Beiträge von ChKöhn

    Hier weitere Aufführungen: "Gebet für die Ukraine"

    Tut mir leid, aber ich finde das alles schwer erträglich. Nationalistischer Polit-Kitsch, Kinder im Luftschutzbunker mit sanfter Streicheruntermalung, Raketeneinschläge in e-Moll. Bei solchem Propagandaschund kommen den Leuten die Tränen der Ergriffenheit, aber Tschaikowsky und Dostojewski "gehen gar nicht."

    dem Genuß wird es keinen Abbruch tun ...

    Nein, natürlich nicht. Brendels besondere Stärke bei dieser Aufnahme ist meine Erachtens die großartige Integration seines Parts. Das Stichwort "kammermusikalisch" bringt mich bei groß besetzten Orchesterwerken immer zum Schmunzeln, aber hier passt es tatsächlich: Er reagiert immer auf das, was ihm aus dem Orchester angeboten wird, führt es klug fort, berücksichtigt bei allen Abschlüssen seinerseits die Fortsetzung usw.. Das ist überlegen und überzeugend gestaltet, was ich gerade deshalb bemerkenswert finde, weil er wie gesagt gleichzeitig durchaus mit dem Stück zu kämpfen hat. Musikalische Gestaltung ist ja nie losgelöst von der Realität am Instrument möglich (was übrigens weitreichende Konsequenzen hat), wozu auch die eigenen technischen Möglichkeiten gehören. Auch Barenboim ist so ein Pianist, der es rein manuell mit wettbewerbsgestählten Jungstars nicht aufnehmen könnte, sie aber in aller Regel an Tiefe der geistigen Durchdringung bei weitem übertrifft. Es ist leicht, seine späte Einspielung der beiden Brahms-Konzerte mit Dudamel zu kritisieren: Vieles wackelt, ist gerade noch so getroffen oder braucht sehr viel Zeit. Aber dann hört man plötzlich harmonische Schattierungen in einer Deutlichkeit wie noch nie zuvor, stellt fest, dass in der ersten Kadenz (im B-Dur-Konzert) gleich zu Beginn ja tatsächlich die Punktierungen der rechten Hand die Sextolen der linken nicht fortsetzen sondern als normale Sechzehntel ausbremsen, hört Akzente, die einem bis dahin kaum aufgefallen sind, die aber da stehen, und kommt irgendwann aus dem bewundernden Staunen nicht mehr heraus (jedenfalls geht es mir so). Bei dieser Aufnahme wie auch bei seinem jüngsten Beethoven-Sonatenzyklus habe ich denselben Eindruck: Da spielt jemand mit der reichen Erfahrung eines unvergleichlichen Musikerlebens, der einfach keine Zeit mehr dafür hat, über irgendetwas hinweg zu spielen und eilig zu sein. Und auch keine Zeit mehr zum Üben;).

    Ich erinnere mich an ein Interview mit Gulda, in welchem er meinte, dass er das Stück mal irgendwo in einer kleineren Stadt spielen sollte und es daraufhin in zweieinhalb Tagen einstudiert habe. Keine Ahnung, ob das stimmt oder pianistisches Anglerlatein war... Andsnes brauchte dafür angeblich einen ganzen Sommer.

    Gulda würde ich so etwas absolut zutrauen. Als der liebe Gott die Talente verteilt hat, war für die nächsten in der Schlange erst einmal nicht mehr so viel übrig. Auch Oppitz wäre so ein Kandidat. Volodos wurde mal auf die Leichtigkeit angesprochen, mit der er sein damaliges Übervirtuosen-Repertoire spielte, und antwortete, dass er das gar nicht bemerkens- oder gar bewundernswert fände, es fiele ihm einfach überhaupt nicht schwer.

    Wobei, wenn ich mich recht erinnere, gerade Brendel mit Haitink (Ende der 70-er ?) eine sehr gute und viel gelobte Aufnahme der beiden Klavierkonzerte von Brahms vorgelegt hat. Was zugegebenermaßen nicht heißen muß, daß er nicht mit diesen Werken gerungen haben kann - allerdings würde ich da vielleicht weniger seine technischen Möglichkeiten als die interpretatorische Gestaltung als Problem vermuten? Schließlich war er zu dem Zeitpunkt wohl technisch noch sehr stark.

    Ich kenne nur die spätere mit Abbado, und die hat sehr viele Qualitäten. Trotzdem muss sich Brendel viele Stellen hörbar "zurechtlegen", um sie zu bewältigen - was er dann durchaus tut. Z.B. spielt er öfter mal in Forte-Passagen nur Anfangs- und Schlusstöne laut, aber alles dazwischen nicht. Oder die Sprungstelle im ersten Satz ab T. 159: Die ist eigentlich durchgehend forte, mit zusätzlichen Akzenten und außerdem "ben marcato". Brendel spart hier Kraft, indem er nur die Akzente heraushebt. Den berühmt-berüchtigten Doppelgriff-Aufgang in Fis-Dur (T. 214) wischt er gekonnt, aber doch ziemlich unklar dahin. Vor den Sprüngen im Seitenthema ab T. 146 braucht er immer ein wenig Zeit, die er sich schafft, indem er jeweils die beiden Triolenachtel davor etwas rafft usw.. Wie gesagt schätze ich die Aufnahme trotzdem sehr, aber es ist unüberhörbar, dass Brendel hier an seine technischen Grenzen und gelegentlich darüber hinaus kommt. Seine Lösungen der immensen Probleme sind technisch sehr geschickt und vor allem fast immer auch musikalisch plausibel, aber man hört andererseits doch ziemlich oft, dass sie einer technischen Notwendigkeit entsprangen.

    "Auf-Nummer-Sicher-Fassung"

    Fällt mir angesichts der Herausforderungen dieses Konzertes schwer anzunehmen, daß es eine solche Fassung wirklich geben kann ..

    Kommt drauf an, wer spielt. Es gibt bei diesem Konzert drei Arten von Pianisten: Die einen verstehen gar nicht, was daran schwer sein soll (z.B. Oppitz, Pollini), die anderen haben mehr oder weniger damit zu kämpfen (Brendel), und die dritten sind so klug, statt dessen etwas anderes zu spielen (ich zähle mich zu den Klugen :)). Aber mit "Nummer-Sicher-Fassung" meinte ich eigentlich eher so etwas, was ich vor ein paar Jahren in Berlin mit Bronfman gehört habe (gibt es noch in der Digital Concert Hall): Beeindruckend kontrolliert und beherrscht, aber auch insgesamt etwas langweilig vorhersehbar, fast akademisch. Da ist mir Levit mit seinem künstlerischen Risiko und seinen gelegentlichen Fehlgriffen weit lieber. Ein Jammer ist, dass es keine offizielle Aufnahme mit Grigory Sokolov gibt und (da er bekanntlich nicht mehr mit Orchester spielt) wohl auch nicht mehr geben wird). Dieser Konzertmitschnitt von 1987 lässt ahnen, was das hätte werden können und kommt meinem persönlichen Ideal ziemlich nahe:

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    Ich finde Levits Gestaltung hier in sich sehr konsequent und bewundere, mit welchem vorwärtsdrängenden Schwung er in die Sprünge geht (das muss man so erstmal spielen können), aber mir persönlich ist da fast etwas zu viel Drive drin. Es wird gegen Ende der Stelle (kurz vor dem Tutti) geradezu etwas hektisch, wodurch m. E. eher Dramatik eingebüßt als gewonnen wird. Das ist aber alles Klagen auf sehr hohem Niveau, insgesamt finde ich Levits Darbietung des Konzerts sehr bemerkenswert, nur halt an einigen Stellen etwas zu gehetzt.

    Ja, so höre ich das auch, und über das pianistische Niveau kann man sich wohl kaum streiten. Aber ich glaube, dass bei diesem "vorwärtsdrängenden Schwung" im Konzert sowohl für den Pianisten als auch für die Zuhörer ein anderes Maß "richtig" sein kann, als beim nachträglichen, entspannten Zuhören am Bildschirm (unter anderem deshalb bin ich ja gar kein so großer Freund davon, Konzerte für CDs mitzuschneiden). Insofern gefällt es mir eigentlich grundsätzlich, dass Levit sich hier auf die Live-Situation mit allen Risiken und Gefühlsausbrüchen ganz unmittelbar einlässt, das Publikum im Saal anspricht und mitreißt, statt eine gepflegte, nach allen Seiten wohl abgewogene "Auf-Nummer-Sicher-Fassung" für das TV zu spielen.

    Damit meinte ich weniger die Kollegen selbst, als den öffentlichen Umgang mit den Pianisten, die Medienresonanz auf sie.

    Immerhin hat Horowitz sehr anschaulich beschrieben, zu welch einem Leistungsdruck diese immer weiter getriebenen Superlativen der Beschreibung seiner Fähigkeiten geführt haben.

    Damit hast Du natürlich recht. Arrau sagte über seine Anfänge in den USA: "Ich fühlte mich - in musikalischer Hinsicht - sehr fremd. Als ich zum ersten Mal hier war, fand ich die Kriterien, nach denen Musiker beurteilt wurden, einfach unmöglich." Damit meinte er ganz sicher auch die Hysterie um Horowitz' Virtuosität.

    Bedeutet das, daß es keine gesicherte Ausführungsvorschrift oder -tradition gibt und jeder Künstler schauen muß, wie es am besten in seine Werkgestaltung passt?

    Hier ging es ja um die punktierten Akkorde im ersten Satz, ab T. 154, die zuerst vom Klavier, dann vom Orchester gespielt werden (im oben verlinkten Video ab 8'38''). Notiert ist jeweils Achtelnote, Sechzehntelpause, Sechzehntelnote, alles mit Staccato-Punkten, das Ganze im Forte bzw Mezzoforte (Orchester). Das ist das einzige, was "gesichert" ist. Ich würde sagen, dass die Vollgriffigkeit der Akkorde, die Staccato-Punkte vor allem auf den kurzen Noten, und die Tatsache, dass das alles in die "ben marcato"-Stelle mit durchgehenden Sechzehntel-Akkorden führt, für eine eher gewichtige als leichtfüßige Ausführung spricht, mit Betonung der Pausen als Elemente einer rhythmischen Spannung die sich dann in der folgenden Stelle entlädt. Aber natürlich kann man das auch anders verstehen. Levit spielt deutlich überpunktiert, fast doppelt punktiert, was streng genommen nicht dem Notentext entspricht, aber natürlich als Interpretation legitim ist. Die Spannung, die er damit aufbaut, ist eher in Erwartung von Virtuosität, der Klang fast mit schlagzeugartiger Härte. Das ist nicht mein Brahms-Bild, aber das muss es ja auch nicht sein. Die ganze Stelle, vor allem auch die Sprünge danach, klingt für meine Ohren bei ihm wütend und aggressiv und entwickelt einen ungeheuren Sog zum nächsten Tutti. Am Ende von Brahms' allerletztem Klavierwerk, der Rhapsodie op. 119 Nr. 4, gibt einen ähnlichen Wutausbruch (den Julius Katchen unvergleichlich dramatisch gespielt hat). Auch die Stelle ist geprägt von punktierten Rhythmen, wobei da die kurzen Noten noch teilweise durch Akzente geschärft sind. Beim B-Dur-Konzert bin ich nicht ganz überzeugt, dass das so zu verstehen ist.


    Immerhin erklärt es - wenn ich es richtig verstehe - warum bei einigen Interpretationen des B-Dur KK der vierte Satz etwas überspitzt ausgedrückt wie ein Elfentanz daherkommt und es schwer hat, gegen das gewaltige Panorama des ersten Satzes ein Gewicht zu setzen ...

    Ich glaube nicht, dass der letzte Satz das überhaupt versucht. Er ist wie gesagt im Tempo zurückgenommen (Allegretto), über weite Strecken auch in der Dynamik, der Grundcharakter ist "grazioso", und sein erstes Thema schwebt harmonisch quasi in der Luft (Es, D7, Es, F, C7 usw.). Sein zweites Thema erinnert an einen Ungarischen Tanz, sein drittes ist heiter und spielerisch. Er ist von allen orchestralen Finalsätzen bei Brahms eindeutig der entspannteste, heiterste.

    Werter Christian


    Es ist für mich immer wieder erhellend, Deine fundierten Ausführungen zu lesen: grosses Kompliment an einen ausgewiesenen Fachmann!


    Alles Liebe und Gute wünscht Dir

    der Walter aus Bern.

    Oh, vielen Dank, lieber Walter! Mir beschert die Pandemie gerade einen Zwangsaufenthalt zu Hause und deshalb ziemlich viel Zeit...

    Übrigens noch einmal zu den "Brahms-Punktierungen", bei denen die jeweils kurze Note eher gewichtig ist: Ein gutes Beispiel dafür ist der Mittelteil im langsamen Satz der G-Dur-Violinsonate, aber auch manche Passagen im Finale der dritten Symphonie (ab T. 30), das Akkordthema im Kopfsatz des Violinkonzerts usw. Ich hätte bisher die Akkordstelle im Kopfsatz des B-Dur-Konzerts auch in diese Kategorie gerechnet, aber Levit versteht das eben anders. Wichtig ist ja nur, dass man sich über die Bedeutung der punktierten Rhythmen in jedem einzelnen Fall Gedanken macht und sie dann entsprechend gestaltet. Diese Schubertschen "Galopp-Rhythmen" (die auch bei Beethoven vorkommen, z.B. im Finale von op. 31/3 oder im letzten Satz der Kreutzer-Sonate) gibt es nach meinem Eindruck bei Brahms selten bis nie; bei ihm sind die von punktierten Rhythmen charakterisierten Stellen in den meisten Fällen gewichtig und stabil. Bei Schumann wiederum sind sie oft zuckend (Anfang des Klavierkonzerts), verrückt (letztes Stück der Kreisleriana), wild (Scherzo im d-moll-Trio), oder sogar (bei den berühmten Sprüngen in der C-Dur-Fantasie) sich quasi selbst überschlagend.

    Naja, solche Aussagen kann man ja interpretieren wie man will. Insbesondere die zweite Aussage erinnert mich vom Stil her fast an manche von Schostakowitsch in seinen Briefen. ;)

    Ich bin sicher, dass Arrau für Schostakowitsch'sche Hintergründigkeiten viel zu ehrlich war. Im selben Interview hat er sich z.B. äußerst negativ über Paderewski und sehr kritisch über Rachmaninow (als Pianist) geäußert und erschrak sofort danach über sich selbst. Nein, seine Bewunderung für Horowitz war echt, was aber natürlich nicht bedeutet, dass er dessen Art Klavierzuspielen nachgeeifert hätte. Die musikalischen Persönlichkeitsunterschiede waren meines Erachtens in dieser Zeit insgesamt weit größer als heute. Arrau, Horowitz, Gilels, Rubinstein, Michelangeli und viele andere kann man problemlos nach wenigen Takten identifizieren, von jemandem wie Gould ganz zu schweigen. Das kann ich heute noch bei den "großen Alten" wie Sokolov oder Barenboim, aber viele der Jüngeren unterscheiden sich eher im Repertoire (was insgesamt heute deutlich breiter ist als zur Zeit der genannten) oder in der optischen Vermarktung als in der künstlerischen Aussage.

    Aber um mal wieder auf das Thread-Thema zurückzukommen: Levits B-Dur-Konzert fand ich insgesamt sehr stark, nur manchmal etwas verhetzt. Das Adagio braucht für mich am Anfang eine Spur mehr Ruhe, sehr schön war aber dann die Passage mit den beiden Klarinetten vor der Reprise. Im ersten Satz war ich erstaunt, dass er die Stelle mit den punktierten Akkorden fast sportlich nahm. Punktierte Rhythmen können ja interessanterweise sowohl etwas Vorwärtsdrängendes haben (z.B. im zweiten Satz der Schumann-Fantasie, in der dritten Variation aus Beethovens op. 111, in den Finalsätzen der c-moll-Sonate von Schubert, des d-moll-Streichquartetts usw.) oder auch im Gegenteil wie Bremskräfte wirken. In dem Fall muss man die jeweils kurze Note mit mehr Gewicht spielen, als wenn sie sich immer wieder dem Fluss entgegenstellt und ihn zum Stocken bringt, so wie z.B. in der Einleitung zur Egmont-Ouvertüre. Die meisten Brahms-Punktierungen gehören für mich zu diesem Typ.

    Ich habe bei seinen Aufnahmen oft den Eindruck, daß er bewußt herausnimmt, um Details im Notentext oder in seiner Detailgestaltung transparent werden zu lassen - quasi auch ein wenig als Gegenentwurf zur "Virtuosenkultur". Vielleicht hänge ich mich zu sehr damit aus dem Fenster wenn ich vermute, daß seine Erfahrungen in Amerika mit dem Hype um Virtuosen wie Horowitz nicht ganz unbeteiligt daran sein könnten.

    Letzteres finde ich etwas spekulativ, aber dass zumindest der reifere Arrau nie mit Virtuosität "glänzen" wollte, liegt wohl auf der Hand. Aber man darf sich nicht täuschen lassen: Im Vordergrund stand bei ihm fast immer die Gestaltung harmonischer Spannungsverläufe, deutlich vor dem rhythmischen Puls. Dadurch wirken seine Tempi manchmal ausgespielter, breiter, als sie objektiv sind. Und über Horowitz sagte er im Interview ganz eindeutig "Ihn würde ich einen großen Pianisten nennen". Und:
    "Oh, ich war ungeheuer von ihm beeindruckt! Ich hatte nur selten derart eruptives Klavierspiel gehört. Ich weiß noch, ich saß mit meiner Mutter in der ersten Reihe des Beethoven-Saals und war fassungslos vor Staunen, was er zustande brachte, trotz dieser unglaublichen Steifheit der Arme. Den ersten Satz der b-Moll-Sonate werde ich nie vergessen. Das Seitenthema! Meine Mutter, die sehr musikalisch war und der es keiner recht machen konnte - an diesem Abend war sie hingerissen. Auf dem Heimweg sagte sie: 'Du solltest Dich ans Klavier setzten und üben - er spielt besser als du!'"

    Übrigens gibt es an den meisten deutschen Musikhochschulen inzwischen nicht einmal mehr die früher üblichen Altershöchstgrenzen (außer natürlich bei Jungstudenten), als einzige Ausnahme fällt mir Leipzig ein. Aber auch dort gibt es keinen Maximal-BMI :).


    Und noch einmal zum Begriff der "Eignungsprüfung", der anscheinend für den einen oder die andere verwirrend ist:
    Das ist eine Prüfung, deren Bestehen Voraussetzung zum Studium an einer Musikhochschule ist. Früher nannte man das "Aufnahmeprüfung" aber das wurde geändert, weil auch Bewerber, für die es keinen Studienplatz gibt, "geeignet" sein können, bzw. weil umgekehrt "geeignete" Bewerber nicht automatisch einen Platz bekommen. Dieser Begriff bezieht sich also ausschließlich auf die Ausbildung an einer Hochschule, nicht auf eine Bewerbung für ein späteres Engagement. Dafür gibt es an Opernhäusern oder bei Agenturen das "Vorsingen" und bei Orchestern das "Probespiel".

    Entschuldigung, das habe ich ganz vergessen. Daß Du an sämlichen Opernhäusern der Welt bei allen Eignungsprüfungen der angehenden Opernsänger dabei warst. Dann sieht die Sache natürlich ganz anders aus und das ist der schlagende Beweis.

    Das ist jetzt einfach nur noch zum Fremdschämen: Du hast den von Dir verlinkten Artikel offensichtlich weder gelesen noch verstanden, und Du weißt nicht einmal, was eine Eignungsprüfung ist. Da kommt dann halt eine solche Peinlichkeit heraus.

    Ich habe gerade mal in das Finale mit Arrau/Haitink reingehört. Das ist in der Tat alles sehr sauber gespielt, aber im Tempo (für meinen Geschmack) auch reichlich betulich. Ich frage mich, ob man sich auf dieses Tempo verständigt hat, damit Arrau die heiklen Passagen (insbesondere den fast unspielbaren Lauf) so spielen konnte, ob dies also dem Bestreben nach Exaktheit geschuldet war.

    Nein, das glaube ich auf keinen Fall. Oder wenn Exaktheit, dann die der Tempobezeichnung (nach den beiden ersten Allegro-Sätzen in diesem Finale nur Allegretto), der Charakterisierung (grazioso) und sogar der - bei Brahms nicht allzu wichtigen - Metronomzahl.(104), die Arrau hier bei aller Freiheit ziemlich genau trifft. Dieses Finale ist ja insgesamt eher heiter entspannt, paradoxerweise trotz der immensen technischen Schwierigkeiten auch nicht wirklich virtuos, sondern eher spielerisch leicht. Und deshalb so schwer... Dass Arrau, wenn es nötig und angemessen war, auch durchaus eine virtuose "Pranke" zeigen konnte, hört man z.B. bei manchen seiner Schumann-Einspielungen und sogar im Finale der Hammerklaviersonate. Sein Ruf als "Langsamspieler" ist zum großen Teil falsch, mindestens einseitig.

    Ich gehe davon aus, daß ein Journalist des Feuilletons der SZ das ordentlich recherchiert hat.

    Und ich gehe wie gesagt davon aus, dass Behauptungen von demjenigen belegt werden müssen, der sie aufstellt. Ich habe aber verstanden, dass Du das für überflüssig hältst, wenn er denn nur im SZ-Feuilleton schreibt. Nun ja. Übrigens war ich (ich vermute im Gegensatz zu Michael Stallknecht und - bitte korrigiere mich, wenn ich Dir Unrecht tue - im Gegensatz zu Dir) bei so ca. 100 Eignungsprüfungen beteiligt, und ich kann Dir versichern, dass die penible Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben von der Begrüßung der Bewerber bis zur Entscheidung, Begründung und Bekanntgabe der Ergebnisse extrem wichtig genommen wird. Kein Prüfer, der auch nur einigermaßen bei Verstand ist, würde einem Bewerber sagen, dass er wegen seines Körpergewichts nicht genommen wird, denn damit würde er zu einer Klage geradezu einladen.

    Man muss Brahms zugute halten, dass er das Stück selbst gespielt hat, aber natürlich wissen wir nicht, ob er eventuell auch geschummelt hat.

    Wir wissen es nicht konkret bei diesem Stück, aber es ist sehr naheliegend, denn schon aus jungen Jahren gibt es Rezensionen, in denen er mehr oder weniger dezent für mangelnde pianistische Präzision kritisiert wurde. So schrieb z.B. Eduard Hanslick nach Brahms' ersten Wiener Konzerten: "Brahms schien an dem Abend ganz besonders gut disponiert. Damit will keineswegs gesagt sein, daß jede Passage spiegelhell blinkte, und jeder Sprung haarscharf traf. Seine Technik ist wie ein kräftiger, hochgewachsener Mann, der aber etwas schlendernd und nachlässig gekleidet einhergeht."

    Es wäre also sehr verwunderlich, wenn er, als er rund zwanzig Jahre später von Ende 1881 bis Februar 1886 das B-Dur-Konzert auf Tourneen spielte, dessen "pianistische Perversionen" (Alfred Brendel) bis in alle Details beherrscht hätte, denn geübt hat er sicherlich nicht mehr viel.

    Ich habe mal eine Frage an die Brahms-Kenner. Im letzten Satz des zweiten Konzerts gibt es diese schnellen, kurzen Terzenläufe in der linken und rechten Hand. Werden die tatsächlich so gespielt wie notiert? Mein Eindruck (ohne wirklich pingelig hingehört zu haben) ist, dass die meisten Pianisten hier etwas vereinfachen, um nicht "schummeln" zu sagen. Stimmt das, oder habe ich Gemüse in den Ohren?

    Du meinst die Stellen, wenn die Holzbläser das zweite Thema spielen und das Klavier mit den Doppel-Terzen begleitet? Die werden normalerweise schon so gespielt wie notiert, allerdings bei einigen Pianisten nicht mit aller Klarheit. Die meisten Pianisten mogeln hingegen ein bisschen bei dem D-Dur-Terzenlauf in T. 266/267, der von der rechten Hand "pp leggiero sempre" in Septolen zu spielen ist, während die linke in Sextolen die Basis gibt. An der Parallelstelle in T. 32/33 fehlen diese Passagen links, so dass man die Terzen ganz bequem mit zwei Händen spielen kann, aber hier brauchte man entweder eine dritte Hand, oder es geht hart an die Grenze der Unspielbarkeit. Keine Ahnung, was Brahms sich dabei gedacht hat :). Man kann es allerdings kaum bis gar nicht hören, wenn der Pianist hier ein paar Unterterzen auslässt. Auch bei Igor Levit..., aber lassen wir das. Wenn Du diese Stelle wie auch die o.g. mit den Doppelterzen mal wirklich glasklar hören willst, dann nimm die Aufnahme mit Arrau (und Haitink). Der war einfach ein so grundehrlicher Künstler, dass er wohl vor Scham im Boden versunken wäre, wenn er da ein paar Töne weggelassen hätte, die Brahms geschrieben hat.

    Das sind alles nur Vermutungen. Die SZ recherchiert normalerweise zuverlässig.
    Woher wissen Sie denn, dass das nicht passiert ist und hinterher genau das gemacht wurde, was Sie vermuten, nämlich geklagt?

    Mit genauem Lesen hast Du es wohl nicht so: Ich habe nicht behauptet, dass das "nicht passiert" ist, sondern ich habe für die aufgestellte Behauptung, es sei so passiert, einen Beleg verlangt. Üblicherweise muss derjenige, der eine Sache behauptet, sie auch belegen. Aber offensichtlich bist Du da anderer Meinung.

    Dann fragen Sie doch Michael Stallknecht. Der wird schon einen Beleg haben.

    Wenn er den hätte, gäbe es keinen Grund, ihn im Artikel zu verschweigen. Es gibt eben nicht nur Capriccio-User sondern auch Journalisten, die einfach mal ins Blaue hinein irgendetwas behaupten und das als Beleg für ausreichend halten. Vielleicht hat er ja irgendeine ominöse E-Mail unbekannter Herkunft bekommen oder beruft sich auf "Informationen aus erster Hand", die er "nicht ausbreiten" möchte. Auf solches Geschwätz gebe ich nichts.