Pettersson, Allan – Auf der Suche nach dem Gesang, "den die Seele einst gesungen hat"

  • Pettersson, Allan – Auf der Suche nach dem Gesang, "den die Seele einst gesungen hat"

    Seit einigen Jahren begeistere ich mich für das Werk des schwedischen Komponisten Allan Pettersson. Gerade das zunächst unzugänglich Scheinende, das Schwerblütige der überwiegend einsätzigen, zwischen 40 und 80 Minuten dauernden symphonischen Kolosse reizte mich, mich mehr darauf einzulassen. Petterssons Musik rührt in einer Weise existentielle Seiten des Lebens auf, sie bohrt sich förmlich in die Grenzen des seelisch Erfahrbaren, sie spricht tiefe Sehsüchte an – so scheint es mir (man verzeihe mir die pathetische Rede) -, daß ich mich ihr schwerlich entziehen kann (und mag).

    Allerdings spielt das Werk im heutigen Konzertleben eine nur marginale Rolle. 1994/95 gab es zwar einen groß angelegten Versuch, Pettersson in Deutschland bekanntzumachen; mit Unterstützung des Kultusministeriums NRW und des WDR wurden sage und schreibe 63 Pettersson-Konzerte in 27 Städten zwischen Aachen und Detmold aufgeführt! - doch leider blieb das im deutschen Konzertleben bis heute fast ohne Folgen.

    Immerhin ist Petterssons Œuvre diskographisch recht gut erfaßt; Labels wie BIS und besonders CPO haben sich hier Verdienste erworben.

    Ich hatte das große Glück, bislang zweimal eine Pettersson-Symphonie im Konzertsaal erleben zu können: einmal vor mehreren Jahren in Stuttgart (Peter Ruzicka leitete, glaube ich, das Radio-Sinfonie-Orchester Stuttgart) und erst kürzlich in Kaiserslautern (Orchester des Pfalztheaters, Leitung: Uwe Sandner). Beidesmal war es die 7. Symphonie, Petterssons bekannteste und „populärste“ (in dicken Anführungsstrichen, denn von Popularität kann bei dem sperrigen Schweden kaum die Rede sein). Die Aufführung in Kaiserslautern war übrigens grandios: Die orchestralen Ausbrüche überwältigten mich in einem Maße, wie das bei einem Konzerterlebnis im Wohnzimmer nicht annähernd möglich ist.

    Bevor es an die Besprechung einzelner Werke und Interpretationen geht, erst einmal die wichtigsten Fakten zu Leben und Werk des schwedischen Meisters:

    Biographisches

    Am 19.09.1011 wurde Gustav Allan Pettersson in Västra Ryd, Uppland geboren. Er wuchs in Stockholms Arbeiterviertel Södermalm auf, inmitten schwieriger Familienverhältnisse und sozialen Elends. Es gelang ihm früh, sich mit eiserner Selbstdisziplin zu befreien; mit 12 Jahren erwarb er seine erste Violine.

    1930 wurde er nach mehreren vergeblichen Anläufen zum Studium am Stockholmer Konservatorium zugelassen, wechselte bald zur Viola, nahm aber auch Unterricht im Kontrapunkt. Erste kleine Kompositionen entstanden, und er war als Instrumentalist aktiv und wirkte bei der schwedischen Erstaufführung von Schönbergs Pierrot Lunaire 1937 mit.

    1939 ermöglichte ihm ein Stipendium aufgrund seines hervorragenden Bratschenspiels ein einjähriges Auslandsstudium in Paris. Danach war er 10 Jahre lang Bratscher im Orchester der Stockholmer Konzertgesellschaft (den heutigen Stockholmer Philharmonikern). Darüberhinaus nahm er Privatstunden u. a. bei Otto Olsson (Kontrapunkt), Karl-Birger Blomdahl (Komposition) und Tor Mann (Instrumentation).

    1950 ließ er sich vom Orchesterdienst beurlauben und reiste für zwei Jahre erneut nach Paris, um bei Arthur Honegger und René Leibowitz zu studieren (1951–1953).

    Danach beschloß Pettersson, nur noch zu komponieren, und gab seine Stellung als Orchestermusiker auf. Auch machten sich erste Anzeichen einer chronischen Arthritis bemerkbar, die ihn in den folgenden Jahrzehnten zunehmend an seine Wohnung fesselte. 1970 wurde er durch eine Nierenentzündung zu einem neunmonatigen Krankenhausaufenthalt gezwungen; seit dieser Zeit war er nahezu bewegungsunfähig.

    Seit 1954 hatte er mehrfach staatliche Kompositionsstipendien erhalten, seit 1964 ein garantiertes Einkommen aufgrund eines Förderpreises des schwedischen Staates. Obwohl er mehrfach durch Preise verschiedener kultureller Institutionen geehrt wurde, blieben seine Lebensverhältnisse bescheiden. Erst 1976 konnte er eine Staatswohnung beziehen, die seine materielle Situation verbesserte.

    Die Königliche Musikakademie, deren Mitglied er seit 1970 war, ernannte ihn 1979 zum Professor.

    Am 20.06.1980 starb Allan Pettersson in Stockholm.

    Werkverzeichnis (chronologisch)

    • Zwei Elegien (1934) für Violine und Klavier
    • 6 Lieder (1935) für Singstimme und Klavier (Text: Gunnar Björling, Dan Andersson, Sten Selander, Ingeborg Björklund, Jarl Hemmer)
    • Fantasie (1936) für Viola allein
    • Vier Improvisationen (1936) für Violine, Viola und Violoncello
    • Andante espressivo (1938) für Violine und Klavier
    • Romanze (1942) für Violine und Klavier
    • 24 Barfotasånger (Barfußlieder, 1943–1945, revidiert in den 1960er Jahren) für Singstimme und Klavier (Text: Allan Pettersson)
    • Lamento (1945) für Klavier
    • Fuga in E (1948) für Oboe, Klarinette und Fagott
    • Konzert für Violine und Streichquartett (1949)
    • Konzert für Streichorchester Nr. 1 (1949–1950)
    • 7 Sonaten (1951) für zwei Violinen
    • Symphonie Nr. 1 (1951, Fragment)
    • Symphonie Nr. 2 (1952–1953)
    • Symphonie Nr. 3 (1954–1955)
    • Konzert für Streichorchester Nr. 2 (1956)
    • Konzert für Streichorchester Nr. 3 (1956–1957)
    • Symphonie Nr. 4 (1958–1959)
    • Symphonie Nr. 5 (1960–1962)
    • Symphonie Nr. 6 (1963–1966)
    • Symphonie Nr. 7 (1966–1967)
    • Symphonie Nr. 8 (1968–1969)
    • Symphonie Nr. 9 (1970)
    • Symphonie Nr. 10 (1972)
    • Symphonie Nr. 11 (1973)
    • Symphonischer Satz (1973)
    • Symphonie Nr. 12 (De döda på torget) (1974) für gemischten Chor und Orchester (Text: Pablo Neruda)
    • Vox Humana (1974) für Soli, gemischten Chor und Streichorchester (Text: Manuel Bandeira, Daniel Laínez, Roberto Fernández Retamar, César Vallejo, Murilo Mendes, Nicolás Guillén, Cassiano Ricardo, Miguel Barnet, Pablo Neruda)
    • Symphonie Nr. 13 (1976)
    • Violinkonzert Nr. 2 (1977–1978, rev. 1980)
    • Symphonie Nr. 14 (1978)
    • Symphonie Nr. 15 (1978)
    • Symphonie Nr. 16 (1979) für Altsaxophon und Orchester
    • Violakonzert (1979, nicht vollständig ausgeführt)
    • Symphonie Nr. 17 (1980, Fragment)


    Quellen :

    • (1) Musik von Allan Pettersson. Konzerte 1994/95 und ein Symposion, hrsg. vom Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit in Nordrhein-Westfalen (Wuppertal 1994).
    • (2) Internationale Allan-Pettersson-Gesellschaft e.V. ("]http://www.pettersson100.de")


    Auch wenn Allan Pettersson, wie gesagt, im öffentlichen Konzertleben kaum existiert – frage ich in unsere Runde:

    • Welche Erfahrungen habt Ihr mit Werken Petterssons gemacht?
    • Was fasziniert Euch, was weniger?
    • Worin liegt die musikgeschichtliche Bedeutung Petterssons?
    • Welche Aufnahmen verdienen eine Empfehlung?

    ... dann habe ich Hoffnung auf interessante Antworten und Beiträge.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

    Einmal editiert, zuletzt von Gurnemanz (22. Mai 2009 um 01:25)

  • Pettersson

    Hallo Gurnemanz,

    mein Einstieg in die Musik Petterssons fand vor einiger Zeit mit den drei Streicherkonzerten statt (CPO), die mich trotz ihrer spröden Schroffheiten sofort fasziniert haben. Sehr stark in Erinnerung ist mir der Mittelsatz des 3. Konzertes geblieben. Leider bin ich bisher nicht dazu gekommen, mich mehr mit Pettersson zu beschäftigen. Aber angeregt durch Deine Eröffnung habe ich ein bisschen gesucht und bin bei amazon auf die 14. Symphonie als mp.3 Download für 77 Cent gestoßen (Stockholm, Comissiona). Und obwohl ich sonst kein Freund von Downloads bin, habe ich zugegriffen und werde sie mir gleich mal anhören.

    Viele Grüße
    Froh

    "Give me all you've got, then crescendo!" Leonard Bernstein

  • Commissiona

    [...] bin bei amazon auf die 14. Symphonie als mp.3 Download für 77 Cent gestoßen (Stockholm, Comissiona).

    Ein guter Griff, denke ich: Die Aufnahme schätze ich sehr - wie überhaupt Comissiona als Pettersson-Dirigent. Und die Einsätzigkeit Petterssonscher Symphonien erweist sich hier ja als außerordentlich kostengünstig! Viel Freude beim Hören!

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Hallo Gurnemanz,

    ich besitze auch die cpo-Box, muss allerdings gestehen, dass ich mir die Sinfonien noch nicht alle so gut erarbeitet habe, um ein endgültiges Urteil über das Oeuvre von Pettersson abgeben zu können. Was ich aber sagen kann ist, dass die Musik eine große Faszination auf mich ausübt, vor allem wenn man das Schicksel von Pettersson als Hintergrund sieht. Wobei man Pettersson natürlich nicht unterstellen darf, dass er sein persönliches Leid auf die Musik übertragen hat. Das wäre zu banal und würde ihm mit Sicherheit nicht gerecht werden.

    Eine -wie ich finde interessante- Besprechung der Sinfonien gibt es hier:

    "http://www.opus200.de/iapg/portrait/…0Pettersson.pdf

    "http://www.opus200.de/iapg/portrait/…Pettersson2.pdf

    "http://www.opus200.de/iapg/portrait/…Pettersson3.pdf


    Eine Frage hätte ich:

    Im Gegensatz zu mir hast Du Vergleichsmöglichkeiten, da ich ja wie oben geschrieben "nur" die cpo-Ausgabe besitze. Deshalb würde es mich interessieren, ob es andere Aufnahmen einzelner Sinfonien gibt, die Du als (wesentlich) besser erachtest als das, was in der cpo-box enthalten ist. Ich bin (leider?) ein Mensch, der, sofern es eine bessere Alternativen gibt, diese auch unbedingt haben möchte (auch wenn das mit der Zeit natürlich ziemlich kostspielig ist :whistling: ).

    Es wäre nett, wenn Du ein paar Statements zu den Alternativaufnahmen geben könntest. Oder kann man aus Deiner Sicht mit der cpo-Box gut leben ohne das Gefühl haben zu müssen, dass es besser geht?

    Natürlich sind auch Statements von anderen jederzeit willkommen!

    Viele Grüsse

    Roger :wink:

    "Ich brauche keine Musikkritiker"
    (Gennadi Roshdestwenskij)

  • Alternativen zu CPO?

    [...] würde es mich interessieren, ob es andere Aufnahmen einzelner Sinfonien gibt, die Du als (wesentlich) besser erachtest als das, was in der cpo-box enthalten ist.

    Lieber Roger,

    zunächst einmal: Herzlich willkommen im neuen Forum! Und Danke für die interessanten Links!

    Die CPO-Box ist natürlich ein Meilenstein in der Pettersson-Diskographie, schon allein deshalb, weil es so bald sicher nichts Vergleichbares geben wird. Allerdings gibt es einzelne Symphonien, zu denen es hörenswerte Alternativen gibt. Besonders empfehlen würde ich Aufnahmen mit Sergiu Comissiona, der schon sich schon früh um Pettersson verdient gemacht hat. Comissiona hat die 4., 7., 8., 9. und 14. Symphonie eingespielt. Von diesen würde ich besonders seine Aufnahmen der 7. (Schwedisches Radio-Symphonie-Orchester, Caprice, aufg. 1991) und 14. (Stockholmer Philharmonisches Orchester, Phono Suecia, aufg. 1981) empfehlen: In der 7. trifft er m. E. den resignativ-lyrischen Ton Petterssons sehr schön, ich würde Comissionas Stil als warm und einfühlsam charakterisieren. Eine wichtige Alternative ist die 7. mit Antal Doráti (Stockholmer Philharmonisches Orchester, Swedish Society, aufg. 1969), der die eruptiv-harschen Seiten mehr betont und eine durchaus überzeugende härtere Lesart findet. Diese CD ist gekoppelt mit der 16., einem versteckten Solokonzert (Frederick L. Hemke, Altsaxophon; Stockholmer Philharmonisches Orchester; Ltg.: Yuri Ahronovitch, aufg. 1984).

    Comissionas oben erwähnte Einspielung der 14. halte ich für wesentlich inspirierter als die mit Johan M. Arnell (CPO); dieser setzt die Stücke zwar zusammen, für mich sind die tieferen emotionalen Schichten kaum hörbar, da ist Comissiona klar überlegen! Dessen 4. (kenne ich noch nicht), 8. und 9. gibt es bislang übrigens nur auf LP: Die 9. (Philips, aufg. 1977) finde ich übrigens deutlich besser als die mit Alun Francis (CPO), mit dessen Pettersson-Interpretationen ich generell nicht glücklich bin: Die hektischen Bewegungen des Beginns mit der ganzen weiteren Entwicklung ergaben für mich erst bei Comissiona einen Sinn.

    Eine wichtige Alternative gibt es auch bei der 2.: Schwedisches Radio-Symphonie-Orchester; Ltg.: Stig Westerberg (Swedish Society, aufg. 1966). Hier experimentierte Pettersson noch lustig drauf los. Westerberg gestaltet das sehr lebendig und spannend; Alun Francis (CPO) "buchstabiert" hier mehr oder weniger, leider.

    Habe grad mal nachgesehen: Die von mir empfohlenen Alternativen scheinen bei den üblichen Quellen alle erhältlich zu sein.

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz,

    vielen herzlichen Dank für Deinen Willkommensgruß und für große Mühe die Du Dir mit der Antwort gegeben hast. :juhu:

    Ich werde Deinen Beitrag zum Anlass nehmen und meinen Bestand an Pettersson-Interpretationen aufstocken.

    Gruß

    Roger :wink:

    "Ich brauche keine Musikkritiker"
    (Gennadi Roshdestwenskij)

  • Allan Petterssons Sinfonien - nachtschwarze Brachialsinfonik?

    Der Schwede Allan Pettersson, geboren 1911 und 1980 gestorben, wird als einer der letzten bedeutenden Sinfoniker des letzten Jahrhunderts angesehen. Sein Hauptwerk bilden 17 Sinfonien, allerdings hat er die erste nicht zur Aufführung freigegeben und die letzte nicht mehr vollenden können.

    Pettersson hat am Stockholmer Konservatorium Viola studiert, nachdem er sich selbst das Violinspiel beigebracht hatte. Nach einem Stipendium in Paris kehrte er wieder nach Schweden zurück und war Bratscher im Orchester der Stockholmer Konzertgesellschaft, eigentlich wollte er aber komponieren. In den 50er Jahren hatte er in Paris bei Honegger, Milhaud und Leibowitz Kompositionsunterricht, fand aber bald seinen eigenen Stil. Der Musikjournalist Klaus Umbach nannte seine Werke "nachtschwarze Brachialsinfonik", von seinen Landsleuten wurde er anfangs als "durchgeknallter Spinner" bezeichnet. Die Sinfonien haben meistens nur einen einzigen Satz mit einer Dauer von 45 bis 70 Minuten. Sie verlangen vom Hörer und von den Musikern ungeteilte und ununterbrochene Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, sich auf seine Klangsprache einzulassen.

    Seinen Durchbruch als Komponist hatte Pettersson 1968 mit der 7. Sinfonie, die von den Stockholmer Sinfonikern unter Antal Dorati uraufgeführt wurde. Sie gilt als die am leichtesten zugängliche Sinfonie Petterssons.

    Welche Sinfonien von Pettersson kennt Ihr? Wie empfindet Ihr seine Musik, was bedeutet sie Euch?

    Andi

  • Lieber Andi,

    es freut mich, daß es mit Dir hier einen weiteren Pettersson-Freund gibt! Die Siebte halte auch ich für einen guten Einstieg, habe sie neulich sogar im Konzertsaal erleben dürfen (in Kaiserslautern), eine großartige Erfahrung!

    ("Nachtschwarze Brachialsinfonik" finde ich übrigens treffend charakterisiert.)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich kenne noch nichts von Pettersson, als Kunstlied-Begeisterte, die sich einige der Komponisten des Fin de siècle und des 20. Jahrhunderts erst einmal über die Lieder erschließt (bei Britten und zur Zeit bei Mahler ist es jedenfalls so gelaufen), würden mich aber die Barfotasånger (Barfußlieder) interessieren. Geschrieben als eine Hommage an die Winterreise in den 1940er Jahren; die Ausschnitte (Groop/Garben) zeigen eine schlicht-reduzierte Konzeption; der Ausdruck wirkt schwermütig und herb (meine erste Assoziation war ein Anklang im Ausdruck an die von mir so geliebten Winter Words von Britten, aber wie gesagt, ich habe bisher nur in Ausschnitte hineingehört).

    Ich habe zwei Einspielungen gefunden:

    Die oben genannte mit der finnischen Mezzosopranistin Monica Groop und Cord Garben am Klavier

    Und eine mit der Mezzosopranistin Margot Rödin und dem Bassbariton Erik Saeden, mit Arnold Östman.

    Besitzt jemand von Euch diese Aufnahmen oder eine davon?

    Liebe Grüße
    Petra

  • Liebe Petra,

    ich habe beide Aufnahmen, und auf Deine Frage hin habe ich mehrere Lieder des Zyklus' im Vergleich gehört.

    [...] die Ausschnitte (Groop/Garben) zeigen eine schlicht-reduzierte Konzeption; der Ausdruck wirkt schwermütig und herb [...]

    Ich glaube, das trifft es recht gut: Monica Groop (aufgenommen 1996) hat eine gut tragende und anscheinend dramatisch mächtige Stimme, die sie hier aber eher zurückhaltend einsetzt. Ihr gelingt eine durchgehend einheitliche Darstellung, die sich mehr am melodischen Gang orientiert und die melancholische Stimmung des Ganzen gut herausarbeitet.

    Kontrastreicher und vielleicht interessanter dagegen ist die andere Aufnahme (1974 entstanden), nicht nur, weil der Zyklus auf zwei Stimmen verteilt ist (13 Lieder: Margot Rödin, Sopran; 11 Lieder: Erik Sædén, Bariton), sondern vor allem in der Gestaltung: Beide arbeiten, wie mir scheint (leider verstehe ich kein Schwedisch, daher mit Vorsicht gesagt), den textlichen Gehalt deutlich plastischer und differenzierter heraus, wobei ich den Bariton E. Sædéns als nicht unbedingt schön, doch charaktervoll und ausdrucksstark bezeichnen würde; M. Rödin hat einen frischeren, helleren Sopran als M. Groop. Den Pianisten A. Östmann erlebe ich als etwas klarer und aktiver als den eher diskreten C. Garben, der einen weicheren Anschlag zeigt.

    Die CPO-Einspielung enthält ein ausführlicheres Booklet (deutsch/englisch/französisch, Liedtexte schwedisch/englisch) als die Swedish-Society-CD (Liedtexte nur im schwedischen Original).

    Ich hoffe, das hilft ein wenig weiter?

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz,

    hab ganz herzlichen Dank für Deine Hörvergleiche. Erik Saedén habe ich schon in anderem Repertoire gehört und kann Deine Eindrücke gut nachvollziehen.

    Zitat

    Gurnemanz:

    … wobei ich den Bariton E. Sædéns als nicht unbedingt schön, doch charaktervoll und ausdrucksstark bezeichnen würde; ....

    Ich mag seine Stimme und seinen Ausdruck jedoch und hatte rein gefühlsmäßig schon zu dieser Aufnahme tendiert. Mit Margot Rödin kann ich allerdings im Moment keinen Höreindruck verbinden, aber so wie Du es beschreibst, würde ich zu dieser Aufnahme tendieren. Schwedisch verstehe ich normalerweise gut, habe nur im Kunstgesang manchmal Probleme, es genau herauszuhören, wenn ich die Texte nicht vor mir habe. Da ich Schwedisch allerdings gut lesen kann, stellt das schwedische Booklet kein Problem dar.

    Die Barfotasånger sind mir als Name sogar geläufig, und vielleicht kenne ich sogar den einen oder anderen Text wieder, wenn ich ihn sehe. Eigenartigerweise habe ich damit jedoch immer Lieder eines schwedischen Vissångare, also eines Liedermachers/Troubadours in der Richtung Nils Ferlins assoziiert – warum auch immer, wahrscheinlich eine Verwechslung. Vielleicht, weil Pettersson hier keine Gedichte anderer Autoren vertont, sondern die Texte selbst geschrieben hat?

    Liebe Grüße
    Petra

  • Die Barfotasånger sind mir als Name sogar geläufig, und vielleicht kenne ich sogar den einen oder anderen Text wieder, wenn ich ihn sehe. Eigenartigerweise habe ich damit jedoch immer Lieder eines schwedischen Vissångare, also eines Liedermachers/Troubadours in der Richtung Nils Ferlins assoziiert [...]

    Nils Ferlin kenne ich nicht, bin auch mit der schwedischen Tradition des Bänkelgesangs nicht vertraut (kenne hier allenfalls noch C. M. Bellman); wenn Du die Barfotasånger in diese Richtung hören möchtest - möglicherweise im Sinne Petterssons, denn die Lieder sind insgesamt schlicht und einfach gehalten, überhaupt nicht artifiziell -, bist Du bei Sædén/Rödin/Östman wohl gut aufgehoben, während Groop/Garben sich eher am mitteleuropäischen Kunstgesang in der Tradition Schuberts bewegen. Es wäre für mich interessant zu erfahren, wie es ein Schwede (bzw. jemand, der/die mit der Sprache vertraut ist) hören und beurteilen würde.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Gurnemanz:

    ... wenn Du die Barfotasånger in diese Richtung hören möchtest - möglicherweise im Sinne Petterssons, denn die Lieder sind insgesamt schlicht und einfach gehalten, überhaupt nicht artifiziell -, bist Du bei Sædén/Rödin/Östman wohl gut aufgehoben, während Groop/Garben sich eher am mitteleuropäischen Kunstgesang in der Tradition Schuberts bewegen. Es wäre für mich interessant zu erfahren, wie es ein Schwede (bzw. jemand, der/die mit der Sprache vertraut ist) hören und beurteilen würde.

    Da hast Du die Komparatistin in mir geweckt ;+) . Ich vergleiche für mein Leben gern unterschiedliche Interpretationshaltungen und werde mir dann wohl beide Versionen zulegen. Schwedin bin ich nicht und ich habe auch keine schwedischen Vorfahren, bin aber mit der Sprache vertraut und werde gern berichten, wenn ich sie beide gehört habe.

    :wink: Petra

  • Kontrastreicher und vielleicht interessanter dagegen ist die andere Aufnahme (1974 entstanden), nicht nur, weil der Zyklus auf zwei Stimmen verteilt ist (13 Lieder: Margot Rödin, Sopran; 11 Lieder: Erik Sædén, Bariton), sondern vor allem in der Gestaltung: Beide arbeiten, wie mir scheint (leider verstehe ich kein Schwedisch, daher mit Vorsicht gesagt), den textlichen Gehalt deutlich plastischer und differenzierter heraus, wobei ich den Bariton E. Sædéns als nicht unbedingt schön, doch charaktervoll und ausdrucksstark bezeichnen würde; M. Rödin hat einen frischeren, helleren Sopran als M. Groop. Den Pianisten A. Östmann erlebe ich als etwas klarer und aktiver als den eher diskreten C. Garben, der einen weicheren Anschlag zeigt.

    Lieber Gurnemanz, liebe Petra,

    dies ist eine sehr gute Einschätzung, die ich voll teile. Für mein Empfinden wird hier den Texten Petterssons sehr angemessen Ausdruck gegeben, - Schwedisch kann ich ganz gut lesen und verstehen. Auch für mich insofern angemessener, da "schlichter", zwar gerade nicht im Sinne von weniger kunstvoll, aber doch näher an schwedischen Volksliedballaden und Bänkelgesangs.

    Groop/Garben habe ich jedoch nur einmal gehört, besitze ich selbst nicht. Insofern unter Vorbehalt: keine schlechte Aufnahme, aber mir schien sie auch vergleichsweise etwas zu sehr in ein einheitlicheres Kunstliedformat gebracht.

    Wir, lieber Gurnemanz, haben uns ja schon einmal ansatzweise etwas über die Barfotasånger ausgetauscht. Ich halte sie für sehr wesentlich, um sich Petterssons Weltauffassung und darüber auch seinen Orchesterwerken zu nähern. Insofern sicherlich ein guter Beginn für eine Beschäftigung mit Pettersson.

    :wink: Matthias

  • Groop/Garben habe ich jedoch nur einmal gehört, besitze ich selbst nicht. Insofern unter Vorbehalt: keine schlechte Aufnahme, aber mir schien sie auch vergleichsweise etwas zu sehr in ein einheitlicheres Kunstliedformat gebracht.

    Das, lieber Matthias, trifft es, glaube ich, recht genau.

    Zitat

    Ich halte [die Barfotasånger] für sehr wesentlich, um sich Petterssons Weltauffassung und darüber auch seinen Orchesterwerken zu nähern. Insofern sicherlich ein guter Beginn für eine Beschäftigung mit Pettersson.

    Ja und nein.

    Nein, weil die Symphonien in ihrer Art so gänzlich anders sind als die Lieder: in der Regel zunächst unzugänglich erscheinende, schwerblütige Kolosse, die dem Hörer einiges abverlangen. Die Lieder dagegen kleine, unprätentiöse Gebilde, von schlichter Melancholie. Wer zu den Liedern einen Zugang findet, dem muß das nicht bei den Symphonien gelingen.

    Ja, weil die Erlebniswelt der Lieder in den Symhonien später wichtig werden, nicht nur da, wo sie explizit zitiert werden und konstituierend wirken (Han ska släcka min lykte / Er kann löschen mein Lichtlein in der 6. Symphonie, das Lied beherrscht als Klagegesang den ausgedehnten Schlußteil; Herren går på ängen / Gott geht über Wiesen im 2. Violinkonzert, wo das Lied eingangs in den Bässen intoniert wird und dann ebenfalls zum Schluß dominiert), sondern auch da, wo ihre Stimmung wieder aufgenommen wird, in den für Pettersson so typischen "lyrischen Inseln", Ruhephasen, in denen das wilde Getümmel, oft Schmerzensschreie zur Erholung kommen.

    Zum Verständnis der Symphonien halte auch ich die Kenntnis der Barfotasånger für unbedingt wichtig.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Matthias, lieber Gurnemanz,

    danke für Eure Erläuterungen, die mich immer neugieriger machen: Die Lieder werden in einigen Sinfonien wieder zitiert und sind für deren Aufbau und Verständnis derselben wichtig, wobei zwischen der Ausdruckswelt der Lieder und der in den Sinfonien ein immenser Unterschied zu bestehen scheint? Das Gemeinsame in dem Werk Petterssons scheint ja der Ausdruck des Schwerblütigen, Schmerzlichen zu sein, der sich jeweils auf unterschiedliche Weise äußert.

    Die beiden Einspielungen der Barfotasånger habe ich mir jetzt bestellt. Auf die Saedén/Rödin/Östman-Aufnahme muss ich leider einige Zeit warten, habe dafür aber die Gelegenheit, in einige Sinfonien hineinzuhören.

    Ich bin wirklich gespannt, was mich da erwartet.

    :wink: Petra

  • Ich bin wirklich gespannt, was mich da erwartet.

    Und ich bin gespannt darauf, was Du gelegentlich berichten wirst, liebe Petra!

    Vielleicht paßt hier auch ganz gut eine Äußerung des Komponisten:

    Zitat

    Das Werk, an dem ich arbeite, ist mein eigenes Leben, das gesegnete, das verfluchte: Um den Gesang wiederzufinden, den die Seele einst gesungen hat. Er entstand bei den kleinen Menschen, die nicht an sich glaubten, die wie Hunde behandelt wurden, Weiße wie Schwarze, für die das Leben nur eine verfluchte Verpflichtung zum Tod war. Trotzdem aber hatten sie Mitgefühl mit den anderen, eine Kraft des Verlangens erfüllte sie mit einem Glauben – und da brach der Gesang heraus, inbrünstig, flehend ... bis die Welt sie bat, die Schnauze zu halten.

    Der Gesang wurde von dem verwachsenen Snob gestohlen, schwoll an ins Banale, entlud sich in krächzenden Salti mortali – ein Schrei, eine Speerspitze im Ohr ... und das Pokerface der Gegenwart starrt dich an in Haß.

    Wann kommt der Engel, der der Seele den Gesang zurückgibt, so einfach und klar, daß ein Kind aufhört zu weinen?

    Zitiert nach: Nutida musik 12 (1968/69), Nr. 2, S. 55-56, Übersetzung von Anne Mendelin, Allan-Pettersson-Jahrbuch 1990, S. 14-15

    Der bissig-polemische Ton verbirgt, wie mir scheint, eine tief verletzte Seele; dies kann man aus den Symphonien Petterssons wohl recht deutlich heraushören.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Gurnemanz:

    Der bissig-polemische Ton verbirgt, wie mir scheint, eine tief verletzte Seele; ...

    Lieber Gurnemanz, nach allem, was ich bisher von seinen eigenen Äußerungen gelesen habe, erscheint mir das auch so, und diese Verletzungen scheinen sich bei ihm in einer großen poetischen Kraft manifestiert zu haben. Es wird ja oft, gesagt, dass das Bild von der Kunst, die aus großen Verletzungen entsteht, etwas Klischeehaftes habe, aber hier entspricht es sicherlich der Wahrheit.

    Liebe Grüße
    Petra

  • Ja, weil die Erlebniswelt der Lieder in den Symhonien später wichtig werden, nicht nur da, wo sie explizit zitiert werden und konstituierend wirken (Han ska släcka min lykte / Er kann löschen mein Lichtlein in der 6. Symphonie, das Lied beherrscht als Klagegesang den ausgedehnten Schlußteil; Herren går på ängen / Gott geht über Wiesen im 2. Violinkonzert, wo das Lied eingangs in den Bässen intoniert wird und dann ebenfalls zum Schluß dominiert), sondern auch da, wo ihre Stimmung wieder aufgenommen wird, in den für Pettersson so typischen "lyrischen Inseln", Ruhephasen, in denen das wilde Getümmel, oft Schmerzensschreie zur Erholung kommen.

    Mich hat auch die 6. Sinfonie in der Einspielung bei cpo sehr beeindruckt:

    Vor allem der sich endlos hinziehende Klagegesang. Die Siebte Sinfonie ist vielleicht etwas eingängiger, mich hat aber die 6. noch mehr umgehauen. Das ist einfach so eine ungemein trostlose, schmerzerfüllte Musik, wo man das "Licht" wirklich angestrengt suchen muß. Die emotionale Direktheit der musikalischen Sprache ist es, die mich so fasziniert. Ich kann das aber nicht immer hören, da braucht es schon eine gewisse soldie seelische Grundlage.

    :wink:
    Sascha


    "You realize that it’s not necessary to own 50 Beethoven cycles, 46 of which you never play, when you can be just as happy with 20 of them, 16 of which you never play.
    "
    , David Hurwitz

  • Konzerttip

    Die Siebte Sinfonie ist vielleicht etwas eingängiger, mich hat aber die 6. noch mehr umgehauen. Das ist einfach so eine ungemein trostlose, schmerzerfüllte Musik, wo man das "Licht" wirklich angestrengt suchen muß.

    Gut gesagt! Dennoch: Die Siebte scheint das einzige Werk Petterssons zu sein, die hin und wieder den Weg in den Konzertsaal findet.

    Im nächsten Jahr sogar mehrfach:

    • 13. Mai 2010, 19.30 Uhr, Freiberg (Sachsen), Nikolaikirche
      14. Mai 2010, 20.00 Uhr, Döbeln, Theater
      Mittelsächsische Philharmonie
      Jan Michael Horstmann, Dirigent
    • 20. Juni 2010, 11 Uhr,
      21. und 22. Juni 2010, 20.00 Uhr, Philharmonie Köln
      Gürzenich-Orchester Köln
      Christian Lindberg, Dirigent

    (Quelle: http://www.pettersson100.de/konzerte.html)

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

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