Hallo!
Liebe Beethoven-Hörer , welches von den drei Werken gefällt Euch denn am besten? Und welche Sätze? Und welche Stellen darin? (Und warum?)
Ich höre tatsächlich seit ein paar Wochen kaum andere Musik als Beethovens Quartette! Lange Zeit sind mir viele davon verhältnismäßig fremd gewesen, verglichen mit den Quartetten von z.B. Haydn, Mozart und Schubert, aber das legt sich offenbar gerade mit Macht (zumindest für die meisten Quartette). Während op. 59,2 und op. 59,3 durchaus zu den Quartetten gehören, die ich jetzt erst richtig zu schätzen lerne, zählt op. 59,1 schon seit dem ersten Hören zu meinen Favoriten unter den Werken Beethovens.
Großartige Stellen finde ich in den Werken unzählige; beispielsweise den Repriseneintritt im ersten Satz des F-Dur-Quartetts, wo das Thema, zuvor in der Durchführung minutenlang malträtiert, endlich "freigelassen" wird und kaum mehr wieder auf den Boden zurückkommen mag; oder im Adagio desselben Quartetts die "Adorno-Stelle", und wie ihre unbeschreibliche Süße und Leichtigkeit eingerahmt wird durch zutiefst bedrückende Passagen, in denen sich die Instrumente eine kleine Seufzerfigur zuwerfen. Oder eigentlich den ganzen zweiten Satz, der einen großartigen Moment nach dem anderen generiert.
Die Quellenlage gibt ja nicht viel her: es kann Zufall sein, dass sich die zwei zeitgenössischen Begebenheiten, in denen sich Musiker konsterniert über die Werke zeigen, auf 59/1 beziehen. Vielleicht aber auch nicht. Beim Anfang von 59/1 ist ja nicht nur das (scheinbar) lyrische Thema ungewöhnlich, sondern auch die instabile Tonalität, bei der die Achtelbegleitung in F-dur verbleibt, während die melodieführenden Instrumente davon wegstreben. Dann auch noch das weitgespannte Crescendo, die Entwicklung zur "orchestralen" Achtstimmigkeit und die Erweiterung des Ambitus auf vier Oktaven zwischen erster Geige und Cello. Das alles widerspricht ja dem scheinbar lyrischen Charakter des Themas. Auch später in der Durchführung werden immer wieder ungewöhnlich entspannte, fast rhapsodische Partien mit außerordentlicher Verdichtung konfrontiert. Ich will nicht sagen, dass der Anfang von 59/2 konventioneller wäre, aber bereits der Anfang mit den Akkordschlägen auf Tonika und Dominante folgt einem bekannten Haydn'schen Muster - was dann später natürlich durch die permanente Verarbeitung dieser Schläge auf eine andere Ebene gehoben wird.
Vor einiger Zeit habe ich die interessante Monographie von Peter Gülke über op. 59 gelesen, die im Buch "'...immer das Ganze vor Augen'. Studien zu Beethoven" enthalten ist. Gülke sieht bei den ersten beiden Sätzen des F-Dur-Quartetts eine gewisse Ambivalenz; diese entstehe dadurch, dass die formale Stringenz immer wieder verschleiert werde. Im ersten Satz brächten "Passagen großer Suggestivität" den Zuhörer mutwillig vom Ziel ab (nämlich einen zielgerichteten musikalischen Prozess wahrzunehmen). Es werde so eine "Unbekümmertheit über den Gesamtzusammenhang" vorgespielt, die ein solcher Kopfsatz nicht haben könne und nicht habe. Gülke nennt z.B. Takt 30ff, wo vermutlich eigentlich eine Überleitung zur Dominante den Satz vorantreiben sollte, stattdessen erst einmal ein Aussingen in langen, mit dolce bezeichneten Kantilenen erfolgt.
Noch stärker beim zweiten Satz: Gülke diagnostiziert dort eine Musizieren, "das mit kleinen harmlosen Motiven umgeht, immer neue hinzuerfindet", bei dem selbst die immer wiederkehrende Figur des Anfangsrhythmus als Bindemittel es nicht schaffe, mit der Fülle an Objekten fertigzuwerden; stattdessen verliere sich der Satz in dieser Fülle so sehr, dass sich eine kaum noch organisiert scheinende Aneinanderreihung ergebe. Dem stehe gegenüber strengste musikalische Stimmigkeit (z.B. durch die streng befolgte Reprise). Der Satz mit dem einfachsten Material im ganzen Opus ist in diesem Sinne gleichzeitig der doppelbödigste.
Eventuell hat diese Ambivalenz dem damaligen Publilum größere Probleme bereitet als einem heutigen, das es möglicherweise eher gewohnt ist, über solche Feinheiten hinwegzuhören. Andererseits stellt das e-moll-Quartett vermutlich für das heutige Publikum einen schweren Brocken dar, zum Beispiel wegen der permanent nebeneinanderstehenden, nie aufgelösten Kontraste im Kopfsatz, oder weil auf zwei sehr gut "emotional" hörbare Sätze zwei folgen, für die das nicht gilt. Es könnte sozusagen sein, dass das F-Dur-Quartett quer zu den damaligen Hörgewohnheiten steht, das e-moll hingegen zu den heutigen (meine den heutigen Hörer betreffenden Thesen treffen auf mein eigenes Kennenlernen der Werke übrigens vollständig zu ).
MIr kommt keiner der Sätze ironisch vor. Kerman behauptet das von dem Trio, aber weniger wegen der slawa-Melodie, sondern wegen der übungsmäßigen kontrapunktischen Behandlung (so ähnlich urteilt er auch über die C-Dur Prestissimo-Abschnitte in op.74). Ich wäre da von mir aus nicht drauf gekommen.
Mir leuchtet hier Gülkes Sichtweise sehr ein: Im Gegensatz zum Théme russe im F-Dur-Quartett sei das im e-moll nicht differenziert genug, um daraus einen vielschichtigen Sonatensatz zu entwickeln; seine musikalische Substanz erschöpfe sich quasi in der Kombination mit verschiedenen Kontrapunkten.
Wenn der Satz gegen Ende des Maggiore dichter wird, führt das ja auch zu ziemlichen Dissonanzen (die Czerny wohl noch Jahrzehnte später befremdet haben, zusammen mit der Hornstelle vor Repriseneintritt in der Eroica seien das "Kinder eines genialen Mutwillens und einer bizarren Laune"), so als sei hier die Grenze des Machbaren schon überschritten. Die Frage ist dann natürlich, warum Beethoven ein solch "ungeeignetes" Lied für das Quartett auswählt, nur um diesen Umstand dann im dritten Satz vorzuführen?
Ich dachte nicht an eine bestimmte Stelle bei Haydn, sondern vielmehr an dessen Neigung, Hörererwartungen zu enttäuschen, etwa an einen vermeintlichen Symphonieschluß noch eine Coda anzusetzen (ich meine, in einer der Londoner Symphonien ist das so). Vielleicht gibt es auch den Fall, daß Haydn, anstatt in die erwartete Reprise einzusteigen, noch etwas Überraschendes einschiebt? Dann wäre das immerhin formal eine Parallele.
Also, ich finde diese Passage in einer Hinsicht ziemlich konkret haydnsch: Haydn liebt es, in langsamen Sätzen aus dunklen Passagen in Kantilenen von großer Süße und Leichtigkeit überzuleiten. Das Modell ist da wohl das "hodie mecum eris in paradiso" in den sieben letzten Worten, wo in der Reprise der Seitensatz plötzlich in Dur ertönt; und später, noch wirkunsvoller, die Dur-Passagen, die in der Verzweiflung von "Consummatum est" erscheinen und letztlich die Oberhand behalten. Der Unterschied zu Beethoven ist, dass bei Haydn die Utopie näher oder sogar Wirklichkeit ist, bei Beethoven erfolgt sogleich der Rückfall in die Trostlosigkeit der Reprise. Gleichwohl schwingt m.E. auch bei Haydns Passagen die Melancholie einer nicht erreichbaren Utopie mit, wenn nicht in den sieben letzten Worten, dann doch bei ähnlich wirkenden Stellen, z.B. den Dur-Variationen in den Kopfsätzen von op. 55,2 und des es-moll-Trios Nr.31; oder den Themenköpfen der Variationen in op. 77,2.
Viele Grüße,
Frank.