Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? - Die Kritik am Regietheater

  • Michael Gielen war ja nie der bedingungslose Verfechter radikaler Musiktheaterregie, als den man ihn aufgrund seiner Frankfurter Zeit immer hat sehen wollen. Das konnte man schon seiner vor ein paar Jahren erschienenen Autobiographie entnehmen. Hier kritisiert Gielen sogar die von ihm selbst dirigierte Pelléas-Inszenierung von Ruth Berghaus an der Berliner Staatsoper. Inzwischen verkörpert für ihn anscheinend Calixto Bieito all das, was er in diesem Bereich ablehnt. Die Begründung des Unterschieds zwischen den Regieheroen seiner Frankfurter Zeit und z.B. Bieito scheint mir nicht überzeugend, ist aber immerhin bemerkenswert. Ausschnitte aus zwei Interviews der letzten Zeit (Gielen erhält in dieser Woche den Siemens-Musikpreis):

    Basler Zeitung vom 29.4.:

    Gielen: Ich verabscheue den Begriff Regietheater. Es muss doch Musiktheater heissen, mit guten Regisseuren und klugen Dramaturgen. Die Regie kann nicht vorne stehen, das Werk muss vorne stehen! Sonst kommt das heraus, was Regisseure wie Calixto Bieito machen; die erfinden ein eigenes Stück, stülpen es über ein Werk und inszenieren das. Sie nehmen sich wichtiger als die Autoren.

    Interviewer: Auch Ruth Berghaus, mit der Sie in Frankfurt intensiv zusammengearbeitet haben, galt als Vertreterin des Regietheaters.

    Gielen: Aber ihre Idee war es, die Inhalte des Stücks zu entdecken und das, was eine schlechte Tradition verschüttet hat, wieder sichtbar zu machen! Sie hat nie etwas draufgepflanzt, was nicht drin war. Ich habe sie sehr bewundert, ihre Kompromisslosigkeit, die Originalität ihrer Konzepte.


    Tagesspiegel von morgen, 4.5.:

    Gielen: Es ging um die Inhalte, darum, mit den repräsentativen Schlampereien des Theaters zu brechen. Ich habe aufgehört, Oper zu dirigieren, weil ich genau das bei vielen jungen Regisseuren vermisse. Die erfinden sich eigene Stücke, die sie den Originalen aufpfropfen. Das Regietheater macht die ganze Opernpraxis kaputt, ich sage nur: Calixto Bieito. Furchtbar!

    Interviewerin: Was unterscheidet einen Bieito denn von einem Neuenfels?

    Gielen: Neuenfels, die Berghaus, der junge Peter Mussbach – das war Musiktheater, das war die Wahrheit! Selbst ein so fantasievoller und hochbegabter Regisseur wie Stefan Herheim hingegen ist in „La Forza del destino“ an der Lindenoper nicht davon abzubringen gewesen, dass das Volk die Hauptrolle spielt! Bei Verdi ist das durch nichts gedeckt, im Gegenteil, das Volk hat mit Abstand die schwächste Musik. Das war meine letzte Arbeit für die Oper.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Lieber Zwielicht, der Satz "das war die Wahrheit" stösst mir etwas seltsam auf. Was ist denn "die Wahrheit"? Ja , ich weiss, Pilatus hat das auch schon gefragt....... Ansonsten kann ich die Kritik Gielens natürlich nciht ganz von der Hand weisen, wobei ich allerdings nciht weiss, warum er sich gerade so auf Bieito einschiesst. Manchen Opern kann es nur gut tun, wenn ein Regisseur sie in ein anderes, vorteilhafteres, Licht stellt... ich sage nur : Parsifal in Stuttgart. :D

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • der Satz "das war die Wahrheit" stösst mir etwas seltsam auf. Was ist denn "die Wahrheit"?

    Liebe Fairy, Gielen ist halt noch unangekränkelt von allen relativistischen, postmodernen, dekonstruktivistischen etc. Denkansätzen. Er vertritt die Meinung, das zumindest in den großen Kunstwerken "Wahrheit" liegt, die häufig von der Rezeptionsgeschichte verschüttet wird und dann wieder freiglegt werden muss - in der Oper nicht nur von Regisseuren, sondern auch von Dirigenten, die die "richtigen" Tempi nehmen usw. Da steht (nicht nur) Adorno im Hintergrund.

    Ansonsten kann ich die Kritik Gielens natürlich nciht ganz von der Hand weisen, wobei ich allerdings nciht weiss, warum er sich gerade so auf Bieito einschiesst.

    Ich würde die Kritik in dieser Pauschalität schon von der Hand weisen :D. In der Tat merkwürdig, dass sich Gielen gerade auf Bieito einschießt. Der steht doch eigentlch für einen aufklärerischen, durchaus linken Impetus, der Gielen sympathisch sein müsste. Gielen scheint eine gewisse Verselbständigung der Regie gegenüber der Musik zu stören (die ich in Grenzen durchaus akzeptabel finde). Er deutet sie als unberechtigte Dominanz. Ich frage mich allerdings, ob das gerade bei Neuenfels früher immer anders war...


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Anfänge

    Gielen scheint eine gewisse Verselbständigung der Regie gegenüber der Musik zu stören (die ich in Grenzen durchaus akzeptabel finde). Er deutet sie als unberechtigte Dominanz. Ich frage mich allerdings, ob das gerade bei Neuenfels früher immer anders war.

    Das ist der eigentliche Witz an der Geschichte. Die Radikalität des frühen Neuenfels steht derjenigen von Bieito in nichts nach, betrachtet man die Produktionen bezogen auf die Zeit, in der sie entstanden sind. "Trovatore" in Nürnberg oder "Aida" in Frankfurt waren echter Aufreger.

    Tatsache ist allerdings, dass Gielen, der nicht so richtig viel Oper gemacht hatte, bevor er Chef in Frankfurt wurde, erst von den szenischen Lösungen, die Frankfurt international berühmt machen sollten, überzeugt werden musste - aber (und das ist ihm hoch anzurechnen) sich auch überzeugen liess. Und: die mutigen Frankfurter Jahre (was gab es da alles für Anfeindungen) haben letztendlich den Weg mit geebnet, auf dem z. B. Bieito sich heute bewegt.

    Der Kunst ihre Freiheit

  • Ich erinnere gerne an die vom Priester gesegneten Panzer ,die in der Macht des Schicksals über die Bühne der DOB fuhren. Es gab sehr viel Geschrei und erhobene Fäuste. Hach ja :sleeping: , dahin dahin......
    calisto

  • Schicksalsschläge

    Ich erinnere gerne an die vom Priester gesegneten Panzer ,die in der Macht des Schicksals über die Bühne der DOB fuhren. Es gab sehr viel Geschrei und erhobene Fäuste.

    Das war aber die Neuenfels-Inszenierung an der Bismarckstrasse, wenn ich nicht irre. Gielen hat mit Herheim an der Lindenoper erst vor einigen Jahren die "Forza" gemacht. Dem Vernehmen nach wurde auch Gielen schon während der Vorstellung von einzelnen Zuschauern verbal angegegangen.

    Der Kunst ihre Freiheit

  • Ja, es war an der Deutschen Oper vor ca. 30 Jahren. Ich müßte jetzt in den alten Programmen blättern. Die Inszenierung gibt es immer noch, leider kommt mir das Publikum so abgeklärt vor. Ich meine damit, damals (damals war's) gab es bei und nach der Aufführung nicht nur Zank und Streit, sondern eben auch heftige Diskussionen mit wildfremden Menschen. Jetzt habe ich häufig das Gefühl, daß der Regisseur niedergebrüllt wird und anschließend gehen alle schnell nach Hause.

    An die Herheim-Inszenierung an der Lindenoper kann ich mich merkwürdigerweise nur noch schwach erinnern. Bei meinem Besuch der Oper saß das Publikum friedlich auf den Stühlen.
    calisto

  • Regietheater

    Anna Gramms Ansichten
    Shorty von Tilla Lingenberg (gepostet mit freundlicher Genehmigung der Autorin)

    Neulich im Regietheater ...

    Der Faust-Darsteller aus Eritrea hegte Paarungswünsche und Mephisto riet ihm: Heirate Grete, dann bist Du ein Geheirateter und vielleicht werden dann Deine Tage heiterer. Doch Faust meinte er trinke eher artig Tee denn er vermutete, er würde als Ehegatte irre. Er meinte, dass er am Tag eher reite und bevor er Gretchen in ihre Arie trete, geh´ er lieber.

    Soweit, so bekannt, aber dann reihte traege sich Faust in ein Heer taetiger Statisten ein und mit ihnen gemeinsam reiht er Etage für Etage, tat rege Reihe auf Reihe und stapelte heiter Geraet auf Gerät zu einer Monitor-Mauer, was sicher AEG erheitert hat, aber ansonsten keiner verstand.

    Mephisto aergertet hie und da solange das Publikum und riet ironisch allen: Heiratet rege. Wie dieser Schauspieler agierte, ehrte die gesamte Theaterriege.

    Aber insgesamt war der Etat hier rege verschwendet. Er hatte Geier genährt, wenn man an die Gagen denkt. Manch Arterie hegte anzuschwellen vor Wut. Mit aller Haerte geriet die Aufführung deshalb in die Kritik und manch einer reierte Tage nach der Vorstellung noch bei der Erinnerung an diese.

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

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