Dass ECM mit Jan Garbark u.a. eher Elegischem das deutsche Bild von skandinavischem Jazz geprägt hat - auch in der Verbindung mit den Coverfotos weiter menschenleerer Naturansichten - ein Bild, das heute von Act erweitert, wird um den mir zumeist zu glatten Nils Landgren und die vielen poppig trällernden Damen - , sollte nicht übersehen lassen, dass es auch einen ganz anderen Jazz in Skandinavien gab und gibt, der zumeist anderswo, bei Stunt und den vielen kleineren skandinavischen Labeln herauskam.
Doch manchmal verirrte sich sogar so ganz anderes aus Skandinavien aus Versehen, - einer Unaufmerksamkeit von Manfred Eicher? auf ECM, z.B. diese beiden von Krakatau:
Zwei meiner liebsten ECM- Platten mit wilden postcoltranesken Bläsern, schräg-psychedelischer E-Gitarre und viel Power von Drums und Percussion. Nicht untypisch für viel skandinavischen Jazz ist auch dies, gerade für das, was heute dort an Hochinteressantem sich tut. Nicht untypisch ist sie auch insofern, da man im skandinavischen Jazz schon sehr früh häufig Bezüge zum einheimischen, wie von anderswo aufgeschnapptem oder einfach selbst ausgedachtem Folk und sehr früh zu allerlei Weltmusik fand. So gibt es auch hier viel psychedelisches Fantasie-Asien zu hören. Nach diesen beiden Platte war dann aber für diese tolle dänisch-schwedische Band Schluß bei ECM.
Auch Steve Lake konnte als Produzent öfter Musik bei ECM unterbringen, die dem gewohnten ECM-Bild und Klangideal widersprachen, z.B. die letzten Aufnahmen von Hal Russell.
Leider scheint sich das Spektrum bei den Jazzveröffentlichungen nach meiner Wahrnehmung einzuschränken.
Natürlich sind noch eine ganze Reihe von Musikern, die ich überaus schätze bei ECM, z.B. Enrico Rava, Stefano Bollani, Thomasz Stanko, Bobo Stenson, Paul Bley. Deren CDs sind auch nach wie vor sehr gut. Aber die für mich viel interessantere Stimmung ihrer Liveauftritte finde ich nur noch sehr abgedämpft bei ECM. Auch mal Wilderes, Aggressiveres oder der wunderbare Humor etwa bei Ravas/Bollanis Liveauftritten kommt allenfalls noch sehr gedämpft rüber. Rava, Bollani, Paul Bley machen m.E. ihre interessanteren Aufnahmen schon lange parallel anderswo. Auch der famose Louis Sclavis, der immer für Überraschungen gut war, ist abgewandert. Ich wünschte mir, die genannten würden das auch ganz tun. Ich glaube, ihren Aufnahmen würde das gut tun. Doch hat ECM über die Jahre einfach einen vergleichsweise erstklassigen Vertrieb aufgebaut und eine Hörerschaft ausgebildet, die halt einfach "ECM-Platten" kauft. Das gibt man als Musiker natürlich auch nicht so gerne auf. Denn was nützt die genialere CD, die nirgendwo besprochen und in Läden ausgelegt wird und bei JPC oder Amazon nicht gelistet ist. Selbst wenn man wie Sclavis und Rava bei Label Bleu aufnehmen kann, der Markt für Jazz-CDs ist in Frankreich kleiner als in Deutschland und hier läßt der Vertrieb und die Öffentlichkeitsarbeit selbst dieses inzwischen nicht mehr soo kleinen Labels sehr zu wünschen übrig.
Derzeit versucht Stunt Records, das größte skandinavische Jazzlabel aus Dänemark, das mit Sundance über einen guten eigenen Vertrieb verfügt und gut mit Kapital aus staatlichen Subventionen und aus anderen Branchen ausgestattet ist, mit massiver Unterstützung des dänischen Staates energisch in den deutschen ud europäischen Markt reinzukommen. In Frankreich bei den Absatzzahlen, wie ich gehört habe, inzwischen schon mit einigem Erfolg. Auf Stunt kommt überwiegend guter Mainstream raus, also nicht nur etwas für die Neutöner-Freaks, aber auch die werden gelegentlich mit vorzüglichem versorgt. Aber dem ECM- und heute auch Act -bestimmten deutschen Skandinavienbild entspricht kaum eine Aufnahme. Außerdem werden häufig internationale Stars zu Aufnahmen skandinavischer Bands dazugeholt. Zudem erscheinen hier die CDs mit den Preisträgerkonzerten des höchstdotierten europäischen Jazzpreises, dem Jazzpar-Price. Die Liste der Preisträger ist vorzüglich und diese Aufnahmen sind m.E. alle bis jetzt auch in den reichen Diskographien der Preisträger ganz ausgezeichnet geworden. Zu den Regeln dieser Preisträgeraufnahmen gehört, dass die Preisträger neben Wunschpartnern aus ihren eigenen Projekten oder mit denen sie immer schon einmal zusammenspielen wollten, auch skandinavische Musiker dazuladen müssen.
Es wird interessant zu sehen sein, ob es Stunt Records gelingt, das sehr einseitige Bild vom skandinavischen Jazz in Deutschland zu verändern und darüber in der Folge auch kleinere Label mit ausgefallenerer Musik sich Öffentlichkeit und eine Marktniesche in Deutschland erschließen können.
Matthias