Glenn Gould - der Schrecken der connoisseurs?

  • Einen Augenblick musste ich überlegen, wie das gemeint war... :D


    Hab' ich gar nicht gemerkt... :hide: :mlol: Ich bezog mich nur auf die pianistische Leistung, nicht die vokale. :D

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Goulds provokante Äußerungen haben vielleicht zu einer einseitigen Wahrnehmung geführt. Denn z.T. war Gould zwar der eigenwillige Interpret mit Manierismen. Z.T. hat er das Publikum aber auch vor den Kopf gestoßen, weil er ähnlich wie Friedrich Gulda Beethoven von traditionellen Aufführungsgewohnheiten befreit hat. Ich denke da z.B. an Beethovens Sonaten op. 10 oder auch die letzten drei op. 109 ff. Selbst noch bei op. 106 habe ich das Scherzo nie fetziger gehört.
    Ein anderes Beispiel ist seine Aufnahme von Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 c-moll, das er nicht so manieriert spielt wie die Sonaten. Und er bietet eine Lösung für das Problem, dass Mozart den Klavierpart nur fragmentarisch aufgeschrieben hat, dieser also improvisatorisch zu füllen ist. Daneben sind in dieser Aufnahme die Blasinstrumente relativ gut zu hören.
    Mich würde auch mal interessieren inwieweit es Manierismus oder aber angemessene Improvisation ist, wenn er im 1. Satz von Beethovens Sonate Es-dur op. 27 Nr. 1 die häufig wiederholten Begleitakkorde manchmal in Begleitfiguren auflöst.

    Auf der Haben-Seite sind m.E. improvisatorische Spontanität, Transparenz und (instrumentelle) Sanglichkeit zu vermerken. Zumindest fragwürdig sind seine Manierismen (z.B. Auflösung von Akkorden in Arpeggios) und eine gewisse Einebnung der Dynamik.

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Die Manierismen in manchen Aufnahmen gehören auch für mich zu den eher ärgerlichen Sachen bei Gould. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß er umso mehr zu Mätzchen neigte, je populärer und bekannter ein Werk war. Bestes Beispiel mag die Holzhackerbuam-Version des C-Dur-Präludiums sein, alternativ kann man sich z. B. den Anfang von Beethovens 5. Klavierkonzert in Goulds Super-Zeitlupen-Version anhören. Vielleicht war eine seiner größten Schwächen, daß er von ihm wenig geliebte Werke in merkwürdigen Versionen meinte spielen zu müssen, anstatt sie einfach zu ignorieren. Andererseits hat Gould auch genug herausragende Leistungen auf dem Klavier hervorgebracht, die solchen Exzentrizitäten gegenüberstehen. Er bleibt für mich somit eine der faszinierenden Musiker-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, ein Charismatiker, dessen Aura man sich kaum entziehen kann. Vielleicht würde der eine oder andere Gould dem heutigen Musikbetrieb ganz gut bekommen.

    LG :wink:

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  • Hallo Symbol,

    Die Manierismen in manchen Aufnahmen gehören auch für mich zu den eher ärgerlichen Sachen bei Gould. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß er umso mehr zu Mätzchen neigte, je populärer und bekannter ein Werk war. Bestes Beispiel mag die Holzhackerbuam-Version des C-Dur-Präludiums sein, alternativ kann man sich z. B. den Anfang von Beethovens 5. Klavierkonzert in Goulds Super-Zeitlupen-Version anhören.

    es gibt bei Gould tatsächlich solche Zerstörungen, für mich wäre das beste Beispiel der erste Satz der Appassionata oder auch manches bei Mozart. Das C-Dur-Präludium (ich nehme doch an, Du meinst das erste aus dem Wohltemperierten Klavier) artikuliert Gould hingegen sehr fein, verbindet zunächst immer die ersten drei und die letzten zwei Sechzehntel der rechten Hand, was zusammen mit den beiden "Initialnoten" in der Linken dann zu einer raffinierten Zweiteilung des Taktes in fünf bzw. drei aufsteigende Noten führt. Der zweite Teil des Taktes erscheint also als eine verkürzte Variante des ersten. Gould bleibt aber nicht stur bei diesem Konzept sondern verdichtet dann über dem Orgelpunkt die Artikulation allmählich zu längeren Bögen, um ganz am Schluss beim durchgehenden Legato zu landen. Hinzu kommt eine sehr sensible Klanggestaltung: Innerhalb eines sehr kleinen dynamischen Bereichs entspannt er fast unmerklich mit der ersten Modulation von C-Dur nach G-Dur und intensiviert dann nach und nach den Klang wieder etwas. Das alles geschieht mit großer Ruhe, ganz natürlich und unaufgeregt, also genau so, wie das Stück auch komponiert ist. Insgesamt eine höchst sensible und fein durchgehörte Darstellung. Bei den Anfangs-Kadenzen des Es-Dur-Konzertes hat Gould m.E. auch nicht ganz unrecht: Die sind, wenn auch ohne Taktstriche, so doch recht differenziert in Sechzehnteln, Triolen, Quintolen usw. notiert, sind insgesamt sicher rhythmisch frei zu spielen, sollten sich aber eben doch an den notierten Verhältnissen orientieren. Bei Gould tun sie das mehr als in den meisten Aufnahmen, die ich kenne.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Also, ich liebe Gould ja sehr, und nach Jahren habe ich mich mittlerweile auch an sein Gesumme gewöhnt, das mir früher ungemein auf die Nerven fiel. Aber es gibt ja wohl kaum eine bessere Interpretation der Goldberg-Variationen, auch wenn hier schon einige widersprochen haben :whistling: . Ich kann da auch kein "Gehacke" erkennen, vielmehr kenne ich kaum einen Pianisten der so ausdifferenziert spielt. Auch seine ganz frühe Goldberg-Einspielung für die CBC (Canadian Broadcast), die er ein halbes Jahr vor der ersten CBS-Platte aufnahm, ist sehr bemerkenswert, wenn auch von mäßiger Tonqualität.

    Zudem finde ich Gould als Haydn-Interpret ziemlich bemerkenswert. Und ich liebe ihn in Dokumentationsfilmen, von denen es ja einige gibt. Ich mag seine ganze schrullige Haltung. Gould ist sozusagen mein Lieblings-Asperger.

    Leider, leider, mochte er ja die (deutsche) Romantik nicht :cry: ; ich hätte zu gerne ein paar Schumann-Stücke von ihm gehört, oder Schubert, oder meinetwegen Burgmüller. Und Mozart auf einem Fortepiano. Das wäre es gewesen!


    .


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Inzwischen hatte ich auch die Zeit, die oben angeführte Youtube-Adresse anzuklicken. Die sängerische und schauspielerische Leistung, die Gould dort bietet, finde ich höchst überzeugend :D - aber wenn ich die Augen zumache und nur auf das Klavierspiel höre, bleibt nach wie vor jegliche Freude aus. Das, was in meine Ohren dringt, wirkt klanglich knochentrocken, hart, eindimensional und musikalisch im höchsten Maße rechtwinklig.

    Ich mags nicht, es widerspricht in jeder Beziehung dem, was mir meine besseren Lehrer im Hinblick auf tonliche, dynamische und agogische Gestaltung beigebracht haben. Da ist nichts "zwischen den Noten", alles macht einen kahlen und unangenehm lotrechten Eindruck. Dazu in einem diametralen Gegensatz steht allerdings das, was man sieht, aber im Hinblick auf die Interpretation von Instrumentalmusik ist mir das, was man hört, ungleich wichtiger..... :D

    Eine weiterer Youtube-Versuch mit Bachs g-moll Klavierkonzert bestätigt diese Eindrücke, wobei sich der Pianist und die begleitenden Streicher an Steifigkeit und dynamischer Eintönigkeit kaum nachstehen.

    Viele Grüße

    Bernd

    P.s:: Gibts denn hier außer mir nur Gould-Fans :hide:?

  • Zitat

    Ich kann da auch kein "Gehacke" erkennen

    Na ja, hab hier BWV 974 - Concerto in D minor after Alessandro Marcello (1. Satz), Anfang - schon merkwürdig.

    Obwohl es mich so doch mehr reizt als manche andere Einspielungen, wenn ich es vergleiche

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Hallo Gryphius,

    Leider, leider, mochte er ja die (deutsche) Romantik nicht :cry: ; ich hätte zu gerne ein paar Schumann-Stücke von ihm gehört, oder Schubert, oder meinetwegen Burgmüller.

    ein paar Ausnahmen gibt es ja schon. Schumanns Klavierquartett op. 47 (oder 44?) hat er mit dem Juilliard Quartet eingespielt. Dann gibt es einige Brahms-Aufnahmen (neben 10 ausgewählten Intermezzi die vier Balladen op. 10 & die zwei Rhapsodieen op. 79). Die frühen Klavierstücke von Richard Strauss stehen noch in der Schumann-Brahms-Tradition. Des Weiteren gibt es noch die Transkriptionen von Wagner-Stücken. Bizet, Grieg und Sibelius kenne ich jetzt nicht. Vielleicht könnten Dich in romantischer Hinsicht auch noch seine Skrjabin-Aufnahmen interessieren.

    :wink:

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  • Aber, lieber Tyras, Brahms ist ja keine Romantik, Wagner auch nicht, Richard Strauss schon gar nicht. Beside that: das Klavierquartet kenne ich natürlich, aber Schumann und Pianisten müßen sich allein treffen, am besten im dunklen, deutschen Wald der Romantik... :pfeif: --- im Übrigen hat sich Gould ja explizit in mehreren Interviews gegen die Romantik ausgesprochen, ihm sei das zu verschwiemelt - wenn ich frei zitieren darf... ich liebe Gould sehr, aber das ist eine Schande. :cry: :cry: :cry:

    .


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Hallo Florian,

    Goulds Äußerungen braucht man nicht auf die Goldwaage zu legen. Im Zusammenhang mit den Brahms-Intermezzi hat er, glaube ich, gesagt, er verstehe sich als Romantiker.

    Was Romantik ist und ob etwa Brahms dazugehört, ist natürlich eine Frage der Definition. Aber er schließt doch jedenfalls an Schumann an. Ansonsten gilt Brahms ja auch als Antipode zur "Spätromantik", mit der Liszt und Wagner angefangen haben. Würdest Du Brahms eher als Klassizisten oder moderneren Komponisten ansehn, wenn Du ihn nicht als Romantiker gelten lässt?

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Hallo Symbol,

    es gibt bei Gould tatsächlich solche Zerstörungen, für mich wäre das beste Beispiel der erste Satz der Appassionata oder auch manches bei Mozart. Das C-Dur-Präludium (ich nehme doch an, Du meinst das erste aus dem Wohltemperierten Klavier) artikuliert Gould hingegen sehr fein, verbindet zunächst immer die ersten drei und die letzten zwei Sechzehntel der rechten Hand, was zusammen mit den beiden "Initialnoten" in der Linken dann zu einer raffinierten Zweiteilung des Taktes in fünf bzw. drei aufsteigende Noten führt. Der zweite Teil des Taktes erscheint also als eine verkürzte Variante des ersten. Gould bleibt aber nicht stur bei diesem Konzept sondern verdichtet dann über dem Orgelpunkt die Artikulation allmählich zu längeren Bögen, um ganz am Schluss beim durchgehenden Legato zu landen. Hinzu kommt eine sehr sensible Klanggestaltung: Innerhalb eines sehr kleinen dynamischen Bereichs entspannt er fast unmerklich mit der ersten Modulation von C-Dur nach G-Dur und intensiviert dann nach und nach den Klang wieder etwas. Das alles geschieht mit großer Ruhe, ganz natürlich und unaufgeregt, also genau so, wie das Stück auch komponiert ist. Insgesamt eine höchst sensible und fein durchgehörte Darstellung. Bei den Anfangs-Kadenzen des Es-Dur-Konzertes hat Gould m.E. auch nicht ganz unrecht: Die sind, wenn auch ohne Taktstriche, so doch recht differenziert in Sechzehnteln, Triolen, Quintolen usw. notiert, sind insgesamt sicher rhythmisch frei zu spielen, sollten sich aber eben doch an den notierten Verhältnissen orientieren. Bei Gould tun sie das mehr als in den meisten Aufnahmen, die ich kenne.

    Viele Grüße,

    Christian


    Lieber Christian,

    ich gebe Dir Recht, daß ich wahrscheinlich zur Untermauerung meines Punktes nicht unbedingt die besten Beispiele gewählt habe. In der Tat ist die Appasionata sicherlich ein Paradebeispiel für Gouldsche Exzentrik (er hat das Stück bekanntlich gehaßt). Bei Mozart fällt mir spontan der Türkische Marsch ein, den Gould offensichtlich ähnlich einschätzte wie die Appassionata. Auch in seinen Chopin habe ich mal reingehört, breiten wir lieber den Mantel des Schweigens drüber. Beim C-Dur-Prälusium (in der Tat dem aus dem WTK I) mag es sein, daß Goulds Lesart in sich konsistent ist, ich finde allerdings die Artikulation gewöhnungsbedürftig (ebenso überigens beim c-moll-Präludium). Bei Beethovens 5. geht es mir so, daß ich den Anfang bei Gould ingesamt zu langsam finde, ich fasse diese Passage als solistische Bravourstelle auf, Gould buchstabiert sie m. E. puritanisch runter. Das Beispiel war aber im Nachhinein betrachtet insofern ungünstig von mir gewählt, weil Gould den Rest des Konzerts gar nicht mal so schlecht spielt, wenn man bedenkt, was er über diese Musik z. T. von sich gegeben hat.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Kann jemand etwas zu der Sibelius-Aufnahme von Gould beisteuern?

    Die Sonatinen sind nicht gerade Wunder an Komplexität. Wenn man aber in der Hinsicht nicht viel erwartet und nicht grundsätzlich was gegen Sibelius hat, kann man mit dieser CD eine interessante Dreiviertelstunde haben. "Kyllikki" allerdings klingt so, wie es heißt.

    Es ist weniger der Bach-Gould der 50er und 60er Jahre als vielmehr der der Brahms-Intermezzi oder der späten Goldberg-Aufnahme, der hier zu hören ist - Sachlichkeit (im Sinne von Vermeidung von falschem Pathos) und Versenkung. Die Pause als sinntragendes Moment. Der Gould der späten Siebziger und frühen Achtziger. Der ganz große Gould.

    Für die Aufnahme wurden, so wird unter Verwendung des schreckenerregenden Wortes "Aufnahmeexperiment" referiert, Mikrofone verwendet, die in verschiedenen Abständen zum Flügel aufgestellt waren. Zum Glück hört man davon nichts, ich jedenfalls nicht.

    Es grüßt
    der Don

  • Hallo Symbol,

    ich gebe Dir Recht, daß ich wahrscheinlich zur Untermauerung meines Punktes nicht unbedingt die besten Beispiele gewählt habe. In der Tat ist die Appasionata sicherlich ein Paradebeispiel für Gouldsche Exzentrik (er hat das Stück bekanntlich gehaßt). Bei Mozart fällt mir spontan der Türkische Marsch ein, den Gould offensichtlich ähnlich einschätzte wie die Appassionata. Auch in seinen Chopin habe ich mal reingehört, breiten wir lieber den Mantel des Schweigens drüber. Beim C-Dur-Prälusium (in der Tat dem aus dem WTK I) mag es sein, daß Goulds Lesart in sich konsistent ist, ich finde allerdings die Artikulation gewöhnungsbedürftig (ebenso überigens beim c-moll-Präludium). Bei Beethovens 5. geht es mir so, daß ich den Anfang bei Gould ingesamt zu langsam finde, ich fasse diese Passage als solistische Bravourstelle auf, Gould buchstabiert sie m. E. puritanisch runter. Das Beispiel war aber im Nachhinein betrachtet insofern ungünstig von mir gewählt, weil Gould den Rest des Konzerts gar nicht mal so schlecht spielt, wenn man bedenkt, was er über diese Musik z. T. von sich gegeben hat.

    dass Du Goulds Artikulation "gewöhnungsbedürftig" findest, kann ich absolut nachvollziehen. Wie schon geschrieben, finde ich vieles an seinem Klavierspiel so. Es geht mir aber eben auch sehr oft - nicht immer - so, dass ich seine Lösungen dann spätestens nach näherer Beschäftigung doch überzeugend, logisch und nachvollziehbar finde, auch wenn ich nie auf die Idee gekommen wäre, das so zu machen. Gerade das bewundere ich an ihm so sehr: dass er weit abseits des Gewohnten mit großer Ernsthaftigkeit zu in sich stimmigen und überzeugenden Darstellungen kommt. Das unterscheidet ihn nach meiner Wahrnehmung auch von zahlreichen Möchtegern-Exzentrikern, die kaum besser und ohne erkennbare inhaltliche Begründung einfach nur alles anders machen als ihre Vorgänger und Zeitgenossen, und deren Exzentrik sich im Wesentlichen darauf beschränkt, dass sie den Notentext weitgehend ignorieren (die Höflichkeit verbietet es mir, Namen zu nennen, als kleines Ratespiel sei ein recht bekannter Vertreter aus Finnland erwähnt...). Das C-Dur-Präludium ist dafür ein gutes Beispiel: Natürlich habe ich auch zuerst gestutzt, als ich diese merkwürdige Artikulation gehört habe. Aber in dem Stück ist ja die asymmetrische Zweiteiligkeit der Takte (fünf und drei Sechzehntel) eindeutig gegeben, außerdem der Impuls am Beginn eines jeden Taktes. Es liegt also gar nicht fern, den jeweils sechsten Ton als Beginn des zweiten Taktteils durch die Artikulation abzusetzen und so als einen zweiten, abgeschwächten Impuls zu spielen. Gould macht folglich eigentlich nichts anderes als diese Struktur extrem deutlich zu zeigen. Das finde ich ganz aus der Komposition heraus gedacht und gleichzeitig aufregend neu. Viel mehr kann man nicht verlangen....

    Viele Grüße,

    Christian

  • Zitat

    ,,,die Höflichkeit verbietet es mir, Namen zu nennen, als kleines Ratespiel sei ein recht bekannter Vertreter aus Finnland erwähnt...

    Denjenigen, welchen du mit an ziemliche Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit meinst (muss er denn tönen? :D) , habe ich neulich mit Beethovens 4. Klavierkonzert im Radio gehört, und ich fühlte mich stark an Goulds Stilistik erinnert. Für 2 Minuten war das ganz interessant, danach wurde es schnell grottenöde. Das Original ist mir dann bei allen Vorbehalten doch noch lieber.

    Zitat

    Es geht mir aber eben auch sehr oft - nicht immer - so, dass ich seine Lösungen dann spätestens nach näherer Beschäftigung doch überzeugend, logisch und nachvollziehbar finde, auch wenn ich nie auf die Idee gekommen wäre, das so zu machen.

    Mir ist bewußt, daß ich mich jetzt auf sehr glattem, weil subjektivem Eis bewege, aber die Interpreten, die mich wirklich überzeugen, überzeugen mich unmittelbar und nicht erst "spätestens nach näherer Beschäftigung". Wenn ich diverse rationalistische Umwege gehen muß, hat der Musiker sein Ziel zunächst einmal verfehlt.

    Viele Grüße

    Bernd


    P.S.:

    Zitat

    auch wenn ich nie auf die Idee gekommen wäre, das so zu machen.

    Mir imponiert es sehr, daß du in diesem Maße für einen bekannten Künstler eintrittst, der es anders gemacht hat, als du es machen würdest. Das spricht für einen ungewöhnlichen Horizont in Verbindung mit einem noch ungewöhnlicheren Mangel an persönlicher Eitelkeit. Chapeau!!

  • Mir ist Gould geläufig als einer der ganz großen Pianisten für Bach, aber ich sehe Bach anders, und wenn man Gould sieht, wie er singt und spricht, dann fragt man sich schon, ob dies der Musik dienlich ist oder nicht. Für mich sind diese Gesten Ausdruck einer Überbeschäftigung mit Bach, eine Art Tick, sozusagen, so hart dies auch klingen mag.
    Für mich braucht Bach eigentlich nicht diese strenge Konzentration, Bach spricht durch seine Noten beinah für sich, es braucht aber eine tolle Technik, und ich persönlich finde Goulds übertriebene Gestik - man steinige mich bitte nicht deswegen - als pathologisch, wofür er nichts kann.
    Ingesamt ist wohl auch zu sagen, daß Pianisten in ihrer ewig langen Ausbildung sehr wohl Bach einlernen, Bach aber als Konzertprogramm für Pianisten nicht existiert, außer vielleicht in Bearbeitungen seiner Werke.

    Robert :hide:

  • Moin Bernd,

    Zitat
    Es geht mir aber eben auch sehr oft - nicht immer - so, dass ich seine Lösungen dann spätestens nach näherer Beschäftigung doch überzeugend, logisch und nachvollziehbar finde, auch wenn ich nie auf die Idee gekommen wäre, das so zu machen.


    Mir ist bewußt, daß ich mich jetzt auf sehr glattem, weil subjektivem Eis bewege, aber die Interpreten, die mich wirklich überzeugen, überzeugen mich unmittelbar und nicht erst "spätestens nach näherer Beschäftigung". Wenn ich diverse rationalistische Umwege gehen muß, hat der Musiker sein Ziel zunächst einmal verfehlt.

    das leuchtet zwar spontan ein, aber: Es gibt doch auch Kompositionen, die sich nicht sofort, sondern erst beim zweiten oder dritten Hören erschließen. Warum soll das nicht auch für Interpretationen so sein? Wenn wir über Gould reden, dann ja nur über Aufnahmen, und die kann man sich ja im Gegensatz zum Konzert beliebig oft anhören. Mir reicht es dabei, wenn mich eine Interpretation zunächst spontan interessiert, sie muss mich nicht sofort überzeugen. Interessant finde ich Goulds Aufnahmen aber fast immer, überzeugend oft. Einige wenige finde ich zugegeben auch direkt ärgerlich, aber immerhin keine einzige langweilig ;+) .

    Viele Grüße,

    Christian

  • Schon lange habe ich alle Beethoven Sonaten, die Gould aufgenommen hat auf CD (außer op. 101). Vor einiger Zeit legte ich mir die Gesamtaufnahme von Gulda (Brilliant) zu. Bezüglich der Lautstärke scheint mir Gulda besser zu differenzieren, oder aber er hat einen größeren Dynamik-Umfang zur Verfügung.
    Dafür differenziert Gould, wie Christian bereits schrieb, außerordentlich bei den verschiedenen Graden von Legato über Non-Legato bis Stakkato (mit dem auch noch recht sanglich spielen konnte) und ihrem undogmatischen Einsatz, womit ihm die große Transparenz gelingt. Einen Großteil der Eigenheit seines Spiels liegt doch an seinem ungewöhnlichen Gebrauch von Non-Legato und Stakkato, oder nicht (wenn man mal für den Moment vom Stuhlknarren, Schluckauf des Klaviers und dem ewigen Mitgesinge abstrahiert)?
    Am Deutlichsten kommt das bei den Bach-Aufnahmen zum Einsatz. Bei Beethoven wird es schon etwas weniger. Und bei den Brahms-Intermezzi oder den Beethoven-Konzerten wären Goulds Chancen im Blindtest nicht erkannt zu werden bzw. aufzufallen schon ziemlich hoch.

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

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