Veroneskes Breitwandspektakel ist natürlich Geschmackssache, aber - mein Eindruck - verglichen mit anderen Aufführungen der letzten Jahre in der Arena ist der Künstlerischen Leiterin, Cecilia Gasdia, mit dieser "Carmen" eine Aufführung wie aus einem Guß gelungen. Kostüme und Kulissen von Qualität, mit der Garanca eine Carmen der Extraklasse - sie singt nicht nur toll, sondern hat auch die nötige Ausstrahlung, nicht die Vulgärkoketterie, mit der sich etliche andere in dieser Rolle behelfen müssen. Eine Charakterstudie einer gesellschaftlichen Außenseiterin, die sich absolut nicht den sozialen Konventionen unterwerfen will - ein sehr moderner, aktueller Typ, natürlich zum Scheitern verurteilt. Ein Pauschallob für das übrige Ensemble, alles gleichzeitig vorzügliche Schauspieler. Brian Jagde als Don José ist das Gegenteil von stilistischer Eleganz (wie dieser Part oft interpretiert wird), aber als geistig wenig beweglicher Bauer, der mit seiner ungewohnten Umwelt nicht fertig wird und deshalb in der Gewalt endet, da ist er vollkommen riollendeckend. Auch er ein Typ, der aktueller nicht sein könnte (man denke an die Serie der Frauenmorde nicht nur in diesem Jahr). Natürlich kann man die Blumenarie "schöner" singen, aber das wäre in dieser Inszenierung verkehrt. Das Grelle, Reißerische wird bewußt vermieden, auch musikalisch seitens des Orchesters, keine Karajan-Effekte (nichts gegen dessen "Carmen", die auch verehre). Hier wird ein fast unterschwelliger Verismo demonstriert, der von Anfang an beklemmend wirkt, aber nie vordergründig wird und einen eigenartigen Kontrast zur Optik des romantisierenden Farbenzaubers darstellt. Ich spüre hier die Brüchigkeit des gesellschaftlichen Glanzes, die Spannungen hinter der "Folklore". Bezeichnend, daß Escamillo nicht als jugendlicher Feschak (Typus Erwin Schrott) daherkommt, sondern als reifer, abgebrühter Typ zynischer Männlichkeit. Während José in seiner Naivität nichts begreift, hat Escamillo auf Grund seiner amoralischen Einstellung keine Probleme, die verschiedenen sozialen Welten zu verbinden - es wäre ohnehin nur auf Zeit.
Ich verstehe schon, daß man die "Carmen" lieber "fetzig" haben will. Ich mag eine solche Version ja auch, aber es gibt eben viele Möglichkeiten...