Beiträge von EinTon

    Zwei Liebhaber schöner, klassischer Musik gehen zum ersten Mal in ein Konzert mit "Neuer Musik".


    Nach dem Konzert meint der eine zum anderen: "Du, das war bestimmt atonal!"


    Darauf der andere: "Ja, mindestens!"

    Goerdeler ist mit Sicherheit an den Rand des damals Möglichen gegangen. Respekt vor der Denkschrift.


    Nochmal: Die Schrift war keine offizielle Positionserklärung gegenüber den Machthabern des Dritten Reiches, sondern bezog sich auf die Neuordnung Deutschlands nach dem Sturz des Regimes. Goerdeler schrieb das also nicht, weil "nicht mehr möglich war" (wäre die Schrift aufgeflogen hätte das in jedem Fall KZ oder Hinrichtung bedeutet), sondern weil er das wirklich so dachte.


    Aber OK, von mir aus beschließen wir die Thematik.


    Bloß: von Ausweisen ist in dem Goerdelerzitat nicht die Rede, sondern von der Möglichkeit, einen jüdischen Staat zu gründen. Dass die Unterstützung des Wunsches nach einem jüdischen Staat gleichbedeutend mit Antisemitismus sei, ist allerdings eine gewagte argumentative Volte. Ich kann auch in dem Gesamtzitat keinerlei antisemitische Tendenzen, sondern eher das Gegenteil erkennen. Goerdeler ist mir im Prinzip ziemich egal, aber genaues Lesen nicht...


    Grüße,
    Micha

    Laut dem Historiker Heinrich August Winkler (aus einem seiner Bücher habe ich das nämlich ursprünglich) dachte Goerdeler sehr wohl an Zwangsausbürgerung. Hier aus einem Artikel von Winkler selbst, den ich auch noch gefunden habe:

    Zitat

    "Carl Goerdeler, der nach dem Aufstand des 20. Juli 1944 das Amt des Reichskanzlers antreten sollte, schlug Anfang 1941 in einer Denkschrift vor, in internationaler Zusammenarbeit einen Judenstaat "unter durchaus lebenswerten Umständen entweder in Teilen Kanadas oder Südamerikas" zu errichten, in den die deutschen Juden automatisch ausgebürgert werden sollten. Ausgenommen waren nur solche Juden, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten, die die Einbürgerung ihrer Familie vor der Reichsgründung von 1871 oder die christliche Taufe nachweisen konnten. "

    Quelle: http://wissen.spiegel.de/wisse…l?id=29212868&top=SPIEGEL (Fettung von mir. Im Prinzip steht das drin, was auch schon Harnoncourt zu Recht ausführte).


    Die systematische Judenermordung durch die Nationalsozialisten wurde von Goerdeler (wie Winkler weiter schreibt) dann doch entschieden verurteilt, er vertrat gewissermaßen eine "menschliche" Variante des Antisemitismus: Die Juden sollten "menschenwürdig" behandelt werden, aber eben besser doch unter sich bleiben...

    Aber was macht man mit einem Joseph Haas? Der Reger-Schüler, der satztechnisch perfekt, harmonisch konservativ komponierte (man stelle sich in etwa eine Kombination aus Pfitzner und Franz Schmidt vor), war politisch mehr oder weniger desinteressiert, er war also weder sonderlicher Befürworter noch sonderlicher Gegner der Nationalsozialisten. Er blieb als Professor an der damaligen Akademie für Tonkunst in München im Amt (dieses hatte er seit 1921 inne), war aber mit Hindemith befreundet und war einer der Gründer der Donaueschinger Kammermusikfeste für Neue Musik. Er trat auch während des NS-Regimes für zeitgenössische Musik ein und praktizierte seinen katholischen Glauben so öffentlich, daß er damit wiederholt bei den Parteibonzen aneckte.
    Haas scheint also ein klarer Fall zu sein.
    Wenn es da nicht eine gewisse Oper gäbe, nämlich "Tobias Wunderlich". Rein musikalisch ist das Werk fabelhaft, es hätte wirklich das Zeug zur modernen Volksoper, kontrapunktisch glänzend gearbeitet, melodisch einfallsreich, blendend instrumentiert. Mitunter glaubt man, Lortzing gefiltert durch Regers Kontrapunkt- und Modulationskunst zu hören. Allerdings ist der Kunsthändler Rosenzweig eindeutig eine antisemitische Karikatur und als solche ganz nahe dem ekelhaften antisemitischen Zerrbild des Güldensack in Egks "Zaubergeige".


    Zu Bedenken ist bei solchen Beispielen, dass selbst unzweideutige NS-Gegner oft nicht eben frei von Antisemitismus waren. Vgl. z. B. das Ziel des Widerständlers Carl Goerdeler, in einem nach-nationalsozialistischen Deutschland alle Juden in einen "Judenstaat" (in Kanada) auszuweisen:


    Zitat

    "»Zur Ruhe« werde die Welt – so Goerdeler in diesem Text – nur kommen, »wenn das jüdische Volk eine wirklich ausnützbare Möglichkeit erhält, einen eigenen Staat zu gründen und zu erhalten. Ein solches Gebiet lässt sich auf jeden Fall unter durchaus lebenswerten Umständen entweder in Teilen Kanadas oder Südamerikas finden. […] Neben der Verfolgung dieses Zieles sollten Sofortmaßnahmen ergriffen werden, die aus außenpolitischen Gründen zur Entgiftung der öffentlichen Meinung notwendig, zur Wiederherstellung der deutschen Selbstachtung unerlässlich und aus klarem und uns vollkommen bewusstem Gerechtigkeitsgefühl geboten sind: Aufhebung der Beschränkungen für Juden, menschenwürdige Gestaltung der Ghettos in den besetzten Gebieten.«3"


    Quelle: http://www.beatpunk.org/filme/operation-valkyrie/ , das Zitat stammt aus Goerdelers Schrift "das Ziel". (Von dem Blogpamphlet auf der genannten Seite bitte ich abzusehen, mir gehts allein um den dort zitierten Goerdeler-Text)


    Ähnliche Einstellungen finden sich bei anderen konservativen NS-Gegnern wie etwa Stauffenberg. Die Gleichung "Kein Nazi" = "zwangsläufig auch kein Antisemit" stimmt also nicht, auch nicht bei Komponisten und Musikern.

    Zur Diskussion Konserve vs. Lifekonzert sei auch noch erwähnt, dass es viele für mich interessante Musik gibt, die live fast nie zu hören ist...


    Ich kannte etwa Messiaens "Transfiguration" schon 20 Jahre und es gehört zu meinen Lieblingsstücken, letztes Jahr ergab sich endlich die lang erwartete Gelegenheit für mich, es live zu hören (in Köln), dank eines Tips in einem anderen Forum.


    Es gab zwar sicher schon vorher Aufführungen, aber davon habe ich nichts (bzw. erst zu spät) mitbekommen - allerdings habe ich auch nicht immer so intensiv im Internet gesucht.


    Interessieren würde mich u. a. mal eine Liveaufführung von Boulez' "Pli selon Pli" oder dem "Marteau", wenn jemand einen Aufführungstipp hat, kann er mir den gerne mal geben!

    Die 4. ist bis dato meine Lieblingssinfonie von Schostakowitsch (wobei ich Schostakowitsch insgesamt etwas zwiespältig gegenüberstehe), v. a. gefällt mir hier der motorische Einstieg und erst recht der alptraumhafte Schluß.


    Ich habe sie in der Aufnahme von Andrey Boreyko mit dem RSO Stuttgart (Label Hänssler, als mp3 über emusic).

    Es wird auch zitiert in Helmut Lachenmanns "Mouvement ( - vor der Erstarrung)"


    Erläuterung hier:


    "http://www.satzlehre.de/themen/lachenmann.pdf"


    Zu hören hier (in 3 Teilen):



    "http://www.youtube.com/watch?v=9BHzFggEGS4&fmt=18"


    "http://www.youtube.com/watch?v=wsPEO3RSXjE&fmt=18"


    "http://www.youtube.com/watch?v=4ZApKnnmzh0&fmt=18"


    Wer hört das Lied heraus? ;)

    Mein Lieblingsstück von ihm ist das "Osterspiel", v. a. der Eingangschor:


    http://www.amazon.de/Ein-Weihn…sic&qid=1243120836&sr=8-1


    Das klingt auch gaaanz anders als die "Carmina burana". Bei dem Stück habe ich seinerzeit das erste Mal kirchentonale Skalen kennengelernt (zB phrygisch, dorisch, mixolydisch). Die Herkunft (wie auch die griechischen Skalennamen) waren mir da allerdings nicht bekannt, so hielt ich "d-moll mit den Vorzeichen von g-moll" damals für eine "moderne Errungenschaft". ;)


    Zu den Schulwerkstücken sei erwähnt, dass vieles davon gar nicht von Orff stammt sondern von seiner Mitarbeiterin Gunild Keetman, so auch die mancherorts beliebte "Weihnachtsgeschichte" (nicht mit dem "Weihnachtsspiel" verwechseln!) - von Orff stammt hier lediglich der Text:


    http://www.amazon.de/Weihnacht…sic&qid=1243121400&sr=1-1