Beiträge von Kater Murr

    Das ist, so wie es dasteht, eine Annahme oder besser gesagt: ein Analogieschluß ("there must have been..."), der nicht notwendigerweise zutreffend sein muss. Und auch wenn der folgende Satz mit "I would suppose" fortfährt, stört mich in diesem Zusammenhang das Wort "certainly". "Maybe" fände ich angemessener.

    Wenn der unterstrichene Satz richtig (bzw. sehr gut historisch belegt ist), ist der "there must be..."-Satz eigentlich gar kein Schluss, sondern nur eine Erläuterung, oder? Allerhöchstens wird aus einer konkret belegbaren Veränderung (Änderung des Bogens oder der Bogenführung) auf "a fundamental change of style" geschlossen. Mir ist als Streicherunkundiger allerdings nicht klar, ob diese Veränderung selbst schon einen solchen fundamentaler stilistischer Wandel darstellt (oder nur ein Teil eines solchen). Wenn jedenfalls der Wandel, der im ersten Satz behauptet wird, gut belegt ist, ist nichts weiter notwendig, um zu behaupten, dass Norrington historically wrong ist. (Mal abgesehen von prinzipiellen Möglichkeiten, wie dass der Wandel zu Beethovens Zeiten bis zum Ende des Jahrhunderts wieder rückgängig gemacht worden wäre. Aber das behauptet wohl nicht einmal Norrington.)

    Wie gut das alles gestützt ist, wage ich nicht zu beurteilen. Es wäre allerdings doch sehr verwunderlich, wenn wir über Spielweisen um 1900 *weniger* wüssten als über solche im 18. Jhd. *Schlechter* belegt als die üblichen Hypothesen zu HIP des 17. u. 18. Jhds. können Artners Behauptungen wohl kaum sein.

    Wie schon mehrfach gesagt wurde, fände ich es ziemlich unverständlich, wenn tausende von Musikern (darunter dutzende von sehr berühmten und auf Schallplatten dokumentierten), die vor oder um 1900 ausgebildet worden sind, erhebliche Wandlungen in Stil und Spielweise (wie non-vibrato - vibrato, portamenti usw.) zwischen ihrer Ausbildungszeit und den 1920ern- 1940ern, die sie alle noch aktiv musizierend oder dirigierend erlebten, nie oder kaum je zum Thema von Diskussionen, Artikeln usw. gemacht hätten. Auch bei einem allmählichen Wandel über mehrere Jahrzehnte von 1890 bis 1920 oder so, ist doch davon auszugehen, dass es eine erhebliche Zahl von "Konservativen" gab, die an (einigen) stilistischen Merkmalen der älteren Zeit festgehalten hätten.

    Es mag ja total naiv sein, aber mir scheint es doch viel naheliegender "authentischen" Brahms oder Mahler von Musikern zu erhalten, die im unmittelbaren Umkreis dieser Komponisten ausgebildet wurden als aufgrund von hypothetischen Rekonstruktionen knapp 100 Jahre später.
    Wie zuverlässig die Traditionen über eine oder zwei weitere Generationen in die Vergangenheit (also zu Chopin bzw. Beethoven) überliefert wurden, ist wohl eine andere Sache.

    Kater Murr

    Schlechte Textverständlichkeit, unschöne Klangfarbe und einen durch Manierismen zerstörten bzw. nicht vorhandenen "Fluß" der Melodie finde ich ziemlich objektive Merkmale einer Gesangsdarbietung (bei Schwarzkopf gibt es mitunter alle drei, so im Brahms-Requiem unter Klemperer, meisten mindestens zwei davon) Man kann das aber immer noch unterschiedlich bewerten und andere Merkmale der Interpretation höher stellen.

    Das ist genauso wie bei den Pianisten. Es ist vermutlich weitgehend unstrittig, dass technisch-motorisch nicht nur Pollini, sondern beinahe jeder heutige Konservatoriumsabsolvent dem 80jährigen (wahrscheinlich auch dem 25jährigen) Kempff überlegen gewesen ist . Das sind aber nicht die einzigen Merkmale, die die Qualität einer Interpretation ausmachen (auch wenn sie leichter objektivierbar sind als Qualitäten der Klangfarbe oder Phrasierung).

    Kater Murr


    Das mag ich als Holzbläser, der zumindestens ein wenig daran gewöhnt ist, auf andere Holzbläser zu hören, nicht bestätigen. Auf meine Ohren wirken die klassischen Originaltröten (bzw. deren Kopien) immer deutlich flacher, eindimensionaler und damit klanglich scherenschnittartiger als gut gespielte moderne Holzblasinstrumente.

    Im Hinblick auf Tastenintrumente bin ich alles andere als ein Spezialist, aber da gilt für mich bislang Vergleichbares: Wenn ein wirklicher Könner auf einem modernen Flügel spielt, höre ich neben einem grundsätzlich runderen Klang und einer größeren dynamischen Spannbreite auch viel mehr Farben und Schattierungen als bei dem sicherlich ebenfalls meisterlich spielenden HIP-Kollegen.

    ich meinte nicht in erste Linie die Instrumente als solche, sondern den Gesamtklang, der sich einstellt. Nun liegt das natürlich teils auch daran, dass eine große Zahl älterer Aufnahmen hoffnungslos streicherdominiert ist (und am Ende die Holzbläser nicht gut gespielt werden) und diese relativen Gewichte der Klanggruppen bei HIP ganz anders sind. Meistens wird ja behauptet, dass alte Instrumente obertonreicher seien und anders (teils schlechter, teils besser) miteinander verschmelzen als moderne. (Eigentlich sollte so etwas doch meßbar sein, man kann doch eine Frequenzanalyse des Obertonspektrums machen?). Voller ist insofern sicher keine so richtig gute Beschreibung, zugegeben. Dennoch empfinde ich z.B. Schuberts Oktett wesentlich farbenreicher mit Originalinstrumenten als im auf mich homogener wirkenden Klangbild moderner Instrumente.
    Und wo Harnoncourt m.E. ganz klar recht hat, ist, dass bei modernem Blech im piano der Schmettereffekt fehlt. Frage ist eben nur, bis wann man den überhaupt haben wollte und ab wann man den Farbeffekt, den moderne Trompeten im piano ergeben, bevorzugte

    Bei Tasteninstrumenten bin ich dagegen geneigt, Dir zuzustimmen. Es fällt mir schwer, die klanglich stärker voneinander abgehobenen Register nicht als störend inhomogen wahrzunehmen. Die Verfechter finden aber anscheinend gerade das schön und charakteristisch und den Klang moderner Flügel als "Einheitsbrei".

    Das scheint mir letztlich der entscheidende Punkt. Man könnte sich sogar einig sein, was "dünn" und was "voll" klingt. Aber der eine hört bei "voll" eben "fett" und "Einheitsbrei", im andern Fall charakteristische Klangfarben in unterschiedlichen Registern und Lagen. Der andere inhomogenes Gequieke bzw. einen satten, gleichmäßigen Sound.

    Viel interessanter finde ich aber eigentlich andere Dinge. Von wenigen Ausnahmen, wie den o.g. Harnoncourt, Jacobs abgesehen pflegen die HIPisten eine sehr geradlinige Interpretationsweise. Vermutlich ist das, zumindest bei Orchestermusik, nicht so falsch. (Wenn man keine oder kaum Proben hat, kann man nur relativ geradlinig durchspielen, sonst gibt es völliges Chaos.) Dennoch wäre zu überlegen, ob nicht zumindest einige Klavier- und Kammermusik wesentlich freier gespielt werden sollte. z.B. eine "Sonata quasi una fantasia"? Vor solcher "Subjektivität" schrecken jedoch die meisten zurück. Die Quellen geben hier nach meinem Stand widersprüchliche Auskünfte, was rubato u.a. Freiheiten betrifft. (Von Beethoven wird sowohl überliefert, dass ein Tempo nur für den Beginn eines Satzes gelten würde als auch, dass Schwankungen nur für "feine Ohren" vernehmlich sein sollten...)

    Kater Murr

    Warum darf man eigentlich loben, obwohl man keine Ahnung hat, aber nicht kritisieren?
    Das eine ist doch so laienhaft wie das andere, aber wenn man beides lassen müsste, könnte man wohl die Internetforen gleich zusperren.

    Es ist auch gewiß nicht richtig, dass alle Pianisten, die eine größere Zahl von Aufnahmen hinterlassen haben, ihr Instrument in gleicher (oder gar alle in vollkommener Weise beherrschen). Dass hier z.B. zwischen Pollini und Kempff ein nicht unbedingt zu vernachlässigender Unterschied besteht, kann auch ein Laie, etwa anhand der Fuge in op.106 oder Schumanns op.17, ii o.ä. nachvollziehen (Prokofieffs 8. Sonate oder die Chopin-Etüden hat Kempff vermutlich nicht gespielt). Und weniger offensichtliche, aber hörend auch nicht allzuschwer erkennbare Unterschiede gibt es eben auch in den Klangfarben, die unterschiedliche Pianisten ihren Instrumenten zu entlocken vermögen usw. (Vgl. z.B. Backhaus und Gulda einerseits, Michelangeli oder Zimerman andererseits) Daraus folgt keine endgültige Wertung, aber das sind schon objektive Unterschiede (nur hinsichtlich zweier grob umrissener Aspekte).

    Kater Murr

    Überschätzt:
    Backhaus, Kempff. Backhaus ist knochentrocken, farblos, Kempff nur bei lyrischen und technisch einfachen Stücken akzeptabel (sonst schnell überfordert und man kann nichts mehr erkennen). Beide Tendenz zur Langeweile und Mangel an Kontrasten (z.B. chnelle Sätze zu langsam, langsame zu schnell). Keine Ahnung, warum die einen solchen Status genießen.

    Brendel; nicht weil er irgendwie schlecht wäre, aber der Mozart/Beethoven/Schubert-Papst-hype ist völlig übertrieben und höchstens bei Mozart ein wenig gerechtfertigt

    unterschätzt:
    Kovacevich (sehr guter Beethoven), Christian Zacharias (Mozart, Scarlatti, auch etwas Schumann)

    Kater Murr

    RE: RE: Beethovem-KK mit Glenn Gould


    ;( Was mir nicht gefällt:
    Vom KK Nr.5 unter Stokowsky hätte ich wahrlich eine packendere Orchesterbegleitung erwartet. Ich finde besonders den 1.Satz mit 21:58 viel zu ausgewalzt langsam - auch hier liegen mir die 19:22 bei Fleisher/Szell und die 19:32 bei Gilels/Masur, und insgesamt nicht nur vom Tempo her, eindeutig mehr. Das Finale empfand ich als OK.

    Finde ich ebenfalls nicht ideal. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass Gould ein schnelles und ein langsames Tempo für den Kopfsatz parat hatte und sich, vielleicht aufgrund von Stokowski, für das "langsame" entschieden hat.
    3 und 4 sind mir auch ein wenig zu breit genommen, aber 1 und 2 gehören zu meinen Lieblingsinterpretationen. Das liegt nicht zuletzt an Golschmann, der nicht nur Pauken und Bläser krachen läßt, sondern insgesamt den "militärischen" Charakter im Kopfsatz von 1 herausspielt. Und der Kontrast mit dem eher träumerisch genommenen Mittelsatz ist wunderbar deutlich.

    Kater Murr

    HIP-Klang ist nicht notwendigerweise dünn. Im Gegenteil kommen bei guten Aufnahmen die Holzbläser farbiger rüber und damit kann der Gesamtklang sogar voller wirken. Dünn klingen eben nur leider viele Hammerklaviere, sobald mehr als eine Handvoll weiterer Instrumente dabei sind. So bin ich auch nach einigen Jahren mit der gewiß sehr guten Einspielung der Mozart-Konzerte mit Bilson/Gardiner nicht recht warm geworden, weil der Klimperkasten in Konzerten mit massiver Bläserbesetzung wie 482 oder 491 einfach anämisch gegenüber dem Orchester wirkt.

    Bei Soloaufnahmen und Kammermusik, wo man wohl auch entsprechende Räume und Mikro-Abstände wählt, ist das was anderes.

    Kater Murr

    Einverstanden. Allerdings kannn durch gelungene HIP-Wiedergaben scheinbar vertraute Wendungen überraschend neu gehört werden. Deshalb würde ich HIP nicht zu klein reden. Ich denke z.B. an die Beethoven-Klaviersonaten-Wiedergaben durch Brautigam.

    Mal abgesehen davon, dass hier ein altes Klavier ausnahmsweise gut klingt, finde ich Brautigam zwar durchaus gut, aber weitgehend vergleichsweise konventionell... :rolleyes:

    Staier hat momentan anscheinend die Diabelli-Variationen im Konzertprogramm. Von ihm sind jedenfalls Beethovensche Solosachen oder Klavierkonzerte lange überfällig...

    Zitat


    Interessant wären auch Beethovenschen Quartette als HIP. Gibt es da etwas ?

    sehr wenig. 3x op.18 (Mosaiques, Turner u. Smithsonian Q.), nur vereinzelte der mittleren Quartette. Das Q. Mosaiques hat op.130/133 im Konzert gespielt, aber Aufnahme ist mir keine bekannt.

    Besonders bei Beethoven besteht m.E. insofern ein ziemlich großer Unterschied in der "Neuheit" des HIP-Zugangs gegenüber anderen Komponisten, weil hier einfach schon seit Beginn der Tonaufzeichnung ziemlich unterschiedliche Zugänge dokumentiert sind. Dagegen wurden ja von Barockmusik (und teils auch Haydn u. Mozart), überhaupt nur relative wenige ausgewählte Stücke wahrgenommen und auch nicht in einer solchen Bandbreite dargeboten. (Klar es gibt Ausnahmen wie Furtwänglers romantisch-dramatischer Mozart, Scherchens Haydn u.a.) Bei anderen Komponisten ist es aufgrund der geringeren Vielfalt viel einfacher z.B durch einen HIP-Zugang neue Aspekte herauszustellen.

    Kater Murr

    Kann ich als absoluter HIP-Laie mal fragen, ob HIP direkt mit der alten Aufstellung der Streicher (Kontrabässe/erste Geigen links, Bratschen/Celli in der Mitte, zweite Geigen rechts) einhergeht oder ob sich die konventionelle Instrumentation und neue Streicheraufstellung nicht parallel entwickelt haben?

    Die "alte" "deutsche" Streicherpositionierung war bis Mitte des 20. Jhds. wohl weiter verbreitet, ungeachtet vibrato, Riesenorchester, rubato, Instrumentationsretuschen usw. Diese Frage liegt m.E. quer zu HIP, obwohl sich Hipisten natürlich eigentlich an die alte Aufstellung halten sollten. (Allerdings hat sich diese Sitzordnung als "Standard" wohl auch erst um 1800 (?) herausgebildet.) Das geht soweit, dass Harnoncourt (leider!) bei den Beethovensinfonien mit dem COoE ebenso wie beim Mozart mit dem Concertgebouw-Orchester die Aufstellung mit allen Geigen links vom Dirigenten verwendet.

    Kater Murr


    Als Grund für die mangelnde Technik der genannten Herren (Herreweghe könnte man zusätzlich auch noch anführen) könnte ich mir vorstellen, daß sie eine gute Dirigiertechnik schlicht nicht brauchen. Sie musizieren meistens mit eingespielten kleinen bis mittelgroßen Ensembles, die sehr wohl auch ein Musizieren ohne Dirigent gewohnt sind. In solchen Fällen mag der Dirigent eher die Funktion eines musikalischen Inspirators und Motivators haben, der in das eingespielte Orchester neue Sichtweisen bringt, als daß ein Taktschläger gefragt wäre, der den Laden zusammenhält und Einsätze gibt. Ist aber nur eine (meine) Hypothese.

    Ich wage das nicht zu beurteilen. Mir leuchtet eigentlich nicht ein, warum die Matthäuspassion oder die Schöpfung so viel einfacher zu dirigieren sein sollten als eine Bruckner-Sinfonie. Ich habe aber vor ca. 10 Jahren mal ein Interview mit Herreweghe gelesen, in dem der damals sagte, dass er gerne eine Brucknersinfonie machen würde, aber es sich technisch noch nicht zutraute (inzwischen hat er ja einige dirigiert).

    Harnoncourt hat jedoch seit ca. 30 Jahren großbesetzte Orchester, die er nicht schon seit Jahrzehnten kannte (wie den Concentus musicus), geleitet: Zuerst an der Oper in Zürich sowie das Concertgebouw und die Wiener Sinfoniker, später auch Berliner und Wiener Philharmoniker, und zwar eben auch mit Sinfonien von Schumann, Brahms, Dvorak oder Bruckner. Ich kann mir eigentlich nicht so recht vorstellen, zumal er am Anfang dieser Zeit auch noch nicht so bekannt gewesen ist, dass solche Profis freiwillig immer wieder mit einem technischen Stümper arbeiten würden. Wenngleich sie wohl nicht unbedingt einen benötigen, musizieren sie üblicherweise immer mit Dirigent.
    Es gibt vermutlich auch unter traditionellen Dirigenten welche mit eigenwilliger oder unpräziser Technik. Insofern ist das bei guten Orchestern in vielen Fällen heute wohl nicht mehr so zentral.

    Kater Murr

    Ich habe Jacobs noch nie in Aktion gesehen, Harnoncourt im Fernsehen, das ist mir eigentlich nicht als extrem aufgefallen.

    (Über Furtwängler gibt es übrigens ähnliche Witze bzw. Fragen, wie die Musiker überhaupt wissen sollten, wann sie ohne ordentliche Einsätze spielen sollten.)

    Letztlich kommt es auf das Ergebnis an und natürlich, ob die Musiker damit zurecht kommen. Anscheinend ist letzteres der Fall. Zumindest auf der Aufnahme von Haydns 92 ist das Orchester ungeachtet des Höllentempos im Finale gut zusammen. Vermutlich funktioniert diese Vorgehensweise aber nur bei sehr guten Orchestern.

    Kater Murr

    Die Krapp-Aufnahmen müssten aus den späten 1970ern und vielleicht noch frühen 1980ern sein. Mich wundert auch, dass die nichtmal auszugsweise auf CD aufgetaucht sind, zumal das bis in die letzten Jahre kein allzu dicht beackertes Terrain gewesen ist. Ich habe nicht alle dieser LPs (z.B. nicht die mit dem Virginal, glaube ich), aber die bekanntesten Stücke (Es gibt auch noch die Orgelkonzerte, die wirken aber heute eher altmodisch). Krapp war (ist?) hauptsächlich als Organist aktiv.

    Von den 8 Suiten der Sammlung von 1720 gibt es ziemlich viele Einspielungen. Außer mit Dantone noch eine bei Hyperion, Scott Ross bei Erato, Ludger Remy bei cpo und sicher noch ein paar mehr. Auch weniger bekannte Stücke hat Sophie Yates auf Chandos eingespielt. Ansonsten tauchen die oft eher als Füller auf; jenseits der 8 bekanntesten Suiten und der allgegenwärtigen Chaconne sieht es recht dünn aus.
    Erst recht auf dem Klavier: Richter/Gavrilov teilen sich die 8 "großen" sowie einige weiter Suiten (Chaconne fehlt, ebenso die B-Dur, aus der das Thema der Brahms-Variationen stammt), Keith Jarrett hat eine Auswahl-CD gemacht, Perahia 3 Suiten und die Chaconne (mit Scarlatti). Schirmer kürzlich die 1720 und 1733 Suiten.

    Was interessant sein könnte, wovon ich letztes Jahr mal im Radio gehört habe, ist eine Einspielung, die unlängst gefundene Ausgaben mit ausgeschriebenen Verzierungen (eines anderen Musikers) berücksichtigt. Ich weiß nicht, wer das spielt und auf welchem Label, aber anscheinend ist der philologische Befund, dass man bisher viel zu zaghaft verziert hat, wenn die seinerzeitige Praxis durch diese Abschriften mit Auszierungen angemessen dargestellt wird.

    Kater Murr

    Ich habe erhebliche Zweifel, dass die Darstellung der Konzerte in der ersten Hälfte des 19. Jhds. so angemessen ist. Mir scheint das ziemlich überzeichnet. "Lautstarkes Abwickeln von Geschäften" halte ich für Blödsinn.
    Es gab Beifallsbekundungen nach Sätzen oder auch mal mitten im Satz (vgl. Mozarts Bericht von der Premiere der Pariser Sinfonie), ebenso mitunter dacapos einzelner Sätze, die besonders gefallen hatten. Teilweise wurden zwischen den Sätze von Sinfonien andere Stücke gespielt. Das dürfte zwar nach Beethovens Tod eher selten gewesen sein, aber angeblich fiedelte Clement noch bei der Erstaufführung ein eigenes Virtuosenstückchen nach dem Kopfsatz des Beethovenschen Violinkonzerts.

    Viele von diesen aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Reaktionen sprechen aber durchaus dafür, dass die Musik im Mittelpunkt stand und sehr bewußt rezipiert wurde.

    Letztlich muss man sich aber davor hüten, naiv darauf zu schließen, historische Rezeptionsbedingungen seien die "richtigen" oder ideal gewesen. Es war ganz sicher nicht ideal, Beethovens 5. zum ersten Mal in besagtem Monsterkonzert im Dezember 1808 (?) in ungeheiztem Saal, ohne ausreichende Proben (so dass wohl ein Satz abgebrochen und von neuem begonnen werden musste) zu hören.
    Wiederum spricht aber die Tatsache, dass sich das Publikum etliche Stunden lang in der Kälte dieser neuartigen Musik ausgesetzt hat, nicht gerade dafür, dass des denen um Flirten und Geschäftemachen ging. Das hätte man auch anderswo tun können.

    Kater Murr

    Tatsächlich ist es bei Betrachtung der Partitur im Vergleich zu vielen Aufnahmen genau anders herum. Gerade bei Einspielungen der Achten wird oft missachtet, dass Bruckner alle zügigen Tempi abschattiert ("moderato" oder noch deutlicher "nicht schnell"). Hingegen ist es dann aber so, dass sehr viele der mir bekannten eingespielten Scherzi der Achten locker in Ganzen geschlagen werden könnten, und das ist dann eben nicht mehr "moderato" - meine ich. Aber Tempo ist bei Bruckner ja oft ein Thema, ich selbst hadere damit, ob man im Umgang mit seinen Angaben flexibel sein darf oder nicht. Bei der Achten denke ich, es ist unumgänglich unflexibel zu sein. Aber ich drifte mal wieder ab...

    Gibt es denn Metronomangaben zur 8.?
    Ich habe oben im wesentlichen meine Eindrücke von unterschiedlichen Aufnahmen geschildert. Was die Forschung sagt, weiß ich nicht. Soll denn "Allegro moderato" schneller oder langsamer sein als das übliche "Bewegt, nicht zu schnell"? Spontan hätte ich ja gesagt, dass die deutsche Angabe ein langsameres Tempo (ein moderato ohne allegro) ausdrückt. Aber die MM für das Finale der 7. ist ein wenig schneller als für den Kopfsatz. Sollen die Kopfsätze in 7 und 8 vom Grundtempo etwa gleich schnell sein (beide "Allegro moderato" 2/2)? Ein "echtes" Allegro gibt es ja bei Bruckner fast nie, daher ist mir auch nicht klar, was das für das Scherzo der 8. heißt. Wenn "sehr schnell" beim Scherzo der 7. Sinf. 80 Takte pro Minute bedeutet, könnte "allegro moderato" ebenso z.B. 50 Takte pro Minute bedeuten wie ein langsameres Tempo "in 3", sagen wir Viertel = 120. Es kommt auch auf Betonung, Phrasierung, Artikulation usw. an, man kann auch bei 150 Vierteln/Minute sehr deutlich den Eindruck von "in 3" haben oder bei 35 Dreiertakten/Minute von "in 1". Bei Beethoven ist das ziemlich systematisch, aber eben immer abhängig vom Satztyp, wie Kolisch gezeigt hat. Keine Ahnung, wie das bei Bruckner aussieht...
    Nur habe ich, wie gesagt, oft den Eindruck, dass die bereits auskomponierte Breite durch zusätzliche breite Tempi übertrieben wird.

    Kater Murr

    Da bin ich froh, dass ich so laienhaft höre und mich nicht konzentriere. Der Monstersatz ist mir manchmal zu kurz.

    vielleicht kannst Du dich (jedenfalls bei Bruckner) auch einfach besser konzentrieren als ich ;+)
    Die beiden ersten Sätze in Bruckner 8 sind auch objektiv wesentlich simpler als die beiden anderen, nicht nur kürzer.

    Evtl. bin ich in letzter Zeit einfach zu faul. Aber ich komme mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass breit angelegte Werke tendenziell überschätzt werden (sie sind lang und laut, müssen also einfach grandios sein) und angebliche "Miniaturen" (z.B. von Chopin oder Schumann) unterschätzt. (Jedenfalls ist mir selbst das lange so gegangen.) Die Intensität hat ja nichts mit der Dauer zu tun.
    Das gehört nun nicht in einen thread zu einer Brucknersinfonie. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass manche Interpreten diese eben noch breiter auswalzen als sie ohnehin schon sind, was nicht unbedingt zu ihrem Vorteil gereicht.

    Kater Murr

    Oder, jetzt mal ganz hypothetisch: Ich mag die 7. einfach weniger als die andere Symphonien? Ich weiß, das klingt absurd.

    Warum das denn? Warum solltest Du sie nicht weniger mögen dürfen?

    Zitat


    Ich bleibe dabei, die 7. ist MIR zu wenig brucknerisch um meine LIEBLINGSsymphonie zu werden. Ich mag den Bruckner aus 3, 5, 6, 9 und weniger aus 7 oder noch weniger aus 4. Daran kann höchstens die Zeit was daran ändern, schließlich zählte ich ja auch mal Mozart zu meinen Lieblingskomponisten. Die Zeit heilt alle Wunden... :hide:

    Ich mag die 7. gerade, weil sie vergleichsweise unbrucknerisch ist. Die 4. allerdings eher wenig (die halte ich jedoch für durchaus "brucknerisch" und es scheint ja auch lange die mit Abstand populärste gewesen zu sein). Dass sie irgendwie langatmiger sein soll als die anderen, kann ich kaum nachvollziehen, höchstens wenn die ersten beiden Sätze zu breit genommen werden (der zweite ist etwas repetitiv, aber das ist ja kein Alleinstellungsmerkmal, sondern bei Bruckner ein feature, kein bug). Die letzten beiden sind sehr kompakt wie schon mehrfach betont wurde.

    Auf einer ganz banalen Ebene finde ich das "hörpsychologisch" wesentlich angenehmer als bei der 8., wo einem für Bruckner sehr kompakten und recht einfach zu überblickenden Kopfsatz ein (zu) langes (und oft zu langsam genommenes) Scherzo und dann eben zwei Monstersätze folgen, für die die Konzentration bei mir einfach oft nicht ausreicht, so grandios sie (besonders das adagio) auch sein mögen.

    Man darf übrigens Mozart und Bruckner mögen, auch wenn letzterer wohl schon so manchem den Geschmack verdorben hat :D

    Kater Murr

    RE: Aufnahme mit Alain Planès


    Schöne Aufmachung, wie fast immer bei HM-Gold. Intelligenter Text im Beiheft über die Préludes, mit Notenbeispielen. Nur die Aussage, das längste Stück aus op. 28 (das Des-dur-Prélude) dauere etwa drei Minuten, fand ich erstaunlich: der moderate Planés braucht knapp sechs Minuten, Sokolov über sieben. Gibt's überhaupt jemanden, der das unter 4:30 spielt?

    Samson Francois ist der schnellste, den ich auf dem Schirm habe, der braucht ziemlich genau 4:30, üblich scheint mir eher 5:30-6 min. Bei 3 min würde man das Stück kaum noch erkennen. Bei Sokolov dauern auch noch ein paar andere länger als 3 min... (Fis- und As-Dur, wenn ich recht erinnere).

    Schumann kann eigentlich kaum von der bloßen Kürze der Stücke verwirrt gewesen sein. Im "Carnaval" dauern nur Anfangs- und Schlußstück normalerweise etwas länger als 3 min... und in den Kinderszenen auch nur "Träumerei", oder?

    Kater Murr

    Es gibt zumindest für den Kopfsatz Metronomangaben; ich weiß aber nicht, ob die von Bruckner selbst stammen. MM: 58 für *halbe Noten* am Anfang. Allerdings soll das Tempo für das 2. (B "ruhig" MM 108 für Viertel) und 3. Thema (E "ruhig" MM 96 für Viertel) langsamer! werden, die meisten Dirigenten beginnen wohl eher langsam und werden dann in der Schlußgruppe *schneller*! Klemperer ist, wie ich irgendwo mal gelesen habe, einer der wenigen, die das von den Verhältnissen her "richtig" machen (ob von den absoluten Tempi weiß ich nicht).
    Zügige Interpretationen wie Gielens u.a. benötigen etwa 18 min für den Kopfsatz und wie schon gesagt wurde ca. 20 min für das Adagio. Ich glaube allerdings, dass die Tempounterschiede in anderen Brucknersinfonien teils ähnlich extrem sind.

    Die Partitur bei IMSLP hat dann 68 für Achtelnoten für das Adagio, (92 für das 3/4-Moderato), punktierte Halbe (also Takte) = 80 für das Scherzo (42 für das Trio, auch seltsam "etwas langsamer" bedeutet hier anscheinend "halbes Tempo"...) und Halbe = 63 für das Finale

    Kater Murr

    Zemlinsky-Streichquartette & Apostel - LaSalle

    ***Unterschreib***


    Was hast Du denn erlebt? Interessiert mich tatsächlich, weil mir da noch tatsächlich noch nie irgendetwas Negatives aufgefallen ist - und bisher ist mir auch erst eine einzige unspielbare Brilliant-CD untergekommen, das ist schon zig Jahre her.

    in einem Hifi-Forum haben wohl Leute solche Test gemacht, wo bit für bit verglichen werden. Eigentlich eher um herauszufinden, ob evtl. Remaster/Klangunterschiede zu älteren originalen Veröffentlichungen bestehen. Und da kam wohl (teilweise, nicht flächendeckend) eine ziemlich hohe Fehlerrate (also Fehler, nicht Abweichungen gegenüber einer älteren Ausgabe.
    Ich selbst hatte mal zwei problematische CDs in einer billigen Mendelssohn-Box. War aber nicht so schlimm, da ich die eh wegen anderer Stücke hatte haben wollen.

    Zitat

    Bei einigen Eigenproduktionen hat Brilliant IMO sogar ganz vorzügliche Booklets (ich denke nur mal an die Gesamteinspielung des Mozartschen Klavierwerks mit Bart von Oort - u.a. enthält dsa Booklet ganz großartige Einführung zu den verwendeten Instrumenten und Begründungen, warum welches Instrument für welches Werk verwendet wurde usw.).

    Ich habe bewußt den Vorwurf nicht gegenüber Brilliant erhoben. So richtig gute Beihefte, wie Du sie nennst, habe ich dort zwar noch nicht angetroffen. Aber nach Informationen von Leuten, die die Originalausgaben der 2. Wiener Schule Quartette haben, war seinerzeit beinahe ein Buch dabei. (Ein Bekannter hat mir mal das ebenfalls recht umfangreiche Beiheft zu den späten Beethovenquartetten kopiert, wobei ich fürchte, das inzwischen verlegt zu haben...)

    Ich habe gar nichts gegen Zweitverwertung. Aber diese Zemlinsky (und auch die 2. Wiener Schule) Aufnahmen waren damals Pioniertaten, vermutlich von einigen Werken die ersten Einspielungen überhaupt, mit einem maßstäbdlichen Ensemble. Es ist ja nicht so, dass die DG drei neuere Digitalaufnahmen dieses Repertoires im laufenden Katalog hätte, oder auch nur eine.
    (Bei dem ebenfalls bei Brilliant angelangten Oratorium Das Paradies und die Peri unter Sinopoli könnte man immerhin vermuten, dass sie ihrer neueren Einspielung unter Gardiner keine Konkurrenz machen wollten. Ähnlich beim späten Beethoven)
    Jeder mediokre Mist von Karajan oder Kempff oder wem auch immer wird in regelmäßigen Abständen, selbst wenn noch problemlos greifbar, in einer Gold- oder wenigstens einer eigenen Billig-Edition herausgebracht. Aber eine Aufnahme, die wirklich ein originelles Original gewesen ist, verschachern sie an Brilliant...

    Kater Murr


    Warum tust Du eins davon nicht einfach, sondern schleichst hier um den heißen Brei rum, Kater?

    Das tun wir Katzen, um uns nicht die Zunge zu verbrennen. Ich gebe auch keine all-time-top-ten, aber meinetwegen Schumann und Beethoven.

    Beethoven:
    op.131, 9. Sinfonie, Eroica, Missa solemnis, op.106, op.109, op. 59,1, op.132, 4. Klavierkonzert, Diabelli-Variationen

    Schumann:
    Klavierkonzert, 4. Sinf., Davidsbündlertänze, Kreisleriana, Fantasie C-Dur, Klavierquintett, Eichendorfflieder op.39, Dichterliebe op.48, Carnaval, 2. Sinfonie

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