Pettersson, Allan – Auf der Suche nach dem Gesang, "den die Seele einst gesungen hat"

  • Hey, dann möchte ich auch mal ganz kurz auch meinen Eindruck vom Symphoniker Pettersson zu Besten geben, wobei ich weit davon entfernt bin, ein Petterson-„Experte“ zu sein. Ich kenne überhaupt nur die Symphonien 6, 8, 10 und 11. Die 7. kenne ich bisher also gar nicht.

    Unter den vier mir bekannten Pettersson-Symphonien ist die 8. (UA 1972) diejenige, die den tiefsten Eindruck bei mir hinterlassen hat - und es ist die einzige, die ich regelmäßig in den Player schiebe. Es handelt sich um ein Werk, das an Suggestionskraft, Trauer und Verzweiflung kaum zu überbieten ist. Sie ist großdimensioniert (meine Einspielung dauert knapp 52 Minuten), schroff und herb, fordert den Hörer, ja greift ihn förmlich an. Dabei ist die Klangsprache dennoch immer ansprechend, nie hermetisch oder explizit abweisend. Strukturell folgt die Symphonie keineswegs einem klassischen mehrsätzigen Schema sondern ist zweiteilig angelegt, wobei beide Teile auf demselben motivischen Material basieren. Ich besitze diese Einspielung des Werks:

    Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Gerd Albrecht (Orfeo)

    Wenn schon die 8. Symphonie dem Hörer einiges abverlangt, so geht die 6. (UA 1967) IMO noch deutlich über die Anforderungen der 8. hinaus: ein einsätziger Koloss von über 60 Minuten, bedrohlich die Grundstimmung, die Klangsprache zerklüftet, disparat, das thematisch-motivische Material wird - so mein Eindruck - eigentlich nicht verarbeitet, sondern bis zur Unkenntlichkeit zerarbeitet. Man sitzt gebannt und bestürzt da, Klangmassen ausgesetzt, die sich nie zu einem Ganzen fügen lassen wollen. Am Ende der Symphonie ist auch der Hörer sprichwörtlich am Ende. Die 6. ist - positiv formuliert - eine Prüfung für den Zuhörer; negativ ausgedrückt: eine Zumutung. Aber ganz gleich, wie man dieses Werk einschätzt: es läßt einen nicht kalt und es hinterläßt Eindrücke, die man sicherlich nicht leicht vergessen wird.
    Von der 6. habe ich die hier schon gezeigte, bei CPO-gelabelte Aufnahme mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Manfred Trojahn.

    Verglichen mit den Symphonien 6 und 8 sind die Nummern 10 (1970/72) und 11 (1973) rein äußerlich geradezu Leichtgewichte (hier habe die CPO Aufnahme mit der Radio-Philharmonie Hannover unter Alun Francis): beide dauern knapp unter einer halben Stunde. In ihrer Ausdrucksintensität stehen sie den beiden größeren hier angesprochenen Symphonien aber nicht unbedingt nach, wobei dennoch die Haltung der beiden Werke unterschiedlich ist: die 10. ist schroff, aggressiv, unerbittlich - ähnlich zerfahren wie die 6., allerdings konzentrierter. Die 11. ist nun keineswegs eine Kuschelsymphonie, doch wirkt sie IMO geschlossener, formal homogener und ist insgesamt deutlich zugänglicher. Insgesamt haben diese beiden Symphonien bei mir keinen so tiefen Eindruck hinterlassen wie die unglaublich ergreifende 8. und die verstörende 6.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • 5. Symphonie

    Wer einen weiteren kostengünstigen Einblick in das Schaffen Petterssons wagen will, dem sei eine weitere Download-Möglichkeit genannt. Wiederum bei amazon kann man die 5. Symphonie für einen Cent-Betrag herunterladen. Es spielt das Berliner Sibelius Orchester (war mir bisher gänzlich unbekannt) unter der Leitung von Andreas Peer Kähler.

    Ich höre gerade in das Werk hinein, doch für das Büro ist es eher keine gute Begleitmusik. Aber ich freue mich schon auf heute Abend.

    Gruß
    Froh

    "Give me all you've got, then crescendo!" Leonard Bernstein

  • Unter den vier mir bekannten Pettersson-Symphonien ist die 8. (UA 1972) diejenige, die den tiefsten Eindruck bei mir hinterlassen hat - und es ist die einzige, die ich regelmäßig in den Player schiebe. Es handelt sich um ein Werk, das an Suggestionskraft, Trauer und Verzweiflung kaum zu überbieten ist.
    Algabal

    Nach dieser Lobeshymne auf die 8. Symphonie habe ich sie mir in der Einspielung von Leif Segarstam mit dem Norrköping Symphonie Orchester (BIS), gekoppelt mit der 10., zugelegt.

    Damit besitze ich jetzt vier Symphonien Petterssons, die 5., 8., 10. und 14., kann also so dolle noch nicht mitreden. Von diesen vieren hat aber auch die 8. den größten Eindruck auf mich gemacht. Dabei nehme ich die geschilderte "Trauer und Verzweiflung" nicht so bedrückend wahr. Die zerklüftete, schroffe Tonsprache, wie sie sich z.B. in der 10. findet, empfinde ich da als viel verzweifelter. Durch die 8. scheint mir bei aller düsteren Grundhaltung doch irgendwie noch Zuversicht hindurch. Im Vergleich zu anderen Werken ist sie harmonisch und melodisch zugänglicher.

    Nun bin ich gespannt auf die Symphonien 6 und 7, die ja auch immer wieder als zentrale Werke seines Schaffens genannt werden.

    Hier noch ein Zitat, das ich im Netz gefunden habe (zur 14. Symphonie), und das seine Musik insgesamt, wie ich finde, ganz gut charakterisiert:

    P. Just / WDR v. 2.3.93:" Für mich zeigt sich hier der große symphonische Antipode zu Gustav Mahler. Dieser hatte zu Beginn unseres Jahrhunderts die Stellung des Menschen in Natur und Kosmos gültig definiert - der Mensch souverän selbst im Scheitern. Pettersson...zeigt den Menschen wieder zurückgeworfen auf sich selbst, auswegslos und elend. Und diese Wahrheit macht zugegebenerweise seine Musik so schwer aushaltbar."

    Gruß
    Froh

    "Give me all you've got, then crescendo!" Leonard Bernstein

  • Schon kurz nach Eröffnung dieses Threads habe ich mir Petterssons Sinfonien Nr. 7, 10 und 11 zugelegt. Erst in den letzten Tagen habe ich sie jedoch mehrmals gehört. Zu meinen Eindrücken will ich mich nur mit einem kurzen Satz äußern: Die drei Sinfonien waren für mich emotional unmittelbar ansprechend. Folgende Frage hat sich mir jedoch gestellt: Welche Formen und Konstruktionen liegen den Werken zu Grunde? Außer einigen wiederkehrenden Themen konnte ich "den Großen Bogen" nicht hören, der den Satz zusammenhält. Gibt es den überhaupt? Diese einsätzigen Kolosse sind doch sicher nicht eine willkürlich erscheinende Aneinanderreihung "schöner" (hier wird wohl auch der extremste Anführungsstriche-Hasser seine Abneigungen gerne zurückstecken :D ) Stellen. Wären die Sinfonien jeweils zehn oder fünfzehn Minuten vor ihrem Ende ausgeklungen, so wäre mir bisher kaum aufgefallen, dass etwas fehlt. Insofern wirkten sie auf mich in gewisser Weise monoton und vor allem willkürlich. Kann jemand etwas zur Form in Petterssons Sinfonien beitragen?

    Beste Grüße,
    Falstaff

  • Lieber Falstaff, Deine Frage ist nicht einfach zu beantworten, und eine kompetente Antwort setzt die Fähigkeit zu musikalischer Analyse voraus - das kann ich nicht bieten.

    Daher nur ein Versuch: Petterssons Symphonik folgt nicht der klassische-romantischen Tradition, derzufolge Themen und Motive sich entfalten und entwickeln, so daß ein Zusammenhang entsteht mit etwas, das zu einem Abschluß führt: Es ist kein Weg von A nach B, schon gar nicht mit dem Gerüst des Sonatensatzes. In der 7. Symphonie gibt es z. B. nach wenigen Minuten ein Motiv mit einem Moll-Akkord in den Bläsern (ich habe übrigens vier Aufnahmen des Werks und in jeder hat er einen ganz anderen Ausdruck). Dieses Motiv kehrt zwar mehrfach wieder, es bleibt im Ganzen aber isoliert. Gegen Ende dominiert eine lamentoartige Liedmelodie, die singt sich aus, aber es kann nichts daraus entstehen.

    Mir scheint, den Symphonien Petterssons liegt kein Plan zugrunde: Er beginnt an einer Stelle und läßt sich assoziativ treiben, nicht aus dem Gefühl des musikalisch konstruierenden Denkens heraus, sondern, vielleicht darf man das so sagen, aus einem inneren Strom des Fühlens heraus, der mehr zuläßt als schafft. Daher auch die Tendenz zur Einsätzigkeit.

    Pettersson selbst hat mal (aus dem Gedächtnis zitiert) die Komponisten in "Architekten" und "Angler" unterteilt, die einen bauen etwas, die anderen sitzen da, beobachten und warten. Ein typischer "Architekt" wäre für Pettersson Arnold Schönberg und die Seriellen: Pettersson hatte zu Beginn der 1950er in Paris durch René Leibowitz die Zwölftontechnik kennengelernt und sich darauf bewußt dafür entschieden, selbst einen ganz anderen Weg zu gehen.

    Ich hoffe, mit diesen skizzierten Gedanken Deine Frage wenigstens ansatzweise aufgenommen zu haben.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich habe leider keine musiktheoretischen Kenntnisse zum Analysieren von Sinfonien und daher in dem Thread über die Sinfonie Nr. 10 einfach mal versucht, meine Hörerfahrungen zu beschreiben und mich dabei an einzelnen Motiven entlang zu hangeln.

    Die Nr. 10 höre ich von den mir bisher bekannten Pettersson-Sinfonien (7, 8, 10 und 11) am liebsten, obwohl ich es nach dem, was ich vorher über sie gelesen habe, eigentlich nicht erwartet hätte. Am schwersten ist bisher die Nr. 7 für mich zu hören: Es ist wahrscheinlich nur eine ganz persönliche Empfindung von mir, da sie ja im Allgemeinen als die Zugänglichste gilt, aber ich kann die leise beginnende und immer mehr anwachsende Bedrohlichkeit, die ich darin höre, emotional nur schwer fassen und ertragen. Erklären kann ich es nicht. Die Nr. 10 klingt wohl nicht nur in meinen Ohren härter, schroffer, aber auch offener und direkter.

    Ich kopiere das, was ich zu Nr. 10 geschrieben habe, mal hier hinein und orientiere mich an der Einspielung mit der Radio-Philharmonie Hannover des NDR, Dirigent Alun Francis:

    Und dieser Schluss überrascht mich, obwohl ich ihn ja mittlerweile kenne, immer wieder, weil er nach den vorherigen Steigerungen so unerwartet kommt.

    Vielleicht hängt meine Vorliebe für die 10 auch mit dem zusammen, was Falstaff schon angesprochen hat:

    Zitat

    Falstaff:

    Diese einsätzigen Kolosse sind doch sicher nicht eine willkürlich erscheinende Aneinanderreihung "schöner" (hier wird wohl auch der extremste Anführungsstriche-Hasser seine Abneigungen gerne zurückstecken ) Stellen. Wären die Sinfonien jeweils zehn oder fünfzehn Minuten vor ihrem Ende ausgeklungen, so wäre mir bisher kaum aufgefallen, dass etwas fehlt. Insofern wirkten sie auf mich in gewisser Weise monoton und vor allem willkürlich.

    Das war auch mein erster Eindruck von den bisher gehörten Pettersson-Sinfonien, ungeachtet der Tatsache, dass sie auch mich emotional stark ansprechen. Bei der 10. jedoch höre ich noch am ehesten eine wie auch immer geartete Struktur.

    :wink: Petra

    P.S. Petterssons Werke haben sich auch bei mir in der letzten Zeit häufiger wieder gedreht - ich hatte mir gerade in den letzten Tagen auch meine beiden Aufnahmen der Barfota-Sanger wieder vorgenommen. Für mich bringen sie beide ganz unterschiedliche Aspekte dieses Zyklus hervor und ich habe daher auch keinen eindeutigen Favoriten – aber dazu in nächster Zeit mal mehr - ist bei den Sinfonien jetzt etwas OT.

  • Wer nicht vor dem Umgang mit alten Langspielplatten zurückschreckt (die beiden Aufnahmen gibt es meines Wissens nicht auf CD) und dem Symphoniker Allan Pettersson in authentischen Einspielungen begegnen mag (Sergiu Comissiona, mit dem Komponisten auch persönlich vertraut, findet einen warmen, emotionalen Zugang, dem ich wesentlich mehr abgewinnen kann als den meisten CPO-Einspielungen), sollte erwägen, hier zuzugreifen:

    Symphonie Nr. 8:
    Sergiu Comissiona, Baltimore Symphony Orchestra, DGG, ca. 1980
    http://cgi.ebay.de/ws/eBayISAPI.d…ME:B:SS:DE:1123

    Symphonie Nr. 9:
    Sergiu Comissiona, Göteborgs Symfoniker, Philips, 2 LP, 1977
    http://cgi.ebay.de/ws/eBayISAPI.d…ME:B:SS:DE:1123

    Die beiden Einspielungen werden bei Ebay immer wieder zu erschwinglichem Preis angeboten.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • 100

    Heute kann man den 100. Geburtstag von Allan Pettersson feiern. Das wäre an mir vorbeigegangen, wenn ich nicht vorhin in der Süddeutschen Zeitung einen sehr engagierten Artikel von Jens Malte Fischer gelesen hätte (leider nicht im Netz). Fischer weist darauf hin, dass sich in den 90er Jahren insb. in Deutschland eine Pettersson-Renaissance anzudeuten schien: die Gesamteinspielung der Sinfonien mit deutschen Rundfunkorchestern, das große Pettersson-Festival Mitte der 90er in Nordrhein-Westfalen. Inzwischen sei aber fast völliger Stillstand eingetreten. Tatsächlich scheint Pettersson hierzulande kaum noch in Konzerten aufzutauchen. Und der Tonträgermarkt gibt auch fast keine Neuerscheinungen her, mit Ausnahme einer Kammermusik-CD mit dem Leipziger Streichquartett und (immerhin) schon drei CDs, die das Sinfonieorchester von Norrköping unter Christian Lindberg eingespielt hat - möglicherweise der Beginn einer größeren Reihe. Tja, die cpo-Box mit der Gesamteinspielung der Sinfonien ist bei mir auch nur selten geöffnet worden und verstaubt seit längerer Zeit im Regal...

    Fischer äußert sich in seinem Artikel übrigens auch kurz zum (oben angesprochenen) Problem der Form bei Pettersson und scheut nicht vor einem polemischen Griff in die Ranking-Kiste zurück: Nicht Schostakowitsch sei der bedeutendste Sinfoniker nach Mahler, sondern Pettersson.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • [...] drei CDs, die das Sinfonieorchester von Norrköping unter Christian Lindberg eingespielt hat - möglicherweise der Beginn einer größeren Reihe.

    Zwei davon kenne ich und finde es ganz vorzüglich, wie engagiert und emotional Lindberg sich dem sperrigen Schweden nähert. Er ist einer der wenigen Dirigenten, der sich in dieser Weise einsetzt (die CPO-Aufnahmen finde ich leider nicht immer optimal, s. o.).

    Von den Symphonien wird lediglich die Siebte hin und wieder aufgeführt, ansonsten wird der 100. Geburtstag wohl weitgehend unbemerkt vorüberziehen... ;(

    Vor Jahren war ich auf einer Informationsveranstaltung der Stuttgarter Oper, u. a. erläuterte der damalige GMD Lothar Zagrosek das neue Konzertprogramm. Auf die Frage eines Zuhörers, warum nicht mal eine Pettersson-Symphonie präsentiert würde, antwortete er recht einsilbig, das laufe nicht. :shake:

    Fischers These, nicht Schostakowitsch, sondern Pettersson sei der bedeutendste Symphoniker nach Mahler, finde ich durchaus diskutabel. Zumindest würde mich die Begründung näher interessieren. Werde mir nachher mal die heutige Süddeutsche kaufen. Ist eh ein gutes Blatt. ;+)

    Danke für den Hinweis, lieber Bernd!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann


  • Fischers These, nicht Schostakowitsch, sondern Pettersson sei der bedeutendste Symphoniker nach Mahler, finde ich durchaus diskutabel.

    Ist allerdings beides falsch. Der bedeutendste Symphoniker nach Gustav Mahler war natürlich Karl-Amadeus Hartmann. ;+)

    Abgesehen davon, dass die Frage danach, wer der bedeutendste nach N.N. war, als solche naklar weitgehend uninteressant ist und allenfalls zur Provokation gereicht. Und so wird das Statement ja auch von Fischer eingesetzt. Wenn es dazu führt, dass Pettersson von den SZ -Lesern ein wenig von der Aufmerksamkeit erfährt, die ihm sicherlich gebührt, dann hat's ja was genützt.

    Ich werde heute Abend anlässlich des Geburtstags jedenfalls mal die 6. oder 8. Symphonie hören - und danke Zwielicht für die Erinnerung.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Auf die Frage eines Zuhörers, warum nicht mal eine Pettersson-Symphonie präsentiert würde, antwortete er recht einsilbig, das laufe nicht. :shake:

    Das sind so die self-fulfilling prophecies der etablierten Konzertmacher, die wahrscheinlich nicht einmal ahnen, dass bei kaum einem echten Fan der musikalisch progressiveren Richtungen besonders innerhalb des Dark-Metal die Pettersson-Symphonien im Regal fehlen. Manche CDs solcher Bands auf Independent-Labels erreichen - 100% an etablierten Medien vorbei - Auflagen, von der jeder Klassik-Vermarkter nur träumen kann. Freilich würden diese Fans wohl eher nicht durch die herkömmliche Konzert-Bewerbung erreicht. Da müßte man sich schon etwas einfallen lassen, etwa in szenetypischen Magazinen, Fanzines usw. werben.

    Auch beim Durchblättern anderer Metal-Magazine und Fanzines und selbst in der Zeitschrift "Guitar/Bass", die sich vor allem an die (Möchtegern-)Hypertechniker unter den Rock-Gitarristen/Bassisten wendet, bin ich schon auf mehrseitige, geradezu hymnische Artikel zu Allan Pettersson gestoßen: Ein völliger Einzelfall, dass dort etwas zu einem klassischen Komponisten erscheint. Die 'Dunkelheit' und Komplexität, die jedoch weitgehend tonal bleibt, wohl auch ein gewisses Pathos des Leides in Petterssons Werken, hat ihm hier offenbar einen festen und treuen Fan-Kreis beschert. Die wenigen Petterson-CD-Neuveröffentlichungen werden regelmäßig seit Jahren auch in vielen solchen Magazinen besonders herausgestellt rezensiert.

    :wink: Matthias

  • Das sind etwas zuversichtlicher stimmende Hinweise, lieber Matthias!

    Wer sich ein Bild über aktuelle Konzerte mit Werken Petterssons machen will, möge sich hier umschauen: http://www.pettersson100.de/konzerte.html .

    Interessant für im Raum München Lebende ist die Ankündigung ganz unten dort:

    Zitat

    24. November, 19 Uhr, München, Bayerische Akademie der Künste
    Konzert für Violine und Streichquartett - Ulf Hoelscher, Leipziger Streichquartett
    Vortrag von Jens-Malte Fischer


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Daher nur ein Versuch: Petterssons Symphonik folgt nicht der klassische-romantischen Tradition, derzufolge Themen und Motive sich entfalten und entwickeln, so daß ein Zusammenhang entsteht mit etwas, das zu einem Abschluß führt: Es ist kein Weg von A nach B, schon gar nicht mit dem Gerüst des Sonatensatzes. In der 7. Symphonie gibt es z. B. nach wenigen Minuten ein Motiv mit einem Moll-Akkord in den Bläsern (ich habe übrigens vier Aufnahmen des Werks und in jeder hat er einen ganz anderen Ausdruck). Dieses Motiv kehrt zwar mehrfach wieder, es bleibt im Ganzen aber isoliert. Gegen Ende dominiert eine lamentoartige Liedmelodie, die singt sich aus, aber es kann nichts daraus entstehen.

    Mir scheint, den Symphonien Petterssons liegt kein Plan zugrunde: Er beginnt an einer Stelle und läßt sich assoziativ treiben, nicht aus dem Gefühl des musikalisch konstruierenden Denkens heraus, sondern, vielleicht darf man das so sagen, aus einem inneren Strom des Fühlens heraus, der mehr zuläßt als schafft. Daher auch die Tendenz zur Einsätzigkeit.

    Für erwähnenswert halte ich auch noch die sogenannten 'lyrischen Inseln' — erholsame Passagen von schlichter, nicht endenwollender Melodik, die immer mal wieder in die sonst eher schroffen Symphonien eingestreut sind. Heute hörte ich mir die VI. Symphonie an. Ich habe ähnlich gefühlt wie Du. Manchmal treibt die Musik auch ins Nichts, der Satz scheint vollkommen zum Erliegen zu kommen. Dann beginnt etwas Neues, und wieder beginnt die Musik zu treiben.

    Pettersson hat ja die erste Sinfonie nie zu Ende gebracht und ihre Aufführung zu seinen Lebzeiten untersagt. Dennoch gibt es inzwischen eine Rekonstruktion und eine Einspielung, die ich hier noch für erwähnenswert halte. Leider besitze ich die CD (noch) nicht, sie steht aber auf meinem Wunschzettel:

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)

  • Die genannte CD, bei BIS erschienen, ist nicht nur der Einspielung der von dem fabelhaften Christian Lindberg als spielbar erstellten und interpretierten Fassung der ersten Symphonie wegen bemerkenswert, Diese CD enthält darüber hinaus Lindbergs Interpretation der zweiten Symphonie und bietet damit eine interessante Alternative zur Francis-Interpretation bei cpo. Nicht genug damit - als besonderer Bonus wird zusammen mit der CD eine DVD mit einem ca. einstündigen Film über die Entstehung der Lindberg-Fassung der esten Symphonie, mit vielen Interviews, geliefert. Auch Petterssons Stimme ist zu hören, leider ohne Bild.

    Mir sind zwei Videos mit Pettersson-Interviews bekannt: Das eine, leider nur auf Schwedisch, aber mit recht gutem Bildmaterial:
    http://svtplay.se/v/2539063/doku…llan_pettersson , alternativ über Google-Suche:
    Dokumentär: "Vem fan är Allan Pettersson?" - Kulturnyheterna | SVT ...
    Das andere Video, mit weniger gutem Bildmaterial (selbst in der Vergrößerung), aber mit deutschen Untertiteln: http://www.iapg.de/ (Film abspielen unter dem linken Portät oben).
    Diesen Video-Clip stellt die Internationale Allan Pettersson Gesellschaft bereit.

    Christian Lindberg dirigiert im November(?) Petterssons 6. Symphonie. Die Einspielung bei BIS soll im Januar 1012 erfolgen. Es ist nur hoffen, dass Lindberg sich möglichst bald auch anderer, wenn nicht aller anderen Pettersson-Symphonien annehmen wird.

    Grüße von Auscultator :wink:

    Mozart und Beethoven reichen bis zum Himmel – Schubert kommt von dort. Oskar Werner

  • Christian Lindberg dirigiert im November(?) Petterssons 6. Symphonie.

    Am 3.11. in Norrköping, am 4.11. in Linköping, jeweils mit Norrköpings Symfoniorkester, wenn man den Angaben hier trauen darf: http://www.pettersson100.de/konzerte.html.

    Zitat

    Die Einspielung bei BIS soll im Januar 1012 erfolgen. Es ist nur hoffen, dass Lindberg sich möglichst bald auch anderer, wenn nicht aller anderen Pettersson-Symphonien annehmen wird.

    Das hoffe ich ebenfalls, zumal ich die bisherigen Pettersson-Einspielungen Lindbergs (die aktuelle mit der 1. und 2. Symphonie kenne ich noch nicht) ganz vorzüglich finde, hochgespannt und intensiv, dabei emotional-einfühlsam, viel besser als die CPO-Aufnahmen mit der Deutschen Kammerakademie unter Johannes Goritzki, bei dieser habe ich den Eindruck, daß die Musiker nur die Noten spielen, ohne etwas vermitteln zu können:

    Unbedingte Empfehlung deshalb:

    Konzerte für Streichorchester Nr. 1 (1949-50) und 2 (1956), 8 Barfotasånger (1943-45, orchestriert von Antal Doráti), mit Anders Larsson, Bariton:

    Konzert für Streichorchester Nr. 3 (1956-57):

    In beiden Fällen dirigiert Christian Lindberg sein Nordiska Kammarorkestern Sundsvall.

    Die Streicherkonzerte sind ja noch unbekannter als die meisten Symphonien des Schweden. Das dritte, wie die beiden anderen dreisätzig mit der klassischen Abfolge schnell - langsam - schnell, aber mit einer Dauer von immerhin 54 Minuten Spieldauer, zeigt noch Spuren von Petterssons Unterricht in Paris bei René Leibowitz, denn das energische Hauptthema enthält eine Zwölftonreihe, ohne in der Folge die Lehren der Dodekaphonie anzuwenden (so Michael Kube im informativen Beiheft).

    Dorátis Bearbeitung (zunächst hatte Pettersson das selbst übernehmen sollen, aber der überließ es lieber dem damaligen Chefdirigenten der Stockholmsfilharmonikerna) rückt die Barfotasånger in die Nähe Mahlers und das funktioniert überraschend gut. Die Orchesterfassung erinnert mich auch etwas an Hanz Zenders Bearbeitung von Schuberts Winterreise.

    Lieber Auscultator, es freut mich sehr, daß mit Dir jetzt ein weiterer Pettersson-Begeisterter "an Bord" ist. ;+)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Gern geschehen!

    Wie ich gerade bemerke, bietet JPC diese gerade für 8 € an:

    Wer auch immer sich für den spröden Schweden begeistern mag: unbedingt zugreifen!!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz,

    herzlich Dank für den Hinweis! Ich hatte ohnehin das Gefühl, mal wieder etwas mehr Petterson in mein Leben lassen zu müssen. Habe mir im Netz auch noch zwei weitere Aufnahmen gegönnt:

    und

    :wink:

    P.S.: Wird das jetzt eine eigene Reihe an Einspielungen? Ich würde mich sehr freuen (allerdings frage ich mich etwas bang, welche Farbgestaltungen für die beiden Köpfe sich die Designer dann noch einfallen lassen werden).

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Wird das jetzt eine eigene Reihe an Einspielungen?

    Hoffentlich, denn nach meinen Hörerfahrungen scheint Christian Lindberg genau die richtige Sensibilität für die schwierige Musik zu finden - und die Konkurrenz ist derzeit nicht sonderlich groß. Mit den CPO-Einspielungen (so verdienstvoll es ist, daß die Georgsmarienhütter sich so sehr als Wegbereiter Petterssons engagieren) bin ich, wie beschrieben, nicht immer glücklich.

    Wie oben von Auscultator angedeutet, könnte es im nächsten Jahr eine Aufnahme der 6. Symphonie mit Lindberg geben: Die Aufnahmesitzungen sollen vom 16. bis 21.01.2012 stattfinden (Quelle: http://www.tarrodi.se/cl/). Der Musiker hat sich anscheinend bereits einen guten Namen als Posaunist (auch Jazz) und Komponist erworben.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Schön. Ich höre gerade die 1. Zwar nur am Computer, also mit übersichtlichem Klangbild, aber ich freue mich schon sehr auf die anderen frisch erworbenen Aufnahmen.
    Ehrlich gesagt hatte ich mit den cpo-Einspielungen irgendwie auch Probleme, obwohl sie ja nahezu konkurrenzlos sind. Was ich jetzt höre, überzeugt mich jedenfalls. Nochmals danke für den Hinweis!

    :wink:

    Jein (Fettes Brot, 1996)

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