Ein paar Worte muss ich schreiben zum gestrigen Konzert in der Philharmonie mit Currentzis und seiner musicAeterna. Auf dem Programm ein kurzes Werk von Marko Nikodijevic sowie die 4. Symphonie von Schostakowitsch.
In Ulrich Amelings euphorischer Kritik im Tagesspiegel nach dem Oktober-Konzert mit Mahlers Fünfter hieß es am Ende:
"Am 1. Dezember sind Currentzis und Musicaeterna zurück in der Philharmonie. Ihr Programm liest sich wie die kaum vorstellbare Steigerung des nachklingenden Konzerts: Auf eine Uraufführung des serbischen Komponisten Marko Nikodijevic folgt dann Schostakowitschs knochenbrecherische Vierte. Klassik ist nichts für Feiglinge."
Nach dem gestrigen Abend kann ich sagen, diese Vorahnung hat sich für mich bestätigt.
Das kurze Nikodijevic-Stück war für mich lediglich ein nicht unattraktiver Appetizer, aber Schostakowitsch Vierte hat mich dann - ich muss es so schreiben - wirklich umgehauen.
Der erste Satz als ein zerfurchter Koloss mit einer eruptiven Gewalt, die mir nicht mehr steigerbar schien. Die scharfen Blechbläserakkorde wie Skalpellschnitte ins symphonische Fleisch. Das Fugato am Ende der Durchführung irrsinnig. Wenn überhaupt könnte man einwenden, dass die extremen Klangexzesse (ich würde behaupten, dass ich in der Philharmonie noch nie eine solche Orchesterlautstärke gehört habe, trotz Mahler VI, Wozzeck, Webern op.6, Sacre usw.) einen im wahrsten Sinne betäuben konnten für die introvertierten Momente, die es ja selbst in diesem Satz auch gibt. Im 3. Satz waren dann solche möglichen Einwände endgültig weggewischt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man das besser, richtiger machen kann. Diese mittlere Passage mit den fragmentierten Klangfetzen von Tanzmusik, Walzern usw. in den Steichern und Holzbläsern von einer unglaublichen Heterogenität, wie aus dem Moment heraus improvisiert oder wie wenn die einzelnen Musiker der Boardkapelle auf der Titanic vor dem Untergang nochmal ihre Lieblingsmotive spielen. Die vermeintliche Fanfaren-Apotheose dann als unmerkliche Steigerung angelegt und schließlich das Verlöschen in einer atemraubenden Gespanntheit, die einfach großartig war (und mich an Mahler IX unter Currentzis vor 2 Jahren erinnert hat) und die auch durch das etwas brüchige Piano der Solotrompete nicht tangiert werden konnte.
Wirklich ein großer Eindruck. Currentzis natürlich sehr lange in gespannter Körperhaltung, um den Applaus zurückzuhalten und solange herrschte tatsächlich auch vollkommene Stille, bis er die Arme sinken ließ und der Jubel mit Standing Ovations der höchstens halb besetzten Philharmonie losbrach.
Wie schon bei Mahler das Orchester soweit möglich stehend spielend, danach winkend ins Publikum, sich gegenseitig fotografiernd. Es ist wirklich ein großes Vergnügen, dieses Orchester (und vor allem auch Konzertmeister Afanasiy Chupin!) zu beobachten, sowohl während als auch nach dem Konzert.
Sofern das Programm für mich nur einigermaßen passen sollte, möchte ich eigentlich kein Konzert in dieser Besetzung in Berlin mehr verpassen.