Lieber bustopher,
ich erachte das Werk von J. Kesting als d i e herausragende Arbeit bzgl. Sängerkritik…nicht nur in deutscher Sprache.
1.
Sorry, auch bei Aufnahmen „der mechanischen und frühen elektromechanischen Phase“ kann man Qualität hören und erkennen. Oder möchtest Du z. B. die außerordentliche Qualität eines E. Caruso bestreiten (bei sehr vielen Aufnahmen, wenn auch nicht Opern-Gesamtaufnahmen; hier als Beispiel für sehr frühe Aufnahmen)?
Einschränkungen bzgl. der möglichen Bewertung aufgrund der Aufnahmen (Technik) und der Hinterlassenschaft (Umfang) hat Kesting immer wieder betont. Dein Fazit ist falsch, weil es nachweisbar unrichtig und somit nicht allgemein gültig ist. Zu viele 'Stimmenkenner' hören das anders und die Aussagen Kestings zeigen bestimmte Vorbehalte bzgl. Technik und Umfang der zugänglichen Aufnahmen ausreichend auf. Der Vorwurf ist hinfällig.
2.
Seine - mutmaßlich (ich könnte das höchstens im 'Extra-Werk', dem trotzdem kritischen Buch über M. Callas erkennen) „oft überschwänglichen Einschätzungen“ oder Bewertungen resultieren aus Hörvermögen, Kenntnis, Erfahrung und Vergleichen. Kesting hat seine „Bewertungskriterien“ immer wieder betont, was z. B. bei J. M. Fischer nicht in den Maßen durchscheint oder geschieht. Überschwänglichkeit habe ich darüber hinaus bei ihm (Kesting) selten festgestellt. Da sollten andere Kritiker prägnanter sein. Und damit relativiert sich zumindest Dein Fazit in Form von „geschmäcklerisch…bei jüngeren Sängern“, welche der weit über 70jährige heute vielleicht nicht mehr in den Maßen mitverfolgt. Auch ist eine umfassende Bewertung bei jüngeren Sängern aufgrund mangelnder Einspielungen (intersubjektiver Vergleichbarkeit) und ggf. noch nicht annähernd erreichten „Karrierehöhepunkt“ obsolet (insb. bzgl. der letzten, nicht überabeiteten Ausgabe seines Werks). Deine Einschätzung ist falsch.
3.
Vielleicht hätte sich Dein Freund nicht an den Verlag, sondern freundlich an den Autor selbst wenden sollen? Aber biographische Daten sind nicht im Fokus von Kesting. Dafür gibt es andere. Und möglicherweise hat er einige biographische Daten aus dem sehr fehlerhaften Werk von Kutsch/Riemens übernommen; eben weil diese nicht im Zentrum seiner Betrachtung war/ist. [Und sorry, bei Jens Malte Fischer habe ich wesentlichere Fehler gefunden: Nur einen - aber wesentlichen (weil für die Repertoire-Entwicklung entscheidend) - habe ich hier in Capriccio bzgl. di Stefano aufgezeigt...]. Deine Beobachtung (oder die Deines Freundes) ist statthaft, aber nicht entscheidend, um das Werk Kestings negativ oder abschätzig zu beurteilen.
4.
Und wenn man eine mangelnde Registerverblendung („passaggio“) nicht mittels mehrerer Aufnahmen hören könnte, würde es keine Gesangslehrer geben. Denn dieses Kriterium ist eines der herausragenden der Gesangsausbildung. Vielleicht kann man die Qualität des Passaggios nicht anhand eines Liedes oder einer Arie hören und beurteilen, aber mit Sicherheit bzgl. mehrerer, vieler Aufnahmen. Sorry, da liegst Du vollkommen falsch. Und dass dieser – Deiner - Meinung/vermeintlichen Erkenntnis nicht Gesangslehrer widersprochen haben, erstaunt mich oder zeigt, das Capriccios Weitreiche sehr eingeschränkt ist. Deine Einschätzung ist falsch und sorry, zeugt von Unkenntnis.
5.
Vergleichbar (hier: i. S. von ungefähr gleichwertig) ist das Werk Kestings bzgl. Umfang, Details, Seriosität und Kenntnis lediglich mit den Werken von J. B. Steane. Selbst Henderson, Fischer, Brug usw. reichen da m. E. nicht heran. Trotzdem musst Du Kesting „nicht mehr ernst nehmen“; es zwingt Dich niemand. Aber ich glaube, dass Deine Einschätzung vollkommen falsch ist, weil irrelevant und nachvollziehbar unbegründet, weil "geschmäcklerisch". [Und so etwas bin ich von Dir nicht gewohnt.]
6.
Allgemein und nicht gegen Dich gerichtet: Und wer außerordentliche Expressivität in Gesang und Schauspiel, "tenorale" Lautstärke (Dauerforte), Fokussierung auf das hohe (Tenor-)C oder 'gar Äußerlichkeiten, wie Aussehen in den Vordergrund einer Kritik schiebt oder 'gar zum alleinigen Parameter erhebt, sollte sich meiner Meinung nach der Sängerkritik enthalten. Das sind Einlassungen für ein Poesiealbum. Denn - nicht nur meiner Meinung nach - haben die Ausbildungskriterien des Belcanto (i. e. S.; vgl. hierzu den Thread über 'Belcanto') weiterhin Gültigkeit für den Kunstgesang in 'Oper', aber auch 'Lied'. Und damit ist Kesting nicht von gestern, sondern hoch-aktuell und wird es bleiben.
Sorry; bei aller Wertschätzung für Deine sonst - und von mir extra herausgehobenen - sehr guten Beiträge; aber Deine Einschätzung war Quatsch, denn sie ist wahrlich "geschmäcklerisch". Nichts für ungut und mit der Bitte um Verständnis für meine Einlassungen.
Mit freundlichen Grüßen (und sei mir nicht böse)
Keith M. C.
[...und ich wollte unbedingt die unsägliche Zahlenkombination bzgl. meiner angezeigten Beitragsanzahl eliminieren.]
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Nachtrag 04.11.2014 Uhr 6:35: "Registerverblendung", "Subjektivität", "Gesamtbild und Einzelaspekte" u. a.:
Lieber bustopher, ich habe im ersten Satz des 4ten Punktes "Gesangslehrer" in ihrer Eigenschaft als Experten mit einem besonderen oder besonders geschulten Hörvermögen angeführt, für die das Erkennen der Qualität der Registerverblendung fundamental ist. Das Wissen, dass diese in ihrer Eigenschaft als Lehrer keine Schallplatten hören oder Plattenkritiken mit/von ihren Schülern veröffentlichten Platten (o. ä.) tätigen, sondern eine übliche Lehrer-Schüler-Kommunikation pflegen, habe ich unterstellen dürfen. Oder rein formal: Hätte ich bzgl. der gedanklichen Abgrenzung einen weiteren Absatz einfügen sollen? [Scherzmodus: ein] Einerseits wirfst Du ggf. m i r ein 'Glauben an Autoritäten' vor (s. u.) und schreibst im selben Beitrag: "Glaub' mir:...[es folgt eine in der Sache irrelevante, rein subjektive (vgl. Deine Ausführungen) Verallgemeinerung ("Jeder...")]". Haaallo! Ich dachte, dass Logik auch etwas mit Stringenz zu tun hat. Und weil Du nicht nur versuchst Argumente anzuführen, sondern Reputation i. w. S. mittels Deiner Gesangsausbildung vorzuschieben gedenkst, muss ich mich fragen: Warum weißt Du es dann nicht besser und antworte darüber hinaus: Ich sprach von Gesangslehrern, nicht Gesangsschülern. [Scherzmodus: aus]
Die mögliche Kritik bzgl. "Subjektivität bei der Wahrnehmung [hierzu habe ich damals in Capriccio einen Beitrag mit m. E. sehr interessanten Literaturempfehlungen veröffentlicht] und der Bewertung" ist aber ein grundsätzliches Problem im Bereich 'Musik' und trifft m. E. auf Kesting (s. o.) weniger zu, als auf andere Stimmenkritiker. Seit wann sind "Vorwissen", also Wissen, Kenntnis und Erfahrung für eine Beurteilung abträglich? Sollten Deiner Meinung nach zukünftig nur noch Sängerkritiken von vollkommen 'unbelasteten' Personen verfasst sein? BTW, bzgl. der von Dir angesprochenen Logik: Dann erübrigt sich aber auch Deine Kritik an der Kritik.
Einerseits wird kritisiert, dass sich die 4-bändige Ausgabe zu wenig mit jungen, aktuellen Sängern befasst (und d a z u habe ich meine Meinung geäußert), nun wirfst Du ihm (Kesting) dagegen vor, dass er und wie er (mit Letzterem sollte man sich m. E. in den jeweiligen Sängerthreads auseinandersetzen) junge oder jüngere Sänger in seinem Werk beurteilt. So what?
Meine grundsätzliche oder abschließende Bewertung (die Einordnung und Gewichtung der Einzelaspekte in ein Gesamtbild) ist ebenfalls nicht immer (aber sehr oft) kongruent mit seinem Werk, obwohl seine Detail-Kritikpunkte fast immer sehr gut nachvollziehbar und stimmig sind.
Und dass Du gerade mir h i e r in Capriccio möglicherweise durch die Blume sagen wolltest, dass ich zu stark an Autoritäten glaube, amüsiert mich. Denn dann hast Du etwas verpasst und Deine Vorhaltung mit Sicherheit falsch adressiert. Aber ein wenig mehr oder weniger lustig bist Du schon, nicht wahr?