Der Virtuose als Schöpfer und als Interpret
Als ich mich mit Heines Mein Herz, mein Herz ist traurig beschäftigte, bin ich auf Adornos Aufsatz Die Wunde Heine“(GS 11, 95-100) gestoßen. Hier geht es um eine Virtuosität, die von der kommunikativen Sprache erborgte Geläufigkeit und Selbstverständlichkeit (98), die einer Tiefe entgegensteht:
Nur der verfügt über die Sprache wie ein Instrument, der in Wahrheit nicht in ihr ist. Wäre es ganz die seine, er trüge die Dialektik zwischen dem eigenen Wort und dem bereits vorgegebenen aus, und das glatte sprachliche Gefüge zerginge ihm. (98)
Adorno hat diese Leichtigkeit der Produktion mit der Annektion des Alltagslebens durch die kapitalistische Warengesellschaft zu erklären versucht. Das Leben, von dem sie ohne viel Umstände zeugten, war ihnen [d.i. den Gedichten] verkäuflich; ihre Spontaneität eins mit der Verdinglichung. Ware und Tausch bemächtigten sich in Heine des Lauts, der zuvor sein Wesen hatte an der Negation des Treibens.
Symptomatisch tauchen in dieser Argumentation die Nähe von virtuoser Geläufigkeit, kapitalistischer Produktionsweise, mangelnder Tiefe und Judentum auf.
In der Studie von Daniel Jütte: Juden als Virtuosen. Eine Studie zur Sozialgeschichte der Musik sowie zur Wirkmächtigkeit einer Denkfigur des 19. Jahrhunderts (Archiv für Musikwissenschaft, Jg.66, Heft 2, 2009) steht als Reizwort am Anfang eine lapidare Notiz von Friedrich Nietzsche
ZitatVirtuosen (Juden)
(Nietzsche, KGW Abt. VIII, Bd. 1, S.120). Jütte stellt sich die Frage nach Quantität und Qualität im Anteil der Juden unter den musikalischen Virtuosen des 19. Jahrhunderts.
Der Begriff des „Virtuosen“ hat seit dem 16. Jahrhundert mehrfache Bedeutungswechsel erlebt. War es zunächst ein Prädikat für hervorragende Künstler und Gelehrte (Brockhaus Riemann Musiklexikon, BRM Bd. 4, S. 316), so hat er im Bereich des deutschen Musikschrifttums des 18. Jahrhunderts sich durch außerordentliche theoretische, kompositorische und praktische Leistungen sich auszeichnende Musiker bezeichnet. Dabei gab es keine Abwertung des Komponisten als Virtuosen (Bach, Händel, Mozart und Beethoven wurden als Virtuosen gerühmt), noch die des Virtuosen als Komponisten.(Kozeluch und Spohr wurden als Komponisten hoch geachtet). Erst die Spezialisierung auf den „Nur-Virtuosen“ und den „Nur-Komponisten“ veränderte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Begrifflichkeit. Bei Brockhaus Riemann wird dies ein wenig kryptisch notiert: Gleichzeitig erhielt das Wort V[irtuose] durch häufigen Missbrauch auch einen abschätzigen Sinn, so dass man die Wortbedeutung jeweils durch positiv oder negativ wertende Beiwörter spezifizierte. (316) Was war wohl der Missbrauch, der zu der Bedeutungsspaltung führte?
Da hilft uns nun Jütte weiter, der darauf hinweist, dass der Beruf des Virtuosen eine spezifische Attraktion für Juden hatte. Diese Anziehungskraft bezog sich nicht zuletzt auf die hohe Achtung, die das Virtuosentum (nicht nur) im frühen deutsch-jüdischen Bürgertum hatte. Virtuosität galt als „Sinnbild selbstloser Perfektionierung“ (135). Als Beispiel führt Jütte neben einer Anzahl von Zitaten aus Predigten u.ä. die Geschichte Raschelchen aus Mosenthals Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben an, in der die Heldin durch ein Vorspiel im Hause Spohr bekannt und bewundert wird. Vor allem ihre Mutter widersetzt sich aus religiösen Gründen der Karriere ihrer Tochter, doch durch jüdische Mäzentinnen wird ihr ihre weitere Ausbildung ermöglicht. Das virtuose Musizieren ist dadurch, dass es die Ehre der ganzen Gemeinschaft darstellt, legitimiert. Jütte kommentiert: Diese emphatische Einstellung zur Virtuosität, die in Mosenthals Erzählung mit den progressiven Kräften im Judentum in Verbindung gebracht wird, war nicht ohne Vorbild in der Realität. (135). So findet man etwa in den Lebenserinnerungen von Louis Spohr die Erinnerung an ein Konzert des 13jährigen Meyerbeer in dem elterlichen Hause Spohrs, bei dem der talentvolle Knabe […] durch seine Virtuosität auf dem Pianoforte solches Aufsehen [erregte], dass seine Verwandten und Glaubensgenossen nur mit Stolz auf ihn blickten. (Spohr: Lebenserinnerungen, Bd. 1, S. 84).
Juden bot die Tätigkeit als Virtuose eine vielversprechende Chance zur Verbürgerlichung, eine sinnerfüllte Vervollkommnung ihrer künstlerischen Fähigkeiten und auch die Möglichkeit, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen – sowohl mit ihrer künstlerischen Produktion wie mit der Reproduktion von Kunst. Und waren sie erfolgreich, so zog das Neider auf sich, anonyme wie wohlbekannte, wenn man an das Beispiel Meyerbeer denkt.
(wird fortgesetzt)
Liebe Grüße Peter