WAGNER: "Der fliegende Holländer" - Bayerische Staatsoper München, 05.12.2009
Hallo zusammen,
Peter Konwitschny's "Holländer" in München ist mit Sicherheit schon ein paar Tage von seiner ursprünglichen Premiere entfernt - wenn ich mich recht entsinne, dann dürfte es aktuell die dritte oder vierte Spielzeit sein, in der diese Inszenierung nun läuft. Ich hatte allerdings erst vergangenes Wochenende die Möglichkeit, mir die Produktion live vor Ort anzuschauen, weshalb ich nun an dieser Stelle ein paar Worte dazu schreiben möchte. Und ein bisschen Premierenwind wehte dann doch in München, nachdem unter der Woche Nina Stemme in eben diesem "Holländer" ihr Debüt an der BSO gegeben hatte.
HINWEIS: Für alle, die die Inszenierung noch nicht gesehen haben (bzw. nichts darüber gelesen haben), sie aber noch sehen wollen: Meine Besprechung vielleicht erst danach lesen, sonst bringt ihr Euch um eine Überraschung ...
Während ich mittlerweile eine recht große Anzahl an Holländer-CD-Einspielungen kenne, beschränken sich meine Inszenierungs-Erfahrungen im Bezug auf Wagners geniales Frühwerk auf die Bayreuther Kupfer-Version, die auf DVD erhältlich ist. Diese Produktion setzte die Messlatte allerdings schon einmal sehr hoch, halte ich sie doch für ein außerordentlich gelungenes Beispiel einer Regiearbeit, die eine spannende Deutung zu präsentieren weiß, die aber gleichzeitig noch so strukturiert ist, dass man die ursprünglichen Grundzüge des Werkes recht deutlich erkennen kann. Da zudem gut bis hervorragend gesungen und musiziert wird, halte ich diese DVD für eine sehr lohnende Anschaffung.
Zu meiner Freude konnte ich am Wochenende in München feststellen, dass sich Konwitschny absolut mit dieser von mir sehr geschätzten Kupfer-Inszenierung messen kann. Es liegt wohl nicht daran, dass beide Inszenierungen Senta stärker in den Mittelpunkt rücken, als man es vielleicht aus dem Libretto lesen mag. Konwitschny ist dabei jedoch weitaus weniger extrem als Kupfer. Was beide Deutungen jedoch noch verbindet und was für mich DER entscheidende Punkt ist, warum mir beide Lesarten so gut gefallen haben: Sie verknüpfen zwei Welten miteinander, stellen sie gegenüber, zeigen Risse und Vermischungen im Gewebe und arbeiten damit verständlich, präzise und sinnstiftend eine Perspektive auf den Text heraus. Solche Inszenierungen, die das Alte mit dem Neuen verbinden, das Stück aus der Vergangenheit heraus in die Gegenwart transportieren/transformieren und ein Spannungsfeld zwischen den beiden Ebenen aufbauen, finde ich oftmals um ein vielfaches intelligenter und spannender als pure Tradition oder komplette Modernisierung/Umdeutung. Und ich finde gerade der "Holländer" bietet sich an dieser Stelle sehr gut an.
Das Bühnenbild lässt sich grob in eine recht klassische/romantische Welt (1. und 3. Akt) und eine moderne Welt (2. Akt) einteilen. So gibt es im 1. Akt zwar kein ganzes Schiff zu sehen, dafür aber zwei Landebrücken, die heruntergelassen werden, die von Dalands Schiff von rechts, die des Holländers von links. Durch stete leichte Auf- und Abbewegung der Landebrücken wird Wellengang suggeriert. Im Hintergrund gibt es einen mit Wolken behangenen (projezierten) düsteren Horizont samt Meereswogen in Caspar-David-Friedrich-Manier und der stimmungsvolle Lichteinsatz und die Kostüme tun ihr übriges, um hier ein relativ librettogetreues Bild zu zeichen. Daran ändert auch zunächst der Steuermann nichts, der schlaftrunken einen etwas schlüpfrigen, aber durchaus nicht unpassenden Gag liefert, in dem er das Mädel und den Südwind in einer Strophe vertauscht ... Auch der leibhaftige Auftritt des "gepriesenen Engel Gottes" (eine junge Frau in weißem Gewand) bereitet einen nicht wirklich auf den ästhetischen Schock vor, der dann im 2. Akt folgt. Statt einer Spinnstube befindet man sich hier auf einmal in einem Fitness- / Wellness-Salon, in dem Frauen in Sportkleidung sich auf Hometrainern abstrampeln, summ und brumm du gutes Rädchen ... später schaut dann Erik in Adiletten und Morgenmantel vorbei. Nicht ganz Veronas Welt, aber immerhin Sentas. Und in diese Welt bricht "wie aus der Ferne längst vergangner Zeiten" das Archaische ein, zuerst wenn Senta ihre Ballade singt und der "Engel" aus dem 1. Akt, welcher von rechts auftretend den Vorhang für einen Moment ins Bild zieht und ein wilder Wind durch die Fenster des Fitness-Studios pfeift, dann folgen der Holländer und Daland, die mit ihren traditionellen Kostümen aus dem 1. Akt im Wellness-Salon auftauchen, der Holländer sogar mit einem alten Koffer. Senta bekommt vom Holländer ein weißes weites Kleid, das sie über ihre Sportklamotten zieht und die Auswirkungen dieses Eindringens des Archaischen in Sentas moderne Welt sind dann im 3. Akt zu sehen, welcher in einer Art Schiffswerft-Halle oder Lager-Halle spielt, die Kostüme sind zeitlich wieder weiter zurückgesetzt, Erik tritt z.B. statt mit Adiletten und Morgenmantel in einer alten Jägerkluft auf. An den Tischen in der Halle brennen Kerzen während vor dem großen Hallen-Tor im Hintergrund eine einzelne elektrische Straßenlaterne zu sehen ist. Auch auf diese Weise ist das Alte und das Neue präsent. Doch kann Senta ihrer Welt wirklich ganz entfliehen? Oder ist eine Symbiose möglich? Konwitschny gibt eine sehr pessimistische Antwort. Während Senta bei Kupfer durch einen Sprung aus dem Fenster den Freitod für sich wählt, die Gesellschaft um sie herum aber weiter besteht, geht Konwitschny noch einen Schritt weiter und macht aus ihr eine Selbstmörderin, die ihre ganze Umgebung mit in den Untergang reisst: In einem absolut denkwürdigen Finale kippt Senta eine in der Halle stehende Tonne mit Chemikalien um, entzündet diese mit einer Kerze und sprengt damit alles in die Luft, zuerst ein greller Blitz, dann ein lautes Donnertösen und absolute Finsternis auf der Bühne und im Saal. Die letzten Takte der Partitur werden nicht mehr vom Orchester gespielt - sondern kommen vom Band. Die Bühnenwelt ist auch in den Orchestergraben eingebrochen und hat alles hinweggefegt.
Soweit also meine ersten Eindrücke zur Inszenierung, für eine wirklich ausführliche Besprechung müsste ich mir das Stück noch einmal anschauen, was ich auch sehr sehr gerne machen würde. Aber na ja, BSO ist halt recht teuer ...
Nun aber noch zum sängerischen und musikalischen Teil der Aufführung:
Glanzlichter des Abends waren für mich Matti Salminen als am Stock gehender Daland und Nina Stemme als Senta. Stemme hatte zwar ein paar kleine Wackler bei Spitzentönen in der Höhe, warf sich aber mit Bravour in diese Rolle und wusste sowohl gesangstechnisch als auch schauspielerisch voll zu überzeugen, ein gelungenes Rollendebüt an der BSO. Matti Salminen ist ja schon ein alter Fuchs in der Rolle des Daland, auf mich wirkte seine Darstellung jedoch in keiner Weise abgeklärt, im Gegenteil, stimmlich absolut souverän überzeugte er auch durch Spielfreude und Spielwitz, es machte jede Menge Spaß ihm zuzuschauen.
Stemme und Salminen kamen auch mühelos über die Orchesterwogen hinweg, was man leider von zwei anderen Akteuren nicht behaupten konnte. Juha Uusitalo war zwar kein schlechter Holländer, aber leider ging er bei lauteren Orchesterpassagen des öfteren unter und war weit von der raumfüllenden Stimme seines Finnischen Kollegen Salminen entfernt, schade. Insgesamt ganz ordentlich, aber nicht mehr, gerade im Vergleich mit Salminen und Stemme.
Tiefpunkt des Abends aber war mit Sicherheit Endrik Wottrichs Erik. Ich hatte Wottrich im August in Bayreuth in der Walküre als Siegmund gesehen und war aufgrund sehr niedriger Erwartungen dann sogar positiv von ihm überrascht gewesen. Beim "Holländer" war es nun leider nicht mehr so, bzw. wurde es ins Gegenteil verkehrt. Eine einzige Enttäuschung. Die Stimme war eng, dünn und wurde ständig unter Druck geführt, zumindest kam es mir so vor. Und sobald es aus dem Orchestergraben oder von Seiten der anderen Sänger einmal etwas lauter wurde war Wottrich weg vom Fenster, man hörte da nur noch unterschwellig ein unangenehmes tenorales Krächzen irgendwo in weiter Ferne ... Dass die BSO keinen besseren Erik finden konnte, mag ich nicht so recht glauben ...
Heike Grötzinger als Mary und Kevin Conners als Steuermann erledigten ihre Aufgaben gut, Cornelius Meisters Dirigat gefiel mir ebensfalls, es hätte aber durchaus weniger schön und etwas ruppiger sein dürfen, das steht dem "Holländer" meiner Meinung nach gut zu Gesicht. Das Bayerische Staatsorchester spielte tadellos, der Chor war stimmkräftig und engagiert, geriet jedoch bei der schwierigen Passage am Ende des 2. Aktes für ein paar Augenblicke mal aus dem Tritt, was aber zu verschmerzen war.
Mein Fazit: Inszenierung hervorragend, ein wahrer Knaller sozusagen, sängerisch und musikalisch mit Licht und Schatten. Insgesamt auf jeden Fall sehenswert, hoffentlich irgendwann einmal auf DVD oder Blu-Ray verfügbar!
Euer DiO :beatnik: