Damit meinte ich weniger die Kollegen selbst, als den öffentlichen Umgang mit den Pianisten, die Medienresonanz auf sie.
Immerhin hat Horowitz sehr anschaulich beschrieben, zu welch einem Leistungsdruck diese immer weiter getriebenen Superlativen der Beschreibung seiner Fähigkeiten geführt haben.
Damit hast Du natürlich recht. Arrau sagte über seine Anfänge in den USA: "Ich fühlte mich - in musikalischer Hinsicht - sehr fremd. Als ich zum ersten Mal hier war, fand ich die Kriterien, nach denen Musiker beurteilt wurden, einfach unmöglich." Damit meinte er ganz sicher auch die Hysterie um Horowitz' Virtuosität.
Bedeutet das, daß es keine gesicherte Ausführungsvorschrift oder -tradition gibt und jeder Künstler schauen muß, wie es am besten in seine Werkgestaltung passt?
Hier ging es ja um die punktierten Akkorde im ersten Satz, ab T. 154, die zuerst vom Klavier, dann vom Orchester gespielt werden (im oben verlinkten Video ab 8'38''). Notiert ist jeweils Achtelnote, Sechzehntelpause, Sechzehntelnote, alles mit Staccato-Punkten, das Ganze im Forte bzw Mezzoforte (Orchester). Das ist das einzige, was "gesichert" ist. Ich würde sagen, dass die Vollgriffigkeit der Akkorde, die Staccato-Punkte vor allem auf den kurzen Noten, und die Tatsache, dass das alles in die "ben marcato"-Stelle mit durchgehenden Sechzehntel-Akkorden führt, für eine eher gewichtige als leichtfüßige Ausführung spricht, mit Betonung der Pausen als Elemente einer rhythmischen Spannung die sich dann in der folgenden Stelle entlädt. Aber natürlich kann man das auch anders verstehen. Levit spielt deutlich überpunktiert, fast doppelt punktiert, was streng genommen nicht dem Notentext entspricht, aber natürlich als Interpretation legitim ist. Die Spannung, die er damit aufbaut, ist eher in Erwartung von Virtuosität, der Klang fast mit schlagzeugartiger Härte. Das ist nicht mein Brahms-Bild, aber das muss es ja auch nicht sein. Die ganze Stelle, vor allem auch die Sprünge danach, klingt für meine Ohren bei ihm wütend und aggressiv und entwickelt einen ungeheuren Sog zum nächsten Tutti. Am Ende von Brahms' allerletztem Klavierwerk, der Rhapsodie op. 119 Nr. 4, gibt einen ähnlichen Wutausbruch (den Julius Katchen unvergleichlich dramatisch gespielt hat). Auch die Stelle ist geprägt von punktierten Rhythmen, wobei da die kurzen Noten noch teilweise durch Akzente geschärft sind. Beim B-Dur-Konzert bin ich nicht ganz überzeugt, dass das so zu verstehen ist.
Immerhin erklärt es - wenn ich es richtig verstehe - warum bei einigen Interpretationen des B-Dur KK der vierte Satz etwas überspitzt ausgedrückt wie ein Elfentanz daherkommt und es schwer hat, gegen das gewaltige Panorama des ersten Satzes ein Gewicht zu setzen ...
Ich glaube nicht, dass der letzte Satz das überhaupt versucht. Er ist wie gesagt im Tempo zurückgenommen (Allegretto), über weite Strecken auch in der Dynamik, der Grundcharakter ist "grazioso", und sein erstes Thema schwebt harmonisch quasi in der Luft (Es, D7, Es, F, C7 usw.). Sein zweites Thema erinnert an einen Ungarischen Tanz, sein drittes ist heiter und spielerisch. Er ist von allen orchestralen Finalsätzen bei Brahms eindeutig der entspannteste, heiterste.