Das ist, so wie es dasteht, eine Annahme oder besser gesagt: ein Analogieschluß ("there must have been..."), der nicht notwendigerweise zutreffend sein muss. Und auch wenn der folgende Satz mit "I would suppose" fortfährt, stört mich in diesem Zusammenhang das Wort "certainly". "Maybe" fände ich angemessener.
Wenn der unterstrichene Satz richtig (bzw. sehr gut historisch belegt ist), ist der "there must be..."-Satz eigentlich gar kein Schluss, sondern nur eine Erläuterung, oder? Allerhöchstens wird aus einer konkret belegbaren Veränderung (Änderung des Bogens oder der Bogenführung) auf "a fundamental change of style" geschlossen. Mir ist als Streicherunkundiger allerdings nicht klar, ob diese Veränderung selbst schon einen solchen fundamentaler stilistischer Wandel darstellt (oder nur ein Teil eines solchen). Wenn jedenfalls der Wandel, der im ersten Satz behauptet wird, gut belegt ist, ist nichts weiter notwendig, um zu behaupten, dass Norrington historically wrong ist. (Mal abgesehen von prinzipiellen Möglichkeiten, wie dass der Wandel zu Beethovens Zeiten bis zum Ende des Jahrhunderts wieder rückgängig gemacht worden wäre. Aber das behauptet wohl nicht einmal Norrington.)
Wie gut das alles gestützt ist, wage ich nicht zu beurteilen. Es wäre allerdings doch sehr verwunderlich, wenn wir über Spielweisen um 1900 *weniger* wüssten als über solche im 18. Jhd. *Schlechter* belegt als die üblichen Hypothesen zu HIP des 17. u. 18. Jhds. können Artners Behauptungen wohl kaum sein.
Wie schon mehrfach gesagt wurde, fände ich es ziemlich unverständlich, wenn tausende von Musikern (darunter dutzende von sehr berühmten und auf Schallplatten dokumentierten), die vor oder um 1900 ausgebildet worden sind, erhebliche Wandlungen in Stil und Spielweise (wie non-vibrato - vibrato, portamenti usw.) zwischen ihrer Ausbildungszeit und den 1920ern- 1940ern, die sie alle noch aktiv musizierend oder dirigierend erlebten, nie oder kaum je zum Thema von Diskussionen, Artikeln usw. gemacht hätten. Auch bei einem allmählichen Wandel über mehrere Jahrzehnte von 1890 bis 1920 oder so, ist doch davon auszugehen, dass es eine erhebliche Zahl von "Konservativen" gab, die an (einigen) stilistischen Merkmalen der älteren Zeit festgehalten hätten.
Es mag ja total naiv sein, aber mir scheint es doch viel naheliegender "authentischen" Brahms oder Mahler von Musikern zu erhalten, die im unmittelbaren Umkreis dieser Komponisten ausgebildet wurden als aufgrund von hypothetischen Rekonstruktionen knapp 100 Jahre später.
Wie zuverlässig die Traditionen über eine oder zwei weitere Generationen in die Vergangenheit (also zu Chopin bzw. Beethoven) überliefert wurden, ist wohl eine andere Sache.
Kater Murr