Herta Müller - Meinungen, Empfehlungen, Kritik

  • Herta Müller - Meinungen, Empfehlungen, Kritik

    "Meinungen, Empfehlungen, Kritik" steht im Titel. In den Fingern gejuckt hat es mich, Bekanntheit zu schreiben. Nachdem Herta Müller vor kurzem der Literaturnobelpreis verliehen wurde, hat sich das mit der Bekanntheit allerdings erledigt. Jedoch: Gab es in der Literaturnobelpreisgeschichte jemals einen Schriftsteller, der im eigenen Land derart unbekannt war wie Herta Müller, als ihm der Nobelpreis verliehen wurde? Mir jedenfalls war Herta Müller als Schriftstellerin nur entfernt dem Namen nach bekannt. Aktiv hätte ich ihren Namen nicht nennen, können. Wer kannte Herta Müller überhaupt

    Zurzeit lese ich von Herta Müller das Buch "Der Fuchs war damals schon der Jäger". Etwa ein Drittel habe ich hinter mir - und bin etwas enttäuscht. Herta Müllers Sprache wird oft als poetisch beschrieben. Ja, das ist sie tatsächlich. Kurze Sätze, die oft in keinem sich schnell erschließenden Zusammenhang stehen. Viele sprachliche Ungenaugigkeiten, z. B. immer wieder Unklarheit darüber, was mit dem Pronomen "sie" gemeint ist, bei denen mir nicht klar ist, inwieweit sie Stilistik oder Unvermögen sind. Immer wieder, mir persönlich schon zu viele Bilder: z. B. Pappeln als grüne Messer.

    Was haltet ihr von Herta Müller? Welche Bücher kennt, lest ihr? Könnt ihr etwas empfehlen?

    fragt freundlich grüßend

    Thomas

  • Hallo Thomas,
    schön, dass Du diesen Thread über Herta Müller gestartet hast.
    Ist Herta Müller bekannt? Aber ja. Sie ist die berühmteste Rumäniendeutsche Schriftstellerin und eine der bekanntesten lebenden Dichterinnen deutscher Sprache.
    Ich habe sie 1992 in einer Lesung erlebt, sie stellte "Der Fuchs war damals schon der Jäger" vor und das Buch machte Furore. Leider ist meine Erinnerung an den Roman etwas verblasst, ich werde ihn erneut lesen.

    Im Moment lese ich "Herztier", ein sehr eindringliches Buch, mit, wie immer bei Müller, starker Bildhaftigkeit.

    Die beiden user-Kommentare auf der amazon-Seite sind lesenswert!

    Was mich an Müller fasziniert, ist einmal ihr Umgang mit Sprache. Sie schreibt ihre Romane immer auch als Lyrikerin, es entstehen Prosagedichte, bei denen nicht linear ein plot erzählt wird. Den plot gibt es ja auch gar nicht, die Geschichten sind oft fragmentiert, so wie die Lebensläufe der Figuren.
    Das ist der zweite Punkt, den ich so faszinierend bei ihr finde: wie sie mit ihrer Sprache Unrechtssysteme darstellt, das der rumänischen Diktatur, das der Altnazis, das des dörflichen Horrors. Und die Auswirkungen der Mechanismen der Diktatur auf die Seelen und Lebensläufe der Menschen.
    Sie erinnert mich immer ein bisschen an die harte Sprache von Agota Kristof, obwohl man die beiden ja eigentlich nicht vergleichen kann, denn Kristof erlernte die neue Sprache ihres Exillandes, Müller schreibt in ihrer eigenen Sprache. Dennoch ist, wenn man ihre Sprache liest, eine Fremdheit zu spüren, so, wie sie sich in Deutschland ja auch fremd fühlt.
    Leider habe ich ihren neuen Roman "Atemschaukel" noch nicht gelesen, ich kann mir aber vorstellen, dass das ein guter Einstieg in Müllers Literatur ist. Es ist auch eine Hommage an den großen Sprachkünstler Oskar Pastior.

    Und ein Tipp aus der SZ (habe ich leider auch noch nicht gehört): ein Hörbuch, in dem Müller von ihrer Kindheit im Banat erzählt

    Jetzt bin ich gespannt, was Ihr von Herta Müller haltet.

    Viele Grüße
    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Dann oute ich mich auch mal als Herta Müller Fan...

    Talestri hat das wesentliche bereits gesagt. Freilich liest sich Herta Müller nicht so einfach weg, wie beispielsweise ...Philipp Roth (ein anderer Aspirant auf den diesjährigen Nobelpreis).

    Ihre Kunst ist nicht zuletzt geprägt durch ihre Herkunft und die Umstände ihres bisherigen Lebens: aufgewachsen als Angehörige der deutschen Minderheit in deren althergebrachten Traditionen im Banat unter Ceausescu, dessen Geheimdienst Securitate sie die Mitarbeit verweigerte (als sie ihrem Gewissen folgend diesen mutigen Schritt wagte, da war sie übrigens 17; ein anderer Nobelpreisträger schloß sich in jenem Alter einer anderen Organisation an - aus "jugendlichem Leichtsinn", sei´s drum).
    Seitdem war ihre Erfahrung mit staatlicher Repression sehr eindringlich: selbst als sie 1987 in die Bundesrepublik übersiedelt war, wurde sie von ihren Peinigern weiterhin verfolgt.

    Diese permanente Überwachung und Verfolgung, wobei die gesamte Lebensumgebung von jenem System durchsetzt ist, so daß Vertrauen so gut wie niemals Fuß fassen kann, das ist ein großes Thema Herta Müllers: Deine Kritik, knulp, man wisse ja nie, wer mit "sie" nun gerade gemeint sei bzw. auf was sich "sie" gerade beziehe, spiegelt jenen Zustand doch wider: niemals ist gewiß, ob "sie" nicht gerade ihre Fäden ziehen, oder ob die Person, der man vertraut, nicht auch zu "ihnen" gehört oder von "ihnen" korrumpiert wurde...

    Sehr beklemmend, in der Tat. Wenn man zudem die Lebensumstände im Banat etwas kennengelernt hat, so erschließt sich die Welt der Herta Müller in ihrer ganzen brutalen Poesie.

    Als Einstieg ist vielleicht die jetzt erschienene CD sehr aufschluß- und hilfreich; ich habe eine CD-Vorstellung incl. Auszügen erst neulich im Deutschlandfunk gehört: sehr empfehlenswert.

    :wink:

    Momus

  • Hallo Momus und Talestri,

    erst einmal vielen Dank für eure sehr lesenswerten Antworten. Ich bin euch noch die Fortsetzung meines Lektüreberichts schuldig: Das Buch hatte ich bald zu Ende gelesen. Es hat mir mit zunehmender Seitenzahl nicht mehr, sondern weniger Freude bereitet. Die vielen Bilder, die Kargheit der Sätze, der sich nicht einstellen wollende Erzählfluss haben mich immer mehr gestört.

    Möglichweise habe ich mit dem Fuchs und dem Jäger schlicht das falsche Buch gegriffen. Zufällig gab es vor einer guten Woche im Fernsehen die Wiederholung einer Sendung des literarischen Quartetts aus 1992. Just in dieser wurde "Der Fuchs war damals schon der Jäger" besprochen - nun ja, durch die Mangel gedreht, die Vorgehensweise des Quartetts ist ja hinreichend bekannt. Frau Radisch und auch Frau Löffler lobten das Buch, die Herren jedoch zeigten sich enttäuscht. Die früheren Bücher seien deutlich besser gewesen. Vieles wiederhole sich. Die Bildsprache falle auf die Nerven, manches sei schon in früheren Büchern vorgekommen. Das "Problem" des Buches sei es wohl, dass es ein unausgegorener Nachklapp sei, ein Buch zum vorher entstandenen Film. Zufällig (?) war ich mit den Herren einer Meinung: zäh zu lesen und überbildert, so will ich es zusammenfassen.

    Die Lust auf Herta Müller ist mir erst einmal vergangen. Wahrscheinlich gebe ich der Dame eine weitere Chance, wenn "Atemschaukel" dereinst als Taschenbuch erscheint.

    Hat irgendjemand sonst inzwischen etwas von H. Müller gelesen? Würde mich interesseieren.

    Viele Grüße
    Thomas

  • Lieber Christian,

    hast du denn die "Atemschaukel" selber schon gelesen??? Hast du Lust, noch ein bischen mehr darüber zu erzählen, was dir an dem Roman gut gefallen hat?? Ich überlege nämlich, mir das Buch zu kaufen, angeregt durch die Beschreibung ihres Sprachstiles. Ich mag wortgewaltige, expressionistische Sprachbilder sehr gerne. Lyrikprosa hört sich da sehr gut an. Auch wenn ich ein wenig vor der Thematik zurückscheue, da ich mich in einer früheren Phase fast ein Jahr lang nur Büchern dieser Thematik gewidmet habe und ich da manchmal einfach nichts mehr zu lesen kann.

    LG Mia

  • Lieber Christian,
    ich würde mich auch freuen, wenn Du uns Deine Eindrücke von "Atemschaukel" schilderst. Ich habe das Buch schon lange auf meiner Liste, es hat sich leider immer was anderes davor geschoben.
    Wir haben übrigens einen von Knulp initiierten Herta-Müller-Thread:
    Herta Müller - Meinungen, Empfehlungen, Kritik

    Liebe Grüße
    :wink: Talestri

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    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Lieber Christian,

    hast du denn die "Atemschaukel" selber schon gelesen??? Hast du Lust, noch ein bischen mehr darüber zu erzählen, was dir an dem Roman gut gefallen hat??

    Liebe Mia,

    habe ich- während der Herbstferien im Urlaub- ich habe das Buch in drei Tagen ausgelesen, so gefesselt hat es mich :D

    Was mich gefesselt hat?
    Zuerst: Die Sprachbilder Hertha Müllers, ihre Bildsprache haben mich ungemein fasziniert. Mir war so etwas bis dato noch nicht untergekommen. Verbunden mit dieser Bildsprache ist eine Knappheit im Ausdruck die mich sehr angesprochen hat: Jeder Satz ist wie gemeißelt- Hertha Müller schreibt für mein Empfinden kein Wort zu viel und das ist wirklich gro0e Kunst, mit so wenig Worten so viel auszudrücken, diese Ökonomie des Erzählens. Ferner hat mich der Gegenstand des Buches sehr ansgesprochen: Das Thema Vertreibung und Deportation auf die Agenda zu setzen ist nicht das eigentlich Neue- sondern der Stil dessen sich Hertha Müller dabei bedient: Kein dokumentarisches Erzählen sondern in Form diesser Prosalyrik. Außerdem rückt sie mit diesem Buch eben ein Kapitel der Geschichte in den Blickpunkt, dass bei uns bisher kaum im Fokus stand: Das Schicksal der deutschen Minderheit in Rumänien. Reicht Dir das, Mia? :D

    Herzliche Grüße, :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Das Buch habe ich zum Geburtstag gleich doppelt geschenkt bekommen, einmal von meiner Frau, einmal von meiner Mutter.

    Ein Exemplar habe ich gegen das neue Buch von Ulla Hahn getauscht.

    Leider liegen beide noch auf dem doch recht hohen SuB (Stapel ungelesener Bücher).
    Wenn ich es denn endlich geschafft habe, Herta Müller zu lesen, werde ich berichten.
    Die Ausführungen von Christian sind ja schon einmal viel versprechend.

    Grüße
    Achim

  • Atemschaukel

    Inzwischen habe ich die Atemschaukel gelesen und bin etwas hin-und-hergerissen. Prinzipiell finde ich ihre Form sehr interessant, wie Talestri es formuliert: "Sie schreibt ihre Romane immer auch als Lyrikerin, es entstehen
    Prosagedichte, bei denen nicht linear ein plot erzählt wird."

    Völlig ratlos aber hat mich ihr ständig wiederkehrendes Stilmittel der Anthropomorphismen (zB "Aber mein Hunger saß wie ein Hund vor dem Teller und fraß.") gemacht. Dies kann ich zwar verstehen als Ausdruckform, das Ausgeliefertsein zur Sprache zu bringen zu wollen; aber überzeugt hat es mich nicht. Irgendwie kam mir das auf die Dauer deflationär eingesetz vor und hat mich oft genervt.

    Ein User auf amazon ("Stilistische Unzulänglichkeiten", 30. Dezember 2009) hat ihr zahlreiche Unzulänglichkeiten vorgeworfen und meinte, anfängerhaft wirkende stilistische Fehler zu entdecken. Ihr Schreiben wirke als eine "seltsame Mischung aus gelungenen und völlig
    missratenen Teilen. Selbst das Gelungene lässt die Autorin oft nicht
    wirken, sondern zerstört es durch unnötige Ergänzungen, als würde sie
    kein Vertrauen in die Fähigkeiten der Leser haben." So seinen vor allem ihre "floskelhaften Zutaten"
    störend ("Das meinte der Akkordeonspieler Konrad Fonn. Meinen kann man
    allerhand. Wissen kann man es nicht.")
    Das finde ich fein analysiert; der User zieht den Schluss daraus: "Es ist wie bei einem Pianisten, der immer wieder falsch spielt. Da kann
    er zwischen den Fehlern noch so gut spielen, die Wirkung ist zerstört.".
    Ich selbst allerdings ziehe den genau umgekehrte Schluss daraus: Gerade darin sehe ich eine Stärke ihres Romans, weil dadurch Form und Inhalt in Übereinstimmung gebracht wird!

    Sehr geglückt scheint mir auch das unterschiedliche Tempo der verschiedenen Abschnitte, vor, während und nach dem Lager, bis hin zum zähen sich Ziehen im Lager, das ihr wohl einige als Schwäche auslegen dürften.

    Sie spielt auf sehr vieles an, dass aber dann nicht ausgearbeitet wird. Das hat mich schon sehr gestört. Beispiel: Irgendwann erwähnt sie in einem Nebensatz, dass sie nun 60 Jahre (oder so?) alt sei. Auf dieses Alter kommt dann kapitelweise nie mehr die Rede. So wirkte es völlig uneingebunden. Vieles kam mir mehr und immer mehr uneingebunden vor; bis es dann - endlich! - in den abschließenden Kapiteln nach der Rückkehr dann doch noch geschickt aufgegriffen wurde. Ich weiß es nun nicht zu bewerten, ob dieses vollständige Ausparen die Lagerzeit hindurch ein grandioser Kunstgriff ist, oder mir schlicht einfach zu wenig durchgearbeitet vorkommen soll.

    :wink:

    Gruß a.b.

    ----

    In der Musik geht es nicht um Perfektion, sondern um die Freiheit, zu zeigen, wer man wirklich ist.

  • Ich finde, dass handwerkliche Schwächen ein sehr grundsätzlicher Einwand gegen die künstlerische Qualität sind. Ein Pianist, der sich dauernd verspielt, will mehr als er kann, und wenn jemand mehr will als er kann, ist das m. E. nur in Ausnahmefällen künstlerisch interessant. Herta Müller will erheblich mehr als sie kann: Sie will Schriftstellerin sein und zwar - das kann sie noch weniger - eine, die die deutsche Sprache virtuos handhabt. Natürlich kann man versuchen, ihr die zahlreichen stilistischen Unfälle als besondere Leistung und als Ausdrucksmittel anzurechnen, allerdings geben ihre Texte das nicht her. Zumal sie sich auf dieselbe ungeschickte Weise ausdrückt, wenn sie ein Rede hält oder ein Interview gibt, wo solche künstlerischen Mittel (wenn sie es denn wären) auf jeden Fall deplaziert sind.

    Wie die hohe Jury auf die Idee gekommen ist, ausgerechnet dieser Frau den Preis zu verleihen, kann ich mir nicht vorstellen, allerdings sieht man schnell, wenn man die Liste der Literatur-Nobelpreisträger durchschaut, dass die bedeutenden Literaten dort in der Minderheit sind. Insofern verwundert die Wahl dann doch wieder nicht.

    Jedenfalls muss man sich wegen dieser Entscheidung keineswegs verpflichtet fühlen, das schlechte Deutsch von Frau Müller gut zu finden (ebenso wenig übrigens wie die protofaschistischen Essays ihres Ex-Manns Richard Wagner, der zum Thema Rumänien die dümmsten Texte aller Zeiten verzapft hat).

  • Sie will Schriftstellerin sein und zwar - das kann sie noch weniger - eine, die die deutsche Sprache virtuos handhabt. Natürlich kann man versuchen, ihr die zahlreichen stilistischen Unfälle als besondere Leistung und als Ausdrucksmittel anzurechnen,

    Hallo Polonius,

    ich habe von Herta Müller bisher nur die "Atemschaukel" gelesen. Zahlreich stilistische Mängel sind mir dabei nicht aufgefallen- was natürlich auch an meinem nur rudimentär ausgeprägtem Stilempfinden liegen mag und meinem deswegen mangelhaft ausgeprägtem Sensorium für literarische Qualität .

    Ich lese halt einfach wenig- da kann so etwas schon vorkommen ;+)

    Vielleicht erläuterst Du Deine Kritik anhand von einigen konkreten Beispielen? Worin bestehen die zahlreichen stilistischen Unfälle der Autorin?

    Dann könnte man sachlich darüber diskutieren.

    Abgesehen davon halte ich "Stil" für eine zu subjektive Kategorie um den Wert eines literarischen Werks angemessen zu beurteilen.

    Herzliche Grüße, :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Ich bin kleineswegs sicher, ob Stil eine subjektiv Kategorie ist. Jedenfalls nicht so subjektiv, dass ein Urteil nicht gefällt werden kann. Ich halte aber dafür, dass die allgemeine Angst vor einem Urteil, die sich in unserer Zeit mehr und mehr ausbreitet, unmittelbar zu der sich mehr und mehr ausbreitenden Beliebigkeit jeglicher Äußerung beiträgt, die so charakteristisch für diese Zeit ist. So wenig wie ich einsehe, warum ich Herta Müller und einen wirklichen Schriftsteller (meinetwegen Grass) auf dieselbe Stufe stellen soll, sehe ich ein, weshalb ich Max Bruch und Brahms in dieselbe Kategorie einsortieren soll.

    Was konkrete Beispiele betrifft, kann ich leider nicht dienen. »Atemschaukel« habe ich nicht gelesen, die Lektüre anderer Machwerke der Autorin liegt zu lange zurück, und das Heraussuchen macht mehr Mühe als der Gegenstand wert ist. In letzter Zeit las ich nur ihre Interviews und andere Beiträge, die sich auch durch verblüffende sprachliche Ungenauigkeiten und Missgriffe in nahezu jedem Satz auszeichneten.

    Ich will keine fundierte Rezension schreiben, ich rate lediglich, seine Zeit besser zu verwenden als für die Lektüre dieser schlechten Texte, die übrigens auch inhaltlich in ihrer widerwärtigen Larmoyanz nur wenig zu bieten haben.

  • Ich habe bisher noch kein einziges Wort von Frau Müller gelesen und kann somit nicht beurteilen, ob z. B. "Atemschaukel" genial oder ein Haufen Murks ist. Ich finde es angesichts der Verkaufszahlen von "Atemschaukel" aber allgemein ganz positiv, daß man in Deutschland auch jenseits spiritueller Selbsterfahrungstrips von Fernsehmoderatoren oder Lebensratgebern umherblödelnder Ärzte noch Bücher mit seriöser Literatur verkaufen kann, ob diese nun auf höchstem Niveau ist oder nicht.

    Ich würde übrigens davor warnen, aufgrund mäßiger früherer Werke davon auszugehen, daß einem Künstler nicht doch noch Meisterhaftes gelingen kann. Mir geht das in der Musik bei Lachenmann so: bis auf "Mouvement" gefällt mir kaum etwas von ihm, aber "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" halte ich für genial.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Das stimmt. Auch ein blindes Huhn kann ein Korn finden (wobei Lachenmann meiner Ansicht nach kein blindes Huhn ist und es wirklich nicht verdient hat, mit Frau Müller in eine Suppe getan zu werden…;)). Die Presse hat ja seinerzeit einige Auszüge aus dem Buch gebracht, und im Radio wurde einiges verlesen. Das hat mir genügt, um zu wissen, dass hier kein Korn gefunden worden ist.

  • Hallo Polonius,

    Ich bin kleineswegs sicher, ob Stil eine subjektiv Kategorie ist. Jedenfalls nicht so subjektiv, dass ein Urteil nicht gefällt werden kann.

    Akzeptieren wir das einmal das Ausgangspunkt:

    Inwieweit Stil als Kriterium taugt, hängt auch sehr stark von der Basis ab, von der Du hierbei ausgehtst. Ein Beispiel: Adalbert Stifter. Du bist - rein hypothetisch - ein großer Verehrer Stifters. Sein Stil - sagen wir mal im "Nachsommer" - ist für Dich der Maßstab nachdem Du urteilst, ob der Stil eines anderen Autors "gut" oder "schlecht" ist. Das Problem dabei: Man kann Stifter´s Stil (oder eines anderen Autors) nur sehr schwer mit dem eines Autors vergleichen, dessen Werk in einer gänzlich anderen Zeit entstanden ist und dabei auch auf anderen Voraussetzungen beruht.

    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob klar wird, was ich meine- aber genauer bekomme ich es im Moment nicht hin ;+)

    So wenig wie ich einsehe, warum ich Herta Müller und einen wirklichen Schriftsteller (meinetwegen Grass) auf dieselbe Stufe stellen soll, sehe ich ein, weshalb ich Max Bruch und Brahms in dieselbe Kategorie einsortieren soll.

    Wenn Du schon Günther Grass nennst: Sagen wir mal so: die Qualität der Werke Grass´s ist sehr unterschiedlich- was meiner Meinung nach auch völlig legitim und normal ist. Das dürfte bei jedem Autor von Rang so sein.

    Aber in Sachen "Stil" liefert Grass ein hervorragendes Beispiel: Kennst Du den Roman "Ein weites Feld"? Grass imitiert hier kapitelweise den Stil Theodor Fontanes so genau, dass Original und Kopie schwer zu unterscheiden sind. Das mag als gelegentlicher Kunstgriff interessant sein, ist aber auf Dauer für den Leser ermüdend. Obwohl es stilistisch brilliant ist. Auch insofern ist "Stil" dann für mich ein fragwürdiges Kriterium - zumindest um die Qualität eines literarischen Werks angemessen zu beurteilen.

    Was konkrete Beispiele betrifft, kann ich leider nicht dienen. »Atemschaukel« habe ich nicht gelesen

    Dann wäre ich mit dem Urteil einfach ein wenig zurückhaltender- wenn ich das Werk für das ein Autor einen Preis bekommt, nicht kenne. Nichts für ungut.

    Herzliche Grüße, :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere


  • Ich bin mir nicht ganz sicher, ob klar wird, was ich meine- aber genauer bekomme ich es im Moment nicht hin ;+)


    Doch. Das ist ziemlich klar. Es hat keinen Sinn, Haydn vorzuwerfen, dass er nicht klingt wie Bruckner. Aber das ist auch nicht die Frage, um die es hier geht. Wenn man Haydn nachweisen kann, dass er Harmonielehre und Instrumentation unzureichend beherrscht (was schwer werden dürfte), ist das eine andere Sache. Wenn Herta Müller nicht nur syntaktisch inkorrekte Sätze verzapft, sondern offensichtlich auch die Stilhöhe gewisser Formulierungen nicht kennt, liegt eine vollkommen anderer Fall vor.

    Zitat

    Aber in Sachen "Stil" liefert Grass ein hervorragendes Beispiel: Kennst Du den Roman "Ein weites Feld"? Grass imitiert hier kapitelweise den Stil Theodor Fontanes so genau, dass Original und Kopie schwer zu unterscheiden sind. Das mag als gelegentlicher Kunstgriff interessant sein, ist aber auf Dauer für den Leser ermüdend. Obwohl es stilistisch brilliant ist. Auch insofern ist "Stil" dann für mich ein fragwürdiges Kriterium.


    Abgesehen davon, dass ich Grass’ Stilkopie sehr unterhaltsam fand, ist meiner Ansicht nach die wirkliche stilistische Leistung des Buchs die genaue Darstellung der Sprache der untergehenden DDR, wobei - und das kann Reich-Ranicki natürlich nicht verstehen - hier nicht nur eine dokumentarische Aufnahme der Fakten, noch viel weniger eine pittoreske Verschönerung des Buches durch exotische Beimenungen, sondern ein substanzieller Beitrag zu einer Frage geleistet worden ist, die keinen interessiert, nämlich, was diese DDR eigentlich war.

    Aber das ist ein anderes Problem. Hier geht es nicht um die Qualität und mögliche Originalität von Herta Müllers Stil, sondern darum, dass offensichtlich aus Unkenntnis geborene Verstöße gegen die Regeln der deutschen Sprache als Stil bezeichnet werden, weil die Larmoyanz der Dame politisch gerade ganz gut passt (ganz anders als der liebevoll-ironische und an der Wirklichkeit hinter der Fassade interessierte Blick Grass’.)

    Zitat

    Dann wäre ich mit dem Urteil einfach ein wenig zurückhaltender- wenn ich das Werk für das ein Autor einen Preis bekommt, nicht kenne. Nichts für ungut.


    Ich kenne ausreichend andere Werke der Autorin und ich kenne von diesem genug, um zu wissen, dass es sich nicht wesentlich von den anderen unterscheidet. (Und ich habe schon das Hochjubeln der stilistischen DSchwächen bei den anderen Büchern nicht geschätzt.) Nichts für ungut.

  • Wenn Herta Müller nicht nur syntaktisch inkorrekte Sätze verzapft, sondern offensichtlich auch die Stilhöhe gewisser Formulierungen nicht kennt, liegt eine vollkommen anderer Fall vor.

    Da haben wir genau das Problem der Kategorie Stil: Korrekte Grammatik, korrekter Satzbau ist nicht unbedingt eine geeignete Kategorie um die ästhetischen Qualitäten eines Textes zu beurteilen. Wenn Du den grammatikalisch korrekten Gebrauch zur Beurteilung dieser Qualitäten heranziehst, dürftest Du bei manchen Autoren Schwierigkeiten bekommen. Gerade die Abweichung von der Norm macht ja mitunter die besondere Qualität aus. Auch bei Goethe wirst Du solche Abweichungen finden ;+)

    Man nennt so was auch Personalstil ;+)

    Hier geht es nicht um die Qualität und mögliche Originalität von Herta Müllers Stil, sondern darum, dass offensichtlich aus Unkenntnis geborene Verstöße gegen die Regeln der deutschen Sprache als Stil bezeichnet werden, weil die Larmoyanz der Dame politisch gerade ganz gut passt (ganz anders als der liebevoll-ironische und an der Wirklichkeit hinter der Fassade interessierte Blick Grass’.)

    Na, Du hast aber angefangen mit "Stil" zu argumentieren ;+)

    Ob diese "Verstöße" mit Unkenntnis ausreichend erklärt werden können?


    Ich kenne ausreichend andere Werke der Autorin und ich kenne von diesem genug, um zu wissen, dass es sich nicht wesentlich von den anderen unterscheidet. (Und ich habe schon das Hochjubeln der stilistischen DSchwächen bei den anderen Büchern nicht geschätzt.)

    Da haben wir offenbar eine unterschiedliche Herangehensweise. Ich beurteile die literarische Qualität eines Textes immer erst dann, wenn ich das Buch ganz gelesen habe- unabhängig davon wie viele Werke des betreffenden Autors ich schon kenne.

    Herzliche Grüße, :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Ich bin hier über mein schlechtes Gewissen und ein Wort hineingestolpert.
    Mein schlechtes Gewissen, weil ich die "Atemschaukel" weiterhin nur begonnen und nicht beendet habe. Und: "Anthropomorphismus". Jungejunge.

    Und dann lese ich weiter und erfahre, dass noch wesentlich ertragreicher ist, auf eine Nobelpreisträgerin einzudreschen als auf eine Jungautorin wie Helene Hegemann, die ja derzeit Lieblingsabarbeitungsobjekt von Kritikern und kritischen Geistern ist. Dann ergoogele ich die Kritik von Iris Radisch zur "Atemschaukel", die ich in sich schlüssig finde. Sie ist mit dem Buch ja ebenfalls sehr unzufrieden, findet das Schildern des Nicht-Selbst-Erlebten vorwerfbar (anders als jetzt übrigens in der causa Hegemann, wo Frau Radisch eher eine Gender-Problematik aufspürt), bemäkelt den lyrisch-infantilen Stil, der überhaupt der Sache nicht gerecht wird, undundund. Nun, von einem "Machwerk" immerhin spricht sie nicht.

    Das werde ich auch nicht - auch wenn ich das Buch nicht in Gänze gelesen habe, und das will ich.
    Hier wurde ja auch davon gesprochen, dass Herta Müller ihr Handwerk nicht beherrsche, dass sie nur eine Schriftstellerin sein wolle. Nun bin ich weder Germanist noch Literaturwissenschaftler und deshalb nur zu entsprechend laienhaften Urteilen befähigt, doch scheint mir das, was ich kenne, handwerklich nicht schlecht zu sein; denn das Handwerk nicht zu beherrschen hieße ja, dass sie es besser im Sinne von grammatikalisch korrekter nicht kann. Das aber bezweifle ich nach dem von mir Gelesenen doch stark. Das, was schief erscheint, wie die "wie-Vergleiche", die Iris Radisch unter anderem ins Feld führt, sind erkennbar gewollt, ein Stilmittel eben. Dem entspricht auch der generell lyrische Tonfall, den sie findet. Mir kam das im Ergebnis aber nicht "infantil" vor, sondern seltsam unwirklich und damit letztlich nur noch bedrohlicher. Wenn also Lagerbeleuchtung mit Kerzenschein assoziiert wird, finde ich das keineswegs Kamin-gemütlich.
    Aber lässt sich die Wirkung solcher Bilder für mein Empfinden eben nicht allgemeingültig bestimmen. Da wird es dann schon zur Geschmackssache.

    Zitat

    Ich halte aber dafür, dass die allgemeine Angst vor einem Urteil, die sich in unserer Zeit mehr und mehr ausbreitet, unmittelbar zu der sich mehr und mehr ausbreitenden Beliebigkeit jeglicher Äußerung beiträgt, die so charakteristisch für diese Zeit ist.

    Schöner Satz, Polonius, darüber kann man ja mal nachdenken. Beliebigkeit und Meinungslosigkeit sind schrecklich. Auch eine Ansicht, die ich nicht teile, hat immerhin gebracht, dass ich meine Sicht auf die Dinge an ihr überprüfe. Vorurteile allerdings und der Einsatz möglichst starker Worte sind in dieser Hinsicht nicht sonderlich ertragreich.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

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