Musikerromane und andere Belletristik zum Thema Musik

  • Ein thread über belletristische Bücher, in denen Komponisten, Musiker oder gar die Musik selber eine prominente Rolle spielen.
    Es geht also nicht um Musik-Fachbücher sondern um Romane, Erzählungen und andere Gattungen, in denen eine bestimmt Art von Lesevergnügen im Vordergrund steht.

    Entsprechend dieser Annahme müsste der Titel meines Erachtens angepasst werden, z.B.: "Klassische Musik in schöner Literatur"

  • Entsprechend dieser Annahme müsste der Titel meines Erachtens angepasst werden, z.B.: "Klassische Musik in schöner Literatur"


    Das sehe ich nicht so. Für das, was ich im Posting, mit dem ich dieses Diskussionsangebot hier eröffnet habe, vorgestellt habe, finde ich den Titel, den ich ihm gegeben habe, nach wie vor (es ist ja nun schon fast fünf Jahre her) sehr gut geeignet. Es soll hier um "Musikerromane" gehen, um Romane, in deren Zentrum die Figur eines Komponisten oder Interpreten aus der Musikgeschichte steht (nicht pauschal um alle Belletristik, in der Musik vorkommt).
    Lies einfach nochmal die ersten Einträge in diesem Thread, dann wird sich dir das sicher leicht erschließen - und vielleicht kann dann auch dieses ellenlage Begriffsmonstrum da aus dem Titel wieder verschwinden.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Kein Problem, aber dannn müssen meine Postings in einen neuen Thread verschoben werden, den ich gerne einrichte.


    Ich fände das übersichtlich und vernünftig - gibt es vielleicht noch andere Meinungen dazu?

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde


  • Ich fände das übersichtlich und vernünftig - gibt es vielleicht noch andere Meinungen dazu?


    Ich fände das auch besser.
    :wink:

    LudwigvanGod hat mittlerweile einen eigenen Thread Klassische Musik in der schönen Literatur eingerichtet und seine Buchvorstellungen selbst dorthin kopiert. Daher wurden sie hier entfernt. Die sich direkt darauf beziehenden zwei Postings von Kater Murr wurden hiermit auch dorthin verschoben. Zur Information, mit herzlichem Gruß, AlexanderK, aus der Moderation

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Hi,

    ein SF-Roman mit einem Komponisten und Musiker als Mittelpunkt wäre dieser: Kim Stanley Robinson - The memory of whiteness, deutsch: Sphärenklänge
     

    und ein sehr empfehlenswerter Fantasy-Roman mit Musik als Hauptthema wäre: Patricia McKillip - Song for the basilisk, deutsch: Das Lied des Basilisken
     

    Helli

  • Peter Härtling: Liebste Fenchel!

    Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi

    Ein sehr schönes Buch, das ich nur empfehlen kann! Mir gefällt die schlichte, einfühlsame Sprache Härtlings. Man taucht ein in die private Lebenswelt der Mendelsohns, begleitet sie auf ihren Reisen durch Europa, nimmt anteil am Familienleben und an den Zahlreichen Begegnungen mit Zeitgenossen. Der Fokus liegt natürlich auf Fanny und ihrer engen Beziehung zum Bruder. Mein Eindruck ist, dass sich Härtling dabei eng an das hält, was aus Briefen und Tagebüchern überliefert ist. Hier und dort wechselt der Autor in die Ich-Perspektive und lässt den Leser teilhaben an seiner grossen Empathie, die er ganz offenbar durch die intensive Lektüre der Quellen zu den Mendelsohns entwickelt hat. In meinen Augen ein grosser Wurf.

  • Peter Härtlings Verdi-Roman finde ich leider weit weniger lesenswert als das Fanny-Mendelssohn-Buch.
    Der Erzählstil ist recht repetitiv. Endlos wird berichtet, wie Verdi (mit oder ohne seine Frau) den Aufenthaltsort wechselt: Hotel in Mailand, Hotel in Genua, sein Landgut und wieder Mailand. Und die anderen (Boito, sein Verleger Ricardo, die Stolz, etc.) sind auch schon da oder auch nicht, sodass der Autor und der Lektor offenbar selbst hier und da den Überblick zu verlieren scheinen. Trotz der vielen Begegnungen bleibt der Roman bleibt seltsam oberflächlich. Themen wie z.B. Verdis schwierige Verhältnis zum einiges jüngeren Boito oder seine Rivalität mit Wagner werden nur gestreift.
    Ich habe den schmalen Band zu zwei Dritteln gelesen und bin unschlüssig, ob ich weiterlesen werde. Zuviel Langeweile.
    Schade.

    Hudebux

  • Härtlings Roman über Verdi habe ich gleich nach Erscheinen gelesen. Und schon einiges vergessen, so detailliert wie Du schreibst erinnere ich mich nicht. Das Buch handelt von Verdis letzten Jahren. Mein Eindruck war, daß Härtling mehr über sich schreibt als über Verdi, die Befindlichkeiten des Alterns. Ist Härtling jetzt, wo er das Buch schreibt nicht ähnlich alt wie Verdi zu der Zeit, über die Härtling schreibt?

    So ca. ab der Hälfte schafft es Härtling aber, etwas mehr Abstand zu gewinnen und das Buch mehr Verdi zu widmen. Insgesamt fand ich es unter den Aspekten doch sehr interessant.

    Lesenswert sind auch seine Bücher über Robert Schumann und Franz Schubert.

  • Lesenswert sind auch seine Bücher über Robert Schumann und Franz Schubert.

    Ich finde vor allem "Schumanns Schatten" hervorragend. Härtling wechselt dabei kapitelweise zwischen den chronologisch erzählten Lebensstationen und der allerletzten Zeit in Endenich. Durch diesen Kunstgriff entsteht einerseits jeweils ein extremer Kontrast, wobei beide Handlungsstränge wie in einem Strudel auf das Ende zulaufen. Das fand ich sehr beeindruckend, weil es an die Konstruktion mancher Schumannscher Werke (vor allem Spätwerke) erinnert. Man bekommt beim Lesen eine starke Ahnung von dieser ganz besonderen Schumannschen Nervosität und permanenten Ungeduld, die seine Musik wie keine andere hat.

    Christian

  • Zum Thema Ungeduld bei Schumann

    Lang ist`s her: ich weiß nur noch: Schumann - Gesprächskonzert - Pianist - Kölner Philharmonie

    Der Pianist zitierte aus einer Partitur von Schumann: `Hier steht "so schnell es geht" und dann "noch schneller"`.

  • Der Pianist zitierte aus einer Partitur von Schumann: `Hier steht "so schnell es geht" und dann "noch schneller"`.

    Das ist aus der g-moll-Sonate op. 22, erster Satz: "So rasch wie möglich", dann "schneller" und schließlich "noch schneller". Ich meinte die Ungeduld aber gar nicht nur bei solchen extremen Tempi sondern auch eher strukturell, wenn z.B. im Schlusssatz der ersten Violinsonate die Themen oft nur angerissen werden und kein Gedanke Zeit zur Entfaltung findet. Man hat da stellenweise fast den Eindruck, als hätte Schumann zwei Stücke gleichzeitig komponiert und springe von einem zum anderen. Oder die immer weiter vorwärts drängenden Punktierungen im zweiten Satz der C-Dur-Fantasie, zusammen mit der instabilen Harmonik, am Ende dann in den berühmten Sprüngen kulminierend. Oder die immer stärker wirkenden synkopischen Verschiebungen gegen Ende der Toccata, wo man irgendwann gar nicht mehr zwischen Haupt- und Nebenzählzeiten unterscheiden kann, weil sich scheinbar alles überschlägt. Oder die latent immer spürbare Bewegungsenergie selbst in den ruhigen Teilen der Humoreske, die dann am Ende fast etwas gewaltsam noch einmal durchbricht. Und so weiter...

    Christian

  • Härtlings Roman über Verdi habe ich gleich nach Erscheinen gelesen. Und schon einiges vergessen, so detailliert wie Du schreibst erinnere ich mich nicht. Das Buch handelt von Verdis letzten Jahren. Mein Eindruck war, daß Härtling mehr über sich schreibt als über Verdi, die Befindlichkeiten des Alterns. Ist Härtling jetzt, wo er das Buch schreibt nicht ähnlich alt wie Verdi zu der Zeit, über die Härtling schreibt?

    So ca. ab der Hälfte schafft es Härtling aber, etwas mehr Abstand zu gewinnen und das Buch mehr Verdi zu widmen. Insgesamt fand ich es unter den Aspekten doch sehr interessant.

    Lesenswert sind auch seine Bücher über Robert Schumann und Franz Schubert.

    Was Du schreibst, ist alles richtig. Meine Kritik war sicherlich auch etwas einseitig.
    Die Schumann- und Schubert-Romane werde ich mir sicherlich auch noch zulegen, denn unterm Strich gefällt mir Härtlings Stil gut.

    Hudebux

  • Härtlings Schubert-"Roman" habe ich als total überflüssig empfunden. Eigentlich frage ich mich, ob der Name Roman dafür taugt. Ich hatte eher den Eindruck einer Zweitverwertung der von O.E. Deutsch gesammelten Dokumente.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Härtlings Schubert-"Roman" habe ich als total überflüssig empfunden. Eigentlich frage ich mich, ob der Name Roman dafür taugt. Ich hatte eher den Eindruck einer Zweitverwertung der von O.E. Deutsch gesammelten Dokumente.

    Meinst Du damit Deutschs Werkverzeichnis oder noch andere Dokumente? Inwiefern ist die "Zweitverwertung" kein Roman?
    Hudebux

  • O.E. Deutsch hat nicht nur das Verzeichnis erstellt. Er hat alle möglichen Dokumente über Schubert akribisch gesammelt und in zwei Bücher publiziert: "Schubert - die Dokumente seines Lebens" und "Schubert - die Erinnerungen seiner Freunde". Die Namen sprechen für sich. Diese Bücher sind nach wie vor die Fundamente jeder Schubert-Biographie. Erst in neuer Zeit hat man das Forschungsgebiet erweitert, einige von Deutsch gezogenen Schlüsse in Frage gestellt und die "Erinnerungen" kritisch hinterfragt.
    Bei Härtling finde ich kaum Romanhaftes, keine besondere Handschrift, kein Schaffen von handelnden Personen, nur das, was sich in Deutschs Sammlungen befindet.

    In der Zeit "vor Deutsch" sind alle möglichen Schubert-Romane gedichtet worden, deren literarischer Wert eher zweifelhaft und musikwissenschaftlicher Wert gleich Null ist.
    Schuberts Biographie ist einerseits gut dokumentiert, da Deutsch alles mögliche einfach zugänglich gemacht hat, andererseits ist diese Dokumentation sehr lückenhaft. Über Schubert selber weiß man wenig, die neuere Forschung hat Licht über Schuberts Umfeld gebracht aber wenig über die Person Schubert selber und es bleibt eine ganze Menge undokumentierter Zeitabschnitte und Zusammenhänge. Dazu ist der Wert der "Erinnerungen" extrem schwankend und viele "Erinnerungen" erweisen sich als bloße Abbildungen eines Schubert-Bilds, das im Laufe des 19ten Jahrhunderts entstanden ist und teilweise wenig mit der Realität zu tun hat (der nur von einer kleinen Gruppe Freunde anerkannte Künstler z.B.), was man sogar anhand der "Dokumente" belegen kann. Aber sie haben die besseren Stories.

    Härtling hat meines Erachtens es nicht geschafft, Romanfiguren und -Handlungen zu erstellen, sondern hat eine Auswahl der Dokumente und vor allem der Erinnerungen zusammenkompiliert. Als ich sein Buch gelesen habe, habe ich nichts gefunden, was ich früher nicht kannte. Wohl wissend, daß ich einen Roman in der Hand hatte, war ich darauf gefaßt, Erfundenes oder Nicht belegtes zu finden, irgendwie eine Konstruktion zu finden, die einen anderen Eindruck gegeben hätte als die Fragmente, die aus Deutschs Sammlungen hervorkommen. Aber ich habe nichts desgleichen gefunden und auch keine besondere Handschrift, die einen Härtlingsschen Stempel hätte erkennen lassen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Härtlings Schubert-Roman: Meinungsänderung

    Wie das Sprichwort sagt: "Nur die Dummen ändern ihre Meinung nie".

    Ich habe Härtlings Schubert-Buch kurz nach seinem Erscheinen gelesen. Es hat mir damals nicht gefallen (ich habe es nichtsdestoweniger ganz gelesen), ich habe es abgelegt. Punkt.

    Wegen dieses Threads habe ich es wieder aus dem Regal geholt und nochmals angefangen.
    Resultat: mein Urteil ist milder geworden.

    Ich werde wohl noch einmal darüber schreiben, wenn ich es durch habe, aber bislang (die ersten 126 Seiten - die Kindheit Schuberts inkl. seiner ersten Jahre als Lehrergehilfe) finde ich eine Narration, die bemüht ist, ein Bild von Schubert entstehen zu lassen. Das Kind Schubert hat eine Persönlichkeit. Selbstverständlich kann man nicht sagen, es sei der "wahre Schubert" gewesen (die Informationslage ist zu dürftig s.o.), aber dies ist nicht der Punkt, da es ein Roman ist.

    Mein Einwand von damals, Härtling hätte sich zu stark an Deutschs Veröffentlichungen angelehnt, kam wohl daher, daß meine erste biographische Begegnung mit Schubert das Buch von Brigitte Massin war, die eine akribische und fundierte Biographie geschrieben hat (mit Quellangaben). Im Vergleich sieht Härtlings Roman wie eine narrative abgespeckte Version davon. Ich hatte damals keine Ahnung von den anderen pseudo-Biographien und Groschenromanen über Schubert. Da muß man Härtling dafür loben, daß er tatsächlich zu den Quellen zurückgekommen ist und aus sicheren Quellen sein Bild hat entstehen lassen, statt den tradierten Unsinn weiter zu kolportieren. Der Autor erscheint auch in der Ich-Person, wenn Züge des Bildes stärker von seiner Subjektivität abhangen.

    Löblich ist auch die Tatsache, daß Härtling seine Personen nicht "wienerisch" sprechen läßt. Michael Stegemanns Buch zeigt, wie peinlich es werden kann, wenn ein Außenseiter sich dran versucht. Das "Franzl" kommt ab und zu, Schubert spricht vom "Vatter" und das Lied "Kommt ein Vogerl geflogen" wird mehrmals zitiert. Das wär's bislang (beim Lied hat's mich ein bißchen irritiert, es hätte "Kommt -oder kimmt - a Vogerl geflogen" sein sollen oder man hätte beim Vogel bleiben können).

    Da es ein Roman und keine Biographie ist - und da das Buch 1992 erschien - kann man dem Autor nicht vorwerfen, neuere Bewertungen von Deutschs Dokumenten ignoriert zu haben.

    Fazit bislang: es wurde sensibel mit den Fakten umgegangen, billige Sentimentalität wird vermieden. Für ein echtes Roman fehlt mir schon etwas Materie. Das Umfeld wird auch für einen Roman zu schemenhaft umrissen und kaum charakterisiert. Dies betrifft auch die Nebendarsteller. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht die ganze Biographie zu behandeln (inkl der Vorgeschichte: die Begegnung und die ersten Ehejahre der Eltern), sondern eine oder mehrere Episoden romanhaft zu verarbeiten (ähnlich dem, was Fritz Lehner filmisch gemacht hat - ich meine das Verfahren, nicht das Ergebnis). Daher kam wohl mein erstes Urteil: überflüssig. Wer eine akribische Biographie gelesen hat, hat wohl mehr zu kauen.
    Das Problem: eine echte Biographie Schuberts muß noch geschrieben werden. Massins ist auf Französisch und etwas überholt, die vorher erschienenen sowieso, die meisten nachher erschienenen haben öfter nicht den Standard Massins. Hinrichsens Buch ist präzise und sachlich aber sehr knapp, andere (Gülke, Gruber ...) essayistisch - was kein Nachteil ist, aber es ist nicht unbedingt das, was man lesen will, wenn man nach einer Biographie sucht.

    Noch einmal: es ist eine Zwischenbilanz. Mehr darüber in Kürze.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Nun bin ich in der Lage, über das ganze Buch zu berichten.

    Meine Eindrücke über den ersten Teil haben sich weitgehend bestätigt. Im weiteren Verlauf des Lebens des Komponisten sind mehr Dokumente vorhanden. Dementsprechend kommen im Buch mehr Zitate von Briefen, Tagebüchern usw. vor, was auf der einen Seite die Glaubwürdigkeit der Narration bestätigt, auf der anderen Seite den Eindruck von "Zweitverwertung der Dokumente" verstärkt.

    Ein paar fachliche Fehler sind vorhanden. Franz von Schober war nicht ein Jahr jünger, sondern ein Jahr älter als Schubert. Die Mozart-Partituren, die Schubert 1824 mit nach Zseliz nahm, waren nicht Klavierquintette (!) sondern selbstverständlich Streichquintette. Wenigstens diese zwei hätten korrigiert werden sollen. Aber in jedem Fall ist Härtlings Buch viel zuverlässiger als jeder beliebige Schubert-Roman, von Schwammerl angefangen.

    Allerdings habe ich, als ich das Buch durchgelesen habe, mich an die Vorlesungen Graham Johnsons in Oxford erinnert und es fiel mir auf, daß diese das bessere Buch gegeben hätten. Hätte man sie zusammengefaßt, so hätte man einer Biographie im Stile von Stefan Zweig bekommen, wohl fundiert, aber auch gut lesbar und gehaltvoll.
    Graham Johnsons Schubert ist aktiver, suveräner und selbstsicherer als Härtlings. Hinzukommt, daß Härtlings Schubertbild schon in der Jugend des Komponisten definiert wird und sich kaum entwickelt: ein Außenseiter, der sozusagen parallel zu seiner Zeit lebt. Und diese Zeit wird kaum dargestellt. Von den Freunden Schuberts gewinnt nur Johann Mayrhofer etwas Kontur, die anderen sind, wie er es selber schreibt, für Härtling wie wohl für Schubert selber austauschbar. Doch etwas zu kurz gegriffen. Mit Graham Johnson konnte man die Entwicklung Schuberts vom Zögling im Konvikt zum selbstbewußten Komponisten verfolgen. Auch hatte die Interaktion mit seinem Unfeld mehr Bedeutung.

    Die Reisen 1825 nach Oberösterreich und 1827 in die Steiermark werden bei Härtling sehr kurz behandelt, obwohl sie verhältnismäßig gut dokumentiert sind. Vielleicht, weil sie einen Schubert zeigen, der in seinem Umfeld integriert ist und es sichtbar genießt, was dem von Härtling dargestellten Bild widerspricht. Auch wird nicht erwähnt, daß Schubert seinen Aufenthalt in Zseliz 1824 verkürzt hat und eine frühere Rückkehrmöglichkeit nach Wien verzweifelt gesucht hat, weil er Sehnsucht nach dem Wiener Milieu hatte. Das komplexe Verhältnis des Komponisten zu Wien ist im Buch sowieso kein Thema, weil eben Schubert im Roman ein Außenseiter ist.
    Alles klar, dieser Franz Schubert hat ein Dasein am Rande der Gesellschaft gehabt, deshalb tritt diese Gesellschaft in den Hintergund. Wenn man es aber annimmt - was nicht unbedingt stimmen muß - bleibt die Tatsache, daß er der Nachwelt ein reiches Erbe hinterlassen hat und er hauptsächlich dafür verdient, bekannt zu werden. Dann sollte die Musik eine Hauptrolle haben, was im Härtlings Buch nicht der Fall ist. Da hatte Graham Johnson einen besseren Stand, weil in seine Vorlesungen Liedvorträge eingebettet waren, aber auch ohne diese hätte das, was er über die Lieder berichtete, mehr Gehalt gehabt als das, was in Härtlings Buch im Verhältnis zu Musik zu finden ist.

    Ein Roman, der als solcher deklariert wird, hat selbstverständlich Freiräume. Die Hauptfrage bleibt für mich nach wie vor: Ist Härtlings Buch tatsächlich ein Roman? (oder eher eine als Roman deklarierte freie Biographie). Und wenn man die Frage mit "ja" beantwortet, muß dann der Roman als Roman bewertet werden. Wenn die Hauptfigur nicht Franz Schubert hieße, würde man das Buch schnell lesen und vergessen.
    Alternativen wären möglich:
    wie schon gesagt, einen Teil der Biographie behandeln,
    oder mehr in die Darstellung des Umfelds und der Nebendarsteller investieren, was Recherche voraussetzen würde (und in diesem Bereich hat die Recherche erst ab ca 1997 wichtige Früchte getragen)
    oder wenn Umfeld und Hintergrund unwichtig sind, dann dem zentralen Element: Musik, mehr Platz einräumen
    oder halt eine literarische Biographie verfassen und da würde ich mir wünschen, daß Graham Johnsons Vorlesungsskripte veröffentlicht werden (allerdings hat er ohne Blatt vorgelesen, man hätte seine Vorlesungen aufnehmen und transkribieren sollen).

    Mein früheres Urteil "total überflüssig" muß ich etwas abmildern. Daraus wird "interessant aber nicht völlig überzeugend".

    Alles, wie immer, IMHO.

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