Jaromir Weinberger: Frühlingsstürme - Komische Oper Berlin, 25.01.2020
Es ist keine einfache Aufgabe, heute „Frühlngsstürme“ von Jaromir Weinberger aufzuführen. Das liegt nicht etwa an mangelnder Qualität dieser „Operette“ – die Produktion in der Komischen Oper überzeugt den Zuhörer auf glanzvolle Weise vom Gegenteil – sondern an der seltsamen Aufführungsgeschichte dieses Werks: Zehn Tage vor der Machtergreifung der Nazis in Berlin mit Erfolg uraufgeführt, wurden die „Frühlingsstürme“schon wenige Wochen später abgesetzt. Weil der Komponbist, der Librettist und drei der Hauptdarsteller (darunter Richard Tauber) jüdischer Herkunft waren, fiel das Stück gleich der ersten „Säuberungswelle“ der brutalen neuen Machthaber zum Opfer. Danach sind einige Aufführungen zwischen 1946 und 1950 in der damaligen Tschechoslowakei belegt – das war’s bis zum 25. Januar 2020.
Die Partitur ist verschollen: Es existieren ein Klavierauszug mit verschiedenen Instrumentationshinweisen, ein paar Schellack-Aufnahmen, u.a. mit Richard Tauber, die zu Werbezwecken bereits vor der Uraufführung 1933 in der originalen Orchesterbesetzung aufgenommen wurden, die zum selben Zweck gedruckten „Schlagerhefte“ zuim häuslichen Nach-Musizieren mit Notenmaterial sowie einige wenige Orchesterstimmen.
Im Programmheft beschreibt der Arrangeur Prof. Norbert Biermann, der 2017 von Intendant und Regisseur Barrie Kosky mit der aufführungsgerechten Rekonstruktion der „Frühlingsstürme“ beauftragt worden war, diesen Prozess spannend wie ein Krimi. Das Endprodukt enthält – so Barrie Kosky – 85 % „reinen Weinberger“ sowie ein paar Zutaten, die aus Weinbergers Themenmaterial von Biermann auf Wunsch des Regisseurs neu arrangiert bzw. komponiert wurden – neben einigen Tanzeinlagen vor allem ein Quartett für die vier Solosänger im ansonsten musikarmen dritten Akt, das sein Themenmaterial aus einem Liebesduett im ersten Akt ( „Frühling in der Mandschurei“) schöpft und dem Stück einen wehmütig-elegischen Ausklang verschafft.
Was für eine Musik!!Weinberger, u.a. von Ulrich Schreiber in seiner Besprechung des Erfolgsstückes „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ des Ekektizismus und der Oberflächlichkeit bezichtigt, zeigt sich in den „Frühlingsstürmen“ als ein wahrhaft kosmopolitischer Hansdampf in allen stilistischen Gassen der damaligen Zeit. Mit Schwung und Inspiration gibt er der Operette, was der Operette ist: Tango, Foxtrott und Anklänge an Jazz durchziehen das Werk ebenso wie ganz andere, ernste Töne. - Anklänge an Puccini, Strauss oder Schreker. Stets haben seine auch durch sein ur-tschechisches Musikantentum geprägten melodischen Einfälle Originalität, Stil und Schwung. Die Partitur enthält durchaus einige Nummern, die das Zeug zum Ohrwurm und Schlager haben wie „Nimm mich nach China mit…“, „Man sieht sich einmal, man sieht sich zweimal…“, „Wann soll man küssen…“ oder auch die für Richard Tauber geschriebene Romanze „Du wärst die Frau für mich gewesen“. Dass sie es (noch) nicht sind, liegt nach meinem Dafürhalten weniger daran, dass sie – wie mancherorts zu lesen – für ein Operettenpublikum zu komplex und zu wenig eigängig wären – sodern viel eher daran, dass die Geschichte diesem Stück bis heute den Ehrenplatz und damit die Popularität verweigert hat, die es längst verdient.
Worum geht es in den „Frühlingsstürmen“? Das Stück ist im japanisch-russischen Krieg von 1904 angesiedelt, schon dies bemerkenswert: Zwar ist der Krieg als Folie für die Operette schon seit Offenbach („Die Großherzogin von Gerolstein“) und Strauß („Der Zigeunerbaron“) nicht selten; hier aber wählten die Autoren jedoch eine reale kriegerische Auseinandersetzung, die im Gedächtnis des Publikums noch sehr präsent war, auch weil es 1932 erneut zur Besetzung der chinesischen Mandschurei durch japanische Truppen kam. Genau dort spielt die „Operette“ und erzählt eine bewegte und nicht glücklich endende Liebesgeschichte zwischen einer russischen Generalswitwe und einem japanischen Offizier, der sich, als chinesischer Diener verkleidet, im Hauptquartier der russischen Truppen aufhält. Er wird enttarnt, verhaftet und doch auf Bitten seiner Geliebten – freigelassen vom russischen General Katschalow, der auch ein Auge auf die Dame geworfen hat. Diese tragende Rolle ist von den Autoren als reine Sprechrolle angelegt – auch dies eine Besonderheit des Stückes, dass im übrigen ohne Chor und große Ensembles auskommt. Zum Ausgleich für den großen Umfang der Sprechszenen hatte sich Barry Kosky mit untrüglichem Theaterinstinkt von Norbert Biermann zusätzliche Tanzeinlagen gewünscht, die von einem zwölfköpfigen Damen-Ensemble mit viel Temperament (Choreografie: Otto Pichler) und in auffällig-vielfältigen Kostümen (Dinah Ehm) absolviert werden.
Barrie Kosky sieht Weinbergers Werk im Kontext der „zweiten Berliner Operette“ der zwanziger Jahre, der er – vor allem durch seine Aufführung des „Ball im Savoy“ von Paul Abraham (uraufgeführt nur wenige Wochen vor den „Frühlingsstürmen“) - ganz neue Beachtung und Geltung verschafft hat. Seine Inszenierung ist nun geradezu ganz „klassisch“ zu nennen, vorzüglich ausbalanciert zwischen den ernsten Handlungsmomenten, den dezent eingestreuten Showelementen und dem pfiffigen Klamauk des Buffo-Paares, das anders als die beiden Protagonisten am Ende ein Happy-End erlebt. Den Werkstattcharakter der Produktion betont vor allem das Bühnenbild (Klaus Grünberg): Eine überdimensionale Holzkiste mit beweglichen Wänden und vielen Türen beherrscht die Drehbühne und vermittelt immer neue Einsichten und Perspektiven. In diesem Ambiente kommt Kosky mit wenigen Versatzstücken und Requistien aus, für das Hauptquartier der rusischen Truppen, für die Hinterzimmer des Ballsaals (den Ball selbst bekommen wir nicht zu sehen) und auch – versehen mit einer slapstick-fähigen Drehtür – das Foyer des Hotels in San Remo, wo der dritte Akt anlässlich der Friedensverhandlungen nach dem Krieg spielt.
Musikalisch ist das Werk beim groß besetzten Orchester der Komischen Oper unter der Leitung von Kapellmeister Jordan de Souza in den besten Händen. Er bringt die buffonesken und tänzerischen Elemente der Partitur ebenso griffig zum Klingen wie die spätromantisch-lyrischen Passagen. Die Sprechrolle des Generals Katschalow ist dem Schauspieler Stefan Kurt glänzend besetzt. Kosky hat ihm ein paar geradezu herzzerreißend komische Auftritte inszeniert, die aber nie dazu führen, dass der Figur ihre Würde genommen wird. Mit dezenter Ironie kommentiert der Regisseur die Liebesduette – etwa, wenn die Liebenden von einem Wald von Federfächern umhüllt werden, den die Tänzerinnen tragen. Vera-Lotte Böcker gibt die verführerische russische Gräfin und überzeugt als leidenschaftlich Liebende eher denn als männermordende Grand-Dame, die sie dem Libretto nach auch ist – ein bisschen zumindest.
Rundum überzeugend auch das Buffo-Paar: Alma Sadé als rotzfreche Generalstochter und Dominik Köninger als deutscher Skandaljournalist in ständig wechselnden Verkleidungen zelebrieren die Duett-Couplets mit Charme, Temperament und stimmlichem Glanz.
Die Richard-Tauber-Rolle des japanischen Offiziers Ito übernimmt schließlich Tansel Akzeybek. Als rein lyrischem Tenor fehlt ihm natuigemäß das Feuer und der Glanz, den Tauber selbst auf der oben angesprochenen Schellack-Aufnahme (anzuhören bei youtube) verströmt. Er gleicht das aus durch musikalische Sorgfalt und glänzende Technik – außerdem überzeugt er – wie alle außer Vera-Lotte Böcker – durch geradezu vorbildliche Textverständlichkeit. Besonders zu loben sind die Sänger außerdem für die Souveränität und schauspielerische Qualität, mit der sie die zahlreichen Dialogszenen absolvieren. Von dem aus früheren Operetten- und Spielopernaufführungen bekannten und beklagten heulenden Singsang, mit dem Opernsänger sich ehemals durch Sprechszenen quälten, ist hier nichts mehr übrig. Man merkt, hier sind Spezialisten am Werk.
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Obwohl schon eine ganze Reihe Kritiken zur Premiere erschienen sind, die die Qualitäten der Aufführung teilweise treffend schildern und zusammenfassen, habe ich mich doch dazu entschlossen, meine Eindrücke ausführlich wiederzugeben – nicht zuletzt, um auch den Leserinnen und Lesern hier Appetit zu machen auf diese wahrhaft spektakuläre Neuentdeckung und eine herzerfrischend originelle Produktion!
PS: Einen Eindruck verschaffen kann man sich bei Operavision durch den dort (oder bei Youtube) bereitgestellten Liverstream der Premiere. Die nächsten Aufführungen sind am 08., 13., 23. Februar sowie 01., 12., 28. und 31. März – teilweise in anderer Besetzung.