WAGNER: Tannhäuser – Inbrunst im Herzen
Meine Lieben,
Die MET-Live-Aufnahmen aus den 1950er Jahren sind in der Regel nicht nur ausgezeichnet besetzt, sondern auch tontechnisch ganz ordentlich - an damaligen Maßstäben gemessen natürlich. Ich vermute daher, daß bei dieser ANDROMEDA-Edition das Remastering teilweise nicht so geglückt ist. Während die tiefen Stimmen prächtig tönen, hören sich hohen Töne vielfach weit weniger schön an.
Rudolf Kempe dirigierte im Jänner 1955 eher bedächtig und schwerblütiger als sonst. Gerade bei dieser Oper gefällt mir das weniger, ich ziehe die Art von z.B. Sawallisch deutlich vor.
Warum ich dennoch unbedingt zur Anschaffung rate: Der Wolfram George Londons ist einfach phänomenal, und es ist eigentlich ungerecht, daß dieser Edelmensch mit ebensolcher Stimme das Nachsehen hat. Auch die Partie des Landgrafen ist bei Jerome Hines bestens aufgehoben.
Ramón Vinay hingegen scheint nicht seinen besten Tag gehabt zu haben, er quält sich ein bißchen. Ein überbordender Tatmensch wie Othello lag im besser. Dieses Konfliktbündel von Minnesänger kriegt er nicht richtig hin. Zudem muß er manchmal drücken (sein späterer Wechsel zurück ins Baritonfach vollzog sich ja nicht grundlos). Die mäßige Tontechnik mag diesen Eindruck vielleicht ungerecht verstärken. Nicht wirklich beurteilen möchte ich Astrid Varnays Elisabeth, weil sie natürlich am meisten unter jener leidet. Dieses Tondokument wird dieser kostbaren Stimme nicht gerecht.
Der Rest ist ordentlicher Durchschnitt, ohne besonders herausragende Leistungen.
Psychologisch stellt "Tannhäuser" für mich eine der interessantesten Schöpfungen Richard Wagners dar, weil namentlich die Titelfigur ein Zerrissener ist, und das keineswegs allzu vordergründig aufzufassende Kontrastieren von hoher und niederer Minne ja auch etwas vom alten "Herkules am Scheidewege"- Problem enthält. Das Vielschichtige kommt weder bei Kempe noch bei Vinay heraus. Dabei würden sich veiel Deutungsnuancen anbieten. Wie seht Ihr das?
Liebe Grüße
Waldi