen; die Inszenierung hat's damals auch nicht 'rausgerissen. Ich nehme mir denn mal vor, von der Kölner "Rusalka" zu berichten.

    Oh okay, Brittens Sommernachtstraum ist ja kein Selbstläufer, ich kann mir gut vorstellen, dass das ruhige, lyrische, bisweilen vielleicht spröde Stück nicht leicht zu inszenieren ist. Außerdem will ich ihr nicht absprechen, sich seit 2012 weiterentwickelt zu haben. Ich bin gespannt, was Du über die Rusalka erzählen wirst, ich hab diese Oper sehr gern, und sie ist ja ein gefundenes Fressen für Regisseure.
    Wollen wir vielleicht einen eigenen Thread über Nadja Loschky erstellen?

    Hi, genau bei diesen drei Terminen war ich auch! :) Wie haben sie Dir gefallen?

    Sonntag, 27.1.2019 Sonntagsmatinee Brucknerhaus Linz

    "Paradise lost"

    Genesis Suite (1943–45) [Österreichische Erstaufführung]

    KARL WEIGL (1881-1949)
    Sinfonie Nr. 5 Apocalyptic (1942-45) [Europäische Erstaufführung]

    Ich war dort, weil mein Lieblingssänger Franz Grundheber einer der beiden Sprecher war, und ich finde, er hat das super gemacht: Extrem ausdrucksstark (zB ein rügendes "Wo ist dein Bruder Abel?" – dann ein zittriges "Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?" – und darauf ein gewaltig dröhnendes "Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden!". Wortdeutlich, ausdrucksstark, aber nie affektiert oder effektheischend.
    Und die Musik: Najaaa. Die Genesis-Suite ist mE nichts Besonderes, das Schluss-Stück von Stravinsky reißts halt auch nicht heraus, aber mit den gleichzeitig gelesenen Texten hat es für mich sehr gut gepasst.

    Die V. Weigl war mir als Raritätensammler willkommen, aber hat irgendwie gar keinen Eindruck hinterlassen. Der Beginn direkt aus dem Einstimmen des Orchesters ist ja ganz witzig... aber sonst? || ?(

    Sonntag, 3.2.2019 Musiktheater Linz

    Noch einmal den Tristan, diesmal hoffentlich mit der ursprünglich vorgesehenen Isolde, die bei meiner letzten Aufführung leider erkrankt war.

    Richard Wagner: Tristan und Isolde

    Mir hat eigentlich nur die Brangäne gefallen.. ich war auch wegen der Kremer dort, aber ich find, dass ihre Stimme Verschleißerscheinungen hat. Ich mag generell keinen Wagner, aber durch diese einfallslose Inszenierung und die beiden 40minütigen Pausen wars für mich noch viel mühsamer als eine normale Wagneroper :neenee1:

    Samstag, 9.2.2019 . BlackBox-Lounge im Musiktheater Linz

    "Oper am Klavier"

    André Wormser: Clytemnestre

    Das war aber wirklich hörenswert! Ich würd mich freuen, das Stück einmal mit Orchester zu hören (wird aber nicht passieren..). Es ist ganz cool, die Sänger so aus der Nähe zu sehen, aber da kriegt man halt Technikfehler stärker mit als in einem großen Saal.

    Ehrlich gesagt war das Programm noch gigantischer, es waren nämlich 10 Kulturtermine in 10 Tagen :thumbup: Dazwischen war ich noch in Wien bei einem Klavierabend, bei zwei konzertanten Opern und einem Ballett, aber darüber hab ich nichts geschrieben. Aber ich hab auch andere Sachen im Leben zu tun, davor war eine knappe Woche Musik-Pause, und jetzt danach auch. Aber was soll man machen, wenn es 10 Tage hintereinander in meiner Nähe Aufführungen gibt, die mich interessieren und die Karten wirklich wirklich billig sind..
    Die Berichte hab ich meistens auf der Heimfahrt am Handy geschrieben, da hab ich eh Zeit dafür. Natürlich war es ziemlich viel, und so viele verschiedene Aufführungen in so kurzer Zeit zu verarbeiten ist nicht ganz leicht, ja :D

    Da war ich damals auch, allerdings schon ein paar Vorstellungen früher. Ich hab meinen Bericht von damals auch als Basis für den Eröffnungsbeitrag hergenommen: Dukas: Ariane et Barbe-Bleue - Oper Graz (6. 4. 2018) ;)

    Liebe Grüße,
    Areios

    Oh, danke für den Link, ich hab jetzt Deinen Bericht gelesen! Ich bin großteils Deiner Meinung zur Aufführung! (außer dass ich nicht finde, dass es eher ein intellektuelles Vergnügen war; ich find, man konnte auch die Stimmungsbilder auf der Bühne genießen, ohne sich Gedanken zu machen, was sie bedeuten)
    Danke übrigens für den Hinweis auf eine Jenůfa-CD aus Graz, die könnte ich mir tatsächlich besorgen (obwohl ich fast keine CDs hab).

    Sadko:
    Ja, Nadja Loschky ist wirklich großartig!! :thumbup:

    Ich hoffe, dass sie wieder einmal in meiner Nähe inszeniert! Ihre Inszenierungen laufen ja meistens an Bühnen, die ziemlich weit von mir entfernt sind..

    • Dritter Akt:

      Wir befinden uns in unterirdische[n] Gewölbe[n], die Bühne ist durch eine "querlaufende dicke Mauer in zwei Kammern geteilt". In einer befindet sich Barak, in der anderen seine Frau "in Tränen". "Sie wissen nicht voneinander, hören einander nicht". Unanhängig voneinander bereuen beide ihre Fehler. Barak stimmt Mir anvertraut, daß ich sie hege, daß ich sie trage, auf diesen Händen und ihrer achte und ihrer schone um ihres jungen Herzens willen! an, der Gesang der voneinander nichts Wissenden entwickelt sich zu einem Duett. Barak: Mir anvertraut - und taumelt zur Erde in Todesangst vor meiner Hand. Weh mir! Daß ich sie einmal noch sähe und zur ihr spräche: Fürchte dich nicht. Eine Stimme "von oben auf Baraks Seite" ruft ihm zu: Auf, geh nach oben, Mann, der Weg ist frei! Ein Lichtstrahl fällt herein, eine Wendeltreppe wird sichbar, Barak steigt hinauf. Selbiges widerfährt kurz danach auch seiner Frau.

      Verwandlung, eine der berührendsten Szenen der Opernliteratur folgt. "Steinerne Stufen führen vom Wasser aufwärts zu einem mächtigen tempelartigen Eingang ins Berginnere." Kaiserin und Amme nähern sich mit einem Kahn dem Mittelpunkt des Kaiserreichs. Die Amme hat panische Angst (Übermächte spielen mit uns!), die Kaiserin aber weiß, was sie erwartet und dass sie sich ihrer Aufgabe allein stellen muss (ich bin sein Kind, ich fürchte mich nicht). Posaunen rufen zum Gericht über den Kaiser (Was er leidet, will ich leiden). Die Amme möchte den Ort verlassen (Fort mit uns!), die Kaiserin spürt, dass sie hierbleiben und ihrem Mann beistehen muss (Ich muß zu ihm! Wasser des Lebens, ich muß es erspüren, ihn besprengen), die Amme möchte sie davon abbringen: Fürchterlich ist Keikobad! [...] Fürchterlich straft er dich, wenn du fällst in seine Hand. Nach einer längeren Unterhaltung nimmt die Kaiserin ihren Mut zusammen und lässt "verklärt, entschlossen" an der schönsten Stelle dieser Oper die Amme wissen: Aus unsern Taten steigt ein Gericht! Aus unserm Herzen ruft die Posaune, die uns lädt. Amme, auf immer scheid ich mich von dir. Was Menschen bedürfen, du weißt es zu wenig, worauf ihrer Herzen Geheimnis zielet, dir ist es verborgen. [...] Ich gehöre zu ihnen, du taugst nicht zu mir. Damit ist alles gesagt, Amme und Kaiserin müssen sich auf immer trennen. Die Kaiserin tritt ins Gewölbe, die Amme bleibt zurück. Zuerst kommt von rechts der Färber, der die Färberin sucht und sich bei der Amme nach ihr erkundigt, sie schickt ihn nach links. Hernach kommt von links die Färberin, die den Färber sucht und sich bei der Amme nach ihm erkundigt, sie schickt sie nach rechts. Hier wird der schillernde Charakter der Amme sehr deutlich: Ja, sie ist böse, aber sie liebt die Kaiserin über alles, sie will ihr nachfolgen (Wehe, mein Kind ausgeliefert, Gaukelspiel vor ihren Augen), aber als sie eintreten will, stellt sich ihr der aus der ersten Szene des ersten Aktes bekannte Geisterbote in den Weg: Hündin, zu wem erhebst du die Stimme? Fort mit dir von der Schwelle, pack dich, für immer! Die Amme entgegnet "wie wahnsinnig vor Erregung": Drei Tage lang! Ich hab sie gehütet, ich rang mit ihr, sie stieß mich von sich, sie kennt mich nicht mehr. Keikobad! Er muss mich hören! Der Geisterbote "vertritt ihr den Weg" und fährt sie harsch an: Wer bedarf deiner? Niemand. Such dir den Weg! Es ertönt ein Quartett zwischen Amme, Geisterbote und den hinter der Bühne einander suchenden Färbersleuten, das leider oft gestrichen wird. Der Bote eröffnet der Amme: Unter den Menschen umherzuirren ist dein Los! und Verzehre dich! Dir widerfährt nach dem Gesetze!

      Verwandlung. Die Kaiserin befindet sich allein in der Felsenkammer und bekennt vor ihrem Vater Keikobad: Mich hinzugeben hab ich gelernt, aber Schatten hab ich keinen mir erhandelt. "Ein Springquell goldenen Wassers steigt leuchtend aus dem Boden auf". Eine Stimme ruft "von oben" verführerisch: Trink, und der Schatten, der des Weibes war, wird deiner sein, und du wirst werden wie sie. Die Kaiserin fragt: Jedoch, was wird aus ihr? Hinter der Bühne rufen einander die Färbersleute (Wo bist du?), die Kaiserin vergegenwärtigt sich neuerlich die Situation der Färbersleute und ihre Mitschuld daran. Sie ringt sich zum Entschluss durch: Blut ist in dem Wasser, ich trinke nicht! Hinter einem Vorhang gewahrt sie (gleichzeitig zum "Er wird zu Stein"-Motiv im Orchester) den versteinerten Kaiser, "nur seine Augen scheinen zu leben". Sie erschrickt: Ach! Weh mir! Mein Liebster starr! Lebendig begraben am eigenen Leib! Erfüllt der Fluch! [...] Versteinert sein Herz von meiner Härte! Mein Geschick seine Schuld! Meine Schuld sein Geschick! Abermals ertönt die verlockende Stimme: Sprich aus: Ich will! Und jenes Weibes Schatten wird dein! Die Kaiserin "in furchtbarem Kampfe auf dem Boden liegend" spricht: Versuch mich nicht, Keikobad! Endlich ringt sie sich zu einem alles entscheidenden Schrei durch: ICH WILL NICHT!

      Hofmannsthal kommentiert das in seiner Inhaltsangabe wie folgt: "Damit hat sie gesiegt, wie jenes Weib vor Salomonis Richterstuhl, als sie, sich überwindend, der anderen das lebendige Kind zusprach. Sie hat gesiegt für sich, für ihn, der ohne ihre Selbstüberwindung um ihretwillen steinern geblieben wäre, und für jede beiden Menschen, die durch Leid aus trüber Schwere emporgeläutert werden mußten.". Ab jetzt nur mehr Jubel. Der Kaiser "erhebt sich von seinem Thron und schickt sich an, die Stufen hinabzusteigen": Wenn das Herz aus Kristall zerbricht in einem Schrei, [...] Die Gattin blickt zum Gatten, [...] Der Tote darf sich heben aus eignen Leibes Gruft. [...] Nun darf ich wieder leben! Es ertönen die Stimmen der ungeborenen Kinder: Hört, wir wollen sagen: Vater! Hört, wir wollen Muter rufen! Die Kaiserin fragt: Sind das die Cherubim, die ihre Stimmen heben? Der Kaiser entgegnet: Das sind die Nichtgeborenen, nun stürzen sie ins Leben, mit morgenroten Flügeln zu uns, den fast Verlorenen. Das folgende Duett zwischen Kaiser und Kaiserin wird wegen seiner Schwierigkeiten bedauerlicherweise oft gestrichen.

      Verwandlung in "eine schöne Landschaft". Die Färberin kommt von links, der Färber von rechts: Schatten, dein Schatten, er trägt mich zu dir! Gattin zum Gatten! Die ungeborenen Kinder preisen den Schatten der Färberin. Es "fällt an Stelle des Schattens eine goldene Brücke quer über den Abgrund". Der Färber ist außer sich vor Freude: Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt, nun will ich schaffen, wie keiner geschafft, denn durch mich hin strecken sich Hände, blitzende Augen, kindische Münder, und ich zerschwelle vor heiliger Kraft. Der Kaiser stimmt ein (menschlich ist dieser Klang) und muss hier sein einziges hohes c singen, das glücklicherweise gut versteckt ist, denn Kaiserin und Färberin stimmen gleichzeitig (!) ein - lyrischer und dramatischer Sopran gleichzeitig und möglicherweise ein Hinweis darauf, dass beide bloß dieselbe Seite einer einzigen Person verkörpern. Die ungeborenen Kinder kündigen an, nicht mehr lange ungeboren zu bleiben. Das momumentale Werk von knapp 200 Minuten Dauer schließt mit himmlischen Klängen.


      (Anmerkung: Alle Zitate aus dem Libretto, Fürstner Musikverlag, Mainz 1987)

    Aufführungen dieser Oper sind leider nicht besonders häufig, man braucht ja für alle fünf Hauptrollen tolle Sänger und einen großen Orchesterapparat. Zudem ist die Handlung mit der dahinterliegenden Symbolik nicht auf den ersten Blick verständlich. Ich bin dankbar, dass ich Johan Botha als Kaiser und Franz Grundheber als Barak live hören konnte, sie sind meine Idealbesetzungen für diese Rollen. CDs besitze ich kaum, daher kann ich mich nicht zu Referenzeinspielungen äußern (Marjana Lipovšek und Deborah Voigt gefallen mir aber am Wiener Premierenmitschnitt 1999 ausgezeichnet). Ich habe die FroSch in Wien, München, Leipzig, Hamburg und Linz erlebt und freue mich schon auf die Neuproduktion in Wien im Mai/Juni 2019, leider in keiner makellosen Besetzung und mit einem Dirigenten, den ich überhaupt nicht schätze (Thielemann).


    Meine persönliche Meinung:
    Längere Zeit war die Frau ohne Schatten sehr weit oben auf meiner Favoritenliste, mittlerweile bin ich aber zum Schluss gekommen, dass die Elektra doch um ein Vielfaches besser ist. Aber trotzdem mag ich die FroSch sehr gern. Die Überschrift "Ein Rausch aus Tönen und Bildern" trifft es mE sehr gut, sie stammt nicht von mir, sie stand im Frühjahr 2017 auf einem Ankündigungsplakat der Oper Leipzig. Genau das ist es, die Frau ohne Schatten ist rauschhafte Musik, manchmal etwas zu dick aufgetragen oder für meine Begriffe zu effekthascherisch, aber das ist einfach Strauss, und die FroSch ist Strauss in Beinahe-Bestform. Der Hofmannsthalsche Text ist wunderbar. Mir gefällt die Oper meistens, auch wenn sie in meiner Beliebtheitsskala in letzter Zeit etwas abgesunken ist. Interessant ist, dass die FroSch bei mir eigentlich nach jeder Aufführung "einfährt", die Elektra tut das nur bei wirklich guten Aufführungen. Aber wenn die Elektra einmal "einfährt", dann tut sie das in ungleich höherem Maße als die FroSch.

    • Zweiter Akt:

      Nächster Tag in der Wohnung des Färbers. Der Färber ist abwesend, die Amme beeinflusst die Färberin erneut, um den Handel zu schließen, und zaubert den Jüngling herbei, ein Traumbild der Färberin und sicherlich attraktiver als der abgearbeitete, gutmütige Barak. Doch der Färber kehrt nach Hause! Da steht er schon in der Tür und hat ein Festmahl mitgebracht, um seine Frau zu beeindrucken und seine Ernährer-Qualitäten unter Beweis zu stellen: Was ist nun deine Rede, du Prinzessin, vor dieser Mahlzeit, du Wählerische? Die Brüder laben sich reichlich (Das war ein Einkauf!), doch die Färberin reagiert aggressiv (Was brauch ich Gewürze, der Gram verbrennt mich!), Barak sagt leise zu seinen Brüdern: ihr seid mir anstatt der Kinder!

      Verwandlung, die von einem traumhaften Cellosolo begleitet wird, in die Welt des Kaisers. Der Kaiser ist auf der Jagd und hat sich von seinem Falken in den Wald zum Falknerhaus führen lassen, wo sich seine Frau laut eigener Aussage derzeit aufhalten sollte. Doch ihn dünkt, das Haus ist leer! Da kommen schon Kaiserin und Amme "zwischen den Bäumen herangeschwebt" und "schlüpfen ins Haus". Der Kaiser wundert sich: Wo kommt sie her? und Menschendunst hängt an ihr, Menschenatem folgt ihr nach, er fühlt sich belogen, möchte seine Frau töten, und "zieht einen Pfeil aus dem Köcher", steckt ihn wieder zurück, "zieht das Schwert halb aus der Scheide", stößt es wieder zurück, und kann auch nicht mit seinen nackten Hände[n] seine Frau umbringen. Er eilt zornig und verzweifelt hinweg von diesem Ort und ins öde Felsengeklüft, wo kein Mensch und kein Tier meine Klagen hört!

      Verwandlung. Obacht - jetzt kommt der Dreh- und Angelpunkt des Dramas. Der Färber ist müde (Es ist heiß. ich habe schwer geschafft seit diesem Morgen, und nicht viel vor mich gebracht), er bittet seine Frau um Wasser, was sie hart abschlägt (sind Mägde da). Die Amme nützt diese Gelegenheit, um ihm einen Schlaftrunk zu verabreichen, der Färber sinkt in tiefen Schlaf. In der Färberin regt sich langsam ein schlechtes Gewissen, sie ruft "ängstlich": Barak! Barak! Die Amme will den Handel, der im ersten Akt durch die unvermutete Rückkehr Baraks unterbrochen werden musste fortsetzen, kündet der Färberin viele schöne Stunden und lässt den Jüngling wiederum erscheinen, der sie erneut becirct. Die Färberin möchte den Jüngling berühren, aber da erschrickt sie vor ihrem eigenen Begehren, das schlechte Gewissen hat überhand gewonnen. Sie versucht Barak zu wecken, die Amme versucht sich in Schadensbegrenzung (Gott schütz uns vor einer jungen Närrin!) und kündigt dem Jüngling an, ihn wieder zu rufen. Barak erwacht (Was schlief ich so schwer?), wird von seiner Frau unfreundlich getadelt (Du sollst nicht schlafen am hellichten Tag!) und muss sich erneut die Drohung anhören, von seiner Frau verlassen zu werden. Barak spürt, dass etwas nicht ganz koscher ist: Es widerfährt mir, was ich nicht kenne, und es ist eine Gewalt über mir im Dunklen. Mein bester Mörser ist mir zersprungen. Versteh ich mein Handwerk nicht mehr? Die Färberin nützt das zu einem weiteren Angriff auf ihren alles erduldenden Mann und verschwindet mit der Amme. Barak "sieht bestürzt und trübe vor sich hin", die Kaiserin "auf den Knien in Baraks Nähe, sucht auf der Erde verstreutes Handwerkszeug zusammen". Barak "wird erst jetzt gewahr, daß er nicht allein ist" und ruft: Wer da? die Kaiserin antwortet Ich, mein Gebieter, deine Dienerin. Genau DAS ist die wichtigste Stelle, hier zeigt die Kaiserin erstmals menschliche Gefühle, nämlich Empathie und Mitgefühl. Die Frau ohne Schatten hat somit die Grundlage für den Erwerb eines Schattens gesetzt, ohne dass sie sich dessen bewusst ist.

      Verwandlung: Die Kaiserin liegt in ihrem Bett im Falknerhaus und sieht in einem Alptraum den versteinernden Kaiser. "Jäh auffahrend" bekennt sie: Dir - Barak - bin ich mich schuldig! Ihr Traum bildet die Realität ab, denn genau der Inhalt des Traumes ereignet sich zeitgleich: Der Kaiser begibt sich unter Führung des Falken in eine Felsenhöhle, die sich hinter ihm schließt. Zum Lebenswasser! Zur Schwelle des Todes! Der Falke verkündet wie im ersten Akt: Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muß versteinern! Die Kaiserin "fährt mit einem Schrei aus dem Schlummer empor" und bekennt: Da und dort alles ist meine Schuld und Würde ich lieber selber zu Stein!

      Verwandlung in die Behausung des Färbers, es "wird allmählich dunkler und dunkler", die Stimme ist unheimlich. Die Amme stellt fest: Es sind Übermächte im Spiel, und die Färberin erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie beichtet ihrem Mann einen nie stattgefundenen Ehebruch (So hab ich meinen Freund empfangen, einen Fremdling unter den Fremdlingen, und wenn ich dich weckte aus deinem Schlaf, so kam ich aus seiner Umarmung). Barak reagiert zunächst nicht, und um ihn als seiner Lethargie zu reißen, muss sie zu noch drastischeren Mitteln greifen. Sie verkündet: Abtu' ich von meinem Leibe die Kinder, die nicht gebornen, und mein Schoß wird dir nicht fruchtbar, und keinem andern. Das alles ist für Barak zu viel, er bekommt einen Wutanfall und brüllt: Das Weib ist irre, zündet ein Feuer an, damit ich ihr Gesicht sehe! "Das Feuer flammt auf" - und die Färberin wirft keinen Schatten!! Die Amme weist die Kaiserin an: Nimm den Schatten, reiß ihn an dich! Barak jetzt "furchtbar losbrechend": Hat sie solch eine Hurenstirn und sieht lieblich darein und schämt sich nicht? Heran, ihr Brüder, einen Sack herbei und hinein mit den Steinen, daß ich dies Weib ertränke im Fluß mit meinen Händen! Er will auf seine Frau losgehen, die Brüder können ihn zurück halten. Ein "blitzendes Schwert" fällt ihm in die Hand, er möchte seine Frau töten. Die Kaiserin hat die Situation beobachtet und möchte ihr eigenes Glück nicht um das Glück Baraks erkaufen. Sie bekennt: Ich will nicht den Schatten! Die Färberin, "leichenbleich", sagt die Wahrheit: Barak, ich hab es nicht getan! Noch nicht getan! Höre mich, Barak! Verräter ward mein Mund an mir, zuvor die Seele die Tat getan! Barak hört nicht zu und holt zum Stoß gegen seine Frau aus, doch plötzlich erlischt das funkelnde Schwert und fällt ihm aus der Hand. Die Amme kann der Kaiserin gerade noch zurufen: Übermächte sind im Spiel! Her zu mir!, bevor die Bühne mit einem monumentalen Orchestersatz im Boden versinkt.

    STRAUSS: Die Frau ohne Schatten – Ein Rausch aus Tönen und Bildern

    Ich habe heute gesehen, dass es noch keinen eigenen Thread zu dieser Oper gibt (die meines Wissens Strauss und Hofmannsthal als den Höhepunkt ihres gemeinsamen Schaffens angesehen haben), obwohl sie in den Rankings der Lieblingsopern recht oft auftaucht und von Strauss als Pendant zur "Zauberflöte" bezeichnet wurde. In der Frau ohne Schatten geht es - abstrakt gesprochen - um den Triumph der Gesamtheit der positiven menschlichen Empfindungen und über die Niederlage der Gesamtheit der negativen menschlichen Empfindungen.


    Zuerst ein paar grundsätzliche Daten:
    Musik: Richard Strauss (Opus 65)
    Libretto: Hugo von Hofmannsthal
    Uraufführung: 1919 an der Wiener Staatsoper (Komposition 1917 vollendet)


    Wichtige Rollen:
    Der Kaiser (Tenor)
    Die Kaiserin (hoher, lyrischer Sopran)
    Die Amme (dramatischer Mezzosopran - die undankbarste Rolle)
    Barak, der Färber (Heldenbariton, der auch gefühlvoll singen muss)
    Die Färberin (dramatischer Sopran)
    Der Geisterbote (Bariton)


    Inhalt:

    • Vorgeschichte, die man im Laufe des Stückes erfährt: Der Kaiser einer Märchenwelt hat auf der Jagd eine weiße Gazelle erlegt, die sich darauf in eine Frau verwandelt hat, nämlich in die Tochter des Geisterkönigs Keikobad. Der Kaiser hat sie zur Frau genommen, aber wenn sie nicht binnen eines Jahres einen Schatten wirft, muss sie zurück ins Feenreich, während der Kaiser versteinern wird.
    • Erster Akt:

      Ein Bote des Geisterkönigs tritt "aus der Finsternis hervor" und fragt der Amme über die Kaiserin: Wirft sie einen Schatten? Die Amme darauf: Keinen! Durch ihren Leib wandelt das Licht, als wäre sie gläsern. Der Kaiser sei ein Jäger und Verliebter, sonst ist er nichts, und es fällt die kryptische Andeutung Seine Nächte sind ihr Tag, seine Tage sind ihre Nacht. Der Geisterbote erklärt "sehr bestimmt", dass die Kaiserin noch drei Tage habe, um einen Schatten zu erlangen, sonst müsse sie zurück zu ihrem Vater und der Kaiser wird zu Stein. Die Amme, der alles Menschliche verhasst ist, freut sich darüber (O gesegneter Tag!).

      Der Kaiser tritt auf und erzählt die Ereignisse, die sich vor einem knappen Jahr zugetragen haben, als er auf der Jagd die weiße Gazelle erlegte, eher er sich auf die Jagd macht: Drei Tage komm ich nicht heim! Er hat keine Ahnung von der drohenden Frist, und die Amme macht keine Anstalten, ihn darüber zu informieren. Die Oper ist also ein Wettlauf gegen die Zeit, ein alter dramaturgischer Trick.

      Die Kaiserin "tritt aus dem Gemach" und erzählt dem Publikum ihre Sicht der damaligen Ereignisse (O Tag der Freude für meinen Liebsten und für mich!). Doch der Falke (das Symbol für ihren noch nicht geborenen, ältesten Sohn) weint, aus seinen Augen rinnen ja Tränen. Die Kaiserin fragt nach: Falke! Warum weinst du?, er antwortet: Wie soll ich denn nicht weinen? Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muß versteinern! Die Kaiserin wendet sich nach kurzem Überlegen "ausbrechend" an die Amme: Amme, um alles, wo find ich den Schatten? Die Amme ist darüber gar nicht erfreut und antwortet "dumpf": Deines Herzens Knoten hat er dir nicht gelöst, ein Ungebornes trägst du nicht im Schoß, Schatten wirfst du keinen. Des zahlt er den Preis! Das ist nur die halbe Wahrheit, denn einen Schatten gewinnt man (wie im Laufe des Stückes klar wird) nicht nur durch Schwangerschaft, es reicht schon Emapthiefähigkeit und Mitgefühl mit einem gepeinigten Menschen. Doch die Kaiserin möchte sich der Aufgabe stellen: Doch stärker als andre noch bin ich!... Schaff mir den Schatten! Die Amme gibt widerwillig preis: Den Schatten zu schaffen wüßt ich vielleicht, doch daß er dir haftet, müßtest du selber ihn dir holen. Und weißt du auch wo? Die Amme will Antwort (Sei es wo immer), die Amme gibt sie ihr "leise und schauerlich": Bei den Menschen! Graust's dich nicht?, denn sie hat ja kein Interesse am Schatten-Erwerb der Kaiserin. Doch letztere lässt sich nicht abbringen und verkündet "sehr bestimmt": Ich will den Schatten! Ein Tag bricht an! Führ mich zu ihnen: ich will! Die Musik hat sich hier zu einem unglaublichen Duett gesteigert: Die Amme ist von Natur aus böse, aber sie liebt die Kaiserin über alles, muss ihr also den Weg zur Erde weisen. Erdenflug.

      Verwandlung ins "Hause des Färbers". Auch diese Ehe ist kinderlos, wenn auch aus anderen Gründen. Der Färber (einer der härtesten Berufe) lebt mit seiner Frau und seinen missgestalteten Brüdern in Armut. Die Brüder streiten sich um das Essen, die junge Frau will Ordnung schaffen und wird beschimpft (Du Tochter von Bettlern, wer bist denn du?). Der eintretende Färber Barak (nicht unabsichtlich die einzige Figur in dieser Oper, die einen Namen trägt!) stiftet Frieden und schickt seine Brüder zur Arbeit, bevor er sich von seiner Frau eine ordentliche Abreibung anhören muss: Sie aus dem Hause, und das für immer, oder ich. Der Färber will das nicht: Wo sollten sie herbergen, wenn nicht in Vaters Haus? Die beiden streiten eine Weile, indem die Färberin nur herumkeift und der Färber sie in salbungsvollen Worten beschwichtigt und sie schließlich fragt, wieso sie sich ihm verweigert (die Beziehung der beiden dauert schon dreieinhalb Jahre). Er bekommt darauf keine Antwort. Die beiden stehen sich gegenüber, eigentlich wollen sie einander in die Arme fallen, aber "können" es noch nicht (das wird im Orchester ganz wunderbar ausgedrückt). Der Färber redet weiterhin in seinem verschwurbelten Stil, denn er versteht die Bedürfnisse seiner Frau (noch) nicht: Aus einem jungen Mund gehen harte Worte und trotzige Reden, aber sie sind gesegnet mit dem Segen der Widerruflichkeit. Ich zürne dir nicht. Er geht zur Arbeit.

      Die Kaiserin und die Amme treten ein. Die Amme schmeichelt der Färberin (Schönheit ohnegleichen!), die Kaiserin kommentiert das längere Gespräch der beiden nur mit: Ich will den Schatten küssen, den sie wirft! Die Amme möchte der Färberin den Schatten (und damit die Möglichkeit einer Schwangerschaft abkaufen) und würde dafür alles zahlen. Sie schmückt die Färberin, zaubert Sklavinnen herbei, lässt die Stimme eines Jünglings ertönen und fragt: Willst du um dies Spiegelbild nicht den hohlen Schatten geben? Die Färberin ist euphorisch: Gäb ich um dies Spiegelbild doch die Seele und mein Leben! und bekennt: Ich lebe hier im Haus und der Mann kommt mir nicht nah! So ist es gesprochen und geschworenen in meinem Innern. Die Amme bekräftigt, was sie von ihr will, nämlich: Abzutun Mutterschaft auf ewige Zeiten, und angerufen werden gewaltige Namen und ein Bund geschlossen und gesetzt ein Bann! Bevor der Färber zurückkommt, zauberte die Amme in die Pfanne kleine Fische und verzieht sich mit der Kaiserin. Die Färberin hat das Gefühl, ihre ungeborenen Kinder aus der Pfanne klagen zu hören.

      Der Färber kommt nach Hause und muss feststellen, dass das Ehebett getrennt ist. Die Färberin informiert ihn: Von morgen ab schlafen zwei Muhmen hier, denen richt ich das Lager zu meinen Füßen als meinen Mägden. So ist es gesprochen, und so geschieht es. Barak reagiert traurig, aber nicht unwirsch. Er legt sich allein auf sein Lager und lauscht traurig dem Gesang der Wächter, der Gattenliebe und Eheglück verherrlicht. Barak fragt seine Frau: Hörst du die Wächter, Kind, und ihrem Ruf? Die Färberin hat ihn nicht gehört oder will ihn nicht mehr hören. In der zweiten Strophe des Wächtergesangs werden die Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt, als Brücke..., auf der die Toten wiederum ins Leben gehn! bezeichnet. Barak kommentiert Sei's denn! und schläft traurig ein.

    Lieber Areios! Danke für diesen (schon überfälligen) Eröffnungsbeitrag. Ich habe diese Oper, die mir vorher völlig unbekannt war, im April 2018 in Graz einmal gehört und habe das Gesamtpaket sensationell gefunden. Die Musik hat mich gepackt (obwohl französische Opern normalerweise nicht zu meinen Favoriten zählen), die Sänger (Manuela Uhl, Iris Vermillion) haben mir sehr gut gefallen, und die Inszenierung (von Nadja Loschky) habe ich ganz ausgezeichnet gefunden. Hier kann man einen 7minütigen Trailer mit Erläuterungen der Regisseurin sehen: https://www.youtube.com/watch?v=CYWv6zTt4eM
    Leider war ich damals in der letzten Aufführung und habe daher keine weitere mehr hören können, sonst wäre ich sicher nochmals hingefahren (ist ja von Wien aus keine Weltreise)
    Mir gefällt die Dukas-Ariane viel besser als Herzog Blaubarts Burg von Bartók, ich glaub aber, dass man für die Ariane eine gute Inszenierung braucht, konzertant kann ich mir das Stück gar nicht vorstellen (wir haben es 2006 konzertant in Wien gehabt, ich war nicht dabei, aber es wurde von Freunden damals als langweilig empfunden, was mit einer guten szenischen Realisierung meiner Vermutung nach nicht passiert wäre).

    Danke für den Tipp, aber Bielefeld ist mir doch zu weit dafür, genauso wie Toulouse, dort kommt es nämlich auch demnächst.

    Hallo! :) Ich hab eure Beiträge hier schon vor Monaten gelesen und hab die Gezeichneten am 11. Juli 2018 auch in der Komischen Oper erlebt (in derselben Besetzung). Natürlich ist das schon laaange her, aber die Inszenierung hat mir hervorragend gefallen, und ich möchte Euchn spät, aber doch für Eure guten Beschreibungen hier danken. Es war hilfreich, nicht komplett unvorbereitet in die Vorstellung zu gehen, sondern erst nachdem ich die Beiträge hier gelesen hatte. Sehr gut hat mir übrigens Jens Larsen als Lodovico Nardi gefallen.

    Den angesprochenen Bieito-Elias im Theater an der Wien hab ich auch vor ein paar Tagen miterlebt (siehe Thread "Operntelegramm - Saison 2018/19"), hat mir auch sehr gut gefallen, Gerhaher war super! Bieito verdient mE den Ruf als "Skandalregisseur" gar nicht (mehr).

    18. + 25. Feber 2019: WIEN (Volksoper): George Gershwin, Porgy and Bess

    18. Feb. 2019

    Man kann der Volksoper nicht genug danken, dass sie dieses tolle und musikgeschichtlich so wichtige Werk zeigt - und es wäre sehr zu hoffen, dass es nicht erneut 50 Jahre dauert, bis Porgy and Bess wieder in Wien zu hören ist!! Leider ist es diesmal nur eine konzertante Produktion (das liegt angeblich daran, dass Gershwin verfügt hat, dass die "schwarzen" Rollen (und das sind die meisten) nur von schwarzen Sängern interpretiert werden dürfen, aber das find ich reichlich absurd, denn man muss sich nicht um die Vorgaben des Komponisten kümmern), was vor allem bei den beiden Morden seltsam anmutet (die Kontrahenten stehen einander gegenüber, der eine breitet die Arme aus, auf einmal geht das Licht aus, das den anderen beleuchtet hat), aber weil zumindest die Hauptrollensänger ihre Rollen gut gespielt haben, ist dieses Manko nicht allzu stark ins Gewicht gefallen. Freilich: Eine szenische Wiedergabe wäre vor allem bei diesem Stück wünschenswert (wie auch generell: Oper konzertant halte ich für ein Missverständnis). Ein weiteres Missverständnis ist der Irrglaube, es würde sich hier um ein Musical halten. Nein, es ist eine ernstzunehmende Oper, und mit Jazz hat Porgy and Bess genauso viel zu tun wie Richard Wagner mit guter Musik, nämlich fast gar nichts. :humor1: Porgy and Bess ist eine sehr gute Oper, die sich einen dauerhaften Platz im Repertoire verdient hat!

    Die Freude, diesem Werk zu begegnen hat mich für so manche grenzwertige Sängerleistung entschädigt und insgesamt einen sehr guten Gesamteindruck verursacht. War ich in der Pause noch recht zwiegespalten, hat mich der zweite Teil deutlich mehr gepackt (nebenbei: Man sollte die Pause nach dem 1. Bild des 2. Aktes machen und nicht nach dem 2. Bild des 2. Aktes). Morris Robinson war für mich der große Schwachpunkt des Abends, obwohl er sich nach der Pause gesteigert hat. Er singt ziemlich komisch, er schiebt die Töne irgendwie hinaus (ich kann es nicht besser beschreiben), und vom Text hat man rein gar nichts verstanden. Den amerikanischen Slang hat er aber (wie die meisten anderen) sehr gut getroffen, und zumal er schauspielerisch gut war, den Porgy mit viel Herzblut gestaltet hat und auch den einzigen Sympathieträger in diesem Gewurl von Unsympathlern verkörpert hat, war ihm starke Zustimmung gewiss. Melba Ramos war einst eine wirklich gute Sängerin, aber in letzter Zeit ist sie am absteigenden Ast, die Stimme hat Verschleißerscheinungen. Heute hat mich das aber nicht besonders gestört. Eine sehr gute Leistung erbrachte Lester Lynch als Crown, auch er hat eine irgendwie merkwürdige Technik, gefällt mir aber sehr gut (denselben Eindruck hatte ich letztes Jahr in Dresden bei seinem Prigioniero). Ray M. Wade Jr. war der richtige Interpret des Sporting Life; in einer Opernpartie, in der man auch schön singen muss, will ich ihn mir nicht vorstellen. Das restliche Ensemble hat seine Sache gut gemacht, mit Ausnahme von Rebecca Nelsen, die als Clara negativ aufgefallen ist (ihr "Summertime" am Anfang war ziemlich erschreckend). Chor und Orchester unter Joseph R. Olefirowicz waren sehr engagiert dabei.

    Glücklicherweise wird in der Originalsprache gesungen mit deutschen Übertiteln (in die sich leider ein paar ärgerliche sprachliche Fehler eingeschlichen haben, kann mittlerweile niemand mehr Deutsch?) Fazit: Nicht verpassen!


    25. Feb. 2019

    Im wesentlichen gelten meine Eindrücke von letzter Woche auch heute.

    Rebecca Nelsen hat mir heute aber viel besser gefallen, vielleicht war sie ja letzte Woche indisponiert. Der Sänger des Robbins (Alexander Pinderak) konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht singen, weswegen der Dirigent Joseph R. Olefirowicz während (!) des Dirigierens auch die Partie des Robbins übernahm. Olefirowicz ist mir als Dirigent lieber als als Sänger, aber natürlich bin ich sehr froh über seine Bereitschaft, die Rolle zu übernehmen. Melba Ramos hat mir heute etwas besser gefallen, Lester Lynch etwas schlechter, sonst hat sich für mich nichts geändert. Das Stück gefällt mir wirklich gut, eine gewisse Ähnlichkeit zu Peter Grimes ist nicht zufällig. Hoffentlich ist es bald wieder in Wien zu hören!

    So., 24. Feber 2019: BERLIN (Staatsoper Unter den Linden): Richard Strauss, Elektra

    Evelyn Herlitzius als Elektra und ich - das scheint nicht zustandezukommen. Im Dezember 2017 war sie in Wien angesetzt und musste absagen, damals war Elena Pankratova die Ersatzfrau. Heute in Berlin war sie Ricarda Merbeth, die Gott-sei-bei-uns-Sopranistin großer Teile des Wiener Stammpublikums. Ich habe mich auf eine Katastrophe eingestellt und muss freudig bekannt geben: Es war eine wirklich gute Leistung! Freilich, eine "Hochdramatische" (copyright Werkeinführung) ist sie nicht, man hört, dass sie aus dem lyrischen Fach kommt und sich ihre Stimme zB als Daphne oder Jenůfa wohler fühlt. Aber sie kommt mit den Tücken der Partie erstaunlich gut zurande, ist gefordert, aber dank ihrer sehr guten Technik nicht überfordert. Nur zwei falsche Töne haben verhindert, dass ich mich zum Bravoschreien hinreißen lasse, aber das ist eine vernachlässigbare Kleinigkeit. Es wäre aber wünschenswert, dass sie diese Partie bloß als (gelungenen!) Ausflug ins hochdramatische Fach betrachtet und sich dann wieder leichteren Partien zuwendet, um nicht Raubbau an ihrem Material zu betreiben, aber ein Blick auf Operabase verrät, dass das nur ein frommer Wunsch ist (sie singt Isolde, Turandot etc.). Naja, heute war es jedenfalls wirklich gut, die Berliner Staatsoper ist für eine Staatsoper aber auch erstaunlich klein. Mit Vida Miknevičiūtė durfte ich eine mir vorher ganz unbekannte Chrysothemis kennenlernen. Es war eine sehr erfreuliche Begegnung. Ihre Stimme ist dramatisch, voluminös, dunkel timbriert und laut. An wenigen Stellen war zu merken, dass die junge Sängerin mit der Rolle an ihre Grenzen stößt, was aber durchaus verständlich ist (wer es nicht weiß: Die Chrysothemis ist auf gar keinen Fall leichter als die Elektra, vermutlich sogar schwieriger!). Ansonsten war alles in bester Ordnung, aber ich weiß nicht, ob es ihrer Stimme förderlich ist, jetzt schon eine so fordernde Rolle zu singen. Über die Klytämnestra des heutigen Abends kann man keine positiven Worte verlieren. Waltraud Meier ist eine verdiente Sängerin, aber das Schulbeispiel einer Fehlbesetzung. Die Klytämnestra-Szene kann wahnsinnig packend sein oder total langweilig, und heute war es in der Nähe von "total langweilig", dem Orchester ist zu verdanken, dass sie nicht völlig zum Einschlafen war. Frau Meier singt das alles ganz brav, aber es passt nicht, es ist mit einem Wort langweilig. "Das ist wahr, und das ist Lüge. Was die Wahrheit ist, das bringt kein Mensch heraus.", "Wenn einer etwas Angenehmes sagt, und wär es meine TOCHTER, wär es DIE DA, will ich von meiner Seele alle Hüllen abstreifen", "Ich will nicht länger träumen" etc. etc.: Die Klytämnestra hat unzählige packende Stellen, die muss man aber auch gestalten und darf sie nicht nur irgendwie mit einer halbwegs schönen Stimme singen. Das ist sonst einfach nix, in dieser Rolle ist bloßer Schöngesang kontraproduktiv. Dass ihre Stimme mittlerweile auch nicht mehr so klingt wie früher ist nach ihrem Lied-Jahr überhaupt keine Überraschung. Eine weitere fatale Fehlbesetzung war Stephan Rügamer, der mir letztes Jahr in Dresden als Oedipus Rex sehr gut gefallen hat. Aber für den Aegisth ist kein lyrischer Tenor vonnöten, sondern ein höhensicherer, etwas ausgeschrieener Heldentenor. Peter Seiffert müsste eine Idealbesetzung sein, in näherer Zukunft Andreas Schager. Rügamer war leider völlig fehl am Platze, das ist aber nicht seine Schuld, denn er hat merklich das Beste aus seiner Lage gemacht. Sehr gut hingegen René Pape in der ziemlich unwichtigen Rolle des Orest. Er verkörperte einen selbstbewussten Mann, dem man den Muttermord zutraut, und stimmlich war es, von manchen störenden Vokalverfärbungen abgesehen, erste Sahne, um Berlin-gemäß zu schreiben. Interessant besetzt waren manche Nebenrollen: Der 1924 (!!!) geborene Franz Mazura ist eine lebende Legende, er war nie ein Star, aber doch sehr solide. Freilich verwaltet er jetzt nur mehr Stimmreste, aber er setzt diese gut ein und lässt spüren, dass die Stimme einstmals gut war. Für den Pfleger des Orest ist das völlig ausreichend (er und Orest müssen ja auch "ein Alter und ein Junger" sein), außerdem macht er einen sehr agilen Eindruck. Ad multos annos! Unter den Mägden haben mir am besten Bonita Hyman (die ich morgen in Wien als Maria in Porgy and Bess hören werde) und Roberta Alexander (geboren 1949, keine taufrische Stimme, aber eine berührende und sauber geführte) als erste und fünfte Magd gefallen. In die Kategorie "rollendeckend" gehören Renate Behle (Vertraute+Aufseherin), Marina Prudenskaya (Schleppträgerin + zweite Magd), Katharina Kammerloher (dritte Magd) und Anna Samuil (vierte Magd). Eine einzige Peinlichkeit waren die beiden Diener, denn für den Jungen Diener braucht man nämlich einen wirklich guten Sänger! Herwig Pecoraro wäre ideal, übrigens ist das auch eine gute Rolle für Benedikt Kobel. Was aber Florian Hoffmann abgeliefert hat (viele Töne nicht erreicht, ohne Ausdruck), gereichte zum Fremdschämen, was auch für den Alten Diener von Olaf Bär gilt: Der Alte Diener hat zwar nur sechs Wörter, aber die muss man singen, nicht sprechen.

    Dass die bis jetzt mittelmäßig besprochene Vorstellung zum Ereignis wurde, für das sich der Aufwand von einem Tag und die Gesamtkosten von 50 Euro gelohnt haben, ist dem Orchester und der Inszenierung zu verdanken. Es war die letzte Regiearbeit von Patrice Chéreau (Bühnenbild von Richard Peduzzi, Kostüme von Caroline de Vivaise), sie hatte 2013 in Aix-en-Provence Premiere und wurde seitdem in zahlreichen Städten gezeigt, seit 2016 auch in Berlin. Das akustikfreundliche Bühnenbild stellt einen Hinterhof mit hoch aufragenden Mauern dar, und innerhalb dieser Szenerie findet großartige Personenführung statt. Keine Sekunde hatte ich das Gefühl, die Sänger würden einfach so durch die Szenerie stolpern. Nein, jeder Schritt hat Sinn, alles wirkt überlegt und geprobt, aber nie ungelenk. Man merkt, dass Chéreau wahrhaft ein Vollprofi ersten Ranges war. Erstaunlich, wie perfekt der Bühnenraum auf das Libretto abgestimmt ist (bei "Hier die Stufen, dass du nicht fällst!" waren auch wirklich Stufen auf der Bühne), und so manche Abweichung von der gewöhnlichen Praxis stört überhaupt nicht, zum Beispiel dass Aegisth vom Pfleger erstochen wird und nicht von Orest und dass der Junge Diener über die Fünfte Magd stolpert anstatt über Elektra. Jede Szene ist super gelöst, besonders gut gefällt mir der Auftritt Klytämnestras (Dienerinnen legen einen roten Teppich auf, alle verbeugen sich bei ihrer Ankunft, nur Elektra entbietet keinen Gruß, sondern stellt ihr euch aufrecht entgegen, und Chrysothemis steht abseits) und die Wiedererkennung Orest/Elektra (das alte, Agamemnon-treue Personal - Alter Diener Vertraute/Aufseherin und Fünfte Magd - findet sich auf der Bühne ein und begrüßt Orest bei "Die Hunde auf dem Hof erkennen mich, und meine Schwester nicht?!"), aber ausnahmslos jede Stelle ist gut in Szene gesetzt. Wenn ich da an unseren Laufenberg-Blödsinn in Wien denke, für den die modellhafte Inszenierung von Harry Kupfer geopfert wurde... Der hauptverantwortliche Erfolgsgarant saß aber im Graben: Was die Staatskapelle Berlin heute geboten hat, war Weltklasse allerersten Ranges, einfach grandios. Wer behauptet, die Wiener Philharmoniker seien das beste Orchester der Welt, möge sofort nach Berlin fahren und sich von der Unrichtigkeit seiner Behauptung überzeugen. Welch eine Dramatik, welch gewaltige Ausbrüche, aber auch welch einfühlsamer Lyrismus an den richtigen Stellen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine solch grandiose Orchesterleistung gehört zu haben, schon gar nicht in einer Elektra. Daniel Barenboim stand am Pult, am Anfang klang sein Dirigat noch etwas unausgewogen (zu konturlos in der Mägdeszene), aber spätestens ab der Klytämnestra-Szene war seine Leistung hervorragend. Dass die Staatskapelle ein so ausgezeichneter Klangkörper ist, ist in erster Linie sein Verdienst, der nicht genug bedankt werden kann. Die Aufführung ist schon seit einigen Stunden aus, aber ich bin noch immer ganz durch den Wind von dieser überwältigenden Orchesterleistung. Da können sich die angeblich so tollen Wiener Philharmoniker hinten anstellen!

    Ein Wermutstropfen ist, dass zwar einige Striche aufgemacht wurden (zB die Szene, die Inzest zwischen Elektra und Chrysothemis andeutet, was auf der Bühne auch entsprechend realisiert wurde), aber genau die entscheidende Szene fehlt. Die üblichen Striche in der Elektra haben sich im Unterschied zu den Strichen in der Frau ohne Schatten nicht etwa deswegen eingebürgert, weil sie eine entscheidende Erleichterung für die Sänger bringen. Nein, die Striche sind deshalb üblich, weil sie sexuellen Inhalt enthalten, und in einer ungekürzten Fassung erfährt man, dass die Ursache für Elektras krankhafte Anbetung des toten Vaters sexueller Missbrauch ist ("Diese süssen Schauder hab ich dem Vater opfern müssen. Meinst du, wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen an mein Bette? Eifersüchtig sind die Toten"). Diese Zeilen haben auch heute gefehlt, und das ist einfach nur peinlich. Langsam sollten wir alle im 21. Jahrhundert angekommen sein und kapiert haben, dass diese Zeilen im Libretto enthalten sind und entscheidende Informationen für das Verständnis desselben enthalten. Nichtsdestoweniger: Diese Elektra ist anständig "eingefahren". Lange Zeit war die Elektra meine Lieblingsoper, bis ich gemerkt hab, dass Janáček viel besser ist als der Spießer und Selbstdarsteller Strauss. :humor1: Aber Salome ist genauso wie Elektra ein Meilenstein. Für tolle Aufführungen wie heute nehme ich gerne Reisen in Kauf, die Kosten-Nutzen-Rechnung stimmt.

    Mi., 20. Feber 2019: WIEN (Theater an der Wien): Felix Mendelssohn Bartholdy, Elias

    Mir, der ich weder etwas mit Mendelssohn-Musik noch mit Religionen anfange, hatte im vorhinein Übles geschwant: ein über zweistündiges Mendelssohn-Oratorium am unbequemen Theater-an-der-Wien-Stehplatz?! Langweilig? Weit gefehlt. Dass die 130 Minuten sehr spannend und keine Sekunde langweilig wurden, schreibe ich vor allem zwei Leuten zu: Christian Gerhaher und Calixto Bieito. Kurzfassung: Großartig, unbedingt hingehen!

    Es war höchste Zeit, dass Calixto Bieito nach Wien geholt wird, er ist schließlich seit Jahren einer der führenden Regisseure (und dass er ausgerechnet am Theater an der Wien sein Wiendebüt gibt, wundert mich nicht). Ich hatte letzten Juli seine Gezeichneten in der Komischen Oper Berlin gesehen und war davon sehr angetan. Auch heute hat mich das Ergebnis vollkommen überzeugt, und leider war ich nicht in der Premiere, sonst hätte ich zahlreiche Bravorufe den Buhrufen entgegengestellt. Bieto schafft es, dass es keine Sekunde langweilig wird. Elias wird als schwieriger Mensch gezeigt, die Menge als wankelmütig. Nichts ist "gegen das Werk" (was auch immer das heißen soll) gerichtet, alle Aktionen sind genau überlegt und einstudiert. Die Personenführung ist super. Kein Wunder, Bieito ist ein intelligenter Mensch, der den Mut hat, Konventionen aufzubrechen. Man stelle sich vor, es wäre eine konzertante Aufführung gewesen, nicht auszuhalten. Bieito zeigt, dass man auch aus einem Oratorium viel Szenisches herausholen kann; diese Produktion ist ein Musterbeispiel dafür. Einziger Kritikpunkt ist, dass die groß bemessene Bühnenkonstruktion vermutlich an einem größeren Haus mehr Eindruck gemacht hätte, was aber der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst anzulasten ist. Aber dieser kleine Kritikpunkt trübte nicht den äußerst positiven Gesamteindruck.

    Der zweite Erfolgsgarant war Christian Gerhaher. Nicht, dass ich es nicht schon gewusst hätte, aber der Mann ist ein phantastischer Sänger. Absolut perfekt. Die Stimme ist wunderschön, äußerst tragfähig im Piano, aber auch mit viel Durchsetzungsfähigkeit und Kraft an den lauten Stellen, die perfekt aus der Gesangslinie entwickelt werden anstatt einfach so hineingegrölt zu werden. Man versteht jedes Wort, der Ausdruck ist großartig, die Gesangstechnik vorbildhaft. Er und Markus Eiche sind für mich die einzigen legitimen Nachfolger meines Lieblingssängers Franz Grundheber (bloß dass Grundhebers Timbre härter ist). Ich würde mir an einem kleinen (!!!) Haus einen Fliegenden Holländer von Gerhaher wünschen; das könnte großartig werden (wird halt einmal ein ungebrüllter Holländer). Aber Gerhaher ist ein hochintelligenter Sänger, der sich auf Liedgesang spezialisiert hat und nur das singt, das zu seiner Stimme passt. Mit dem heutigen Abend bin ich endgültig Gerhaher-Fan geworden.

    Die anderen Mitwirkenden hatten es neben ihm natürlich schwer. Am besten hat mir Maria Bengtsson (Witwe) gefallen, Maximilian Schmitt (Obadjah) tönte nicht so erfreulich, die zahlreichen anderen pendelten sich zwischen diesen beiden ein. Sehr gut der Arnold-Schoenberg-Chor und das RSO-Orchester unter Jukka-Pekka Saraste. Viel Applaus, stark besucht (der Stehplatz bummvoll).

    Di., 19. Feber 2019: BRATISLAVA/PRESZBURG (Neues Opernhaus): Wolfgang Amadé Mozart, Don Giovanni

    Opernbesuche in Tschechien und in der Slovakei machen üblicherweise Freude (im Gegensatz zu vielen in Wien), und so konnte ich heute einen sehr gelungenen Don Giovanni erleben. Eine gelungene Inszenierung und vor allem ein aufeinander eingespieltes Ensemble sind Garanten für eine wirklich gute Aufführung. Die Produktion von Jozef Bednárik (Inszenierung), Vladimír Čáp (Bühnenbild) und Ľudmila Várossová (Kostüme) ist klassisch, wiewohl sie sich manche Abweichung erlaubt, zum Beispiel ersticht Don Giovanni den Komtur nicht im Duell sondern hinterrücks, und der Komtur taucht auch später ab und zu auf. Die Bühne ist durchgehend in rot gehalten, was sehr gut passt, und da sich im Einheitsbühnenbild ein perfekt aufeinander eingespieltes Ensemble bewegt hat, konnte nichts schiefgehen. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass das Erscheinen des Komturs am Friedhof schlecht gelöst ist, denn er wird mitsamt seinem Grab von der Seite zuerst hinein- und dann hinausgeschoben, das schaut ziemlich podschad aus. Aber davon abgesehen passt alles, auch die Höllenfahrt ist gut gelöst. Vor allem ist die Produktion viel viel besser als der Martinoty-Schmarrn an der Wiener Staatsoper und der Freyer-Schmarrn an der Wiener Volksoper.

    Hervorragend war Ľubica Vargicová als Donna Anna. Zugegeben, die Stimme klingt nicht mehr jung (Frau Vargicová ist auch schon seit über 30 Jahren im Geschäft), aber ohne Verschleißerscheinungen, wenn man ein etwas zu starkes Vibrato, das sich erst gegen Ende des Aufführung bemerkbar machte, nicht dazuzählt. Aber davon abgesehen wars perfekt: richtige Stimmführung, gute Technik, schönes Timbre, gute Koloraturen,...; alles so, wie es sein soll. Ich frage mich, wieso sie bloß ein paarmal zwischen 2001 und 2003 an der Wiener Staatsoper gesungen hat und seitdem nicht mehr. Vielleicht wäre sie derzeit eine gute Lucia...? (Aber sie hat halt keinen PR-Maschine hinter sich wie die Frau Peretyatko.) Ebenfalls sehr gut, aber nicht ganz so gut war Eva Hornyáková. Hin und wieder hat sie mit den Tücken der Elvira gekämpft, aber sich insgesamt sehr gut aus der Affäre gezogen. Aleš Jenis hat als Don Giovanni das gleiche Problem wie Tomasz Konieczny als Wotan: tolle Stimme, aber fehlbesetzt. Jenis hat sehr, sehr gut gesungen und alles richtig gemacht, aber seine Stimme klingt leider trocken und nicht verführerisch. Glücklicherweise hat er die Rolle so interpretiert, wie er es kann, anstatt seine Stimme künstlich zu verändern. Also war es halt ein ziemlich trockener Don Giovanni, aber nichtsdestoweniger ein sehr guter. Peter Mikuláš ist ein Weltklassesänger, aber kein Weltklasse-Leporello, dazu ist seine Stimme zu wenig "mozarthaft" und zu unbeweglich in den wenigen sehr schnellen Passagen. Es war aber wohltuend, den Leporello von einem gestandenen Bassisten mit sehr viel Erfahrung zu hören. Für mich erbrachte er nach Vargicová die beste Leistung des Abends, er war heute gut bei Stimme. Jana Bernáthová war eine sehr, sehr gute Zerlina. Zwischenzeitlich habe ich mir gedacht, dass ihre Stimme nach größeren Aufgaben ruft, aber eingedenk ihrer Königin der Nacht denk ich mir, das passt schon mit der Zerlina. Martin Mikuš sang einen guten, wenn auch eher ungeschliffenen Masetto, ich weiß nicht, ob seine Stimme einfach so klingt, oder ob er mit Naturstimme singt. Juraj Peter war laut und ungeschliffen, was als Komtur durchaus passt (aber letztes Jahr hat mir Ján Galla viel besser gefallen). Der große Schwachpunkt war Martin Gyimesi, dessen Tamino im Dezember schon nicht wirklich überzeugend war, den es heute mit dem Ottavio aber zerlegt hat. Seine Stimme ist zwar recht schön, aber viel zu leise, und er steht sowohl oben als auch unten an (unter dem f war es schon sehr dünn). Wenn man schon beide Ottavio-Arien singt, sollte man sie auch halbwegs können. Ondrej Olos hat gut dirigiert, wenn auch ohne besondere Feinheiten. Dass es bei den Bläsern ein paar Aussetzer gegeben hat, ist nicht seine Schuld.

    Sa., 16. Feber 2019: BRATISLAVA/PRESZBURG (Neues Opernhaus): Nikolaj Rimskij-Korsakov, Sadko

    Aus dem heurigen (im Gegensatz zu den vergangenen Spielzeiten) wirklich uninteressanten Bratislava-Programm ragt der Sadko heraus, und der Sadko ist eine wirklich tolle Oper!! Man sollte sie viel öfter spielen anstatt die xte Wiederholung uninteressanter Opern. Die Sadko-Aufführungsgeschichte in Bratislava ist witzig: Nach der szenischen Doppelpremiere Ende Jänner 2018 wurden die weiteren drei Aufführungen abgesagt, dann wurden vier weitere für 2018/19 angekündigt, die sich still und heimlich in zwei konzertante Aufführungen umgewandelt haben, und zuletzt wurde auch noch die Angabe der Vorstellungsdauer stark reduziert. Ich wusste also nicht, was mich heute erwarten würde, und es war eine komzertante Aufführung, leider ca. 35 Minuten kürzer als letztes Jahr, also noch mehr gekürzt.

    Das Stück ist wirklich toll, musikalisch typischer Rimskij mit dankbaren Gesangspartien und interessanter Handlung mit tieferer Bedeutung (Mythos vs. Realität und Heidentum vs. Christentum). Sadko wird im Internet als "slavischer Orpheus und gleichzeitig Odysseus" und als Verkörperung der "ewige[n] Schöpferkraft der Phantasie, die gegen die Realität kämpft" charakterisiert, was auch richtig ist. Was hätte ein begabter Regisseur aus dem Werk machen können! Die Produktion von Daniel Kramer ist letztes Jahr so schlecht angekommen (ich hab sie nicht so übel gefunden; wenn man nicht auf die Videos geachtet hat, war es eine ganz normale Produktion), dass man sich heuer für eine konzertante Wiedergabe entschieden hat - und das ist bestenfalls eine Notlösung: Oper ist Musik UND Theater. Man hat gemerkt, dass manche Sänger ihre Rolle gern verkörpert hätten, andere waren ziemlich deutlich auf die vor ihnen liegenden Noten fixiert.

    Zurab Zurabishvili hat mir als Sadko sehr gut gefallen. Hin und wieder hätte der eine oder andere Ton müheloser/strahlender klingen können, aber insgesamt wars eine sehr gute Leistung. Ich habe noch nicht in die Noten hineingeschaut, aber ich vermute, dass die Partie überhaupt nicht leicht ist (lang und liegt blöd). Adriana Kohútková war am besten, ihre Wolchowa ließ keine Wünsche offen, die Stimme ist wunderschön und wird technisch richtig behandelt. Denisa Šlepkovská war ein guter Neschata (Hosenrolle), sie hatte beeindruckende Tiefen, ein Registerbruch war aber kaum zu überhören. Monika Fabianová sang die Ljubawa gut, aber nicht beeindruckend. Peter Mikuláš (Meereszar) ist ein toller Sänger, hatte aber heute keinen besonders guten Abend. Daniel Čapkovič als venezianischer Kaufmann war super, Ľudovít Ludha war als indischer Kaufmann wie immer, was durchaus positiv gemeint ist, und Jozef Benci war stimmlich wirklich gut (tolle Stimme, sie könnte aber etwas durchschlagskräftiger sein) und optisch mit seinem imposanten Haar und Bart ein idealer Waräger, was am Rande positiv vermerkt sei. Die Sänger der Nebenrollen waren ebenso wie Chor und Orchester in Ordnung. Ondrej Olos hat für meine Ohren gut dirigiert, aber ich kenne das Stück zu schlecht, um das seriös beurteilen zu können.

    Wer in Wien stationiert ist und sich für slavische Opern interessiert, sollte die Aufführung am 3. Mai (in teils anderer Besetzung) nach Möglichkeit nicht verpassen.


    Diesen und die nächsten folgenden Beiträge habe ich vor kurzem schon einem anderen Internetforum veröffentlicht. Ich kopier sie hierher, die Aufführungen waren ja erst vor ein paar Tagen. Vielleicht stoßen die Texte ja auf Interesse.