Der exakte Jahrestag ist verpasst, aber vor ziemlich genau 40 Jahren - am 25. Juni 1982 - erschien „The lexicon of love“ der englischen Band ABC. Wenn man (wie ich) mit dem kleinen Schock zurechtgekommen sein sollte, dass man das Album quasi „live“ miterlebte, kann man sich dem vielleicht ja mal wieder zuwenden.
Natürlich besteht angesichts dessen, was hier sonst gern konsumiert wird, die eminente Gefahr, dass man als Popper erster Ordnung identifiziert wird, wenn man „so etwas“ hört. Und ja, da ist natürlich viel Oberfläche dabei, aber ich finde, da ist noch mehr.
„Ah, mm, whoa, whoa, whoa“
So fängt „The look of love“ an. Wohl das bekannteste Stück des Albums. Es liefert auch eine der Schlüssel-Textzeilen des „Lexicon“: „When your girl has left you out on the pavement“ - und sehr wichtig das beiläufig-üble „goodbye“ einer Frauen-Stimme dazu (Steve Pafford, auf den ich mich hier mehrfach beziehe, zitiert hierzu den Produzenten Trevor Horn, der sagt, dass die Stimme von der Frau stammt, die ABC-Sänger Martin Fry verließ, und damit einen Anstoß für das Album gab).
ABC, das waren zu dem Zeitpunkt Martin Fry (Gesang, Keyboard), Mark White (Gitarre, Keyboard), Mark Lickley (Bass - allerdings stieg er zu der Zeit auch schon wieder aus und ist nur auf 3 Liedern zu hören), David Palmer (Schlagzeug) und Stephen Singleton (Saxofon). Die Band stammt aus Sheffield (wie auch Human League, die zur selben Zeit erfolgreich waren). Bei Wikipedia wird ABC als New-Wave-Band bezeichnet. Das wird manchem schwer im Magen liegen, ist aber meines Erachtens gar nicht so abwegig. Pafford zitiert Fry: „We were trying to fuse our love of Chic and Earth, Wind and Fire and Change with our love of Joy Division and Bowie and Roxy and Costello….and countless others. Two worlds colliding.“
Für das Album besonders wichtig ist der schon erwähnte Produzent Trevor Horn. Er ist vielen vermutlich vom Song „Video killed the radio star“ bekannt (der Clip lief denn auch als erster zum Start des Musiksenders MTV 1981). Mit verschiedenen Mitstreitern (s. Anne Dudley, verantwortlich für die Arrangements) sorgte er für den besonderen Sound von „Lexicon“. Später bildete sich aus diesen Leuten dann die Band Art of noise.
„When your world is full of strange arrangements“
Es beginnt mit Streichern, die den Raum öffnen und weiten (hier passiert Großes), es folgen Bläser, wie eine Fanfare (gleich ist es soweit), dann knallt das Schlagzeug mit dem akzentuierten und deutlich vernehmbaren Bass dazu - „Show me“. So geht es los. Und so bleibt es letztlich auch. Ein „perfekt“ wirkender Sound, makellos, schwelgerisch, rhythmisch - jede Menge sehr eingängiger Melodien dazu. Immer das richtige Füllsel, permanent passiert etwas. Man könnte sich nicht vorstellen, noch etwas ergänzen zu können (oder wegzunehmen).
Joy Division höre ich da weniger als Chic. Aber ob es ohne Joy Division denkbar wäre, ist etwas anderes. Roxy Music auf jeden Fall (für mich insgesamt am nähesten dran), Bowie (der bei den Aufnahmen von „Lexicon“ übrigens vor Ort und begeistert war) und auch Porter oder Sinatra. Und natürlich Soul und Disco - der Bandname ABC ist ja auch eine Verneigung vor den Jackson 5.
Dazu der Gesang von Martin Fry, der auf dem Coverbild ganz gut dargestellt wird. Theatralisch, romantisch, selbstverliebt. Dazu aber reimt er „cupid“ auf „stupid“. Und das gibt dem Ganzen immer wieder einen Spin, der ohne Joy Division denn vielleicht doch nicht so leicht denkbar wäre. Bei aller Perfektion ist es eben kein luftleeres Pop-Album, das permanent gute Laune verströmt. Es irritiert. Und deshalb höre ich es auch 40 Jahre später immer wieder gern.