Nachdem ich nun über mehrere Tage verteilt diese Übertragung angeschaut habe, gebe ich auch mal meinen Senf dazu...
Fangen wir mit dem positivsten an, was mir aufgefallen ist: wir haben die komplette Oper gehört. Keine Striche, nicht ein einziger. Ich finde, dass man das nie genug herausstellen kann, wie sehr Opern, die aus der Belcanto-Tradition kommen, gewinnen, wenn man sie ungekürzt präsentiert. Die Architektur bekommt eine bestechende Logik, die Dramaturgie erscheint zumindest mir persönlich um einiges logischer und die Musik hat Zeit, sich zu entfalten. Wem diese absolut begrüßenswerte Entscheidung zuzuschreiben ist, weiß ich nicht, das könnten ja sowohl Regisseur als auch Dirigent gewesen sein, jedenfalls ist es das, was mir an dieser Aufführung am positivsten aufgefallen ist.
Knappe Nummer zwei: Anna Netrebko. Ich zähle mich keineswegs zu ihren Fans, und war in der Vergangenheit ihr aus verschiedenen Gründen eher negativ gesinnt, was z.B. an ihrem absolut indiskutabel misslungenen Verdi-Album lag. Als Leonora in dieser Produktion hat sie sich absolut selbst übertroffen. Eine ehrliche, direkte und fast ohne sängerische Eitelkeiten und Geschmäcklereien auskommende Interpretation. Die Stimme klingt gereift, die Klangfarbe finde ich ideal für Verdi, ihre Koloraturen haben sich enorm verbessert und sie erreicht etwas, was ihr meines Erachtens nach früher völlig abging: sie berührt den Zuhörer, und beeindruckt ihn nicht nur. Auch hier ist es wichtig zu sagen, dass sie als eine der wirklich wenigen Sopranistinnen dieser Welt die Rolle auf der Bühne ungekürzt singt - beide Arien absolut komplett, in der Wiederholung von "Tu vedrai" brachte sie sogar ein paar dezente und stilistisch einwandfreie Verzierungen an.
Was mich nach wie vor stört, ist ihre Intonation - oftmals einfach zu hoch oder einfach unpräzise. Aber auch hier finde ich dass eine absolut positive Entwicklung geschehen ist. Brava, ich freue mich auf den weiteren Verlauf ihrer Karriere!
Marie-Nicole Lemieux hat mich ebenfalls beeindruckt; sie singt eine ja eher junge Azucena, die darstellerisch und musikalisch sehr berührt - im Finale beispielsweise ist sie wirklich bewegend. Stimmlich führt die Partie sie (noch?) an ihre Grenzen; vieles wackelt einfach erheblich daher und in den höher liegenden Passagen klingt sie sehr angestrengt. Auch hier, wenn sie sich zurücknimmt, wie im erwähnten Finale, erreicht sie tolle Momente.
Francesco Meli - uff. Eine einzige, zugegebenermaßen ja attraktive Farbe, die aber konsequent durchgezogen. Keine Zwischentöne, und wenn er versucht leise zu singen, wird es äußerst kritisch. Kein nennenswerter Interpretationsansatz, keine Persönlichkeit. Sehr schade. Dass er die Cabaletta transponiert ist kein Problem - nur schafft er die hohen Töne dann trotz ewigem Pausieren davor nicht wirklich überzeugend. Warum lassen sich alle Manricos immer nur an der Lautstärke messen, oder an den Acuti? Ich finde es sehr schade, dass hier immer noch nur Testosteron versprüht wird und sich, anders als in den Frauenrollen beispielsweise, um keine Neubelichtung bemüht wird. Wir haben heute keine Corellis und Di Stefanos mehr, dafür aber andere tolle Sänger - warum singen die nicht einfach mit ihrer Stimme und belichten damit altbekannte Rollen neu? Ich bin überzeugt dass Meli viel besser hätte abschneiden können, wenn er sich einfach getraut hätte, er selbst zu sein.
Domingo - mag er Bariton sein oder nicht, mag die Stimme hinüber sein oder nicht, bei ihm erkennt man einfach den routinierten Künstler, auch wenn das nicht sein annährend bester Abend war. Vielleicht ist es mein Respekt vor seiner Lebensleistung, vielleicht auch die Sympathie, die er ausstrahlt - ich fand seine Leistung viel weniger bedenklich als die Melis.
Die kleinen Rollen rollendeckend, aber keineswegs aufhorchend besetzt. Der Chor mittelprächtig - das Orchester beschämend (was passiert denn da die ganze Zeit im Graben? Haben die keine Lust zu spielen??), das Dirigat wenig einfühlsam bis grotesk daneben. Bühne und Graben so oft nicht zusammen - das ist schon merkwürdig, und für Salzburger Festspiele, Stars, Millionen Euro etc für mich persönlich nicht ausreichend. Da klingen oftmals normale Repertoirevorstellungen an kleineren Häusern besser.
Die Inszenierung - tja. Ich fand die Idee sehr reizvoll, dass die Gestalten quasi aus den Gemälden kommen und die Wärter offenbar von der Welt der Malerei besessen sind. Was dann aber im weiteren Verlauf daraus gemacht wurde, fand ich eher belanglos - was nun genau die Entwicklung der Personen war und worauf das ganze nun hinauslief blieb für mich im Dunkeln.
Fazit: ein hurrah für ungekürzten Verdi und Anna Netrebko - hoffen wir dass diese Kombination noch lange weiter besteht!