WAGNER: Lohengrin - Städtische Bühnen Frankfurt, 03.05.2009
Eine Frau wird denunziert, ihren Bruder ermordet zu haben. Die Sache sieht schlecht aus, keiner glaubt der Frau, die ihre Unschuld beteuert. Sie träumt sich einen strahlenden Ritter herbei, einen Unbekannten, der für sie eintritt – und alles könnte gut werden. Aber wie soll eine Ehe funktionieren, wenn einer der Partner gar nicht weiss, wer der andere eigentlich ist und dieser sich auch jede Nachfrage, seine Person betreffend, verbeten hat? Es geht schief, noch bevor die Ehe so richtig in Gang gekommen ist. Der Ritter entschwindet in seine Märchenwelt, die Frau bleibt in ihrer Welt alleine zurück.
Ein Stoff, der, so man ihn auf diese Punkte reduziert, viel von Fantasy-Filmen mit „Star-Wars“-Elementen besitzt, sicher eine Möglichkeit, sich dem „Lohengrin“ von Richard Wagner zu nähern, allerdings unter Verzicht auf die Freilegung tieferer Bedeutungsebenen, die sich in diesem Stück sehr wohl finden lassen würden.
Die Ouvertüre setzt ein und weit oben über der dunklen, offenen Bühne flimmert ein Licht. Zuerst ist unklar, was da flackert – naht ein Ritter aus einer fernen Galaxie in einem UFO, sinkt eine Art Sternschnuppe vom Himmel herunter? Nichts davon ist richtig – ganz langsam erhellt sich die Bühne und das Publikum sieht sich einem Kinosaal der späten 20er oder frühen 30er Jahre gegenüber, mit Parkett und Empore und das Licht war das Flimmern der Projektionsmaschine, das durch die typischen Öffnungen in der Rückwand der Empore den Film auf die Leinwand projiziert, die man sich als „Vierte Wand“ über das Bühnenportal gespannt vorstellen muss.
Ganz im Vordergrund sitzt Elsa, vom Geschehen auf der Leinwand völlig in Beschlag genommen, neben ihr erkennt man den kleiner Bruder Elsas, Gottfried, der sein Spielzeugschwert und ein ebensolches Horn mitgebracht hat. Der Kleine langweilt sich anscheinend und läuft, von der Schwester unbemerkt, nach hinten. Dort nimmt sich die Eisverkäuferin des Jungen an und führt ihn hinaus.
Unter den Zuschauern sitzt Telramund, der Heerufer ist der graubekittelte Hausmeister des Kinos, die Eisverkäuferin entpuppt sich als Ortrud. Der König wirkt wie ein städtischer Kommunalbeamter, vielleicht eine Art Bürgermeister des Ortes. Die Fanfarenbläser postieren sich neben Heinrich auf der Empore.
Elsa hat zwischenzeitlich bemerkt, dass ihr Bruder nicht mehr neben ihr sitzt, nur das Schwert und das Horn liegen noch dort, wo ursprünglich auch der Junge gesessen hat. Verzweifelt fragt sie die anderen Zuschauer/innen nach dem Verbleib von Gottfried. Keiner will etwas gesehen haben.
Realität und Traum verschwimmen, Elsa wird des Brudermordes angeklagt – und die Bürger sind nur zu schnell bereit, kurzen Prozess zu machen. Links wird ein provisorischer Galgen installiert und erst im allerletzten Moment wird Heinrich diese Lynchjustiz unterbinden.
Als allerdings die Situation für Elsa nicht besser wird, kein Zeuge ihre Unschuld belegen kann (einer aus der Zuschauergruppe, der für Elsa sprechen will, wird von anderen Anwesenden zurückgehalten), schleppt Heinrich selbst die verängstigte Frau wieder zu dem Strick.
Da passiert jenes unwahrscheinliche Wunder – aus der Mitte des Parketts bricht ein Mann hervor. Rüde reisst er die Sitzreihen auseinander, er ist nachlässig gekleidet, der Oberkörper ist nackt, die Haare schulterlang. Kein Held aus dem Bilderbuch, eher ein Fremdling in einer bürgerlichen Gesellschaft.
Der Zweikampf zwischen Telramund und Lohengrin ist ein perfides „russisches Roulett“ mit einer Kugel im Lauf eines grösseren Revolvers. Die Contrahänden sitzen sich an einem Tisch gegenüber – der Hausmeister dreht die Trommel und legt die Waffe auf den Tisch.
Lohengrin setzt den Revolver an seine Schläfe und drückt ab, geradezu unbeteiligt tut er das, ohne Angst und ohne erkennbare Anspannung. Nachdem die leere Kammer gegelickt hat, ist Telramund an der Reihe. Der ist nervös, zittert, verliert bei jeder weiteren Runde immer mehr die Nerven. Aber auch bei ihm klickt zuerst die leere Kammer und der schwächliche Mann ist mehr als erleichtert darüber.
In der letzten Runde dieses „Wettkampfes“ ist Telramund nicht mehr in der Lage, die Waffe anzulegen, so stark zittert er, sie fällt ihm aus der Hand. Lohengrin ergreift den Revolver richtet die Waffe auf Telramund und schenkt ihm sein Leben.
Alles jubelt, nur Ortrud, gross, schlank und in schwarz gekleidet beschimpft ihren Mann ob dessen Feigheit. Verächtlich wurde Telramund der Revolver und der dazugehörige Koffer hingeknallt – man erwartet wohl von ihm, dass er sich selbst richtet.
Der Raum bleibt die drei Akte über unverändert – nur das Mobiliar, also die Sitzreihen werden umgeräumt, so das auch schon mal eine freie Fläche in der Mitte oder, im Verlauf des zweiten Aktes, durch einen Mittelgang mit rotem Teppich, eine Kirche assoziiert werden kann.
Die Handlung verläuft erwartbar, zuerst vorne rechts Ortrud und Telramund im Gespräch, dann Elsa auf der Empore, die kurze Zeit später Kleider für Ortrud mit hinunter bringt, damit diese sie bei der Hochzeit angemessen angezogen begleiten kann, es folgt der Einzug in das Münster. Die Braut in weiss, der Bräutigam im Frack. Elsa sieht plötzlich in einer Phantasie ihren Bruder Gottfried hereinkommen – von überall her kommen Klone ihres Bruders auf sie zu und bedrängen sie.
Nach der Auseinandersetzung mit Telramund wird die Ehe geschlossen – ein Pfarrer traut Elsa und Lohengrin – auf der Empore stehen vorne Ortrud und ihr Mann – auf dem Arm hat Ortrud den kleinen Gottfried. Elsa ist entsetzt.
Zu Beginn des dritten Aktes bereitet der Chor das Brautbett für Elsa und Lohengrin. Alle legen ihre Jacken in der Mitte der Bühne ab und schaffen so ein Liebeslager für die Brautleute.
Allein, es wird nicht gebraucht werden – Elsa ist hinreichend an der Identität ihres Gatten interessiert, durchsucht auch schon mal dessen Jacket, um ein Personalpapier zu finden, ohne allerdings fündig zu werden, und stellt dann jene Frage nach „Nam und Art“, die ihr ausdrücklich verboten worden ist.
Telramund stürzt mit dem Revolver herein, Lohengrin entwendet dem Widersacher die Waffe und schlägt Telramund mit deren Knauf drastisch den Schädel ein.
Letztes Bild: der Chor steht zum Kampf bereit – er hat seine Zivilkleidung abgelegt und steht nun in einer braunen Uniform auf der Bühne. Nachdem Lohengrin seine „Gralserzählung“ direkt an Else gerichtet hat, verschwindet die Traumfigur einfach. Der Kinosaal wird wieder zum realistischen Raum. Während noch Lohengrins Stimme aus dem Off herüber singt, bringt der Hausmeister den kleinen Gottfried wieder zu seiner Schwester zurück. War was?
Jens-Daniel Herzog inszeniert Wagners Oper aus dem Jahr 1850 mit relativ leichter Hand, versucht, seinem etwas gewollten Konzept treu zu bleiben und überzeugt mehr im Detail (z. B. bei der Ausgestaltung der Telramund-Figur oder bei der Dramaturgie des Zweikampfes im ersten und der Schlussszene des zweiten Aktes), als durch die Gesamtidee. Der Raum erzwingt Lösungen (vor allem im dritten Akt), die erzwungen wirken, das geht nicht richtig auf, stört allerdings auch nicht wirklich. Etwas unbeholfen wirkt es, wenn Elsa sehr oft ihren visionären Blick auf der imaginären Leinwand ruhen lässt. Was sich der Regisseur so gedacht hat, hat der interessierte Zuschauer durchaus recht schnell verstanden – es bedarf da keiner immer wieder neuen Handreichung durch ein retardierendes Inszenierungsmoment.
Musikalisch bietet das Orchester der Städtischen Bühnen Frankfurt hörenswertes – wie Betrand de Billy, der Dirigent des Abends, schon die ersten Klänge der Ouvertüre dynamisch modifiziert, wie die Töne kurz an- und abschwellen, wie die Musik zu fliessen beginnt, auf den Höhepunkt, auf die Entladung zusteuert, das hat Klasse.
De Billy, zügig im Grundtempo, lässt sich immer wieder Zeit, einzelne Passagen weit ausschwingen zu lassen, arbeitet Details sauber heraus und drängt, z. B. zu Beginn des dritten Aktes, mitunter schwungvoll vorwärts.
Dem mächtig auftrumpfenden Chor kommt der geschlossene Bühnenaufbau zu gute – und da oftmals frontal zum Publikum gesungen wird, klappt die Koordination mit dem Orchester auch recht gut.
Michael König ist der Lohengrin – intonatorisch schwach schon der Beginn, wenig elegant die Phrasierung, deutliche Grenzen in der Kraft und merkwürdig gepresste Töne überm System, wo dann die Stimme bleckend und angespannt mit bemerkenswerten Vokalverfärbungen irgendwie durch die Partie manövriert wird, machen diesen Lohengrin zu einer eher durchschnittlichen Darbietung, die man in Frankfurt so nicht erwartet hätte.
Deutlich besser die Elsa von Elza van den Hever, stimmlich schon etwas über die interpretierte Partie hinausgewachsen, gross im Ton, interessant im Ausdruck, fällt nur die Höhe, die nicht bruchlos eingesetzt werden kann, etwas ab.
Schwach Jeanne-Michèle Charbonnet, die Ortrud. Die Sopranistin verfügt zwar über eine recht grosse Stimme, aber wie sie diese einsetzt, streift die Zumutbarkeitsgrenze. Heftig tremoliert die Stimme vor sich hin und wenn Charbonnet ihre Töne von unten anwobbelt und nur ungefähr auf der richtigen Tonhöhe landet, macht dies keine Freude. Ganz schlimm, wenn dann die Sängerin unter enormem Kraftaufwand Spitzentöne nicht mehr erreicht und gnadenlos unter Missachtung jeder sängerischen Tugend losschreit.
Robert Hayward, der Telarmund, bleibt sängerisch eindimensional, bewältigt die Partie annehmbar und überzeugt vor allem darstellerisch.
Kurz vor der Premiere übernahm Bjarni Thor Kristinsson die Partie des König Heinrich. Kristinsson verfügt über einen engen, gequetschten und höhenschwachen Bass, der im Laufe des Abends noch schwächer wurde, als er schon am Anfang war – da müsste sich problemlos eine bessere Besetzung finden lassen.
Tadellos und klangschön der Heerrufer von Johann-Martin Kränzle.
Grosser Beifall für alle Beteiligten, heftiger Protest für das Regieteam.