Beiträge von Recordatorio

    Ich finde auch, dass die besondere Stärke Kestings in den Beschreibungen einzelner Aufnahmen liegt - auch mit gelegentlich tief in die Rollen-Profile, in den künstlerischen Ausdruck einer Musik eintauchenden Einlassungen. Ich finde sogar wiederum eine 'Schwäche' seines Buches, dass er nicht vielmehr (sondern nur in einzelnen Diskursen, etwa zu Tristan oder Otello) an ROLLEN bzw. bestimmten Musiken entlang argumentiert und da vergleicht, sondern eben letztlich doch v. a. die Sänger diskographisch vorstellt. Denn m. E. liegt seine Stärke in der Analyse des Ausdrucks einzelner Interpretationen.

    Darauf habe ich schon lange gewartet...


    Endlich Mozart vom Thron gestoßen!

    Also mit vier Opern unter den Top-10 finde ich den einzigen Mozart nicht wirklich "vom Thron" gestoßen, bzw. dann besetzt er alle wichtigen Stellen im Palast ;).. dass meine Lieblings-Elektra auf Platz 6 gelandet ist, freut mich über die Maßen, und auch sonst bin ich recht d'accord mit der Liste (auch wenn mir eine andere Verdi-Oper als ausgerechnet Don Carlo unter den Top 10 mehr behagt hätte).

    Da kam enorm viel rüber, aber rein sängerisch überzeugte sie mich der Rolle nicht.


    Mich auch nicht. (Habe sie schon in den Neunzigern mal live in der Rolle erlebt, an der Berliner Staatsoper, wovon auch der Mitschnitt auf CD vorliegt.. und dann immer mal wieder DVD-Mitschnitte.) Und dabei ist/war sie sängerdarstellerisch in der Rolle wirklich 1a. Mich würde interessieren ob irgend jemand irgendeine Rolle von ihr kennt, wo er sie für "rein sängerisch" erste Sahne hält? Mir ist keine bekannt. Ich verehre sie unendlich als musikalische Darstellerin aber von den frühen Kundry-Aufnahmen mal abgesehen, gibt es eigentlich keine Tondokumente wo sie auf der "Klangbühne" komplett überzeugt, oder?

    Wie wäre es, wenn jeder Mitspieler sich vornimmt, 1 bis dato unbekannte Oper, die er/sie auf den Listen der anderen gesehen hat und die ihn/sie in irgendeiner Art und Weise reizt, als "Patenoper" für das neue Jahr "adoptiert" um sie in Form einer Aufnahme/Aufführung/Partitur im Laufe des Jahres kennenzulernen und Ende 2015 (im Rahmen der neuen Opernmeisterschaft) kurz zwei, drei Sätze dazu schreibt wie es ihm/ihr damit ergangen ist.

    Super Idee. Ich kenne unglaublicherweise die Trojaner von Berlioz noch nicht und werde das in diesem Jahr ändern.

    1. Berg: Wozzeck (Büchner)


    2. Verdi: Othello (Shakespeare)


    3. Strauss: Salome (Wilde)


    4. Janacek: Totenhaus (Dostojewski)


    5. Debussy: Pellèas (Maeterlinck)


    6. Strauss: Elektra (Hofmannsthal)


    7. Berg: Lulu (Wedekind)


    1, 4 und 6 unterscheiden sich für mich von den anderen, weil ich da die Vorlagen sehr schätze, bei den anderen habe ich jeweils Bauchschmerzen und die Oper kann für mich vieles eh nur besser machen als das jeweilige Stück (obwohl man da bei den Wedekind-Texten sicher trefflich drüber diskutieren kann).

    1. Strauss: Elektra


    2. Mozart: Figaro


    3. Wagner: Tristan


    4. Strauss: Ariadne


    5. Mozart: Cosí


    6. Verdi: Simone Boccanegra


    7. Wagner: Tannhäuser


    8. Puccini: Butterfly


    9. Bartok: Blaubart


    10. Zimmermann: Soldaten


    11. Wagner: Rheingold


    12. Wagner: Lohengrin


    13. Berg: Lulu


    14. Debussy: Pelleas


    15. Puccini: Tosca


    (Warum die Tosca nach Jahren, ja Jahrzehnten des sicheren Stands unter den Top 3 auf einmal so mein Interesse verloren hat, ist mir selbst nicht ganz klar..)

    Vermutlich bin ich hier graugansmäßig vorgeprägt, trotzdem: Der Böhm-Tristan gehört zu den ersten LPs, die ich seinerzeit erworben habe, und ich habe die Aufnahme oft und gern gehört. Wolfgang Windgassen mit seiner weltentrückten Melancholie finde ich als Tristan absolut passend; auch für Martti Talvela habe ich eine Schwäche.


    Für mich eine der großen Tristan-Aufnahmen.


    So ist es.


    (Habe grade nach langer Zeit mal wieder den III. Akt gehört, in dieser Aufnahme. Windgassen hat eigentlich nicht die stimmlichen Reserven dafür, aber er mobilisiert und disponiert sie TROTZDEM, was ein Triumph des Willens und Intellekts ist der wiederum sehr merkwürdig und faszinierend zu der Figur stimmt.)

    Nochmal Klytämnestra

    Der Einführungsbeitrag, liebe Ulrica, hat ja aus ihr eine Art widerwärtige Schabracke gemacht. Abgesehen davon dass Strauss irgendwo schrieb, dass er sie durchaus gern würdevoll dargestellt hatte, und auch abgesehen davon, dass er sicher die geistige Umnachtung seiner eigenen Mutter in Klytämnestras Figur mitverarbeitet hat - ich finde das, was Du generell zu den Schreckschrauben schriebst, nämlich dass sie auf den zweiten Blick überraschend Logisches usf. verraten, trifft in vieler Hinsicht auf die Tyndaridin zu.


    Irgendwann mal den Gatten ermordet zu haben, um - Hofmannsthalsch, aber m. E. auch Sophokleisch - nicht etwa Rache für eine Tochter zu nehmen, sondern 'nur' "Platz für den Lover" zu machen, eine patriarchale Herrschaft zu durchbrechen und ein Reich, das 10 Jahre in Abwesenheit des Fürsten weitergeführt werden musste, in die eigenen Hände zu nehmen, ist nicht unbedingt nur widerlich oder gar pathologisch. Ok, ist Vorgeschichte.. Aber: es war eine TAT. Bezeichnend ist die Stelle, wo Elektra der Mutter auf ihre rhetorische Frage: „Warum geschieht mir das, ihr ewigen Götter?“ entgegnet, sie, Klytämnestra, sei doch selber eine Göttin. Der Anspruch des Individuums auf völlige Autonomie und die Selbstzerstörungskraft dieses Anspruchs sind in der Klytämnestra durchleuchtet, und die am Gesetz der Rache künstlich sich aufrechthaltende Elektra verhöhnt ihn. Die Mutter aber wird, wie von der Tochter berechnet, durch diese Antwort milde gestimmt: „Das klingt mir so bekannt. Und nur, als hätt ichs / vergessen, lang und lang...“ Alles hat sich ihr zu Fluch und Alptraum gewandelt, aber einst, noch vor der grauenhaften Tat, war es Verheißung eines freien Lebens. Der Dämon aber hat sie überwältigt, nicht in Form eines Außen, eines Schicksals, sondern als Abgrund ihres eigenen Ichs, in dessen Tiefen sie gestürzt ist und nun dort „eingekerkert“ liegt, wie Elektra es an anderer Stelle formuliert. Die Ohnmacht, der sie anheimgefallen ist, ist der Revers der großen Macht, der Fähigkeit zur Tat. Erst Herrin der Tat, dann ihre Sklavin. Keiner der Männer, Agamemnon inbegriffen, hat die Schizophrenie des Verbrechens so tief durchlebt wie diese Klytämnestra. Sie bricht unter der Last ihres Wissens zusammen, das gleichbedeutend geworden ist mit ihrer Schuld (und das sich in einer vielschichtigen Musik artikuliert, die die avancierteste war die Strauss je komponiert hat). Wenn sie sich jedoch an der zitierten Stelle ( „Das klingt mir so bekannt...“ ) des Anfangs ihres Weges entsinnt, dann hat ihr Strauss nicht umsonst das Motiv des Selig-Einstgewesenen beigeordnet, das mit seiner ausgeprägten Melodik im Dissonanzengefüge des Ganzen auch die Funktion eines Sehnsuchtsmotivs übernimmt und sonst nur den Geschwistern vorbehalten ist. Der zerstörte Mensch träumt vom Heil.

    Nicht "ohne Weiteres". Er müsste dass ggf. schon beglaubigen, sofern sich der Roman 'realistisch' erzählt, z. B durch eine extreme Sportlichkeit der Figur. Und das heißt er muss die gesamte Figur so anlegen mit allen Konsequenzen. Das ist u. U. nicht weniger einfach bzw hat nicht weniger Auswirkungen, als einen Schauspieler zu finden der so sportlich ist das zu machen. Wiederum ist der bloße VERSUCH, 500 Liegestütze zu machen, auf dem Theater extrem event-verdächtig/spektakulär und eines Szenenapplauses gewiss, während ich mir bei nem Roman erstmal keine besondere Wirkung des Satzes "Er macht 500 Liegestütze" ausmale (im Vgl. etwa zu 50 Liegestützen).

    Einschränkendes (Formprobleme) hast du in allen Gattungen denke ich. Und Aufführbarkeitsprobleme dürften eher ein geringeres sein; sind infolge der Trennung Dramatiker (als Autor des Text) / Regisseur (als Autor der Aufführung) eh bisschen im Verantwortlichkeitsbereich des letzteren gelandet. Goethe, der da eigentlich sehr pingelig war, ist am Schluss jedenfalls auch nicht davor zurückgeschreckt im zweiten Faust einen Aufstieg in den Himmel, eine 'verdunstende' Helena, eine Klassische Walpurgisnacht usw. zu verlangen. Und von den erst einmal szenisch zu erschließenden Textblöcken Elfriede Jelineks oder dem Splatter-Realismus bei Sarah Kane (abgetrennte Geschlechtsteile usw.) will ich gar nicht erst reden. Ähnliches findet sich übrigens schon im Elisabethanischen (Titus Andromedus) und v. a. Post-Elisabethanischen Theater. Ich selbst durfte mich mal mit der eigentlich unspielbaren Szene herumschlagen, in der Giovanni am Schluss von "Schade dass sie eine Hure war" mit dem Herzen seiner Schwester auf einen Dolch gespießt vor die versammelte Hochzeitsgesellschaft tritt.. ;+)

    Ich bin richtiggehend erleichtert, dass Du meinen Eindruck hier teilst. Ich hab mich schon gefragt, ob ich auf meinen Ohren gesessen habe. Die professionelle Kritik (fast nur auf Berlin beschränkt, die überregionalen Medien hatten mit Besprechungen der Zürcher Produktion schon ihre Schuldigkeit getan) hat sich bei der Beurteilung der musikalischen Seite fast ausschließlich damit begnügt, die Schweißflecken auf dem Rücken des Dirigenten als Indiz für die Qualität zu werten.

    Das was über die Musik in den Kritiken geschrieben wird, scheint mir eh oft sehr dürftig - da lese ich hier auf Capriccio oft mehr und Instruktiveres!


    Karikierende Züge sind in Zimmermanns Komposition teilweise angelegt


    Kann sein (war wie gesagt meine erste Begegnung mit dem Werk) - die Sprünge bei der Gräfin hab ich natürlich auch gehört und auch kurz an einen Hauptmann aus dem Wozzeck in extremis gedacht - finde das als Richtung der Interpretation ja auch sehr o.k. Aber es war so schrecklich weit getrieben. Ich hab nicht umsonst Fassbinder als Gegen-Ästhetik assoziiert: die Bedienstete der Petra von Kant ist auch irgendwie karikaturesk, und sehr viele Gestalten dort sind es (man denke nur kurz an die Putzfrauen in Angst essen Seele auf), aber immer haben die doch AUCH was wirklich Beunruhigendes, Unangenehmes. Die Gräfin hier kam mir vor wie ein Klytämnestra-Abklatsch der eher einfallslosen Sorte (meine das ästhetisch, nicht inhaltlich). Ich finde eben es gab außer vielleicht den Schwestern und eh manches im Spiel der Protagonistin nichts Subtiles, und daher auch nichts wirklich Schreckliches. Dass sie z. B. dem Mary einen blasen muss finde ich einfach nur ein läppisches Bild, wieder ein Klischee von Gewalt.

    Gibt es doch, sofern es irgendetwas "spätes" von Mozart gibt: KV 575, 589 und 590. "Später" als alle Sinfonien, Klaviersonaten und als fast alle Konzerte.

    Ick weeß, die sind ooch klasse. Aber ich meinte mit "späte Streichquartette" eher so was, wie wenn Mozart alt geworden wäre und dann nochmal, nach allen Großanstrengungen, so ein paar Nummern hingelegt hätte wie Beethoven mit den seinen.

    Taras Bulba

    Stimmt. die kenne ich nicht! muss ich sofort nachholen.


    Gibt es sogar zwei... nur eben ein bißchen früh komponiert...

    Echt? Lohnen die sich? ich meinte natürlich so was wie Brahms I. bloß eben schön Webernsch, vielleicht das große Konkurrenzding zu Berlioz.

    Bin heute in der Komischen Oper gewesen. Meine erste Begegnung mit diesem Werk, insofern sehr viel naiver als viele die hier schreiben und doch ist das ja auch etwas 'wert. Und: ich bin sehr enttäuscht und habe das Gefühl, das Stück hat durch diese Aufführung keine "Palingenese", und schon gar keine Aktualisierung (derer es m. E. bedarf) erlebt, sondern eine veräußerlichte Bebilderung und letztlich geschichtlich neutrale "Präsentation". Ich bin hoch sensibilisiert für Gewaltthematiken und Künstlern gegenüber, die diese in der Zeit aufspüren und vergegenwärtigen (Haneke zum Beispiel im Kino), und die politischen Dimensionen des Stücks scheinen mir enorm. Aber nichts davon hat mich an diesem Abend unmittelbar erreicht, weder die Schwierigkeiten, die das Stück einem entgegensetzt, sind bei mir fruchtbar geworden, noch seine "plakativen" Wirkungen.


    Ich glaube dass dies entscheidend AUCH mit der Positionierung des Orchesters auf der Bühne zu tun hat. So was erlebe ich in der Oper jetzt zum vierten oder fünften Mal (u. a. früher mit Elektra und Lady Macbeth von Mzensk) und jedesmal leiden Orchesterklang und Durchhörbarkeit; es ergeben sich abgedämpfte pastose Flächen die - in diesem Falle - 'irgendwie', Bum-bum, Zisch usw. - "GEWALT" illustrieren während vorne die Gesangs'linien', die ja oft keine mehr sind, alleine als Dialog mit Intervallen funktionieren. Ich konnte die Musik einfach - außer in der Schlusscollage - nicht besonders gut hören.



    Eingangsbild mit marschierenden Soldaten, die aus dem Bühnenhintergrund nach vorne kommen, überzeugt sofort.

    Wovon überzeugt es? Davon dass Soldaten, dass Krieg bedrohlich ist? Davon ist es ein Abzieh-Bild. Es gibt in dieser Aufführung nicht einen Moment, wo ich mich als Zuschauer bedroht gefühlt habe.

    die Kostüme legen die Entstehungszeit des Werkes nahe

    ja, das tun sie. aber nicht, um von dieser Zeit etwas zu erzählen. Auch nicht von der von Lenz, auch nicht von unserer. KEINE Zeit wird spezifisch genommen, und so bleibt die 'zeitlose' Zeit, die dann aber - in meiner Wahrnehmung - mit hundertmal besser, genauer, brutaler, intensiver gehabten Bildern von Soldateska, Grausamkeit usw. totgeschlagen wird. Da lob' ich mir die Imagination von "Apocalypse now" oder anderem und brauche keine Oper.



    Die vielleicht komplizierteste Szene des Stücks, wo viele Aktionen simultan auf verschiedenen Ebenen stattfinden sollen, vereinfacht Bieito zu einem Ensemble aller Mitwirkenden an der Rampe. Eine Lösung, die hinter den Anforderungen des Stückes zurück bleibt.

    Ein großer Verlust, in der Tat. Das, was im "Soldaten"-Thread jemand zu Hieronymus Bosch schrieb und was ich mir als Assoziation gut vorstellen könnte, stellt sich hier gar nicht her. Es ist einfach nur ein (trotzdem beeindruckendes) Stimm-Ensemble. Es gibt keine Pluralität, und dadurch auch keine Vernichtung derselben.


    Dass diese Gewalt dabei überwiegend im Privat- und Intimbereich stattfindet, setzt ein Zitat von Ingeborg Bachmann (im Programmheft zu finden) präzise um: "(Der Faschismus).....fängt nicht an mit den ersten Bomben, die geworfen werden, nicht mit dem Terror, über den man schreiben kann in jeder Zeitung. Er fängt an in den Beziehungen zwischen Menschen. Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau."

    Ja, das hat der Dramaturg in der Einleitung auch nochmal stark betont. Aber ich habe in der Inszenierung nichts über INTIME Gewalt gesehen, jedenfalls nichts an die Nieren Gehendes oder auch nur einfach Zwingendes. Gewalt ist hier meistens nur jemandem ans Geschlecht fassen oder ihn schubsen. Da sind die Fassbinder-Ästhetiken der Petra von Kant oder der Effi Briest viel aussagekräftiger über die Gewalt im Privaten. Vielleicht hätte eine Inszenierung - und gerade mit DIESER eruptiven, massiven Musik - von einer eher so strengen, zurückhaltenden, intim-deutlichen Bildersprache, von Unaufgeregtheit und Kammerspielton, profitiert.


    Die Inszenierung fand ich teils bestechend: z.B. wenn Bieito die vorgeschriebene Geräuschpalette der Oper noch erweitert (eine Spezialität dieses Regisseurs), das Verhältnis der beiden Schwestern zeichnet oder wenn er die Demütigung Maries durch die Gräfin mit unverstellter Brutalität zeigt.


    Die ersten beiden genannten fand ich auch gute Momente, von dem wie das Schwesternpaar gezeichnet war hätte es mehr geben können. Die Anlage der Gräfin als weiteres Monster fand ich zwar dem Ansatz nach richtig, aber so über-über-über-deutlich (vom ersten Auftreten der Gräfin an bis in jede Geste hinaus), dass dies mehr eine Karikatur war als irgend etwas, das auf mich -erneut sei es gesagt - wirklich erschreckend oder gar bedrohlich gewirkt hätte.


    Die ganze serielle Musik geht ja irgendwie darauf, sich dem Warencharakter durch Entsubjektivierung zu verweigern, oder? Aber solche Inszenierungen holen Subjektivität in gröbster und simpelster Form wieder zurück, und alles was Sperrig ist wird in den Bühnenhintergrund zur Armee-Kulisse abgeschoben und damit von Anfang an wegerklärt, wir haben erneut eine Ware, die Ware "spektakulär krasses Kriegsstück". Ohne Sprengkraft.

    Auch wenn Du das Stück nicht kennst: Du wirst es ohne Probleme bei diesem Abend kennenlernen, die Textverständlichkeit ist nämlich ausgezeichnet. Es gibt Mikroports und eine "Klangregie", die dbzgl. sehr hilfreich sind. (Und es gibt zwar jede Menge Striche gegenüber dem Original, aber die sind letztlich gut vertretbar.)

    Eötvös: Der goldene Drache - Oper Frankfurt, 29.6.2014

    DER GOLDENE DRACHE


    Musiktheater von Peter Eötvös


    Libretto von Roland Schimmelpfenning nach dem gleichnamigen Theaterstück, eingerichtet von Peter Eötvös


    Kompositionsauftrag von Ensemble Modern und Oper Frankfurt / Koproduktion mit dem Ensemble Modern


    Uraufführung. Premiere am 29. Juni 2014 im Bockenheimer Depot


    Musikalische Leitung: Peter Eötvos


    Inszenierung: Elisabeth Stöppler


    Bühnenbild: Hermann Feuchter


    Kostüme: Nicole Pleuler


    Sängerdarsteller: Kateryna Kasper, Hedwig Fassbender, Simon Bode, Hans-Jürgen Lazar, Holger Falk


    ENSEMBLE MODERN


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    Ich finde Schimmelpfennings "Goldenen Drachen" eins der beeindruckendsten, politisch-poetischsten Theaterstücke der letzten Jahre und erinnere mich noch heute an manches Detail der Hannoveraner Erstaufführung sowie v. a. an Details des Textes. Von daher war mir fraglich, was Musik hier 'dazutun' kann (der Text ist selber bereits sehr musikalisch und durch die Rollenanlage [Verfremdung: Männer spielen Frauen und umgekehrt, Alt spielt Jung und umgekehrt; narratives In-die-Rolle-rein-wieder-raus, etc.] auch strukturierend. Eötvös' Musik illustriert vor allem, akzentuiert auch und macht manches ein wenig drastischer (Perkussionsimpro auf Küchengeräten; U-Musik-Anklänge..), inszeniert also mit, präsentiert aber letztlich das Stück. Das ist angenehm, aber auch enttäuschend. Ab dem Tod des "Kleinen", des ersten Opfers in dieser letztlich sehr grausamen Handlung, wird die Musik elegischer, stockender, zarter.. es gibt einige sehr berückende Momente. Insgesamt aber - der Kalauer sei angesichts des Imbiss-Küchen-Settings verziehen - doch recht 'kulinarisch'; sie war mir nie unangenehm, rückte mir nie auf die Pelle. Mehr kann ich zu meiner Schande - technisch - nicht sagen nach dem ersten Hören. Statistik: 16 Musiker, davon 5 Holzbläser, 2 Trompeten, 1 Posaune, zwei Schlagzeuger, Klavier + Hammondorgel, je 1 Streicher pro 'Gruppe' (also 4).


    Die Sängerdarsteller allesamt sehr gut, einige - Hedwig Fassbender vorneweg - sogar gradezu fantastisch. Brüche zwischen allen möglichen Stilen und Haltungen werden 'spielerisch' und in die Bewegung integriert absolviert. Fast alle dienen durchweg der Sache, der Abend strahlt etwas sehr Konzentriertes und Uneitles aus. Das ist sicher vor allem auch das Verdienst von Elisabeth Stöppler, die sehr genau sowohl an Psychologischem wie auch Symbolischem gearbeitet hat. Der Einsatz von Requisiten ist sinn- und fantasievoll, auch wenn die Bühne - eigentlich ein einziger Fundus aus Gerümpel - zur Tiefe hin m. E. hätte stärker 'angespielt', interpretiert und einbezogen werden können. Im Hintergrund ein großer zweidimensionaler China-Drache aus Müll- und Plunderteilen, der bisweilen farbig leuchtend den Entwicklungen der Handlung vor- oder nachgreift, z. B. blutrot oder golden. Der große Schlussmonolog des "Kleinen", trotz Indisposition berückend klar gesungen von Kateryna Kasper, wird verfremdet in einem Pekingoper-Kostüm und die Figur wird von den 'Zurückbleibenden' (uns) durch einen Abgrund getrennt, auf dessen anderer Seite sie und der Drache verbleiben. Die "Grille" - die missbrauchte und misshandelte Schwester des Kleinen - geht zum Schluss zu uns ins Publikum, wie kauernd Schutz suchend. Dieser Moment hätte für mich noch krasser und deutlicher sein können - der Abend ist in Gefahr, trotz großer Transparenz und 'Übertragung' seines Gehalts, zu wohlgefällig zu geraten, mit all seinem Witz und seiner spielerischen Exaktheit und 'Rundung'. Ich hätte erwartet dass eine Musiktheater-Bearbeitung hier irgendwie noch 'größer', pathetischer oder quälender gerät.


    Ein Stück dass seinen Zweck als Tourneetheater sicher gut erfüllen und sich möglicherweise neben Schimmelpfennigs Original behaupten wird.

    zu Frage 3:
    Zitat von »Recordatorio« Zitat von »Bergziege« die Figur, die mit dem Happyend doch sehr unzufrieden ist, ist die Titelfigur einer anderen Oper
    Besser gesagt, beide haben denselben NAMEN?
    Das hätte mich beinahe erneut verwirrt: wieso denn nur denselben Namen? Ich verstehe dies schon als die gleiche (mythologische) Person, wenn auch an unterschiedlichen Stellen ihrer Biografie und von unterschiedlichen Komponisten/Librettisten verarbeitet.

    Stimmt, Du hast recht... hab grad nachgeguckt. War mir nicht klar. Aber es sind eher alternative, keineswegs ohne weiteres kompatible Biographien. Wie die hier in Frage stehende Oper Gebrauch von Motiven des legendären Krieg macht, ist eh bisschen... ad libitum, würd ich sagen.

    Pinkerton ist nicht einfach in eine Schwarzweißkategorie einzuordnen. Er ist unreif, schwach, aber nicht von Grund auf schlecht. Es bleibt durchaus die Möglichkeit, daß er sich im Bewußtsein seiner Schuld spät, aber doch weiterentwickelt und ein besserer, auch nützlicherer Mensch wird. Ich empfinde ihn nicht als Heuchler, er ist von jener charmanten Oberflächlichkeit, die beileibe nicht nur bei manchen Amerikanern zu erleben ist. Das Schillernde an dieser Persönlichkeit eröffnet viele Gestaltungsmöglichkeiten, auch eine gewisse Gestaltungsbreite. Nur mit tenoralem Schmelz wird man ihr sicher nicht gerecht, oder?


    Liebe Grüße
    Waldi

    Ok... aber das würde ich nicht grade "gebrochener Charakter" nennen :)