Glenn Gould - der Schrecken der connoisseurs?

  • Glenn Gould - der Schrecken der connoisseurs?

    Kurze Frage an die Klavierspezialisten: Ist es eigentlich peinlich, über Glenn Gould zu sprechen? Übrigens: Ich kriege neuerdings immer so'n Knacken (im Melodierhythmus) im rechten Ohr, wenn ich ihn auflege (zurzeit: Englische Suite BWV 811/II) und habe den Verdacht, dass es mit der Spielweise zu tun hat.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Kurze Frage an die Klavierspezialisten: Ist es eigentlich peinlich, über Glenn Gould zu sprechen?

    Also ich finde es absolut nicht peinlich über Glenn Gould zu sprechen :D

    Gould ist sicher einer der Interpreten des 20. Jahrhunderts dessen Interpretationen so polarisiert haben wie nur wenige vor ihm- oder nach ihm. Man erlebt bei Gould - so glaube ich - oft folgendes Phänomen: Entweder hasst man oder man liebt ihn. Seine Mozart-Interpretationen sind ja ein berühmt berüchtigtes Beispiel für diesen Fall.

    Unbestritten ist Goulds Bedeutung für die Bachinterpretation auf dem modernen Flügel. Für manch einen mag Bachinterpretion und Gould ein Synonym sein. Goulds Karriere begann mit Bach´s Goldbergvariationen und eine seiner letzten (wenn nicht seine letzte, da bin ich im Moment nicht sicher) war seine zweite Einspielung der Variationen, kurz vor seinem Tod. Gould konnte wie kaum ein anderer Pianist polyphon spielen: etwas überspitzt: er konnte mit zehn Fingern zehn Stimmen spielen, absolut trennscharf und transparent. Charakteristisch auch der trockene, fast cembaloähnliche Ton von Gould. Gould spielte auf einem speziell nach seinen Vorstellungen eingerichteten Yamah-Flügel (über das Instrument ist unlängst sogar ein Buch erschienen). Inzwischen gibt es ja eine ganze Reihe von hervorragenden Interpretationen der Werke Bachs´s auf dem Flügel: Andras Schiff, Angela Hewitt, Till Fellner etc. etc. pp.

    Aber man ginge fehl, wenn man Gould auf Bach zu reduzieren versuchte:

    Für mich gehört Gould auch zu den großen Brahmsinterpreten: Seine Einspielung der späten Klavierstücke ist eine meiner absoluten Lieblingsplatten.

    Und ich glaube, man kann sagen: Goulds Interpretationen mögen zum Widerspruch reizen- aber langweilig sind sie nie, da Goulds Interpretationen immer sehr durchdacht sind. Ob sie einem zusagen ist eine andere Frage. ;+)

    Soviel mal für´s erste ;+)

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Auch ich bin der Meinung, dass Glenn Gould eine gebührenden Platz bei den großen Pianisten des letzten Jahrhunderts einnimmt. Neben seinen Bachinterpretationen sind z.B. auch die Gesamteinspielung der Klavierkonzerte Beethovens sehr eigen, aber unbedingt beachtens- und hörenswert!

    Gruß,
    Ernst

    "Music is the voice of the all - the divine melody - the cosmic rhythm - the universal harmony." aus Music for all of us (Stokowski, 1943)

  • Die Bachschen Toccaten, Gouldbergvariationen (die spätere Wiedergabe), Intermezzi und beide Rhapsodien von Brahms möchte ich mit Gould nicht missen.. Die Gouldsche Lesart des Wohltemprierten Klaviers und der Beethovensonaten sind mir fremd. Sehr gut gefallen mir ein oller d.h. historischer Mono-Live-Mitschnitt des Schönbergschen Klavierkonzertes op. 42 mit Gould + den Ny-Philh. unter Mitropoulus vom 16.03.58 und die Schönbergsche Fantasie für Violine mit Klavierbegletung op. 47. Letzteres könnt ihr Euch richtig gut bei Youtube reinziehen... überhaupt bei Youtube mal Glenn Gould eingeben, da gibts viele Leckerlis...

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Also ich finde es absolut nicht peinlich über Glenn Gould zu sprechen

    Ich auch nicht. Aber wesentlich bemerkenswerter als Goulds Klavierspiel finde ich seine schriftlichen Äußerungen.


    Vor ein paar Monaten habe ich im Radio Goulds Interpretation der 330er Sonate von Mozart gehört. Zur wirklich schlagkräftigen Parodie fehlte noch ein Wimpernschlag: "Musikschule viertes Jahr" war die erste Assoziation, die mir unwillkürlich in den Sinn kam.

    Auch im Falle Johnny Sebastian kann ich dem Gouldschen Gehacke (so gut wie) nichts abgewinnen. Aber ich kann da zumindestens ansatzweise verstehen, was anderen daran gefällt...

    Spannend hingegen sind für mich Goulds Ausführungen zu Sibelius oder zum späten Richard Strauss!

    Viele Grüße

    bernd

  • Zitat

    Gouldschen Gehacke

    Tja, das ist es wohl, was bei mir dieses Geknacke im Ohr verursacht - aber davon lassen mag ich nicht.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • [
    Gould spielte auf einem speziell nach seinen Vorstellungen eingerichteten Yamah-Flügel (über das Instrument ist unlängst sogar ein Buch erschienen).

    Christian

    Hallo Christian,

    nach der mir vorliegenden Gould-Biographie (Kevin Bazzana) hat er die überwiegende Zeit seines Lebens auf Modellen der Firma Steinway gespielt, primär dem CD 318, den er wegen des von ihm gesuchten nachhalllosen Anschlags immer wieder speziell "umbaute".
    Um 1980 hat er dann Yamaha entdeckt, die wohl Flügel bauten, die seinem Klangideal entsprachen.

    Was solls. Für mich war Bach Gould und Gould Bach.
    Mit ihm und seinen schnellen Läufen habe ich u. a. das Italienische Konzert kennengelernt, aber auch KV 331.

    Seine Spielart ist Geschmackssache, aber eben auch mein Geschmack :D .

    Grüße
    Achim

  • Um 1980 hat er dann Yamaha entdeckt, die wohl Flügel bauten, die seinem Klangideal entsprachen.

    Danek für die Korrektur Achim- ich habe da etwas durcheinander geworfen ;+)

    Welche Einspielungen Goulds magst Du besonders?

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Welche Einspielungen Goulds magst Du besonders?

    :wink: :wink:

    Christian

    1. Bach Klavierkonzert Nr. 5 - speziell das largo (eher untypisch Gould)
    2. Goldberg-Variationen (50er)
    3. Italienisches Konzert
    4. Beethoven Klavierkonzert 5 Stokowski

    Grüße
    Achim

  • :D

    Zitat

    nach der mir vorliegenden Gould-Biographie (Kevin Bazzana) hat er die überwiegende Zeit seines Lebens auf Modellen der Firma Steinway gespielt, primär dem CD 318, den er wegen des von ihm gesuchten nachhalllosen Anschlags immer wieder speziell "umbaute".
    Um 1980 hat er dann Yamaha entdeckt, die wohl Flügel bauten, die seinem Klangideal entsprachen.

    Die Pianisten, die ich sonst so (auf allen möglichen Ebenen) kenne, suchen meistens nach einem möglichst farbintensiven, leuchtkräftigen und gleichzeitig auch legatofähig-weichen Klang. Und ich als Bläser habe zunächst einmal ein Ideal, welches in eine ähnliche Richtung geht.

    Aber wenn jemand am liebsten vertrocknetes Toastbrot mag - bitte schön....de gustibus....:D

    Auch mich überkommen hin und wieder gewisse asketische Anwandlungen..... :angel: :D

    Beste Grüße

    Bernd

  • Hallo Bernd,

    Die Pianisten, die ich sonst so (auf allen möglichen Ebenen) kenne, suchen meistens nach einem möglichst farbintensiven, leuchtkräftigen und gleichzeitig auch legatofähig-weichen Klang. Und ich als Bläser habe zunächst einmal ein Ideal, welches in eine ähnliche Richtung geht.

    Aber wenn jemand am liebsten vertrocknetes Toastbrot mag - bitte schön....de gustibus....:D

    Auch mich überkommen hin und wieder gewisse asketische Anwandlungen..... :angel: :D

    mit Askese hat Glenn Goulds Klangideal nun wirklich gar nichts zu tun sondern mit dem leidenschaftlichen Wunsch nach größtmöglicher Transparenz. In dieser Hinsicht sind viele seiner Einspielungen, vor allem natürlich sein Bach, bis heute unerreicht. Dass zu seinen - schier unbegrenzten - pianistischen Möglichkeiten auch ein romantischer, "farbintensiver, leuchtkräftiger und (...) legatofähig-weicher" Tonfall gehörte, kann man z.B. an der sehr schönen Einspielung der drei Intermezzi op. 117 von Johannes Brahms hören.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Wer nicht überzeugt ist, daß Gould genial war, möge sich mal dies hier anschauen:

    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "

    Zum legatofähig-weichen Klavierklang: der mag z. B. bei Chopin wunderschön sein, bei sehr polyphoner Musik wie Bach kommt aber m. E. nur Brei dabei heraus. Ich würde die Fähigkeit zum transparenten non-legato für eine Grundvoraussetzung zur Bach-Interpretation auf dem modernen Flügel ansehen.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Dass zu seinen - schier unbegrenzten - pianistischen Möglichkeiten auch ein romantischer, "farbintensiver, leuchtkräftiger und (...) legatofähig-weicher" Tonfall gehörte, kann man z.B. an der sehr schönen Einspielung der drei Intermezzi op. 117 von Johannes Brahms hören.

    Das wäre diese Aufnahme:

    Eine der schönsten Aufnahmen des späten Brahms! Gould spielt hier nicht nur wie eigentlich immer unerhört transparent, sondern auch was Gould da an "Farbtönen" dem Flügel entlockt ist großartig.

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Christian, mit den Gouldschen Brahms-Intermezzi hast du eine meiner zahlreichen Bildungslücken erwischt :schaem: . Ich werde demnächst versuchen, dieselbige zu schließen.

    Zitat

    Ich würde die Fähigkeit zum transparenten non-legato für eine Grundvoraussetzung zur Bach-Interpretation auf dem modernen Flügel ansehen.

    Ich hingegen wünsche mir gerade bei Bach auf dem modernen Flügel eine möglichst differenzierte Artikulation, die selbstverständlich auch Bindungen (wie sie jeder Bläser und Streicher in Bachs Musik ausführt) beinhaltet. Pjotr Anderszewski beispielsweise spielt Bach so, wie ich es mir kaum besser vorstellen kann: Transparent, strukturell hervorragend nachvollziehbar, aber (zumindestens für meine Ohren) um vieles klangschöner und sinnlicher als Gould.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Hallo Bernd,

    Christian, mit den Gouldschen Brahms-Intermezzi hast du eine meiner zahlreichen Bildungslücken erwischt :schaem: . Ich werde demnächst versuchen, dieselbige zu schließen.

    das mach mal, es lohnt sich wirklich sehr! Du solltest vielleicht nicht unbedingt den Notentext mitlesen, denn dann hättest Du - zu Recht - etliche Einwände, aber diese Aufnahme ist für mich einer der eher seltenen Fälle, dass ich auch eklatante Verstöße gegen den Text toleriere, weil der "Geist" der Musik wunderbar getroffen ist.

    Ich hingegen wünsche mir gerade bei Bach auf dem modernen Flügel eine möglichst differenzierte Artikulation, die selbstverständlich auch Bindungen (wie sie jeder Bläser und Streicher in Bachs Musik ausführt) beinhaltet.

    Das wünsche ich mir auch, ein permanentes Non-Legato finde ich in keiner Weise interessanter als Dauer-Legato (das Zitat in Deinem vorigen Beitrag war ja nicht von mir, war aber wohl auch nicht als Plädoyer für Dauer-Non-Legato zu verstehen). Gould artikuliert bei Bach zwar vorwiegend vom Non-Legato ausgehend, aber er beschränkt sich bei Weitem nicht darauf. Ich kann schon nachvollziehen, dass Dir sein Klavierspiel nicht gefällt, bei vielen Aufnahmen geht es mir in gewisser Hinsicht ebenso. Allerdings bewundere ich immer seine absolute Klarheit, seinen Mut, völlig neue Wege zu gehen, sein schier unglaubliches Können, seine phänomenale Intensität. Die "Schönheit" seiner Aufnahmen erschließt sich mir zugegeben nicht immer und meist nicht sofort, aber in vielen Fällen dann umso nachhaltiger. Ich käme nie auf die Idee, Bach so spielen zu wollen wie er (die ungezählten Nachahmer und Möchtegern-Goulds sind auch abschreckende Beispiele genug), aber wenn ich seine Aufnahmen auflege, kann ich in aller Regel nicht vor dem letzten Ton abschalten. Kein kleines Lob...

    Viele Grüße,

    Christian

  • Zitat

    Wer nicht überzeugt ist, daß Gould genial war, möge sich mal dies hier anschauen:

    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "

    Hab ich gemacht. "Hat mir gefallen", würde nach zu wenig klingen.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Kann jemand etwas zu der Sibelius-Aufnahme von Gould beisteuern? Eure Einschätzung dazu interessiert mich sehr:


    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Nur kurz zur Klarstellung: Ich plädiere keineswegs dafür, Bach auf dem modernen Flügel mit penetrantem non-legato ohne jede Rücksicht auf den musikalischen Kontext zu spielen. Ich halte die Fähigkeit wie auch den Mut zu einem dezidierten non-legato allerdings für eine Grundvoraussetzung, um ein guter Bach-Spieler zu sein. Daß zum guten Bach-Spieler noch sehr viel mehr gehört, ist klar, und Goulds Aufnahme des Italienischen Konzerts würde ich als gutes Beispiel eben gerade für Variabilität im Ausdruck sehen (der zweite Satz gelingt ihm gesanglich, der dritte hingegen atemberaubend durchsichtig).

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!