Beiträge von Philbert

    La Damnation de Faust ist aber keine Oper im richtigen Sinne (immerhin hat es gelungene Bühnenaufführüngen gegeben). Hier:

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    versteht man, was gesungen wird.

    Maometto II - 9 die Aufnahmen der Venedig-Fassung

    Es sind bislang zwei: eine Audio und eine Video


    Maometto Denis Sedov

    Anna Luisa Islam-Ali-Zade

    Erisso Massimiliano Barbolini

    Calbo Anna-Rita Gemmabella

    Condulmiero Antonio de Gobbi

    Selimo Cesare Ruta


    Czech Chamber Soloists, Brünn

    Czech Philharmonic Choir


    Chorleiter: Jan Oteček

    Leitung: Brad Cohen

    Bad Wildbad, Juli 2002


    Brad Cohen, der im selben Jahr Le comte Ory in Wildbad dirigiert hatte, ist hier hörbar in seinem Element. Der Orchesterklang ist transparent, das Reichtum und die Inventivität der Orchestrierung kommt sehr schön durch und er weiß, die dramatische Spannung zu bewahren, als wäre die Oper tatsächlich aus einem Guss. Dazu ist die Koordinierung zwischen Orchester und Sänger gut (es war wohl eine konzertante Aufführung) und die Sänger sind gut unterstützt. Der Chor ist etwas ruppig beim Auftritt Maomettos aber raffiniert im zweiten Akt.


    Im allgemeinen sind die Darsteller sehr überzeugend. Der junge Bariton Antonio de Gobbi lässt in der erweiterten Rolle des Condulmiero aufhorchen. In der Introduktion ist seine Partie geschickt angepasst und im Quartett ist er mehr als adäquat.

    Anna-Rita Gemmabella, die in der Wildbad-Aufnahme von Ciro in Babilonia die Titelpartie singt, bringt schon Ewa-Podleś-Qualitäten mit: dunkle Farbe, eine bemerkenswerte Agilität, Kontrolle der Dynamik und bekommt einen wohlverdienten Applaus. Es wird hier die Fassung des Bologna-Manuskripts aufgeführt, so dass man keine vereinfachte Version von Non temer, d'un basso affetto zu hören bekommt.

    Denis Sedov ist kein Samuel Ramey :) Er ist dunkler timbriert, genauso stilvoll in der Koloratur und strahlt Autorität aus.

    Luisa Islam-Ali-Zade wird als Mezzosopran angegeben; sie hat aber eine sehr breite Tessitura und meistert auch Sopran-Rollen. Eigentlich eine ideale Besetzung für einen Colbran-Part, mit mehr Klangfülle als Cecilia Gasdia und genau soviel dramatisches Engagement. Sie ist auch brillant im Rondò finale und man bedauert nur, nicht die ursprüngliche Neapel Finalszene mit ihr zu hören, etwa als Appendix..

    Der Wermutstropfen kommt vom Erisso. Massimiliano Barberini ist hörbar unwohl im hohen Register und seine Agilität in der Koloratur lässt auch zum Wünschen übrig. In den Rezitativen kann er überzeugen aber man ist froh, dass Erisso keine Solo-Arie hat. In den Ensembles ist er, trotz Unterstützung durch Cohen, nicht auf dem Niveau seiner Partner, was u.a. das Terzett im zweiten Akt, das speziell für Venedig komponiert wurde, nicht richtig zur Geltung bringt.


    Im Endeffekt eine spannende Aufnahme und eine gute Angelegenheit, die Venedig-Fassung kennen zu lernen, die zwar nicht alle Vorzüge der Neapel-Fassung hat, aber immerhin erstklassiger Rossini bleibt.


    Maometto Lorenzo Regazzo

    Anna Carmen Giannattasio

    Erisso Maxim Mironov

    Calbo Anna-Rita Gemmabella

    Condulmiero Nicola Marchesini

    Selimo Federico Lepre


    Orchestra e Coro del Teatro La Fenice


    Chorleiter: Emanuela Di Pietro

    Leitung: Claudio Scimone

    Regie, Bühnenbild und Kostüme: Pier Luigi Pizzi - Lichtregie Sergio Rossi

    Teatro La Fenice, Venedig, Februar 2005


    Dies ist die einzige offizielle Video-Aufnahme von Maometto secondo überhaupt.

    Die findet man übrigens auch hier: https://ok.ru/videoembed/1194282519157

    Die Konkurrenz ist die TV-Aufnahme aus Pesaro, die leider nicht dieselbe Qualität hat (hoffen wir, dass RAI 5 sie digital verarbeitet, wie sie es für Ricciardo e Zoraide gemacht hat), aber in allen Punkten überlegen ist.


    Im Dezember 2003 war die Fenice nach dem Wiederaufbau infolge des tragischen Brandes von 1996 mit einem Konzert wiedereröffnet worden. Ende 2004 war nach der Fertigstellung der Bühnenmaschinerie auch der Opernbetrieb wieder möglich und in der ersten Spielzeit wurde Maometto II, der seit 1823 dort nie wieder gespielt wurde, wiederaufgenommen, und zwar in der Fassung, die für La Fenice erstellt worden war.


    Pier Luigi Pizzis Venedig-Inszenierung ist eine Art Billig-Version von dem, was er in Pesaro gemacht hatte. Eine verfallene Kirche mit Untergewölbe (dank der Hebebühne kann man entweder nur den Oberbau oder beide Stockwerke sehen) und ein Trümmerhaufen in Akt 1, die weiter verfallende Kirche mit Untergewölbe in Akt 2. Die Kostüme sind historisch angedeutet, in braunen oder rötlichen Tönen für die Türken - Pastell für die Türkinnen - , schlicht in schwarzweiß für die Venezianer. Die Personenregie ist rudimentär, hauptsächlich „Park and Bark“ und der Chor wird nicht besonders klug eingesetzt. Sogar die Kampfszene im ersten Akt ist etwas lahm; sonst sehen die Chorsänger eher unbeteiligt aus. Der Gesamteffekt besteht darin, den Eindruck eines Konzerts in Kostüm zu vermitteln. Die Lichtregie ist auch nicht besonders glücklich, was auch dazu beiträgt, dass Maomettos Auftritt bei weitem nicht so beeindruckend ist wie in Pesaro, zumal sein Gesicht meistens im Schatten seines übergroßen Turbans bleibt.


    Anna Rita Gemmabella wiederholt ihren Wildbad-Calbo und ist akustisch genauso überzeugend. Leider kann sie optisch kaum einen glaubwürdigen Calbo abgeben und wird vom Kostüm-Designer nicht unterstützt. Immerhin ist sie gesanglich so sicher in ihrem Auftritt, dass sie es wettmachen kann. Maxim Mironov ist eher ein tenore contraltino als ein baritenore wie Andrea Nozzari. Stilistisch ist er ausgezeichnet, leider fehlt ihm etwas Gewicht in der Stimme und Sicherheit im tiefen Register. Er ist hochgewachsen (um einen Kopf größer als Calbo und Anna) und wohl deshalb geht er die gesamte Zeit mit gebeugtem Kopf, was weder zu seinem Stand noch zu seinem Charakter passt.

    Maometto ist der beeindruckende Lorenzo Regazzo. Ein echter Rossini-erprobter Koloratur-Bass, der vokal agieren kann und bemüht ist, alle Fassetten seines Charakters sowohl akustisch als auch optisch darzustellen.

    Carmen Giannastasio als Anna hat nicht sehr viel Kontur. Ihre hohen Töne sind nicht leuchtend sondern angestrengt. Ihre Agilität in der Koloratur ist gut aber nicht überwältigend. Darstellerisch besteht ihre Originalität darin, dass sie immer wieder ihre rechte Hand zum rechten Ohr führt.

    Die Besetzung von Condulmiero ist etwas seltsam. Man weiß, dass er in der Introduktion als Tenor, im Quartett als Bass notiert ist. Die Antwort aufs Rätsel besteht hier darin, den Kontratenor Nichola Marchesini einzusetzen und seinen Part im Quartett zu oktavieren. Stilistisch ist es fraglich, dazu ist er nicht mal ein guter Kontratenor, kein Philippe Jaroussky oder Franco Fagioli.


    Claudio Scimone bleibt sich selbst treu. Schon die Ouvertüre ist ein schönes Orchesterstück aber kein Vorspiel zu einem Drama. Seine Tempi sind wie immer erratisch und er gibt kaum Impulse, so dass alle, Instrumentisten wie Sänger, hauptsächlich sich selbst überlassen sind und nur dank der Routine und des Einsatzes der einen und der anderen hält alles richtig zusammen.


    Alles in allem ein Video, das sich gut sehen lässt aber keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.




    Maometto II - 8 die Fassung von Venedig

    Sommer 1822: die Rossinis sind aus Wien zurück, wo sie einen richtigen Triumph erlebt haben. Das Teatro La Fenice soll die Saison 1822-1823 mit einer (in Venedig) neuen Rossini-Oper eröffnet werden. Dafür ist Zelmira vorgesehen, die in Neapel und in Wien einen richtigen Erfolg feiern konnte.

    Rossini hatte aber dem Wiener Verleger Artaria die Rechte für Österreich überlassen ... und Venedig gehörte dem österreichischen Kaiserreich. So konnte der Impresario des Teatro San Benedetto an die Partitur kommen und Zelmira im September 1822 aufführen.

    Blieb nur, etwas Neues für die Fenice zu finden und in Frage kam nur Maometto II, die noch nicht in Venedig aufgeführt worden war. Allerdings sollte auf den Geschmack der Venezianer Rücksicht genommen werden, die eine Ouvertüre und ein lieto fine verlangten. So kam es zur Bearbeitung und zur sogenannten "Venezianischen Fassung" der Oper. Nichts Außergewöhnliches zu der Zeit. Rossini als Pragmatiker hatte bereits mehrere seiner Opern bearbeitet (fine tragico in Ferrara für Tancredi, danach Mailänder Version mit unterschiedlichen Änderungen, fine lieto für Otello in Rom, Neugestaltung des dritten Akts von Mosè in Egitto, usw ...). In diesem speziellen Fall wurde die Oper kurz danach "eingefroren", so dass man Ende des 20 Jhts beide Versionen hat rekonstruieren und aufführen können.


    Wenn Gossett annimmt, die Handlung wurde geändert, to remove the horror of the historical catastrophe, ist es auch nur bedingt nachvollziehbar. In der Neapel-Version waren schon - entgegen der historischen Wahrheit - die Venezianer die Sieger. Die historische Katastrophe war schon vertuscht worden. Nur ist Annas Selbstmord auf offener Bühne für La Fenice nicht akzeptabel, zumal die österreichische Zensur jetzt herrscht.

    In der neuen Version konnten Erisso und Calbo dank des Rings fliehen, die Anna ihnen hat überreichen lassen. Sie treffen sich neben den Mauern von Negroponte. Erisso weiß nicht, ob Anna sich doch nicht von der glücklichen Perspektive verführen lässt, die ihr Maometto anbietet. Calbo beruhigt ihn: dazu ist sie nicht fähig.


    Maometto erscheint. Erisso enthüllt ihm, dass Calbo eigentlich Annas Ehemann ist. Maometto ist erzürnt; Calbo fordert ihn zum Duell heraus.


    Im Grabgewölbe erscheint Anna, die bereit ist, sich zu opfern. Der Kampf tobt; die Kirche stürzt im Kanonenfeuer ein und lässt einen Teil der Stadt sehen. Die venezianischen Soldaten kommen und verkünden den Sieg. Unter ihnen sind Erisso und Calbo. Erisso lobt Annas Handlung und Calbos Mut und segnet das Paar.


    Die neuen Verse wurden Gaetano Rossi zugeschrieben; sie müssen Della Valle und Tottola integrieren und sind wohl in Eile geschrieben oder zusammengeschustert worden, deshalb kann man keinen besonderen Stil erkennen.


    Was die Struktur betrifft, hatte Rossini zwei besondere Anliegen:

    - das Publikum von Venedig war nicht so progressiv orientiert wie das von Neapel und er sollte zu mehr traditionellen Formen zurückkommen. Unter anderem war eine Ouvertüre unabdingbar.

    - die Sänger waren auch mit der Vorbereitung von Semiramide beschäftigt und mussten geschont werden. Zelmira wäre für Colbran schon in der Kehle gewesen (sie hatte sie vor kurzem in Wien gesungen), Anna war eine größere Herausforderung. Deshalb sollte die Oper etwas entschärft werden.


    Dies ergibt folgende Struktur:

    • Ouvertüre (Neu)

    1. Akt

    • 1 Introduktion Al tu cenno, Erisso, accolti (Chor, Erisso, Condulmiero, Calbo) - Nr 1 aus Neapel
    • 2 Frauenchor In Oriente La bell’aurora - aus Ermione
    • 3 Scena und Quartett Oh, come l'alma oppresse (Anna, Erisso, Calbo, Condulmiero) - Bearbeitung vom Quartett Cielo, il mio labbro inspira aus Bianca e Falliero
    • 4 Scena und Terzett


      • Scena Che avvenne, oh Dio! (Condulmiero Anna, Erisso, Calbo) Neu
      • Preghiera Giusto ciel, in qual periglio Anna, Chor aus Neapel Nr 3
      • Scena Ahi, padre! Anna, Erisso aus Neapel Nr 3
      • Terzett Figlia, mi lascia, io volo Erisso, Anna, Chor. Calbo aus Neapel Nr 3
    • 5 Chor Dal ferro, dal foco und Kavatine des Maometto Sorgete, e in sì bel giorno Maometto, Chor Nr 4 aus Neapel
    • 6 Scena, Chor, Terzett und Finale I Nr 5 aus Neapel (Stretta gekürzt)
      • Scena und Chor Compiuta ancor del tutto - Signor, die liete nuove Maometto, Selimo, Chor
      • Scena und Terzett Appressatevi, o prodi - Giusto ciel, che strazio è questo Erisso, Calbo, Maometto
      • Finale Guardie ola, costor si traggano Maometto, Anna, Erisso, Calbo, Chor

    2. Akt

    • 7 Chor der Frauen È follia sul fior degli anni Nr 6.aus Neapel
    • 8 Duett Anna, tu piangi? (Anna, Maometto) Nr. 7 aus Neapel mit Elementen der Stretta von Nr 8
    • 9 Scena und Aria Non temer, d'un basso affetto (Calbo) neuer Rezitativ - Nr 9 aus Neapel
    • 10 Scena und Terzett Pria svenar con ferme ciglia (Calbo, Erisso, Maometto) - Neu
    • 11 Gran scena und Aria Alfin compiuta è una metà dell'opra (Anna, Coro) - Erster Teil von Nr 11 aus Neapel
    • 12 Finale secondo und Rondò I puri voti accogli - Tanti affetti in tal momento (Anna, Coro) - neuer Rezitativ - Rondò finale aus La Donna del lago

    Die Ouvertüre ist neu und umfangreich. Rossini hat dafür Themen aus der Introduktion zur Gruftsszene und aus der Aria Calbos verarbeitet, was die thematische Verbindung zwischen Ouvertüre uns Oper stärkt, wie es später der Fall bei Semiramide sein wird. Das Crescendo, das den Venezianern so stark gefiel, darf auch nicht fehlen.


    Anna hat ihre Auftrittskavatine verloren. An ihrer Stelle steht jetzt der Chor der Frauen, die Ermiones Gemüt aufhellen sollten und die jetzt dieselbe Aufgabe mit Anna haben.

    Das Terzettone wird von seinem ersten Cantabile amputiert. Dafür kommt ein Quartett, das von Bianca e Falliero übernommen wurde. Gleiche atmosfera morale: dort Verwirrung der Gefühle zwischen Bianca, ihrem Vater, ihrem Geliebten und dem Senatoren Contareno. Hier hat Anna ihre Liebesgeschichte mit "Uberto" erklärt, die sich als falsch erwiesen hat und keiner weiß richtig, was er davon halten soll.


    Dies ist aber eine geschlossene Nummer. Kanonenschuß und Szenenwechsel erfolgen vor der nächsten Nummer. die den Rest vom Terzettone darstellt.

    Die Änderungen sind größer im zweiten Akt: Maometto verliert seine Arie All'invito generoso. Teile der Stretta sind aber ins tempo di mezzo vom Duett Anna-Maometto integriert und zu dieser Zeit erfolgt auch die Siegeübergabe von Maometto an Anna, die sonst im Rezitativ zwischen beiden Nummern stattfindet.


    Die Arie Non temer, d'un basso affetto existiert in zwei Versionen. Im Manuskript hat Rossini leere Systeme über der Neapel-Version benutzt, um eine einfachere Fassung zu notieren. In der sogenannten "Bologna-Kopie" der venezianischen Version befindet sich allerdings die Originalarie, nur um 4 Takte gekürzt.


    Calbo, Erisso und Maometto haben ein neues Terzett, dafür aber entfällt das originale Terzettino zwischen Calbo, Anna und Erisso.


    In der Finalszene ist das Gebet der Frauen um eine Strophe gekürzt; statt der ursprünglichen Reihenfolge von Cantabile-Cabaletta-Preghiera singt nun Anna das Finalrondo aus La Donna del lago.


    Die Strukturen sind etwas konventioneller. Isabella Colbran ist weniger gefordert, Filippo Galli verliert seine undankbare zweite Arie, Rosa Mariani (die Arsace in Semiramide singen wird und jetzt den Calbo singt) hat wohl Rossini dazu bewogen, eine einfachere Variante ihrer Arie zu schreiben. Ihr Mann Luciano Mariani singt jetzt den Condulmiero. In Semiramide singt er den Oroe, also ist er Bassist. Im neuen Quartett und im nachfolgenden Rezitativ ist seine Partie im Bassschlüssel notiert. Nur ist die Introduktion unverändert geblieben und da war Condulmiero ein Tenor. Wahrscheinlich hat dort Mariani eine tiefere Linie gesungen. Kleines Rätsel ...


    Das Thema hat auch von seiner Brisanz verloren. Die "private" Tragödie kommt jetzt in den Vordergrund. Der Charakter Annas verliert von seiner Vielschichtigkeit. Der Moment, in dem sie den Gedanken fasst, den Siegel anzufordern, geschieht en passant. Sie opfert sich selbst nicht mehr, sondern zittert nur bei dem Gedanken, dass ihr Vater und Calbo im Kampf etwas Schlimmes passieren könnte.

    Rossini hat wohl nicht unüberlegt das Rondo finale aus La Donna del lago übernommen. Er hatte es schon für Bianca e Falliero wiederverwendet, allerdings mit einem neuen Text. Hier wurde es 1:1 übernommen. Anna ist in einer ähnlichen Situation wie Elena: sie wird mit einem vermählt, obwohl sie einen anderen liebt, der unerreichbar ist. Hier weiß man nicht, ob Maometto überlebt hat oder nicht; er wird wohl wie "Umberto" in Schottland als "Uberto" in Annas Erinnerungen weiterleben. Das lieto finale ist nur scheinbar lieto: felicità gemischt mit avversità.


    Diese Entschärfung kam auch nicht von ungefähr. Die musica turca war für die Italiener auch die Musik der österreichischen Truppen und diese okkupierten tatsächlich Venedig seit dem Wiener Kongress. Maometto konnte nicht mehr als Anspielung auf König Ferdinand gelten, wohl aber als Anführer von fremden Besatzungstruppen. Der Generaldirektor der Polizei in Venedig, Alois Kübeck, hatte bereits im Mai 1821 bemerkt, Rossini sei "stark infiziert von revolutionären Gedanken" und müsse strengstens beobachtet werden.


    Die Polizeibeamten haben wohl einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, als dieser venezianische Maometto beim Publikum keine große Zustimmung gefunden hat.

    Als Grund dafür wurde die schlechte Vorstellung von Isabella Colbran angeführt, die tatsächlich indisponiert war. Die Oper wurde vom cartello zurückgezogen und durch Ricciardo e Zoraide ersetzt, wo die genesene Colbran einen Triumph feierte ...

    Angesichts der offenkundigen Schadenfreude von Freund Kübeck fragt man sich, ob nicht gewisse Claqueure in den Saal platziert wurden, um den Misserfolg zu beschleunigen und dadurch eine Szene ähnlich wie in Viscontis Senso zu vermeiden.


    Ein Seiteneffekt der neuen Fassung war auch, dass sie in Theatern, die nicht über die Ressourcen vom San Carlo verfügten, einfacher zu produzieren war und Rossini hatte wohl auch damit spekuliert. Diese Version wurde tatsächlich ein paar Mal aufgeführt, in Lissabon und Messina im Jahre 1826, dann 1827 in Barcelona und in Palma. 1826 machte Rossini seine letzte Bearbeitung - auf Französisch für Paris.

    Maometto II - 7 ein paar mehr lives ...

    Vielen Dank fürs Feedback!

    Jetzt noch ein paar live-Aufnahmen, bevor wir nach Venedig umziehen ...


    Der Klassiker ist die 1985- Fernsehaufnahme aus Pesaro:

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    Maometto Samuel Ramey

    Anna Cecilia Gasdia

    Erisso Chris Merritt

    Calbo Lucia Valentini-Terrani

    Condulmiero William Matteuzzi

    Selimo Osvaldo di Credico


    The European Festival Orchestra

    Prager Kammerchor


    Chorleiter: Lubomír Mátl

    Leitung: Claudio Scimone

    Regie, Bühnenbild und Kostüme: Pier Luigi Pizzi


    Leider ist die Bildqualität nicht sehr gut. Die Tonqualität leidet teilweise auch; eine bessere Tonaufnahme gibt es hier:

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    Pizzis Regie ist spektakulär. Rameys Ruhm beruht zum großen Teil auf seinem Auftritt hier, wo er akustisch und optisch beeindruckt und die Wiederholung der Cabaletta stehend auf den Schultern zweier Soldaten singt. Sonst gibt es auch Strecken von stand and deliver, aber Annas Selbstmord ist auch optisch sehr beeindruckend.


    Die Besetzungsänderungen im Vergleich zur Studio-Aufnahme sind alle positiv. Cecilia Gasdia ist dramatisch überzeugend, Chris Merritt war der Nozzari seiner Zeit und integriert sich sehr gut in die Ensembles, William Matteuzzi ist ein Luxus-Condulmiero. Lucia Valentini-Terrani ist eine Klasse für sich aber sie wird leider in ihrer Arie von Scimones langsamen Tempo benachteiligt.

    Scimone hat sich nicht viel verbessert. Die Tatsache, dass es eine inszenierte Aufführung ist, bringt etwas mehr Leben ins ganze, sonst ist seine Tempowahl weiterhin erratisch und dazu erlaubt er seinen Sängern hohe Schlussnoten (oder er ermutigt sie gar dazu), die, wie z.B. am Ende von Sì, ferite, geschmacklich fragwürdig sind.


    Wer die Gelmetti-Aufnahme sich mit Bildern anschauen will, kann es hier:

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    Es ist dieselbe Inszenierung aber die Bilder sind noch schlechter.


    Die weiteren Links geben Rundfunkaufnahmen wieder (nur Audio).


    Amsterdam Mai 2007

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    Maometto Michele Pertusi

    Anna Myrto Papatanasiu

    Erisso Bruce Ford

    Calbo Hadar Halevy

    Condulmiero Paul Austin Kelly

    Selimo Paul Austin Kelly


    Netherlands Radio Chorus
    Chamber Philharmonic

    Leitung: Roberto Rizzi Brignoli


    Es war eine konzertante Aufführung

    Rizzi Brignoli dirigiert ziemlich energisch, was dieser Geschichte in Kriegszeiten ziemlich gut bekommt. Michele Pertusi ist älter als 1993, dies merkt man vor allem an seinem ergrauten Timbre, ohne dass die Belcanto-Technik beeinträchtigt wäre. Ein älterer Kriegsherr, der eine Liebesgeschichte damals in Korinth erlebt hat und fast eine Vaterrolle mit Anna spielt. Bruce Ford ist genauso reliable als 1996, hat aber an Charisma gewonnen. Erisso ist hier ein junger aktiver Vater, was erklärt, warm Anna sich von einem älteren Daddy angezogen fühlt. Hadar Halevy ist auch ein energischer Calbo und die Anna von Myrto Papatanasiu ist im Zentrum dieses Männerdreiecks. Papatanasiu ist eine überzeugende Fiorilla im Turco in Italia, was sie nicht unbedingt für Anna prädestiniert, aber anfangs fügt sie sich gut in die Geschichte.

    Die Sachlage ändert sich im letzten Bild. Der Einleitung zur Gruftsszene mit Erissos nachdenklichem Rezitativ fehlt die Poesie; sie ist einfach zu plakativ.

    Halevy fängt ihre große Arie gut an, kommt aber nach und nach an ihre Grenzen und die Wiederholung der Cabaletta ist ein ziemlicher Gulasch.

    Sie ist noch davon gezeichnet, als sie das Terzettino anstimmen muss und die Anstrengung ist hörbar.

    Myrto Papatanasiu zahlt auch den Preis ihrer Rollenanpassung. Die mezza voce ist nicht vorhanden, die Töne sind angestrengt. Nicht so schön in Quella morte che s'avanza. In Sì, ferite gibt ihr Rizzi Brignoli eine schöne Orchesterumgebung aber sie fühlt sich hörbar unwohl. Sie macht ein paar puntature in Madre, a te che sull' Empiro, die davon nicht richtig entschädigen. Der Finalchor ist aber beeindruckend im Ausdruck der Trauer.


    Es war sicher ein bewegendes Konzert. In der Konserve etwas weniger, lässt sich aber gut anhören.


    Pesaro 2008

    Akt 1:

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    Akt 2:

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    Maometto Michele Pertusi

    Anna Marina Rebeka

    Erisso Francesco Meli

    Calbo Daniela Barcellona

    Condulmiero Enrico Iviglia

    Selimo      Cosimo Panozzo


    Orchestra Haydn di Bolzano e Trento

    Prager Kammerchor


    Chorleiter: Lubomír Mátl

    Leitung: Gustav Kuhn


    Gustav Kuhn war ein Teil der Ermione-Katastrophe im Jahr 1987. 20 Jahre später ist er derselbe geblieben. Es fängt ganz OK an, dann stellt man fest, dass er es eher bombastisch als dramatisch mag und kaum dran Interesse hat, die Sänger zu unterstützen.

    Derjenige, bei dem es am wenigsten zuschlägt, ist Francesco Meli, der Stimmkultur und gute Diktion zeigt.

    Daniela Barcellona ist vom Anfang an hörbar ermüdet und wenn sie Non temer, d'un basso affetto erreicht, muss sie sich vieles zurecht richten. Herzlichen Beifall bekommt sie trotzdem, aber wer die Arie kennt, wird enttäuscht sein.

    Michele Pertusi ist ein Jahr älter als in Amsterdam. Ein anderer als Gustav Kuhn hätte darauf Rücksicht genommen und Pertusis Stimmkultur erlaubt, sich zu entfalten, aber leider ist es nur zu selten der Fall.

    Marina Rebeka ist hingegen zu jung. 2014 wird sie, nach den Auszügen zu urteilen, die man hören kann, in Rom eine beeindruckende Anna sein. Hier ist sie noch vorsichtig und ohne richtiges Gewicht in der Stimme. Sie schont sich für ihre Finalszene, die ihr einigermaßen gut gelingt (s.o.) aber das Duett im zweiten Akt ist "wie ein Dulcamara/Adina Duett in L'elisir d'amore" beschrieben worden, und es stimmt.

    Im Endeffekt: zu vergessen.


    Diesmal auch mit Bild:

    Santa Fe, 14.07.2012

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    Maometto Luca Pisaroni

    Anna Leah Crocetto

    Erisso Bruce Sledge

    Calbo Patricia Bardon

    Condulmiero Matthew Newlin

    Selimo Michael Dailey


    Santa Fe Opera Orchestra and Choir


    Chorleiter: Susanne Sheston

    Leitung: Frédéric Chaslin

    Regie: David Alden, Bühnenbild und Kostüme: John Morrell Choreographie: Peggy Hickey


    Es war die erste Aufführung nach der kritischen Ausgabe und wurde in den USA - auch von Gossett, der inzwischen im Krach mit Pesaro war - als Wiederentdeckung nach beinahe 200 Jahren angekündigt. Zwar war die kritische Ausgabe sehnlich erwartet und sie ist auch eine editorische Großtat gewesen, für den Zuschauer/Zuhörer sind die Unterschiede zur vorläufigen Scimone/Brauer (die in San Francisco 1988 aufgeführt wurde) kaum bemerkbar und dazu wurde ugf. wie in der Scimone-Aufnahme gestrichen.

    Dies ist eine Open air Vorstellung, deshalb ist die Inszenierung etwas minimalistisch aber funktional... Die Kostüme sind Jahrgang 1820, die Personenregie sparsam.

    Die bemerkenswertesten Szenen sind:

    der Auftritt Maomettos, als er durch eine Bresche in die Stadtmauer kommen soll, davor aber, nach hinten gewendet, einem unsichtbaren Menschen: OK, when I tell you to go, you go! dann Richtung Bühne und Publikum Ah, damn it! schreit, ein paar lange Sekunden verstreichen lässt und dann Sorgete! antönt

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    und wenn Calbo am Ende einer ziemlich vermurksten Cabaletta den Faden verliert und dann mit einer Geste an der Kehle zeigt, dass die Stimme weg ist, bevor sie ein paar Schlusstöne geben kann:

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    Sonst hat Pisaroni eine schöne Stimme aber dieser Maometto ist in eine einzige Person verliebt: sich selbst.

    Leah Crocetto hat auch sehr schöne Momente, schreibt aber Sì ferite um, um es mit einer nicht sehr schmeichelnden ungeschriebenen hohen Note zu ende. Sie entschädigt mit einen gefühlvollen Madre, a te che sull' Empiro.


    Auszüge aus San Francisco 1988 (Simone Alaimo, June Anderson, Chris Merritt, Marylin Horne, dir: Alberto Zedda) und immerhin den ganzen zweiten Akt aus Bilbao 2005 (Simone Alaimo, June Anderson, Stephen Mark Brown, Enkelejda Shkosa, dir: Marcello Panni) kann man sich auch anschauen bzw. anhören.

    Maometto II - 6

    Die Aufnahmen


    Zuerst konzentrieren wir uns auf die Aufnahmen der Neapel-Version von 1820. Die späteren Bearbeitungen werden anschließend behandelt.


    Die allererste Aufnahme ist auch die bislang einzige Studio-Aufnahme

     

    links: Wiederveröffentlichung rechts: Original Layout:

    Maometto Samuel Ramey

    Anna June Anderson

    Erisso Ernesto Palacio

    Calbo Margarita Zimmermann

    Condulmiero / Selimo Laurence Dale


    Philharmonia Orchestra

    Ambrosian Opera Chorus


    Chorleiter: John McCarthy

    Leitung: Claudio Scimone

    London, Dezember 1983


    Diese Aufnahme machte Furore, als sie erschien. Man entdeckte eine Oper, die bislang nur theoretisch gekannt war und die zuletzt vor 160 Jahren aufgeführt worden war.

    Ein paar Striche wurden gemacht, z.B. die Wiederholung der Cabaletta vom Maometto-Anna Duett im zweiten Akt und der nachfolgende Rezitativ des Selimo; immerhin dauert es über 180 Minuten.

    Allerdings muss man Richard Osborne zustimmen, wenn er sagt, [it] hasn’t worn especially well.

    Chor und Orchester sind gut, die Stimmen auch.

    Samuel Ramey ist für viele der einzig und allein gültiger Maometto geblieben: Seine Bass-Bariton Tessitura ist ideal, seine Agilität in den Koloraturen bewundernswert, sein Timbre verführerisch ...

    Ernesto Palacio zeigt anfangs nicht viel Autorität, er steigert sich aber. Seine Diktion ist gut und ausdrucksvoll, sein Stil ist tadellos; er singt die vorgeschriebenen Verzierungen und dadurch, dass er keine Solo-Arie hat, erwartet man von ihm keine Stunts.

    Margarita Zimmermann hat ein schönes Timbre, ist aber mit der Koloratur etwas gefordert, mit der Breite der Tessitura in ihrer Arie auch. Nichts Tragisches, und damals hatte man auch kaum Referenzpunkte (OK, Marylin Horne, aber sie war sowieso hors concours).

    June Anderson, wie gewohnt, technisch tadellos aber kaum involviert, was in der Rolle besonders Schade ist.

    1988 konnte Aberto Zedda sie etwas aus ihrer Lethargie wecken, Claudio Scimone tut es nicht.


    Und hier sind wir beim Hauptproblem dieser Aufnahme: Richard Osborne hat hier wieder die richtigen Worte gefunden (tut er nicht immer): die Aufnahme ist indifferently conducted by Claudio Scimone.

    Er verwechselt Dramaturgie mit Lärm und kann nicht das richtige Tempo finden, das die Geschichte steuern soll. Oft schwelgt man in Schöngesang, ohne dass der Eindruck entsteht, dass etwas geschehen würde. Schlimmer noch, die Rezitative sind mit ihm "Tunnel so lang wie der Gotthard", um einen französischer Amazon-Rezensenten zu zitieren (der es aber fälschlicherweise Rossini zuschreibt). Dies ist, June Anderson ausgenommen, nicht die Schuld der Sänger, sondern die des Dirigenten, der einfach unbetroffen begleitet. So kann kein Zuhörer mitgenommen werden. Man würde sagen, es kommt auch von der sterilen Studio-Atmosphäre; es wurden aber Kanonendonner, Massenbewegungen ... dazu gemischt, die eher sich eher wie billige Sound-Track-Effekte anhören.


    10 Jahre sollte man auf die nächste Aufnahme warten:

    Maometto Michele Pertusi

    Anna Cecilia Gasdia

    Erisso Ramón Vargas

    Calbo Gloria Scalchi

    Condulmiero Francesco Piccoli

    Selimo Osvaldo di Credico

    Radio-Sinfonieorchester Stuttgart

    Prager Kammerchor


    Chorleiter: Lubomír Mátl

    Leitung: Gianluigi Gelmetti

    Pesaro, August 1993


    Es ist eine live-Aufnahme und Gelmetti bringt die Theatralität, die Scimone so sehr fehlte. Es wurde ihm sogar vorgeworfen, Rossini "wie den jungen Verdi" zu dirigieren, was in diesem Fall gar nicht so abwegig ist. Lyrische Momente wie die Szene Erisso-Calbo-Anna in der Gruft haben, auch in den Rezitativen, ihre Spannung.

    Die Striche der Scimone-Aufnahme wurden aufgemacht; trotzdem ist die Spielzeit etwas kürzer als bei der Studio-Aufnahme.

    Das Orchester war damals Gelmettis Orchester und kann sein Konzept gut umsetzen. Der Prager Kammerchor war damals ein habitué von Pesaro und unter Lubomír Mátl unfehlbar.

    Die Solisten sind auf der Höhe der Erwartungen. Michele Pertusi hat nur einen Fehler: er ist nicht Samuel Ramey. Sonst ist er genauso virtuos in der Koloratur, auch zu Hause in der Tessitura und im Ausdruck. Sein Timbre ist vielleicht nicht so einzigartig als Rameys, es ist aber sicher nicht unangenehm.

    Ramón Vargas zeichnet das Porträt eines noblen Erisso, ohne brutale Ausbrüche aber mit Eleganz und Überzeugung.

    Gloria Scalchi hatte nicht die erforderte Alt-Stimme für Calbo. Eigentlich würde man sie heute eher als tiefen Sopran in Colbran-Rollen casten. Man braucht aber nur, Calbos Antwort auf Condulmiero in der Introduktion zu hören, um zu wissen, dass sie koloraturmäßig in einer anderen Liga als Zimmermann spielt. Ihr Calbo ist jung und energisch. In ihrer Arie wird sie durch Gelmettis nicht zu langsames Tempo unterstützt (ca 7 Min für Gelmetti bei 8´00 für Scimone) und sie meistert sie ganz erheblich.

    Cecilia Gasdia hatte eigentlich eine zu leichte Stimme für eine Colbran-Rolle. Sie ist aber dramatisch extrem engagiert und Anna ist wohl die Colbran-Rolle, die sie am überzeugendsten darstellt. Ihre Koloratur ist kein Nachtigall-Gesang sondern hat schon dramatische Qualität, obwohl nicht ganz das Gewicht, das man von einer Colbran erwarten würde.


    Keine merkbaren Bühnengeräusche; der Applaus ist sorgfältig herausgeschnitten worden und ist nur am Ende beider Akte hörbar (wohl wurde auch die Generalprobe mitgeschnitten). Die Techniker des SWR haben ganz gute Arbeit geleistet (im Unterschied zu anderen live-Aufnahmen aus Pesaro, die von anderen Institutionen realisiert wurden).


    Für mich eine durchaus überzeugende Aufnahme. Sie ist zwar vergriffen, aber eBay kann helfen ....


    Weitere Aufnahme, zwar nicht ganz offiziell


    Maometto Samuel Ramey

    Anna Cecilia Gasdia

    Erisso Bruce Ford

    Calbo Gloria Scalchi

    Condulmiero Juan Luque Carmona

    Selimo Ernesto Gavazzi

    Orchestra e Coro del Teatro alla Scala di Milano


    Leitung: Gabriele Ferro

    Mailand, März 1994


    Auch ein live, diesmal nicht so sorgfältig realisiert. Die Aufnahmequalität ist nicht auf SWR-Niveau. Teilweise (bei mir) übersteuert, mit Applaus und zwar nicht wenig.

    Chor und Orchester klingen etwas intransparent. Dies hat mit der Aufnahmetechnik (Chor) aber auch mit dem Dirigat zu tun (Orchester).

    Samuel Ramey ist Samuel Ramey, klar, aber auch die Helden können ermüden. Immerhin ist er nach wie vor großartig, wenn auch ein klitzekleines Bisschen nicht so souverän wie 10 Jahre früher. Inzwischen hatte er die Rolle in Pesaro auf der Bühne gesungen und es war so ein Triumph gewesen, dass es ihn davon abgehalten habe, sie wieder zu wagen. Bis zu dieser Aufführungsreihe,

    Bruce Ford hat man als reliable bezeichnet. Das ist er hier. Alles ist OK, aber ziemlich unpersönlich und hinterlässt keinen besonderen Eindruck.

    Cecilia Gasdia und Gloria Scalchi ist das zusätzliche Jahr und besonders der Dirigentenwechsel nicht so wohl bekommen.

    Gabriele Ferro ist wie so oft schwerfällig und nicht so flexibel wie Gelmetti.

    Bei Gasdia, die schon in Pesaro 1985 die Anna gesungen hatte, merkt man, dass sie teilweise etwas mehr tricksen muss.

    Bei Scalchi ist die Unbequemlichkeit deutlicher geworden. Nach der Arie Non temer, d'un basso affetto, mischen sich deutliche Buhs in den Beifall.

    Die Buhs sollen Tag für Tag Scalchi und Ferro gegolten haben.

    Beim Zuhören ist die Lage nicht so katastrophal. Tendenziell ziehe ich doch die Gelmetti-Aufnahme vor.

    Hier auch muss man eBay o.ä. bemühen, um an die Aufnahme ranzukommen.


    Alle diese Aufnahmen basieren auf die vorläufige kritische Ausgabe von Claudio Scimone und Patricia Brauner.


    Danach musste man aber 20 Jahre abwarten; die nächsten Aufnahmen benutzen die inzwischen erschienene Bärenreiter- Kritische Ausgabe von Hans Schellevis


    Es fing an mit

    Maometto Darren Jeffery

    Anna Siân Davies

    Erisso Paul Nilon

    Calbo Caitlin Hulcup

    Condulmiero Christopher Diffey

    Selimo Richard Dowling

    Garsington Opera Orchestra and Chorus


    Chorleiter: Susanna Stranders

    Leitung: David Parry

    Garsington at Wormsley , Juni-Juli 2013


    Die Aufmachung ist sehr schön, mit komplettem zweisprachigen Libretto (italienisch-englisch) und einem Essay von Richard Osborne, in der Form eines reichlich illustrierten Büchleins mit Hardcover.

    Live mit Bühnengeräuschen und - britischem - Applaus, aber technisch gut eingefangen. Allerdings sind die gleichen Striche wie bei Scimone vorhanden.

    David Parry hat für Opera Rara mehrere Bel Canto Opern dirigiert und oft ist er mir zu schwerfällig vorgekommen. Hier hingegen hat er Sinn fürs Drama und leitet eine sehr lebendige und schwungvolle Aufführung, die man auch ohne Bilder gern verfolgt.

    Paul Nilon ist auch ein bekannter Opera Rara-Name, wo er u.a. Nozzari-Rollen wie Pirro in Ermione aufgenommen hat. Er hat inzwischen etwas mehr Vibrato bekommen und zeichnet erfolgreich das Porträt eines reiferen Erisso.

    Caitlin Hulcup überrascht zuerst durch ein helles Timbre, aber sie hat genug Autorität, um den jungen Feldherrn dazustellen. Sie fügt sich auch gut in die Ensembles; in Non temer, d'un basso affetto leistet sie sich einige puntature, ohne die Koloratur zu vereinfachen.

    Siân Davies singt eine lyrische Anna. Ihre Stimme ist auch leicht aber sie kann gelegentlich Volumen geben und ihre Höhe ist leuchtend. Dazu ist sie stilvoll in der Koloratur. Ihre Anna ist eine junge Frau, die von ihrem Schicksal überrascht wird. Sí, ferite singt sie mit der Kraft der Verzweiflung und Madre, a te che sull' Empiro ist echt ätherisch.

    Darren Jeffery ist kein Samuel Ramey, wen wundert's. Er ist nicht so klangvoll, im Timbre nicht so verführerisch und hat auch nicht dessen Eleganz. Allerdings macht er aus der Not Tugend, um sein Bild des Sultans zu zeichnen.

    Alles in allem eine Aufnahme mit eigenem Charakter, die sich gern hören lässt.


    Maometto Mirco Palazzi

    Anna Elisa Balbo

    Erisso Mert Süngü

    Calbo Victoria Yarovaya

    Condulmiero / Selimo Patrick Kabongo Mubenga


    Virtuosi Brunenses

    Camerata Bach Choir, Poznan


    Chorleiter: Ania Michalak

    Leitung: Antonino Fogliani

    Bad Wildbad, Juli 2017


    Live mit Applaus ohne britische Zurückhaltung ... Keine Striche

    Dies ist ungefähr das Gegenteil der Scimone-Aufnahme. Antonino Fogliani, ehemals Assistent von Gelmetti, leitet das Orchester mit Gefühl fürs Drama, was nicht nur das Tempo aber auch den Einsatz der Orchesterfarben, die Herausarbeitung leitmotiv-ähnlicher Strukturen, den Dialog mit den Sängern betrifft.

    Der Chor ist auch sehr gut, von der Akustik leider etwas benachteiligt. Es war eine szenische Aufführung und man muss sich darauf einstellen.

    Patrick Kabongo Mubenga, der beide Tenor-Nebenrollen singt, bringt echte Belcanto-Kultur mit. Er hat eine schöne und gut geführte Stimme und weiß, seiner Teilnahme an den Ensembles Kontur zu geben.

    Mert Süngü fühlt sich hörbar in der Rolle des Erisso. Er gestaltet die Rezitative mit Klarheit und Ausdruck, meistert die coloratura di forza, ist hier und da vielleicht etwas wagemutig in den Verzierungen oder den Höhenflügen, vermag aber in dieser Rolle zu überzeugen.

    Victoria Yarovaya ist kein tiefer Mezzo, was für Calbo nachteilig sein kann, wenn man an Ewa Podles oder auch an Lucia Valentini-Terrani denkt. Ihre Agilität, insbesondere in ihrer großen Arie Non temer: D'un basso affetto ist aber flamboyant. In den Ensembles ist ihre Suavität ein guter Konterpart für eine gewisse Aggressivität seitens des Tenors.

    Mirco Palazzi ist vom Ramey-Standard noch etwas entfernt: man wünscht sich mehr Klangfülle. Allerdings meistert er die Koloratur tadellos und ist in der ganzen breiten Tessitura homogen. Seine Stimme ist tiefer zentriert als die Rameys oder Pertusis ; das kann er voll ausnutzen, insbesondere in All'invito generoso, hohe gehaltene Noten leistet er sich aber auch.

    Die Hauptpartie ist aber Anna und hier liegen die meisten Probleme dieser Einspielung. Es mag live anders geklungen haben, aber von der Konserve hört sich Elisa Balbo angestrengt an. Sie ist im Unterschied zu June Anderson dramatisch sehr involviert und im Zuschauerraum hat man sie wohl mit Begeisterung erlebt. Wenn aber nur der Ton da ist, ist es nicht immer reines Vergnügen: das Legato ist laboriös (zum Glück weiß Fogliani, sie mit schönem Orchesterklang zu unterstützen) und die Tonschönheit leidet unter dem Forcieren ; die Koloratur wird vereinfacht, geschliffen oder durch einfachere Verzierungen (picchiettati etwa) ersetzt, die nicht immer sinnvoll sind. Sie ist nicht unerträglich wie etwa Majella Cullagh und kann sich durch ihren Einsatz durchsetzen aber von allen Annas, die ich kenne, ist sie leider die schwächste.


    Die große Finalszene leidet darunter. Wenn Richard Osborne schreibt: [This recording] is at its best in the opera’s dying fall of an end, where the heroine Anna Erisso prepares to take her own life in the catacombs of the besieged citadel. This is beautifully handled by Elisa Balbo, kann ich es diesmal überhaupt nicht nachvollziehen.

    Hier Elisa Balbo in Sì, ferite:

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    Zum Vergleich Marina Rebeka live in Pesaro 2008:

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    Im Endeffekt, ungeachtet der shortcomings bei Elisa Balbo ist mir Foglianis Aufnahme viel sympathischer als Scimones, die bei mir jahrzehntelang wegen Langeweile ungespielt liegen blieb und die ich jetzt nur zu Vergleichzwecken raushole.


    Fazit:

    Wenn nur eine Aufnahme, dann Gelmetti - aber die Verfügbarkeit ist aleatorisch oder Ferro, aber da ist sie noch aleatorischer

    Sonst, eher Fogliani trotz Balbo oder Parry, im Wissen dass es eine Aufnahme sui generis ist - aber in schöner Aufmachung.

    Ein Teil der Antwort liegt darin, dass bis zum frühen 19ten Jht das Wort "mezzosoprano" nicht für eine tiefere Stimme als Sopran galt sondern eher für einen Sopran in mezzo carattere, das heißt nicht serio (edel) und nicht buffo. Und das sind eben Zerlina oder Despina.

    Es wurde dann auch benutzt für den secondo soprano, also den Sopran, der nicht die Hauptrolle sang, z. B. Matilda in Rossinis Elisabetta oder Adalgisa in Norma, Giovanna Seymour in Anna Bolena ...

    So findet man haufenweise "authentische" Schriften, die beweisen, dass diese Rollen von einer Mezzosopranistin gesungen werden müssen ...

    Maometto II - 5

    Die Musik (Fortsetzung)


    Anna ist die eigentliche Hauptprotagonistin. Ihre Rolle wurde selbstverständlich für Isabella Colbran komponiert und sie hat die Charakteristiken der "Colbran-Rollen".


    Zuerst hat sie keine umfangreiche Sortita. Ihre Kavatine im ersten Akt, Ah! che invan su questo ciglio ist in schlichter ABA´ Form. Nach dem gefüllten und erleuchteten Palast-Versammlungssaal des Palastes in der Introduktion ist man in Annas Zimmer. Die Orchestrierung ist reduziert (Streicher und Holzbläser). Nach der Staatskrise und imminenter Gefahr wird hier das private Leid Annas dargestellt (Sorgen um den Vater, entfernter Geliebter). Diese "private Tragödie" entwickelt sich mit der Aufdeckung der Lüge "Ubertos" und das erste Cantabile im Terzettone wäre fast ein "kontemplatives Ensemble", wenn nicht Annas Koloraturen ihre Aufregung ausdrücken würden. Die gesellschaftliche Tragödie platzt buchstäblich hinein mit dem Kanonenschuss und dem bewegten Chor der Frauen. Man befindet sich jetzt auf dem Platz der Stadt.

    Anna hat jetzt ihr zweites Solo, das berühmte Gebet Giusto ciel, in tal periglio, mit Harfe sul palco, dem der Chor der Frauen antwortet.

    Im wiederaufgenommenen Trio rivalisieren jetzt Annas Koloraturen mir Erissos in Heroismus. Annas privates Leiden ist endgültig in den Hintergrund gerückt. Dies zeigt ihre Komplizität mit Calbo im zweiten Cantabile.


    Der private und der öffentliche Handlungsstrang vereinen sich im Finale I, als sich erweist, dass "Uberto" kein anderer ist als Maometto. Anna erreicht durch Selbstmord-Erpressung die Freisetzung Erissos und ihres "Bruders" Calbo, was zur bewegten Stretta führt.

    Das Maometto-Anna Duett im Akt 2 ist wie gesehen eine der wenigen Nummer traditioneller Faktur. Es zeigt uns einen unerwartet menschlichen Maometto einerseits und eine Anna, die gleichzeitig ihre Liebe gesteht und ihr entsagt. Atmosfera morale auch hier: in der Cabaletta wird Annas "amo, amo" z.B. deutlich unterstrichen, während die Musik die interne Zerrissenheit beschreibt (Annas cor lacerato: zerrissenes Herz und Maomettos disperato amor: verzweifelte Liebe).

    Im folgenden Rezitativ wird Anna endgültig zu Handelnder, als sie Maomettos Siegel erbittet und bekommt.


    Anna dominiert das Finale II. Zuerst ein Rezitativ, wo sie ihre Entschlossenheit und stille Erwartung des Todes ausdrückt.

    Von ferne ertönt das Gebet - mit Begleitung von Harfe und Bläsern- der Frauen, mit Einschüben Annas (Umkehrsituation zum Gebet im ersten Akt).

    Wie im ersten Akt bringt der Chor der Frauen die Nachrichten vom Gefecht: gesiegt haben die Venezianer, aber die düpierten Türken wollen sich an Anna rächen.

    Das folgende Cantabile Quella morte che s'avanza, im elegischen Ton, ist in Kontrast mit dem aufgeregten Chor der Frauen.

    Im tempo di mezzo kommt der Chor der moslemischen Krieger.

    Die folgende Cabaletta, Sì, ferite, ist gespickt mit den halsbrecherischsten Koloraturen. Anna verlangt wie halluziniert nach dem Tod.

    Statt mit der Cabaletta zu enden, leitet ein Flötensolo ein zweites Cantabile ein: Anna wendet sich an ihre verstorbene Mutter. Hier schweigt der Chor und nach der Todesextase breitet sich ein ätherischer Sologesang wie eine Vision des Jenseits.

    Maometto kommt; in einem kurzen Austausch enthüllt im die exaltierte Anna die Wahrheit Calbo ist jetzt ihr Ehemann, und erdolcht sich.

    Unisono beklagen Maometto, der Chor der moslemischen Krieger und der Chor der venezianischen Frauen den Tod Annas.


    Diese große scena drammatica erinnert an Ermione. Isabella Colbran darf ihre ganze darstellerische und sängerische Kunst entfalten - ohne eigentlich Beifall bekommen zu können. Es erfordert auch eine extreme Kontrolle der Sängerin, um nach der Hochakrobatik von Sì, ferite das ätherische Madre, a te che sull' Empiro solo mit leichter Begleitung zu meistern.


    Hier verbindet Rossini musikalisch die öffentliche und die persönliche Tragödie. Das Libretto sah eine ABA Form vor, mit Wiederholung von Sì, ferite und wie erwähnt eine letzte patriotische Tirade Annas. Das Heldentum sollte das letzte Wort haben. Statt dessen ist Sì ferite überaus exaltiert, Madre, a te che sull' Empiro kein schlichter Mittelsatz sondern ein entwickeltes Cantabile und man weiß schon, dass Rossini die letzten heldenhafte Worte gegen "persönliche" Verse ausgetauscht hat.

    Annas heroische Tat, die sie selbst beschlossen hat und in die sie förmlich aufgeht, bringt am Ende nur Tod und Trauer. So heldenhaft eine Tat auch sein mag, sie wird durch eine Person verübt.

    Bezeichnenderweise sind alle, Freunde wie Feinde, mit Maometto in der Trauer versammelt.


    Die Aussage Radiciottis, Rossinis Maometto wäre nach Voltaires Mahomet komponiert, wurde als falsch erkannt (Voltaires Mahomet ist immerhin der Prophet, nicht der Sultan, der Jahrhunderte nach ihm lebte). Allerdings ist, sicher unbeabsichtigt, ein Kern Wahrheit drin: der ganze Titel von Voltaires Stück ist Voltaire, ou le fanatisme. Und Maometto secondo ist unter einem gewissen Aspekt die Tragödie des Fanatismus. Maometto hätte ein Uberto werden können, wenn nicht seine Mission gewesen wäre, die Welt zu erobern. Anna sagt selber: Un sacrificio è questo, e la vittima io son: dies ist ein Opfer und die Geopferte bin ich. Auch Erisso kann nicht anders, als Anna zu verstoßen und sich mit ihr zu versöhnen, symbolisch auf dem Grabmal der Mutter, als sie ihm ihre Entscheidung erklärt.


    Mit Maometto secondo ist Rossini ein großes musikalisches Drama gelungen: die Kraft der Rezitative, die dramatische Gestaltung der Form, der differenzierte bel canto im Sinne des Ausdrucks, kombiniert mit einem guten Libretto ...


    Die Rezeption:

    Sie ist einfach und kompliziert zugleich. In Neapel war es nicht der totale Fiasko, aber auch kein Erfolg. Der Rezensent des giornale del regno delle due Sicilie, dem man keine Zuneigung für Rossini unterstellen kann, hat lobende Worte für die Musik und für Isabella Colbran. Filippo Galli und Andrea Nozzari hätten aber enttäuscht.

    Dazu weiß man, dass es für die Bühnentechnik des San Carlo eine besondere Herausforderung gewesen war.

    Für die Zuschauer sowieso: kaum geschlossene Nummern mit anschließendem Applaus, kein virtuoses Rondo finale.

    Es wurden 9 Aufführungen und eine Wiederaufnahme im Jahre 1826. Dann musste man bis Ende Oktober 2023 warten, um Maometto II wieder auf der Bühne des San Carlo zu sehen.


    Es folgte die Zeit der Umarbeitungen ... dazu später ...


    Die in Pesaro bewahrte Handschrift ist ein Palimpsest, der Spuren von unterschiedlichen Bearbeitungen enthält.

    Claudio Scimone und Patricia Brauner haben für die Fondazione Rossini die erste vorläufige kritische Ausgabe erstellt.

    Diese Ausgabe wurde für die erste Aufnahme 1983 benutzt (Studio Dir: Claudio Scimone, mit Samuel Ramey, June Anderson, Ernesto Palacio, Margarita Zimmerman).


    Die erste Aufführung in moderner Zeit fand 1985 in Pesaro statt, in einer Inszenierung von Pier Luigi Pizzi, mit Claudio Scimone und Samuel Ramey, Cecilia Gasdia, Chris Merritt, Lucia Valentini Terrani.

    Es folgten eine konzertante Aufführung in Paris 1986 (Scimone, Alaimo, Gasdia, Merritt, Zimmermann), eine szenische Aufführung in San Francisco 1988 (Zedda, Alaimo, Anderson, Merritt, Horne).


    Wiederaufnahme der Pizzi-Inszenierung in Pesaro 1993. Dirigent Gianluigi Gelmetti, mit Michele Pertusi, Cecilia Gasdia, Ramon Vargas, Gloria Scalchi.

    Samuel Ramey kommt als Maometto zurück in La Scala 1994. Dirigent Gabriele Ferro, mit Cecilia Gasdia, Bruce Ford, Gloria Scalchi.


    Noch einmal Pesaro 2008. Inszenierung Michael Hampe, Dirigent Gustav Kühn, mit Michele Pertusi, Marina Rebeka, Francesco Meli, Daniela Barcellona.


    Da Philip Gossett sich mit Pesaro und Ricordi verkracht hatte, erschien die kritische Ausgabe von Hans Schellevis bei Bärenreiter. Sie wurde für die Aufführungen in Santa Fe (2013), Garsington (2013, englische Erstaufführung), Rom (2014), Wildbad (2017) benutzt.


    Ricordi hat auch inzwischen eine kritische Ausgabe verlegt, unter Aufsicht von Ilaria Narici. Sie wurde erstmals jetzt in Neapel benutzt.


    Abgesehen von der Studio-Aufnahmen gibt es live aus Pesaro, Mailand, Garsington und Wildbad, sowie verfügbare Rundfunk- und Fernsehaufnahmen aus Pesaro, Amsterdam, Santa Fe ... Darüber im nächsten Teil.

    Maometto II - 4

    Die Musik (Fortsetzung)

    Maometto ist der Titelheld der Oper, obwohl und weil die dramatische Vorlage Anna als Titelheldin führte. Die Rolle wurde für nicht für Michele Benedetti, dem Bassisten der San Carlo-Truppe, sondern für Filippo Galli komponiert, der schon 1812 Rossinis erster Asdrubale in La pietra der paragone gewesen war, dann Mustafà in L'Italiana in Algeri, Selim in Il Turco in Italia, Ordow in Torvaldo e Dorliska, Villabella in La Gazza ladra ... ein erstklassiger basso cantante.


    Der Glaubenskonflikt ist wie gesehen im Libretto kaum vorhanden. Die Stellen in della Valles Theaterstück, wo er thematisiert ist, wurden gestrichen, sonstige Anspielungen geschwächt, verlegt oder gestrichen. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass Rossini keine Konflikte darstellt, zumal er dazu musikalische Mittel hat.

    Maomettos sortita wird von einem Chor der moslemischen Krieger eingeleitet, mit banda sul palco und mit musica turca. Dies und die Tatsache, dass auf einmal das Licht des Tages nach der Nacht kommt, unterstreicht den Auftritt des Sultans, und der Clash der Kulturen wird auch musikalisch dargestellt. Maomettos sortita ist nämlich alles andere als konventionell: kein Rezitativ sondern ein Chor als Einleitung, dazu fängt sie nicht mit einem cantabile an, sondern mit dem Befehl Sorgete, o prodi guerrieri! (steht auf, mutige Krieger!) fast improvisationsartig mit auffälligen Koloraturen. Der cantabile strukturiert sich dann, bleibt aber extrem verziert. Es folgt ein allegro marziale mit Chor und banda und eine verzierte Cabaletta, zuerst mit leichter Begleitung, die sich dann mit Beteiligung des Chors intensiviert. Der Chor ist auch stärker an der Wiederholung der Cabaletta beteiligt.


    Maometto wird als Krieger und als Fremder dargestellt. Dabei ist seine Musik extrem virtuos und raffiniert und - im Widerspruch zum Libretto wie gesehen - es ist für das Publikum die erste Gelegenheit, Beifall zu klatschen. Annas Cavatina mündet direkt in den folgenden Rezitativ, das Gebet ist Teil des Terzettones und dieser fließt in den Chor der Krieger ein. Nach ungefähr einer Stunde können die Zuschauer endlich ihrer Begeisterung Ausdruck geben und sie gilt ... Maometto, der zwangsweise in ein positives Licht gerückt wird.

    Sein Porträt wird im Finale I verfeinert. Im Trio mit Erisso und Calbo unterscheiden sich die heroischen Koloraturen der Venezianer und die ungestümen Koloraturen Maomettos, besonders die fallenden Kaskaden unter "[un tanto ardir] cadrà" ([ein so großer Hochmut ]wird fallen).


    Die Erscheinung Annas bringt die Veränderung. Zuerst findet ein "kontemplatives Ensemble" statt, bevor die Stretta diesmal keine allgemeine Verwirrung sondern die gleichzeitige innere Verwirrung aller Personen ausdrückt. Alle befinden sich in einem inneren Konflikt, am meisten Anna selber und Erisso, deren Stimmen aus dem Ensemble ausstechen.


    Im Akt II erscheint Maometto zuerst im Duett mit Anna: Anna, tu piangi. Diesmal keine musica turca und ein Duett, das formell echt klassisch bleibt. Ein schönes Duett, das, obwohl beide Personen ihre Liebe gestehen, kein Liebesduett sein kann/darf. Maometto strengt sich an, "Uberto" zu sein, derjenige, den Anna gesteht zu lieben. Und dies geschieht, indem seine Musik jeder fremdartigen Eigentümlichkeit fernbleibt. Die Frage bleibt offen: ist Maometto ein Opfer der eigenen Zerrissenheit oder ist er nur jemand, der sich gut verstellen kann? Eine Frage, die man auch über König Ferdinand stellen könnte? Was ihn betrifft, hat die Geschichte die Antwort gegeben, die Rossinis Musik gibt: die musica turca (die österreichischen Truppen) kommt bald verstärkt zurück.

    Der Übergang vom privaten zum öffentlichen Maometto wird optisch unterstrichen: "Die Rückseite des Zeltes öffnet sich und man sieht den Platz der Stadt [...] gefüllt von Soldaten, die mit gezückten Schwertern in Unordnung umherlaufen".


    Maomettos zweite Arie, All'invito generoso, wird wie die erste vom Chor der Krieger eingeleitet. Das Allegro maestoso wird von heroischen Koloraturen und großen Sprüngen gekennzeichnet, ähnlich Calbos Tirade in der Introduktion ; die große Trommel, Pauken und Becken unterstreichen den kriegerischen Charakter. Es folgt ein tempo di mezzo - andante mosso - begleitet nur vom Tremolo der Streicher, wo die dunkle Seite Maomettos sich äußert: er wird "den Makel der Schande mit venezianischem Blut hinwegwischen oder erschöpft dem Tode trotzend auf [s]ein Schwert fallen". Statt einer Cabaletta kommt aber eine Stretta mit Chor, musica turca (Piccoloflöte inklusive) und Einwürfen Annas.

    Bezeichnenderweise gilt der Applaus hier nicht der Person Maometto, der in der Stretta keine dominante Rolle hat und eher Anna untergeordnet ist; für die Zuschauer sollte hier die Wahl der Orchestrierung eher gemischte Gefühle wecken. Die Struktur vermischt sich mit der Dramaturgie. Heroisch im Cantabile, das Klima wird bedrohend im tempo di mezzo und gar beängstigend in der Stretta.


    Das Konzept der atmosfera morale bietet sich für dieses komplexe musikalische Porträt Maomettos an. Widersprüche werden aufgedeckt: wer ist der echte Maometto? Der private, "Uberto" oder der öffentliche, der Sultan? Ist der Sultan nicht eine Geisel von seiner Funktion, getrieben von der selbst ernannten Rolle als Eroberer der Welt? Er wird nämlich immer vom Chor eingeleitet und fügt sich am Ende in den Chor, während Anna, die ihr Lager gewählt hat und Widerstandkämpferin geworden ist, musikalisch dominiert.

    Eigentlich ist die Luisa Miller Story reichlich ausgeschmückt worden.

    Ich konnte nichts finden in Bezug auf die angebliche TV-Show mit Baudo.

    Nur, dass Baudo nach der Premiere mit einem Loggionista handgreiflich wurde.

    Auch nichts über massive Polizeipräsenz bei der zweiten Aufführung.

    Ricciarelli hat sich auch nicht direkt ans Publikum gewendet, wie oft gesagt. Sie hat einfach während der zweiten Aufführung den Satz Che Dio vi maledica wie beiläufig in ihren Part eingefügt. Und ist nie wieder in der Scala aufgetreten.

    Hier eine zeitgenössische geistreiche Kritik der Premiere und ein Bericht über Baudos Verhalten:

    https://archivio.unita.news/assets/main/1989/05/04/page_027.pdf

    Eigentlich heißt die Frankenstein Autorin Mary Shelley und der Arzt John Polidori. Die Oper selber heißt Der Vampyr.

    Im verregneten Sommer 1816 (das "Jahr ohne Sommer" aufgrund eines Vulkanausbruchs auf Java), als die Shelleys sowie Byron samt Leibarzt am Genfer See Urlaub machten, traf man sich bei Byron am Kaminfeuer und vertrieb sich die Zeit mit Gruselgeschichten. Byron schlug vor, dass jeder solch eine Geschichte selber erfand.

    Dies war der Ursprung von Frankenstein einerseits.

    Byron selber entwarf eine Geschichte, die später von Polidori entwickelt und erweitert wurde.

    1819 wurde die Erzählung The Vampyre ohne Polidoris Zustimmung und ohne Byrons Kenntnis unter Byrons Namen veröffentlicht.

    Die deutsche Übersetzung, Der Vampyr, gab auch fälschlicherweise Byron als Autor.

    Zu einfach gerade jetzt, aber nur weil die Anekdote es in sich hat:

    In der Stadt X macht die Sängerin A ihr Début in der Titelrolle der Oper O.

    Am nächsten Tag sind die Mauern von X mit Plakaten beklebt, worauf zu lesen ist: "O ist tot".

    Tondokumente existieren 😉

    Ich weiß, ich bin nicht an der Reihe, aber dies ist kein richtiges Rätsel, nur ein kurzes Intermezzo, das keine Schwierigkeiten bereitet.

    Für Cherubino

    (Bei 1:16:00 aufpassen)

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