Die Frage ist, das kann ich nicht beurteilen, ob die Quellen schon so offen zutage lagen, dass die Öffentlichkeit es hätte wissen können.
Es gab laut Magnus Brechtken wohl schon recht früh einige unbekanntere Historiker, die in den Archiven Belege bzw. Beweise für Speers Lügen gefunden und z.B. in Dissertationen veröffentlicht haben. Aber keiner von ihnen gehörte zu den "Prominenten" des Fachs, die den Ton angaben und deren Desinteresse nicht selten die Aufklärung behinderte, oder die sich - so Brechtken - offensichtlich einfach nicht vorstellen konnten, wie systematisch Speer gelogen hat. In der Öffentlichkeit sei das Speer-Bild vom "Edel-Nazi mit Reue-Garantie" auch deshalb so attraktiv gewesen, weil es Speer "zur idealen Projektionsfläche (machte) für die vielen kleineren und größeren einstmals Engagierten, die nun ebenfalls nichts mehr wissen wollten vom eigenen Anteil am Funktionieren der Herrschaft. Und noch weniger vom eigenen Mittun bei der Organisation von Verfolgung und Verbrechen." Obwohl die Fakten inzwischen längst offen liegen, sind die Folgen der Speer-Legende erstaunlich langlebig: Noch 2015 erschien das Buch von Martin Kitchen mit dem verharmlosenden Titel "Hitler's Architect", in dem zentrale Dokumente zu seinen Verbrechen unberücksichtigt sind. Die Aufklärungsarbeit ist also immer noch nicht abgeschlossen. Als ich Brechtkens Buch vor gut vier Jahren gelesen habe, hatte ich im Anschluss mit dem Verfasser einen kurzen Mail-Austausch, in dem er mir u.a. geschrieben hat:
"Tatsächlich hat es auch in den 1970er und 1980er Jahren schon kritische Stimmen zu Speer gegeben, die allerdings im dominierenden Diskurs nicht durchdrangen. Darum war und ist es stets auch notwendig, auf die Einflüsse jener einzugehen, die solche Diskurse prägen und gegebenenfalls Aufklärung aufhalten. Im Fall Speer war das, wie Sie nun selbst nachvollziehen können, vor allem Joachim Fest. Es wird interessant und spannend sein zu sehen, wie sich die weitere Diskussion, nicht zuletzt über solche Einflüsse weiter entwickeln wird."
Dazu ein Literaturhinweis:
Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung (2004)
Danke für den Hinweis, das kenne ich noch nicht!