PUCCINI: Madama Butterfly – Milchpunsch oder Whisky?

  • PUCCINI: Madama Butterfly – Milchpunsch oder Whisky?

    Giacomo Puccinis Madama Butterfly ist ein kontroverses Stück Musiktheater. Das Werk ein Garant für volle Opernhäuser. In der ewigen Aufführungsstatistik der MET liegt es auf Rang 7 und auch im deutschen Sprachraum dürfte es nach meiner vorsichtigen Schätzung mindestens zu den Top 20 gehören. Andererseits gibt es auch nicht wenige gestandene Opernliebhaber, die das Werk ablehnen.

    Was macht also Reiz und Problematik der Madama Butterfly aus? Vielleicht kann eine Textzeile Pinkertons aus dem ersten Akt als Schlüsselfrage bei der Einordnung der Oper gelten: "Michpunsch oder Whisky?" Welches Gebräu bei Madama Butterfly am Ende herauskommt, ist meines Erachtens auch von der szenischen und musikalischen Umsetzung abhängig.

    I.
    Ein wenig unübersichtlich ist die Werkgeschichte: Mit Madama Butterfly folgten Puccini und seine Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa einer am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa populären Strömung des Exotismus, die vor allem in Frankreich ihren Niederschlag fand, aber auch nach Italien übergriff. Pietro Mascagni hatte, ebenfalls auf ein Libretto von Illica, im Jahre 1898 mit "Iris" seine Japan-Oper vorgelegt. Im selben Jahr erschien die Erzählung "Madame Butterfly" des amerikanischen Rechtsanwalts John Luther Long, die von David Belasco im Jahr 1900 zum Theaterstück umgearbeitet wurde. Die Phantasie von Long und Belasco wurde beflügelt von einem zweifelhaften Brauch, den bereits im Jahr 1887 Pierre Loti in seinem Roman "Madame Chrysanthème" geschildert hatte: Ausländischen Seeoffizieren war es im Japan des 19. Jahrhunderts gestattet, für die Dauer ihres Aufenthalts eine jederzeit lösbare Ehe auf Zeit mit einer japanischen Geisha einzugehen. Als sich Puccini zur Vertonung dieses Stoffes entschloss, kannte er sowohl Belascos Bühnenwerk als auch Mascagnis "Iris". Nach einem Londoner Theaterbesuch von Belascos Einakter setzte er seinen bevorzugten Librettisten Luigi Illica auf das Thema an.

    Das Libretto orientiert sich mit den beiden Szenen des letzten Akts außerordentlich eng an Belascos Stück. Die gesamte Dramaturgie und sogar einzelne Formulierungen wurden übernommen. Der erste Akt der Oper hat allerdings bei Belasco keine Entsprechung. Diese Vorgeschichte wird vielmehr im Theaterstück des Amerikaners vorausgesetzt. Illica und Giacosa haben jedoch Motive aus der Kurzgeschichte von Long (z.B. Miete des Hauses für 999 Jahre) in das Libretto zum ersten Akt eingearbeitet. Vieles, beispielsweise der Auftritt des Bonzen, geht aber auch allein auf die Librettisten zurück. Demgegenüber wurden auch einige Teile ausgespart, die in der literarischen Vorlage breiten Raum einnehmen, dazu gehören umfangreiche Szenen im amerikanischen Konsulat, in denen auch Kate Pinkerton eine bedeutende Rolle gespielt hätte.

    Die Mailänder Uraufführung der Madama Butterfly am 17.02.1904 war ein kapitaler Fehlschlag und veranlasste Puccini, die Partitur zurückzuziehen. Aus dem Prozess der Überarbeitung hat die Musikwissenschaft inzwischen mindestens vier verschiedene Fassungen der Oper herausarbeiten können. Die allermeisten Einspielungen und Aufführungen des Werks folgen der sog. Standardversion, die sich an der 1907 vom Ricordi-Verlag veröffentlichten Orchesterpartitur orientiert. Diese weicht formal von der Urfassung von 1904 insoweit ab, als Puccini den überlangen von Belasco inspirierten Schlussakt in zwei Teile aufspaltete. Bis heute wird die Struktur der Oper nicht ganz einheitlich bezeichnet, mal wird von drei Akten gesprochen, mal von einem Zweiakter, bei dem der Schlussakt in zwei große Szenen zerfällt.

    Im Vergleich zur Ur-Butterfly weist die revidierte Fassung von 1907 im ersten Akt Kürzungen auf, vor allem in den Szenen, die der japanischen Verwandtschaft gewidmet sind. Kleinere Solorollen, insbesondere die des dem Alkohol zugeneigten Onkels Yakusidé, wurden auf wenige Textzeilen reduziert. Im Liebesduett des ersten Akts verzichtet Puccini auf einen kurzen Moment des Zweifels bei Cio-Cio-San. Die Rolle des Pinkerton wurde gegenüber der Urfassung etwas aufgewertet, nicht zuletzt dadurch, dass sein Vorname von dem läppischen "Francis Blummy" in "Benjamin Franklin" geändert wurde. Aber auch sein arioses "Addio, fiorito asil" wurde für den Schlussakt nachkomponiert und ersetzt ein weniger effektvolles Solo.

    II.
    Das Werk hat sich oft dem Kitschvorwurf ausgesetzt gesehen. An dem Textbuch der Oper kann das meines Erachtens kaum liegen, wenn man von einigen im wahrsten Wortsinn blumigen Passagen einmal absieht. Das Libretto birgt für seine Zeit einiges an sozialem Sprengstoff und setzt sich zumindest im Ansatz durchaus kritisch mit imperialistischen Strömungen auseinander. Am Beispiel Cio-Cio-Sans wird ein Kulturkonflikt gezeigt. Die Tragik der aufopferungswilligen Cio-Cio-San geht zurück auf die völlige Missachtung der japanischen Kultur durch den Amerikaner Pinkerton, der zum Beispiel die Begegnung mit den japanischen Verwandten nur von der spöttischen Seite nimmt. Cio-Cio-San wird aber auch dadurch gebrochen, dass ihre eigenen überhöhten Vorstellungen vom westlichen Kulturkreis, gerade in der Frage der Unlösbarkeit der Ehe, nicht durch Pinkertons Verhalten bestätigt werden. Das beiderseitige Unverständnis führt zu einem interkulturellen Drama. Diese Thematik besitzt meines Erachtens auch heute noch Aktualität.

    Puccinis Komposition ist natürlich in erster Linie eine italienische Oper. Er lehnt sich allerdings auch musikalisch an den ostasiatischen Kulturkreis an, wobei den japanischen Elementen vor allem atmosphärischer Charakter zukommt. Der kulturelle Konflikt wird musikalisch dadurch aufgegriffen, dass Puccini plakativ die amerikanische Nationalhymne der japanischen Kaiserhymne gegenüberstellt. Der Komponist verarbeitete aber auch authentische japanische Volkslieder, nachdem er über die Gattin des japanischen Botschafters in Rom einschlägiges Notenmaterial erhalten hatte. Auch bemühte er sich, ostasiatische Melodik und Harmonik zu imitieren. Japanischer Kolorit zeigt sich auch bei der Instrumentation. Für das Orchester sind zum Beispiel elf "Tam-Tam giapponesi" vorgeschrieben, japanische Gongs, die über eine Oktave in Halbtonschritten gestimmt sind. Motive, die zu Beginn noch in einem (pseudo-)japanischen Gewande vorgestellt werden, kehren im Verlauf der Oper wieder und illustrieren durch die veränderte Instrumentation die Entwicklung Cio-Cio-Sans.

    Puccinis Musik ist sehr empfindsam, auf die Liebe, die Hoffnung, die Enttäuschung Cio-Cio-Sans ausgerichtet. Ihr sind zarte, ätherische Klänge zugeordnet. Puccini schrieb lange Solopassagen für die Titelheldin sowie ein ausgedehntes Liebesduett für das Ende des ersten Akts. Das Warten der Cio-Cio-Sans auf Pinkerton im zweiten Akt wird sehr ausgiebig ausgekostet. Dass er die Gefühle der Protagonistin derart mit süßlicher Breite in den Mittelpunkt rückte, hat man Puccini zuweilen als übertriebene Gefühligkeit ausgelegt. Insgesamt ist das Werk weniger griffig als zum Beispiel Tosca und eher melodramatisch als dramatisch. Andererseits haben weite Teile der Oper Konversationscharakter, und lassen dadurch eigentlich wenig Rührseligkeit aufkommen. Vielleicht wurde das Werk aber auch deshalb oftmals abgelehnt, weil die Tragödie Cio-Cio-Sans und die schwelgerische Melodik Puccinis als inkompatibel empfunden wurden.

    III.
    Mein Verhältnis zu der Oper ist, wie einleitend angedeutet, gespalten. Fast alle anderen Opern Puccinis sind mir lieber als Madama Butterfly. Insbesondere mag ich das Werk nicht oft hören und wenn, dann nur in bestimmten Interpretationen. Dass Puccinis Partitur eine gewisse Grundsüße enthält, wird sich wohl kaum leugnen lassen. Andererseits gibt es auch Momente, in denen sowohl die Handlung wie auch die Musiksprache zum Harten, Ironischen und Bitteren umschlägt. Diese Elemente sollten meines Erachtens auch in einer Wiedergabe herausgearbeitet werden.

    Mir persönlich sagen daher gerade in dieser Oper eher die schnell dirigierten, schroffen "Whisky-Interpretationen" zu, die nicht allzu milchpunschartig gaumenverkleisternd daherkommen. Mit einem reinen Schwelgen in schönen Melodien wird man der Dramatik des Geschehens nicht gerecht. Unbedingt bedarf es aber auch für die Titelpartie einer starken Singdarstellerin, die es versteht Cio-Cio-San im Verlauf der Oper emotional reifen zu lassen. Wenn ich es drei Akte lang nur mit einer schön singenden, niedlichen, kleinen Geisha zu tun habe, empfinde ich das immer als ein wenig unbefriedigend. Die finale Selbsttötung Cio-Cio-Sans ist demgegenüber, von einer großen Tragödin dargestellt, ein bewegendes Erlebnis und ein großer Moment der italienischen Oper.

    Nun interessiert mich, wie Ihr zu der Oper im Allgemeinen steht, aber auch, welche Aufnahmen und Inszenierungen dem Werk aus Eurer Sicht bislang am besten gerecht geworden sind.

  • Zitat

    Dass Puccinis Partitur eine gewisse Grundsüße enthält, wird sich wohl kaum leugnen lassen. Andererseits gibt es auch Momente, in denen sowohl die Handlung wie auch die Musiksprache zum Harten, Ironischen und Bitteren umschlägt. Diese Elemente sollten meines Erachtens auch in einer Wiedergabe herausgearbeitet werden.


    ja da bin ich voll einverstanden. Der Reiz der Butterfly-Musik liegt ja in diesem von dir beschriebenen Gegensatz


    Zitat

    Mir persönlich sagen daher gerade in dieser Oper eher die schnell dirigierten, schroffen "Whisky-Interpretationen" zu, die nicht allzu milchpunschartig gaumenverkleisternd daherkommen.


    ja und deshalb hat es vermutlich bei mir auch so lange gedauert, bis ich überhaupt Zugang zur Butterfly-Musik fand. Vorher hat sie mich kaum interessiert. Erst durch Livemitschnitte von P. Summmers vom 24.10.08 und 07.03.09 aus NYC.

    Daraus folgt - wie beinahe in den meisten Fällen - für mich: das Orchester ist die Basis für eine sinnvolle Butterflywiedergabe. Der Orchesterprt muss mit der nötigen Schärfe und vor allem Deutlichkeit gespielt werden (wenn es die Solisten nicht überfordert oder schädigt). Ich will nicht verhehlen, dass ich mich noch mit ein einigen Passagen der Butterfly (z.B. Duett Pinkerton-Butterfly im 1 Akt) schwer tue und das mir andere Opern, die zwischen Wagner und der Neuen Wiener Schule geschrieben wurden noch näher sind.

    Aber Amfortas wiederspricht dem - oft wiedergekäutem - Klischee, die Butterfly als plakativen und rührseligen Kitsch abzutun.

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Erst einmal herzlichen Dank dir, Zauberton, für diese wunderbare Einführung :juhu: !

    Ich hatte lange Zeit große Probleme mit dieser Oper, tat sie auch als unerträglichen Kitsch ab und fand es deshalb gar nicht der Mühe wert, mich näher mit ihr zu befassen. Als emanzipierte Frau "regte" mich diese Unterwürfigkeit, in meinen Augen beinahe hündische Ergebenheit der Cio-Cio-San einfach nur auf, die sozialkritischen Töne ignorierte ich völlig. In Wien gab es eigentlich nur einen einzigen Grund, mir doch hin und wieder eine "Madame Butterfly" anzuschauen, und der hieß Mirella Freni. Diese Sängerin mochte ich so sehr, dass ich sie sogar in einer mir ansonsten unerträglichen Oper hören wollte.
    Ich pflegte also meine Vorurteile getreulich, bis ich 1987 in Zürich eine Inszenierung erlebte, die mir eine entkitschte, völlig andere Sicht auf das Werk eröffnete. Dieses Wunder vollbrachten Regisseur Joachim Herz und Dirigent Silvio Varviso, die erfolgreich den Zuckerguss abkratzten und das Wunder schafften, dass mich das Schicksal der kleinen Frau Schmetterling zum ersten Mal wirklich berührte. Das süßliche Rührstück wirkte plötzlich wie ein spannendes Sozialdrama, das unter die Haut ging. Man spielte in Zürich eine Mischfassung, die sehr nahe am Original von 1904 und damit viel weniger sentimental war als die Wiener Spielart. (Die Arie des Pinkerton im 3. Akt wurde allerdings beibehalten - auf dieses Zuckerl verzichtet wohl kein Tenor!)
    Ich erinnere mich an ein sehr reduziertes, überwiegend in Brauntönen gehaltenes Bühnenbild. Ganz vorne an der Rampe, etwas vertieft, lag das kleines Modell der Stadt Nagasaki - eine Spielzeugstadt, Symbol für die generelle Einstellung der Amerikaner in diesem Stück. Für sie ist hier alles nur ein großes Spiel, die Menschen Spielfiguren, mit denen sie nach Belieben verfahren können, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle. Dass für Pinkerton Japan nichts als ein großes, exotisches Abenteuer ist, von dem er dereinst seinen Enkelkindern erzählen wird, zeigte die Kamera, mit der er ständig alles festhält, und man konnte sich gut vorstellen, wie er dann im fernen Amerika mit seinen Bildern Eindruck schinden wird. Cio-Cio-San, die Verwandten, sind für ihn nur interessante Fotomotive, ebenso wie das japanische Interieur, über das er sich unverhohlen lustig macht. Gleichzeitig stellt die Kameralinse aber auch die nötige Distanz her: Pinkerton ist keine Sekunde bereit, sich wirklich auf diese andere Welt einzulassen, seine präpotente Überheblichkeit weicht nur kurzen sentimentalen Anwandlungen. Die Hochzeit ist für ihn nur ein auf Lustmaximierung ausgerichtetes Geschäft, und mit kaum verhohlener Ungeduld und Verachtung lässt er die in seinen Augen lächerliche Zeremonie über sich ergehen. Zu dieser harten Lesart will nun das gefühlige "Addio, fiorito asil..." nicht so ganz passen, aber auch dafür fand Joachim Herz eine überzeugende Lösung: Pinkerton sang diese Arie vor dem Vorhang, auf den eines seiner kitschigen Fotomotive projeziert wurde - er berauscht sich quasi an einem Gefühl, von dem er selbst genau weiß, dass es nicht echt ist.
    Mehr als sonst war Cio-Cio-San in dieser Inszenierung nicht nur das Opfer Pinkertons, sondern der Männer schlechthin: Nicht nur für die Amerikaner, auch für ihre eigenen Verwandten ist nicht mehr als ein Objekt, das zum eigenen Vorteil eingesetzt bzw. verkauft wird. Diese Butterfly ist nicht ganz so naiv wie üblich, sie ist sich absolut nicht sicher, dass ihre große Liebe entsprechend erwidert wird, und versucht rührend, es Pinkerton in allem recht zu machen. So zeigt das Haus im 2. Akt schon einige Utensilien, die den Amerikaner sich heimisch fühlen lassen sollen, wie Bilder der Niagarafälle, ein Grammophon usw. Joachim Herz Personenführung bestach durch viele Subtilitäten, so z.B. die amerikanischen Accessoires, mit denen sich die "Onkel" den reichen Amis anbiedern. Jede kleinste Nebenrolle wurde sorgfältig ausinszeniert, bekam ein ganz individuelles Profil.
    Mit Yoko Watanabe, Francisco Araiza und Bruno Pola stand Joachim Herz ein Ensemble von Singschauspielern zur Verfügung, die sein Regiekonzept kongenial umsetzten. Sie machten aus einer erwarteten "Pflichtübung" eine unerwartete Sternstunde, die bis heute in meiner Opernhitliste ganz oben rangiert.
    Und ob ihr's glaubt oder nicht: Seit dieser Züricher Produktion bin ich nie wieder in einer "Butterfly" gewesen! Ich will mir diese großartige Erinnerung einfach nicht durch eine öde 0815-Aufführung kaputt machen lassen, die mir nur beweist, dass "Butterfly" doch nicht mehr als ein sentimentales Rührstück ist.......
    lg Severina :wink:

    "Das Theater ist ein Narrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare!" (Franz Schalk)

  • Meine bislang einzige (kaum zu glauben) Aufführung der Butterfly war gänzlich unkitschig vor vielen Jahren in Wiesbaden. Ich kann leider heute nicht mehr sagen, wer der Regisseur und wer die Sänger waren.
    Das Bühnenbild nur spärlich ausgestattet und wie eine Foto mit einem Neonlichtrahmen umfasst, der zumeist in Lila leuchtete. Einprägend war die große Vase mit Kirschblüten - die allerdings im Laufe der Oper immer weiter verblühten, so dass am Schluss nur noch trockene Zweige übrig blieben.
    Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, dass ich von der Musik und der Inszenierung total gebannt war, obwohl oder vielleicht gerade weil die Oper keine "Nummernrevue" ist.
    Die Deutung der Handlung war ähnlich wie bei Severinas "Referenzaufführung" - Cio Cio San als "Geschäft" für die Verwandtschaft und für Pinkteron.
    Ich weiß nicht, ob ich nicht auch ein "Problem" mit dieser Oper hätte, wenn ich sie als kitschiges Kostümkino gesehen hätte, womöglich eine beiderseitige unglückliche Liebe vorgaukelnd...

    LG
    Rosenkavalier

    Ich glaube, dass es in jedem Sänger einen einzigen, reinen und kleinen Ton gibt, welcher der wahre Ton der Stimme ist, und was immer man tut und wie man auch seine Stimme auf diesen Ton aufbaut, man muss zu ihm zurückkehren können, sonst ist es aus. (Agnes Baltsa)

  • Fassungen und Interpretationen

    Eine wirklich gute Inszenierung der Oper habe ich leider noch nicht erlebt. Ziemlich geärgert habe ich mich, als in Hannover in dieser Saison nach vielen Jahren ohne Butterfly eine Nicht-Inszenierung aus dem Jahr 1980 exhumiert wurde, auf der so viel Staub gelegen haben muss, dass es erstaunlich ist, dass man davon im Fundus noch etwas gefunden hat. Da wäre eine Neuproduktion an der Zeit gewesen.

    Die Fassung von 1904 habe ich vor etwa zehn Jahren in Bremen auf der Bühne gesehen. Von der Inszenierung weiß ich nichts mehr; sie wird mich also nicht sehr beeindruckt haben. Später habe ich mir aber die Naxos-Aufnahme der Urfassung vorgenommen, die anlässlich der Bremer Produktion entstanden ist. Da war ich doch überrascht zu sehen, was von Puccini nachträglich aus der Oper herausgenommen wurde. Zum einen sind in der ersten Fassung die japanischen Verwandten tatsächlich viel detaillierter gezeichnet. Die nehmen diesen Pinkerton, der eine der ihren heiraten will, erst einmal richtig unter die Lupe. Interessant ist aber auch, dass in der Urfassung Cio-Cio-San nicht ganz so naiv in ihr Unglück hineinrennt. Schon im ersten Akt zweifelt sie, ob die Beziehung mit dem Fremden gut gehen kann, lässt sich dann aber von ihm beschwatzen. Warum das im Nachhinein weggefallen ist, würde mich schon interessieren.

    Mir ist die Oper insgesamt bis heute ein wenig unangenehm, und ich bin mir nicht ganz sicher, woran das liegt. Ich ahne aber, dass es tatsächlich damit zu tun hat, dass die meisten mir zugänglichen Interpretationen einfach unbefriedigend waren. Ich warte also noch auf meine Initialzündung für die Oper, vielleicht so etwas wie die Züricher Herz-Inszenierung. Das hört sich interessant an, und ich würde auch gerne einmal von einer Aufführung nach mehr als zwanzig Jahren noch so detailliert schwärmen können.

    Meines Erachtens wird aber auch musikalisch in vielen Wiedergaben unnötig viel Süßes produziert. Die Selbstaufgabe von Cio-Cio-San ist auch für mich schwer nachvollziehbar. Vieles wird aber vom Orchester richtig ätzend kommentiert, und das ertrinkt leider oft in einem Meer von Milchpunsch. Nur ein Beispiel ist diese hämische kleine Melodie, die in den Oboen (?) erklingt, während Pinkerton und Sharpless, wohlgemerkt nur kurzzeitig, mit offenem Mund dastehen, als sie erfahren, dass Cio-Cio-San fünfzehn ist.

  • Hallo, Zauberton!

    Genau diese Szene mit den Verwandten hat die Umkehr in meiner Einstellung zu dieser Oper herbeigeführt, deshalb erinnere ich mich auch noch so genau daran. Joachim Herz hat sie wirklich zu einem Kernstück seiner Inszenierung gemacht, in dem die Tragik der Cio-Cio-san besonders deutlich wird. Bis Zürich dachte ich immer "Mein Gott, wie kann man nur so blöd sein wie diese Butterfly!", aber in dieser Produktion hatte sie nicht den Funken einer Chance, sich anders zu verhalten. Die Männer verhandeln über ihren Kopf hinweg, ihre eigenen Verwandten verschachern sie aus reiner Geldgier, Pinkerton kauft sich ein hübsches Spielzeug, und keinen interessiert es auch nur eine Sekunde lang, was sie eigentlich denkt und fühlt. Ich hatte den Eindruck, dass sie im Innersten sehr wohl weiß, auf welch schwachen Beinen diese Verbindung steht, dass sie sich aber verzweifelt an die Hoffnung klammert, Pinkerton liebe sie wirklich, weil ihr ja gar nichts anderes übrig bleibt. Es gibt keine Alternative. Und genau das ermöglichte es mir, Cio-Cio-San zum ersten Mal zu verstehen und Mitgefühl zu entwickeln.
    lg Severina :wink:

    "Das Theater ist ein Narrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare!" (Franz Schalk)

  • Meine geliebte Butterfly

    Hallo Ihr Lieben,

    es mag ja alles stimmen, daß die Handlung der Butterfly unerträglicher Kitsch ist etc. etc., das trifft auf viele andere Opern auch zu. Und wenn ich es sozialkritisch, bezogen auf die Rolle der Frau, betrachten würde, ich war auch immer ein streitbares Weiberleut und kann Severina da verstehen, dürfte ich kein gutes Haar an ihr lassen. Aber wenn ich Oper höre, mache ich mir ehrlich darüber so viel wie keine Gedanken, wenn ich da nur an Don Giovanni denke, was für ein übler Typ, da könnte ich mich ja nur noch ärgern, aber siehe da, was für eine Musik von Mozart! :juhu: :juhu:
    Aber die Madama Butterfly ist einfach, nach der Turandot, meine Lieblingsoper von Puccini und wenn ich diese herrlichen Melodien z.B. von Giuseppe di Stefano :juhu: :juhu: :juhu: und Victoria de los Angeles (meine liebste Version, spielt gerade) anhöre bin ich nur verzaubert. Und wenn ich einen verkitschten Geschmack haben sollte, lebe ich selig damit.

    Liebe Grüße

    Kristin :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Liebe Kristin!

    Da hast Du Recht, Cio-Cio-San ist ja ein 15jähriges Mädchen, dass einfach an den reichen Amerikaner verkauft wurde, sie vertraut ihm, aber er sieht ein Spielzeug in ihr.

    Das Sozialkritsche ist, bei der Musik von Puccini, bei mir weg, denn auch Sharpless ist ja kein anständiger Mensch, er unterstützt ja den Verkauf der kleien Geisha, also ist er auch ein Drahtzieher einer Gemeinheit.

    Nur wird aus der kleinen Geisha, im Laufe der Handlung, eine verbitterte Frau.

    Das "Sitzenlassen" ist ja auch von den Besatzungssoldaten nach dem 2. WK , bei uns gemacht worden, die auch wußten, dass der Seitensprung, Früchte getragen hatte.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Verbitterte Butterfly?

    Lieber Peter,

    als verbittert habe ich die Butterfly nie empfunden, sie glaubt ja bis zum Ende an die Liebe von Pinkerton und wartet auf seine Rückkehr. Verbitterung ist was anderes. Und gerade diese Naivität und Gutgläubigkeit ist für mich so erschütternd, ein Weg aus dieser Situation wäre die Verbitterung, aber sie bringt sich um, natürlich auch, weil man ihr das Kind wegnimmt.
    Es ist alles ganz entsetzlich, aber die Musik ist so herrlich.

    Liebe Grüße

    Kristin

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Liebe Kristin,
    da hast schon Recht, wenn du sagst "Prima la musica, dopo la parola", aber ich habe eben eine andere "Vorgeschichte", die Oper war quasi meine zweite "Liebesaffaire", davor kam die Leidenschaft für Literatur und Theater. Deshalb kann ich einfach gar nicht anders, als Libretti auf ihren Sinngehalt abzuklopfen, ständig zu interpretieren und zu charakterisieren. (Und das macht mir ebensolchen Spaß wie die Musik!) Wenn sich daher Personen so verhalten, dass ich das absolut nicht nachvollziehen kann, ist für mich die Musik nur eine halbe "Entschuldigung". Deshalb mag ich auch die "Turandot" nicht, weil ich mich da mit keiner einzigen Figur identifizieren kann und es mir völlig unbegreiflich ist, was die alle antreibt. Unter Liebe verstehe ich nämlich etwas anderes..... (Aber das haben wir ja schon in einem anderen Thread in einer anderen Zeit diskutiert...... ;) )
    Zu Peter: Natürlich ist der Sharpless auch ein Fiesling, wobei ich sagen muss, dass er in der Züricher Produktion dann als einziger erkennt, was sie alle an Cio-Cio-san verbrochen haben und so etwas wie Mitgefühl zeigt. Am Anfang aber sieht er ebenso wie Pinkerton in dem Ganzen nur eine "Riesengaudi", wie wir in Wien so schön sagen :D
    lg Severina :wink:

    "Das Theater ist ein Narrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare!" (Franz Schalk)

  • Lieb Kristin!


    Da musst Du Dir die Aufnahme mit der Callas anhören, sie ist am Anfang das glückliche Mädchen und wird, in den drei Jahren, zur verbitterten, alt gewordenen Frau.

    Liebe Grüße, bekomme das Cover nicht rein, sendet Dir Peter, das Technik -Wunder. :wink: :wink:

  • Liebe Severina,

    es ist mir vollkommen klar, seit ich Deine Vorstellung gelesen habe, warum Du so kritisch bist. Es war mir schlagartig bewußt als ich las, daß Deine "1. Liebe" das Sprechtheater war und Du deshalb die Handlung, ihre Aussage, ihre Figuren und ihre Logik in den Vordergrund stellst, was ich bei der Oper bestimmt nicht tue. Von Logik brauchen wir da gleich gar nicht zu sprechen.
    Deshalb ist es halt immer interessant, ein bißchen mehr über die Leutchen zu wissen, lächel. Ich kann dann besser einordnen (nicht in eine Schublade, wohlbemerkt) und die Beweggründe verstehen, das geht mir ja auch im täglichen Leben und im Umgang mit meinen Freunden und Familie so.
    Auf ein neues Streitthema also, das bestimmt kommen wird

    Liebe Grüße

    Kristin

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Ungeachtet Zaubertons hervorragender Einführung:

    Madama Butterfly gehört zu den Oper die ich überhaupt nciht ertrage und meide wie der Teufel das Weihwasser. Im MET Opernkino dieser Saison habe ich sie z.B. bewusst ausgelassen.

    Nur Manon Lescaut und Suor Angelica können diesen musikalischen wie inhaltlichen Kitsch mit Sojasosse für mich noch toppen.


    Was keinesfalls bedeutet, dass das nicht sehr gut gemachtes Musiker-Handwerk ist und schöne Einzelnummern enthält!


    Wenn Callas z.B. "Un bel di vedremo" singt, schmelze ich unweigerlich dahin und auch der Summchor ist wirklich nett zu hörende Musik.


    Aber diese Ansammlung von Klischees und Effekten bleibt als Ganzes für mich eine Zumutung. :o:


    Die einzige Version die ich bisher bis zum Ende und mit ein wenig Genuss(obschon wirklich nicht erstklassig gesungen!!!) sehen konnte ,war diese Opernverfilmung


    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51QTGVX49XL._SS500_.jpg]


    Hier kann ich dank der serh guten Regie noch halbwegs die Psychologie der Handlung nachvollziehen und rollendeckende Darsteller und Lokalkolorit tun ihr übriges.


    Leider werde ich bei Puccini nie den Eindruck los, dass es ihm nur um Schablonen und Gemeinplätze, die gerade aktuell in Mode waren, ging, um den grösstmöglichen Publikumserfolg zu erzielen.


    Ein Bestreben, die Unterdrückung der Frau anzuprangern, kann ich da beim besten Willen nciht finden! :shake:


    Der Geruch des erfolgsabhängigen Italo-Machos, der von der weiblichen Psyche keinen blassen Schimmer hatte, sondern eher sich selbst exculpieren wollte, indem er mit Pinkerton oder Calaf ein kathartisches Alter ego schuf, ist mir viel zu durchdringend.


    Voilà, das ist mal ein echter Verriss, aber das belbt sicher die Diskussion! 8)

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • ich habe "mdm. butterfly" vor 11 jahren an der MET gesehen und fand sie auch nur furchtbar kitschig.

    nebenbei haben wir auch sehr gefroren.in diesem haus wird der saal dermassen runtergekühlt,dass ich verstehen kann,dass in NY fast keiner seinen mantel an der garderobe abgibt. :D

    ich würde mich freuen,wenn es in unserer gegend mal eine kritischere aufführung gäbe.

    vielleicht kennt ja jemand eine gute aufführung in NRW.

    die in der wiener VOP soll ja recht gut sein.leider war ich nie zur "richtigen" zeit (was das betrifft) in wien.

    sonst ist immer die "richtige zeit" für wien. ;)

    lg yago

  • Liebe Fairy,
    ich kann deinen Temperamentsausbruch gut nachvollziehen, bis zu jener Züricher Produktion dachte ich exakt genauso. Und um diesen positiven Eindruck nicht zu verwischen, mache ich seither einen Bogen um jede "Butterfly" :D
    lg Severina :wink:

    "Das Theater ist ein Narrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare!" (Franz Schalk)

  • Mehr wie zwei Münchner Butterfly-Aufführungen habe ich mir auch nicht angetan, denn verstaubter geht es von der Inszenierung/Bühnenbild her wirklich nicht, obwohl das ja gerade der Pluspunkt sein soll. Tut mir leid, aber ich ertrage Musik und Handlung ebenfalls nicht. Zum Glück habe ich meist einen sehr stichhaltigen Ablehnungsgrund, denn Sharpless wurde und wird fast immer von einem Herrn verkörpert, auf den ich stark allergisch reagiere und das wird dann anstandslos akzeptiert. Hoffe also, er bleibt der BSO in dieser Rolle noch lange erhalten, sonst muss ich mir eine andere Ausrede einfallen lassen. Dass ich mit dieser Oper nicht klar komme, zählt nicht.


    Liebe Grüße

    Ingrid, die jetzt die Balkontür schließen muss, da wunderbare Grilldüfte reinschweben.... leider nicht von uns

  • Liebe Fairy! :fee:

    Der Butterfly Film den Du vorstellst gefällt mir gut, da ist sogar der Sharpless, einigermaßen, sympathisch,

    aber ich kenne eine Aufnahme, wo Toti dal Monte die kleine Frau Schmetterling singt, wurde 1939 aufgenommen und der Pinkerton ist Benjamino Gigli,

    hier glaubt man Toti dal Monte das junge Mädchen, sie zwitschert am Anfang, wirkt aber zum Schluss doch recht verbittert, und Benjamino Gigli ist der leichtsinnige Pinkerton, der in der jungen Geisha das Vergnügen sieht, aber keine Folgen erkennt, die nachfolgen können.


    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien, mit Handküssen natürlich. :wink: :wink:

  • Ich hatte das Glück, die Butterfly auf der Bühne erstmals in einer sehr entkitschten Inszenierung zu erleben. Das war am Staatstheater Mainz und dürfte nun gut 10 Jahre her sein. Alles war wirklich auf das Notwendigste reduziert: die Bühne war ein schwarzer Raum, in dessen Mitte ein etwa 20cm hohes weißes, quadratisches Podest das japanische Haus markierte, in welches Pinkerton rücksichstlos mit seinen dreckigen Schuhen reinlatschte und Cio-Cio-San als Geschenk eine Miniatur-Freiheitsstatue überreichte. Das Augenmerk lag sehr stark auf dem kulturellen und sozialen Unterschied der Personen und nicht auf der Zeichnung eines Lokalkolorits. Sharpless war ständig bemüht, Pinkerton nicht permanent ins Fettnäpfchen treten zu lassen. Im zweiten Akt sah man dann eine Butterfly, die sich bemühte, eine westliche Haltung anzunehmen - das war mit wenigen Mitteln großartig dargestellt; z.B. wie ungewohnt es für sie war, auf einem Stuhl zu sitzen oder in Stöckelschuhen zu gehen - allein durch dieses Bild wurde aber auch wiederum die Entfremdung zwischen ihr und Suzuki, ihren Verwandten und letzlich auch ihrer eigenen Kultur deutlich gemacht; auch Butterfly selbst sah sich ihren Landsleuten gegenüber nun im Status aufgewertet. Den ganzen Akt über war im Hintergrund eine Butterfly II (eine Art "innere" Cio-Cio-San) zu sehen, die stoisch und unerschütterlich und ohne Unterbrechung auf die Wände immer wieder den selben Satz schrieb: HE WILL COME. Je mehr sich ihre Haltung verhärtete, desto kleiner wurde ihr Lebensraum, nämlich das weiße Podest (in ihrer idée fixe wirkte sie fast wie eine Art "japanische Elektra"), welches niemand mehr betreten durfte, welches sie aber auch unfähig war zu verlassen. So gab es am Ende auch keine ritualisierte Selbsttötung, sondern Butterfly war quasi zur emotionstoten Salzsäule geworden, aus deren Starre sie nun nicht mal mehr Pinkertons "Butterfly"-Rufe erlösen konnten...

  • Lieber Clemens!

    Das habe ich erst setzen lassen müssen, wenn schon entstaubt, warum dann falsch, die Salzsäule hat mir aber gar nicht gefallen, ist das denn Frau Lot aus der Genesis 19,26f.

    Ich habe bestimmt nichts gegen moderne Inszenierungen, aber was gegen falsche, so viel habe ich schon dazu gelernt.

    Da kann man ja wirklich nur mehr die Ausstattung des Theaters bewundern, keinesfalls das Bühnenbild.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter, ein Staubi aus Wien. :wink: :wink:

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