Gestern gab bei den Berliner Philharmonikern wieder die – nun seltener werdende – Gelegenheit, Barenboim am Dirigentenpult zu erleben. Ich muss zugeben, dass seine Interpretationen, insbesondere des deutsch-österreichischen „Kernrepertoires“, meinen Nerv meist nicht treffen, und ich vermutlich bei einem Beethoven-, Brahms-, Mozart-, Schumann-usw.-Programm auf den Besuch des Konzerts verzichtet hätte. Nun gab es aber die reizvolle Zusammenstellung von Faurés Pélleas-et-Mélisande-Suite, Wagners Wesendonck-Liedern (mit Elīna Garanča) und Francks d-moll-Symphonie, die mich – verbunden mit der Befürchtung, dass es vielleicht nicht mehr allzu viele Gelegenheiten geben wird, diesen Ausnahmemusiker live zu erleben – zum Besuch animiert hat.
Der Gang auf das Podium fiel Barenboim sichtlich schwer, aber den bereitgestellten Dirigierhocker ließ er wieder vom Podest nehmen und wirkte dann beim Dirigieren auch sicher (offenbar hat sich sein Gesundheitszustand seit den letzten Auftritten, von denen man las, wieder stabilisiert). Die Zeichengebung ist äußerst sparsam und setzt phasenweise auch ganz aus – aber dies scheint nicht vorrangig durch körperliche Einschränkungen bedingt, sondern geschieht offenkundig im Wissen um die Vertrautheit und das musikalische Einverständnis mit dem – ihm ja seit Jahrzehnten eng verbundene – Orchester. Und dies spiegelt sich auch in dem, was zu hören ist, wieder: Der Fauré gehüllt in einen warmen, sanften Streicherklang und die Wesendonck-Lieder mit wunderbar delikaten, dunklen, sehr „dichten“ Klangfarben (Garanča hat mich hier mehr überzeugt als in Ihrer Thielemann-Aufnahme, die ich zuvor angehört hatte). In ihrer zugespitzten Haltung aber besonders beeindruckt hat mich Barenboims Interpretation von Francks Symphonie: So langsam, fast statisch habe ich sie wohl noch nie gehört, der Aufschwung des Finales merkwürdig gebremst, aber die fast still stehenden Klangflächen zeitweise, die souverän angelegte weite dynamische Amplitude und die intensiven, ganz unhektisch ausgesungenen Bläserchöre (wie natürlich auch Wollenwebers wundervolles Englischhorn-Solo) vermittelten die kunstvolle Fraktur dieser Musik auf eine ganz besondere Weise.