PUCCINI: Madama Butterfly – Milchpunsch oder Whisky?
Giacomo Puccinis Madama Butterfly ist ein kontroverses Stück Musiktheater. Das Werk ein Garant für volle Opernhäuser. In der ewigen Aufführungsstatistik der MET liegt es auf Rang 7 und auch im deutschen Sprachraum dürfte es nach meiner vorsichtigen Schätzung mindestens zu den Top 20 gehören. Andererseits gibt es auch nicht wenige gestandene Opernliebhaber, die das Werk ablehnen.
Was macht also Reiz und Problematik der Madama Butterfly aus? Vielleicht kann eine Textzeile Pinkertons aus dem ersten Akt als Schlüsselfrage bei der Einordnung der Oper gelten: "Michpunsch oder Whisky?" Welches Gebräu bei Madama Butterfly am Ende herauskommt, ist meines Erachtens auch von der szenischen und musikalischen Umsetzung abhängig.
I.
Ein wenig unübersichtlich ist die Werkgeschichte: Mit Madama Butterfly folgten Puccini und seine Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa einer am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa populären Strömung des Exotismus, die vor allem in Frankreich ihren Niederschlag fand, aber auch nach Italien übergriff. Pietro Mascagni hatte, ebenfalls auf ein Libretto von Illica, im Jahre 1898 mit "Iris" seine Japan-Oper vorgelegt. Im selben Jahr erschien die Erzählung "Madame Butterfly" des amerikanischen Rechtsanwalts John Luther Long, die von David Belasco im Jahr 1900 zum Theaterstück umgearbeitet wurde. Die Phantasie von Long und Belasco wurde beflügelt von einem zweifelhaften Brauch, den bereits im Jahr 1887 Pierre Loti in seinem Roman "Madame Chrysanthème" geschildert hatte: Ausländischen Seeoffizieren war es im Japan des 19. Jahrhunderts gestattet, für die Dauer ihres Aufenthalts eine jederzeit lösbare Ehe auf Zeit mit einer japanischen Geisha einzugehen. Als sich Puccini zur Vertonung dieses Stoffes entschloss, kannte er sowohl Belascos Bühnenwerk als auch Mascagnis "Iris". Nach einem Londoner Theaterbesuch von Belascos Einakter setzte er seinen bevorzugten Librettisten Luigi Illica auf das Thema an.
Das Libretto orientiert sich mit den beiden Szenen des letzten Akts außerordentlich eng an Belascos Stück. Die gesamte Dramaturgie und sogar einzelne Formulierungen wurden übernommen. Der erste Akt der Oper hat allerdings bei Belasco keine Entsprechung. Diese Vorgeschichte wird vielmehr im Theaterstück des Amerikaners vorausgesetzt. Illica und Giacosa haben jedoch Motive aus der Kurzgeschichte von Long (z.B. Miete des Hauses für 999 Jahre) in das Libretto zum ersten Akt eingearbeitet. Vieles, beispielsweise der Auftritt des Bonzen, geht aber auch allein auf die Librettisten zurück. Demgegenüber wurden auch einige Teile ausgespart, die in der literarischen Vorlage breiten Raum einnehmen, dazu gehören umfangreiche Szenen im amerikanischen Konsulat, in denen auch Kate Pinkerton eine bedeutende Rolle gespielt hätte.
Die Mailänder Uraufführung der Madama Butterfly am 17.02.1904 war ein kapitaler Fehlschlag und veranlasste Puccini, die Partitur zurückzuziehen. Aus dem Prozess der Überarbeitung hat die Musikwissenschaft inzwischen mindestens vier verschiedene Fassungen der Oper herausarbeiten können. Die allermeisten Einspielungen und Aufführungen des Werks folgen der sog. Standardversion, die sich an der 1907 vom Ricordi-Verlag veröffentlichten Orchesterpartitur orientiert. Diese weicht formal von der Urfassung von 1904 insoweit ab, als Puccini den überlangen von Belasco inspirierten Schlussakt in zwei Teile aufspaltete. Bis heute wird die Struktur der Oper nicht ganz einheitlich bezeichnet, mal wird von drei Akten gesprochen, mal von einem Zweiakter, bei dem der Schlussakt in zwei große Szenen zerfällt.
Im Vergleich zur Ur-Butterfly weist die revidierte Fassung von 1907 im ersten Akt Kürzungen auf, vor allem in den Szenen, die der japanischen Verwandtschaft gewidmet sind. Kleinere Solorollen, insbesondere die des dem Alkohol zugeneigten Onkels Yakusidé, wurden auf wenige Textzeilen reduziert. Im Liebesduett des ersten Akts verzichtet Puccini auf einen kurzen Moment des Zweifels bei Cio-Cio-San. Die Rolle des Pinkerton wurde gegenüber der Urfassung etwas aufgewertet, nicht zuletzt dadurch, dass sein Vorname von dem läppischen "Francis Blummy" in "Benjamin Franklin" geändert wurde. Aber auch sein arioses "Addio, fiorito asil" wurde für den Schlussakt nachkomponiert und ersetzt ein weniger effektvolles Solo.
II.
Das Werk hat sich oft dem Kitschvorwurf ausgesetzt gesehen. An dem Textbuch der Oper kann das meines Erachtens kaum liegen, wenn man von einigen im wahrsten Wortsinn blumigen Passagen einmal absieht. Das Libretto birgt für seine Zeit einiges an sozialem Sprengstoff und setzt sich zumindest im Ansatz durchaus kritisch mit imperialistischen Strömungen auseinander. Am Beispiel Cio-Cio-Sans wird ein Kulturkonflikt gezeigt. Die Tragik der aufopferungswilligen Cio-Cio-San geht zurück auf die völlige Missachtung der japanischen Kultur durch den Amerikaner Pinkerton, der zum Beispiel die Begegnung mit den japanischen Verwandten nur von der spöttischen Seite nimmt. Cio-Cio-San wird aber auch dadurch gebrochen, dass ihre eigenen überhöhten Vorstellungen vom westlichen Kulturkreis, gerade in der Frage der Unlösbarkeit der Ehe, nicht durch Pinkertons Verhalten bestätigt werden. Das beiderseitige Unverständnis führt zu einem interkulturellen Drama. Diese Thematik besitzt meines Erachtens auch heute noch Aktualität.
Puccinis Komposition ist natürlich in erster Linie eine italienische Oper. Er lehnt sich allerdings auch musikalisch an den ostasiatischen Kulturkreis an, wobei den japanischen Elementen vor allem atmosphärischer Charakter zukommt. Der kulturelle Konflikt wird musikalisch dadurch aufgegriffen, dass Puccini plakativ die amerikanische Nationalhymne der japanischen Kaiserhymne gegenüberstellt. Der Komponist verarbeitete aber auch authentische japanische Volkslieder, nachdem er über die Gattin des japanischen Botschafters in Rom einschlägiges Notenmaterial erhalten hatte. Auch bemühte er sich, ostasiatische Melodik und Harmonik zu imitieren. Japanischer Kolorit zeigt sich auch bei der Instrumentation. Für das Orchester sind zum Beispiel elf "Tam-Tam giapponesi" vorgeschrieben, japanische Gongs, die über eine Oktave in Halbtonschritten gestimmt sind. Motive, die zu Beginn noch in einem (pseudo-)japanischen Gewande vorgestellt werden, kehren im Verlauf der Oper wieder und illustrieren durch die veränderte Instrumentation die Entwicklung Cio-Cio-Sans.
Puccinis Musik ist sehr empfindsam, auf die Liebe, die Hoffnung, die Enttäuschung Cio-Cio-Sans ausgerichtet. Ihr sind zarte, ätherische Klänge zugeordnet. Puccini schrieb lange Solopassagen für die Titelheldin sowie ein ausgedehntes Liebesduett für das Ende des ersten Akts. Das Warten der Cio-Cio-Sans auf Pinkerton im zweiten Akt wird sehr ausgiebig ausgekostet. Dass er die Gefühle der Protagonistin derart mit süßlicher Breite in den Mittelpunkt rückte, hat man Puccini zuweilen als übertriebene Gefühligkeit ausgelegt. Insgesamt ist das Werk weniger griffig als zum Beispiel Tosca und eher melodramatisch als dramatisch. Andererseits haben weite Teile der Oper Konversationscharakter, und lassen dadurch eigentlich wenig Rührseligkeit aufkommen. Vielleicht wurde das Werk aber auch deshalb oftmals abgelehnt, weil die Tragödie Cio-Cio-Sans und die schwelgerische Melodik Puccinis als inkompatibel empfunden wurden.
III.
Mein Verhältnis zu der Oper ist, wie einleitend angedeutet, gespalten. Fast alle anderen Opern Puccinis sind mir lieber als Madama Butterfly. Insbesondere mag ich das Werk nicht oft hören und wenn, dann nur in bestimmten Interpretationen. Dass Puccinis Partitur eine gewisse Grundsüße enthält, wird sich wohl kaum leugnen lassen. Andererseits gibt es auch Momente, in denen sowohl die Handlung wie auch die Musiksprache zum Harten, Ironischen und Bitteren umschlägt. Diese Elemente sollten meines Erachtens auch in einer Wiedergabe herausgearbeitet werden.
Mir persönlich sagen daher gerade in dieser Oper eher die schnell dirigierten, schroffen "Whisky-Interpretationen" zu, die nicht allzu milchpunschartig gaumenverkleisternd daherkommen. Mit einem reinen Schwelgen in schönen Melodien wird man der Dramatik des Geschehens nicht gerecht. Unbedingt bedarf es aber auch für die Titelpartie einer starken Singdarstellerin, die es versteht Cio-Cio-San im Verlauf der Oper emotional reifen zu lassen. Wenn ich es drei Akte lang nur mit einer schön singenden, niedlichen, kleinen Geisha zu tun habe, empfinde ich das immer als ein wenig unbefriedigend. Die finale Selbsttötung Cio-Cio-Sans ist demgegenüber, von einer großen Tragödin dargestellt, ein bewegendes Erlebnis und ein großer Moment der italienischen Oper.
Nun interessiert mich, wie Ihr zu der Oper im Allgemeinen steht, aber auch, welche Aufnahmen und Inszenierungen dem Werk aus Eurer Sicht bislang am besten gerecht geworden sind.