Beiträge von Waldi

    Veroneskes Breitwandspektakel ist natürlich Geschmackssache, aber - mein Eindruck - verglichen mit anderen Aufführungen der letzten Jahre in der Arena ist der Künstlerischen Leiterin, Cecilia Gasdia, mit dieser "Carmen" eine Aufführung wie aus einem Guß gelungen. Kostüme und Kulissen von Qualität, mit der Garanca eine Carmen der Extraklasse - sie singt nicht nur toll, sondern hat auch die nötige Ausstrahlung, nicht die Vulgärkoketterie, mit der sich etliche andere in dieser Rolle behelfen müssen. Eine Charakterstudie einer gesellschaftlichen Außenseiterin, die sich absolut nicht den sozialen Konventionen unterwerfen will - ein sehr moderner, aktueller Typ, natürlich zum Scheitern verurteilt. Ein Pauschallob für das übrige Ensemble, alles gleichzeitig vorzügliche Schauspieler. Brian Jagde als Don José ist das Gegenteil von stilistischer Eleganz (wie dieser Part oft interpretiert wird), aber als geistig wenig beweglicher Bauer, der mit seiner ungewohnten Umwelt nicht fertig wird und deshalb in der Gewalt endet, da ist er vollkommen riollendeckend. Auch er ein Typ, der aktueller nicht sein könnte (man denke an die Serie der Frauenmorde nicht nur in diesem Jahr). Natürlich kann man die Blumenarie "schöner" singen, aber das wäre in dieser Inszenierung verkehrt. Das Grelle, Reißerische wird bewußt vermieden, auch musikalisch seitens des Orchesters, keine Karajan-Effekte (nichts gegen dessen "Carmen", die auch verehre). Hier wird ein fast unterschwelliger Verismo demonstriert, der von Anfang an beklemmend wirkt, aber nie vordergründig wird und einen eigenartigen Kontrast zur Optik des romantisierenden Farbenzaubers darstellt. Ich spüre hier die Brüchigkeit des gesellschaftlichen Glanzes, die Spannungen hinter der "Folklore". Bezeichnend, daß Escamillo nicht als jugendlicher Feschak (Typus Erwin Schrott) daherkommt, sondern als reifer, abgebrühter Typ zynischer Männlichkeit. Während José in seiner Naivität nichts begreift, hat Escamillo auf Grund seiner amoralischen Einstellung keine Probleme, die verschiedenen sozialen Welten zu verbinden - es wäre ohnehin nur auf Zeit.

    Ich verstehe schon, daß man die "Carmen" lieber "fetzig" haben will. Ich mag eine solche Version ja auch, aber es gibt eben viele Möglichkeiten...

    Vermutlich ist das die Aufnahme von 1930. Die Stimme kommt bei mir ziemlich verzerrt aus den Lautsprechern, sodaß ich mich mit einer Beurteilung eher zurückhalte. Zu einem mehrfachen Anhören fehlt mir im Moment leider die Zeit. Deutlich scheint mir, daß Favero sehr auf deutlichen (für manche heutige Ohren vermutlich zu markanten) Gefühlsausdruck setzt, mehr als auf legato. Aber natürlich ist das nur ein spontaner Eindruck nach einem kurzen Vergleich mit etwa der Callas und kein festgebranntes subjektives Urteil. Schönes, passendes Timbre.

    Wegen Erkrankung von Roberto Alagna und Sonja Yontcheva hat die Wiener Staatsoper die September-Aufführungen von "La Juive" abgesagt und hat statt dessen "La Bohème" ( davon dreimal mit Anna Netrebko) und "Carmen" (mit Elina Garanca) angekündigt. Als Rodolfo ist u.a. Vittorio Grigolo vorgesehen, als Don José Piotr Beczala.

    Jess Thomas war für mich einer der besten Wagner-Tenöre, weil seine Stimme sowohl die heldischen wie die lyrischen Nuancen aufwies. Bei diesem Lohengrin habe ich allerdings den Eindruck, daß er etwas braucht, um auf Touren zu kommen und sich nicht richtig wohl fühlt. Das recht langsame Anfangstempo Rudolf Kempes scheint ihm nicht zu behagen, Thomas drückt dann etwas - beinahe zu sehr - auf die Tube, aber erst im Schlußteil finden Dirigent und Sänger so richtig zusammen.

    Neukirchs Postillion: Technisch beachtliche Leistung, allerdings bleibt die Gestaltung dahinter zurück. Die Artikulation (nicht nur die Vokale) ist nicht ganz sauber. Insgesamt aber dennoch eine beeindruckende Leistung, die Hochachtung verdient.

    Ja, die Zeit zum Hören zu finden, ist oft gar nicht leicht - und schon keucht man dem Thread hinterher.

    Ad Janowitz als Agathe: Ich kann mich Euren Urteilen im wesentlichen anschließen. Wunderschön gesungen, aber die Schönheit dominiert das Gefühl um ein kleines bißchen zu sehr. Obwohl mir diese frühe Agathe besser gefällt als ihre spätere, deutlich damenhaftere (trotzdem natürlich großartig). Übrigens war die Janowitz keineswegs eine schlechte Schauspielerin. Wer sie beispielsweise als Rosalinde kennt, kann nur das Gegenteil behaupten.

    Zu Schwarzkopf: Diese Einspielung habe ich seinerzeit noch als LP-Edition erstanden, aber seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. Man kann natürlich für die Giulietta eine sinnlichere, körperhaftere Stimme wünschen, aber diese etwas distanziert-kühle Interpretation ist genauso berechtigt und läßt den Hörer spüren, daß die Giulietta ein letztlich recht gefühlloses Werkzeug des Bösen ist. Für die Antonia wäre mehr Seele nötig, was nicht die Hauptstärke der Schwarzkopf war.

    Welche Wörter meinst du denn genau?

    Schon vor ein paar Jahrzehnten wurde ich als Uni-Funktionär von ein paar Kollegen angegriffen, weil ich das Wort "Kameradschaft" verwendete, das ihnen durch die braune Ära diskriminiert schien (sie ernteten damit allerdings nicht viel Echo). Da hat mich damals ziemlich verblüfft, denn ich verband - wenn's schon unbedingt historisch sein mußte - mit diesem Terminus viel eher das 19.Jahrhundert als die Nazi-Zeit, an die ich überhaupt nicht gedacht hatte. Manche Leute hören offenbar das Gras wachsen und glauben gleich, es werden Brennesseln daraus.

    Diese Stimme höre ich zum ersten Mal und ich würde sie nicht unbedingt dem dramatischen Fach zuordnen. Die Senta - soweit man das überhaupt nach einer so kurzen Probe sagen kann - scheint mir da eher eine recht grenzwertige Partie, aber als Agathe kann ich mir Ingrid Zobel schon vorstellen. Sehr schönes Timbre vor allem in der Mittellage, wortdeutlich (eine beinahe selten gewordene Tugend), kurz nach Beginn vielleicht noch ein ganz kleines bißchen unsicher,. Sie singt ein liebendes Mädchen, doch das Hintergründige fehlt. Das ist von der Rolle her ein Manko, trotzdem höre ich dieser Seelchen-Senta eigentlich gerne zu. Sie hat etwas Einnehmendes, sodaß man beinahe vergißt, das Dämonische herbei zu wünschen.

    Es stimmt schon, daß "ein soziales Gefälle zwischen 'Aneignern' und Unterdrückten" seine problematischen Aspekte haben kann, aber wir dürfen einen kulturellen Austausch, selbst oberflächlicher Art, deswegen nicht von vornherein verteufeln oder ausschließen, sonst landen wir am Ende beim Kastenwesen oder einer sozialen Hierarchie à la Vor-Aufklärungszeiten. Das sage ich als Sohn einer Mutter, die wegen ihres unehelich geborenen Vaters keinen vollständigen Ariernachweis erbringen konnte und als jüdischer Mischling eingestuft wurde. Mein Onkel heiratete eine Volljüdin, die noch dazu die Tochter von Julius Deutsch war (jeder der mit der österreichischen Geschichte der Zwischenkriegzeit ein bißchen vertraut ist, kennt den Namen) und mußte mit seiner Familie 1938 schleunigst emigrieren. Ich denke, das befreit mich vom allfälligen Verdacht ideologischer Einseitigkeit.

    Lieber Wälty,

    Jedes Deiner Worte kann man nur unterstreichen. Es ist ja selbst bloß biologisch betrachtet (von Moral und Kultur wollen wir gar nicht reden, weil das für manche Zeitgenossen sowieso Fremdworte sind) hanebüchener Unsinn, Aneignung und Vermischung abzulehnen. Genau das Gegenteil ist richtig, denn jede Inzucht führt nur in Sackgassen und Schlimmeres. Gottlob sind die Österreicher ein ausgesprochenes Mischvolk und unsere kulturelle Blütezeiten waren stets auf Aneignung gegründet, auch wenn beschränkte Hirne noch immer von der deutschen Nation oder ähnlichen Phantomen schwärmen. Unsere Genstruktur kennt bekanntlich keine Unterschiede weltweit. Anders sind zum Beispiel nur Frösche oder Fledermäuse, aber für die fühle ich mehr Sympathie als für Menschen, die nur in engen Schablonen denken können.

    Das müßte die "Favorita" von 1949 aus Mexico unter dem Dirigat von Cellini sein (ob dieser es war, ist allerdings umstritten). Bei der Aufnahmequalität sind da sicher einige Abstriche zu machen. Aus diesen Jahren gibt es von Pippo bessere Aufnahmen (wenngleich nicht diese Arie), seine Vorzüge kommen hier nicht so zur Geltung. Für mich bietet er hier Belcanto pur, der schmerzliche Ausdruck geht völlig in der vokalen Schönheit auf. Das entspricht selbstverständlich nicht dem heutigen Geschmack, bleibt für mich persönlich aber eine - historische - Möglichkeit, die ich im Prinzip sehr genieße. Auch das leicht Manierierte läuft dem nicht zuwider. Einer solchen Stimme gesteht man manches zu, was man bei anderen Sängern wahrscheinlich kritisieren würde. Ich rede hier nur von di Stefanos besten Jahren, als er ein richtiger Jahrhundert-Tenor war,, denn was er am Ende seiner Karriere bot (ich denke an seinen grauenhaften Herzog in der "Nacht in Venedig") muß man hier ausklammern.

    Kinder, Kinder, ihr habt ein Tempo drauf, da kommt man kaum mit. Die Schech-Elisabeth unter Heger habe ich in meiner Sammlung, kann sie aber nicht finden (wegen der vielen Umräumerei ist sie wahrscheinlich verreiht), muß mich also mit der Tubenkonserve begnügen. Mein Eindruck entspricht so ziemlich dem Cherubinos (# 35), der Singstil der 50er Jahre stört mich überhaupt nicht, eher im Gegenteil. Kein Wunder bei meinem Alter. Gegenüber dem Vibrato bin ich vielleicht im Lauf der Jahre eine Spur empfindlicher geworden, aber es bleibt im absolut akzeptablen Bereich. Die Schech als Elisabeth und als Senta gehört für mich nach wie vor zur Oberklasse, wenn auch nicht zur olympischen Spitze.

    Da kann ich mich nur anschließen!!! Nun ist die Bayreuther Aufnahme sichtlich eine professionelle, während der Wiener Mitschnitt offenbar ein privater war, bei dem das Aufnahmegerät sich auch in einiger Distanz zu den Sängern befand. Insofern ist Wien 1993 also nicht aus "Schuld" des Sängers kein guter Beleg für Elmings Qualitäten.

    Was bei mir aus dem Lautsprecher kam, war doch von etwas beschränkter Tonqualität, sodaß ich mir schwer tue, Elmings Stimme zu beurteilen. Mich hat ein bißchen überrascht, daß er vom Bariton her kommt, denn in der Tiefe klang es nicht so gut wie in den höheren Lagen. Eine recht schöne Stimme an sich, aber nicht allzu nuancenreich. Ein guter Siegmund, ja, aber nichts irgendwie Sensationelles. Wobei ich auch finde, daß er im Verlauf eher besser wurde. Hätten wir heute mehr Wagner-Tenöre wie ihn, wäre ich eigentlich froh.

    Im Hinblick auf die stetigen Verbesserungen der Klaviertechnik im späten 18.Jahrhundert können schon zehn Jahre einen beträchtlichen Unterschied ausmachen. Insofern ist es zwar nicht zwingend, für 1795 größere Klangdifferenzen im Vergleich zur Zeit um 1780 anzunehmen, aber solche scheinen zumindest möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Andererseits gab es zu Mozarts Lebzeiten durchaus ein breites Spektrum an Klavieren, sodaß es mir schwer fällt, zu glauben, Mozart hätte seine Sonaten jeweils auf ein bestimmtes Instrument hin komponiert (im Einzelfall möchte ich das zwar nicht ausschließen, kenne mich aber da viel zu wenig aus). Wir haben zwar Klaviere, auf denen Mozart gespielt hat, aber nicht alle sind im hundertprozentigen Originalzustand auf uns gekommen. Ich würde meinen, daß ein Klavier von 1795 trotz allem den Klangvorstellungen Mozarts zumindest so nahe kommt, daß eine HIP-Charakteristik zumindest nicht abwegig ist. Wenigstens für normale Ohren. Leute mit Superlauschern mögen da verständlicherweise anderer Meinung sein. Absolute HIP-Vollkommenheit kann sowieso nur ein letztlich nicht beweisbares Ideal sein (das ist so wie bei barocken Fassaden: Auch bei genauesten technischen Dokumentationen bleibt immer ein Rest Unsicherheit, sodaß selbst qualifizierteste Neufärbelungen dem Original wahrscheinlich nicht zu 100% entsprechen; aber 95% oder 98% sind ja noch immer kein schlechtes Ergebnis, sondern eines, mit dem man gut leben kann).

    URANIA 2012


    Puccini nicht puccinesk, sondern auf Verdi getrimmt. Das kann man nur machen, wenn man erstklassige Stimmen zur Verfügung hat, und bleibt immer ein Wagnis. Mit Leontyne Price in der Titelrolle, also einer fast hochdramatischen, keineswegs mädchenhaften Cio-Cio-san, kann man sich das natürlich trauen. Dazu paßt Richard Tuckers Pinkerton, ein reifer Lebemann, der sich aber zum Schluß ehrlich erschüttert zeigt. Erich Leinsdorf (mit Chor und Orchester der Opera di Roma) verfügte 1962 auch sonst über eine wahre Luxusbesetzung: Rosalind Elias als Suzuki, Anna di Stasio (selbst eine gefeierte Suzuki) als Kate Pinkerton, Piero di Palma als Fiesling Goro (in einer seiner besten Rollen), Philip Maero als Sharpless, Robert Kerns als Yamadori, Virgilio Carbonari als Bonzo.

    Daß das Ergebnis - vom Werk aus gesehen - natürlich etwas zwiespältig bleibt (siehe auch oben den Beitrag Wolframs) ist klar, aber auch wenn diese Interpretation als extrem gelten muß: Qualität überzeugt und rechtfertigt auch Extreme.

    Bonus bei dieser Edition sind Auszüge einer Solti-"Aida", 1962, mit Price, Vickers und Gorr. Sozusagen ein Operndiamanten-Anhang.

    cpo 2018


    Die Ouverturen sehr gut dargeboten, beim Klavierkonzert könnte bei allem Können Frau Veljkovic für mein Gefühl manchmal etwas weniger hart in die Tasten schlagen, aber das ist natürlich rein subjektiv.