Würdest du eigentlich sagen, dass es grundsätzlich möglich ist, Schenks Inszenierungsstil zu beschreiben (nicht zu bewerten, zu beschreiben!) und ihm vom Stil zum Beispiel Hans Neuenfels´ abzugrenzen? Oder ist für dich schon so eine Beschreibung von Inszenierungen unmöglich, weil es für dich kein Vokabular dafür gibt?
Das ist eine gute Frage, die letztlich die Motivation für meinen alten Thread "Was ist Regietheater?" (sinngemäß) vor ca. 13 Jahren war. Seinerzeit war ich auch noch der Ansicht, dass das Wort ja im üblichen Sprachgebrauch ist, so dass es sich lohnen könnte, ästhetische Merkmale des "Regietheaters" auszumachen. Die damalige Diskussion und 13 Jahre zwischenzeitliche Erfahrung lassen mich stark daran zweifeln, ob das überhaupt klappen kann - mit dem abgenutzten Begriff "Regietheater" vermutlich nicht. Ich fände es aber interessant, generelle Strömungen in der heutigen Theaterästhetik auszumachen und zu versuchen, Regisseure dort einzuordnen. Ich glaube aber inzwischen nicht mehr, dass man mit dem Begriff "Regietheater" und der schauderhaften
"Werktreue" als angeblichem Gegensatz in dieser Richtung viel erreichen dürfte.
LG 
Nein, das glaube ich auch nicht. Schon deshalb nicht, weil es eigentlich im gegenwärtigen Theater (und dem der letzten Jahrzehnte) gar nichts anderes (oder so gut wie gar nichts anderes) gibt als Regietheater. Was du beschreibst wäre also eine Beschreibung verschiedener Strömungen und Ästhetiken innerhalb der großen, übergreifenden Praxis "Regietheater". Und da bin ich mir eigentlich sicher, dass es von all den vielen Leuten, die sich beruflich mit Theaterpraxis und mit Theatertheorie beschäftigen, solche Versuche schon geben muss (auch wenn ich sie nicht kenne).
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Natürlich weiß ich nicht, wie intensiv jemand von uns hier wirklich in dieses Thema einsteigen möchte, aber da ich gestern zufällig etwas dazu gelesen habe, möchte ich ein paar Literaturhinweise hierher setzen, , vielleicht sind sie für den einen oder anderen ja interessant:
In dem 2020 erschienen Musik-Konzepte-Band über Giacomo Puccini findet sich ein Aufsatz von Clemens Risi mit dem Titel ""La Tosca in teatro". Puccini und die Kunst des Performativen". Risi, Inhaber des Lehrstuhls für Theaterwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg, wendet damit Überlegungen aus seiner Habilitationsschrift auf ein konkretes populäres Beispiel an. Und eben diese 2017 erschienene Habilitationsschrift "Oper in performance - Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen" könnte vielleicht das liefern, was Symbol sich in seinem Beitrag oben gewünscht hat, den dem Klappentext zufolge widmet sie "sich der Analyse von Opernaufführungen in Inszenierungen des sogenannten Regietheaters der letzten 15 bis 20 Jahre. Anknüpfend an aktuelle Forschungen zur Aufführungstheorie, Theorien des Performativen, Phänomenologie und Wahrnehmungstheorie, schlägt die Studie vor, das Konzept der Aufführung als Ereignis auf die Analyse von Opernaufführungen zu übertragen, und diskutiert dies anhand von Aufführungen von Repertoire-Klassikern von Mozart, Puccini, Johann Strauß, Verdi und Wagner in Inszenierungen von Sebastian Baumgarten, Calixto Bieito, Peter Konwitschny, Christoph Marthaler, Hans Neuenfels, Michael Thalheimer, Katharina Wagner und dem Regieduo Jossi Wieler/Sergio Morabito".
Ich habe das Buch von Risi nicht gelesen, sondern nur seinen Aufsatz in den Musik-Konzepten. In dem arbeitet er mit dem Begriff "Regietheater", eine Kapitelüberschrift heißt etwa - und das passt, denke ich, sehr gut zu unserer Diskussion aus der vorletzten Woche - "Zwei Tendenzen der Inszenierung: zwischen historischer Orientierung und Regietheater" (hier, wie gesagt, konkret auf Puccinis "Tosca" bezogen). Risi problematisiert den Begriff aber auch und gibt Literaturhinweise in der Fußnote - und eben die könnten hier vielleicht für den ein oder anderen, der seit einem Jahrzehnt nicht versteht, was Regietheater eigentlich sein soll, ganz interessant sein:
Die Anmerkung in Risis Aufsatz lautet also:
"Zum Begriff des Regietheaters und die Debatte um diesen vgl. u. a. Wolfgang Ullrich, »›Die Kunst ist Ausdruck ihrer Zeit‹. Genese und Problematik eines Topos der Kunsttheorie«, in: Robert Sollich/Clemens Risi/Sebastian Reus/Stephan Jöris (Hrsg.), Angst vor der Zerstörung – Der Meister Künste zwischen Archiv und Erneuerung, Berlin 2008, S. 233–246; Stephan Mösch, »Geistes Gegenwart? Überlegungen zur Ästhetik des Regietheaters in der Oper«, in: Anno Mungen (Hrsg.),
Mitten im Leben. Musiktheater von der Oper zur Everyday Performance, Würzburg 2011 (= Thurnauer Schriften zum Musiktheater 23), S. 85–103".
Außerdem wird noch genannt: Jürgen Kühnel, »Regietheater, Konzeption und Praxis am Beispiel Mozarts. Versuch einer Typologie «, in: ders./Ulrich Müller/Oswald Panagl (Hrsg.), »Regietheater«. Konzeption und Praxis am Beispiel der Bühnenwerke Mozarts, Anif/Salzburg 2007.