Schumann, Robert: Dichterliebe op. 48

  • Ich grolle nicht kann unterschiedlich interpretiert - und rezipiert - werden.
    Deshalb freue ich mich, wenn ich eine andere Interpretation höre, die mir gelungen erscheint.

    Mit Dorliac und Richter höre ich es so: ich rege mich nicht auf - aber ich könnte mir aufregen.
    Der Ausdruck "Ich grolle nicht" selber wird in der Übersetzung eher zu "ich nehme es dir nicht übel".

    Übersetzter Heine ist eben nicht gleich Heine. Dorliac und Richter drücken den Text aus, den sie eben vortragen. By the way, es wäre undenkbar gewesen, 1956 im Moskauer Konservatorium Schumann auf Deutsch zu singen.

    Eine Rückübersetzung des Textes würde etwa folgendes geben (sehr wortwörtlich - auch wenn es seltsam vorkommt: "schmerzvoll weh tut" würde man eher auf Deutsch "brennt vor Schmerz" ausdrücken, aber Argamakov hat eben russische Ausdrucksweisen benutzt)

    Ich nehme es Dir nicht übel, dass meine Brust schmerzvoll weh tut
    Die Liebe ist ja gestorben,
    Die Liebe ist ja gestorben.
    Ich nehme es Dir nicht übel

    Auch wenn deine Kleider in Diamanten glänzen
    Im Herzen die Nacht
    Und in der Seele die Finsternis herrscht
    Das wusste ich.

    Ich nehme es Dir nicht übel, dass meine Brust schmerzvoll weh tut.
    Ich sah dich ja im Traume :)
    Und ich sah die Finsternis in deiner Seele.
    Eine Schlange quält deine Brust
    Und ich weiß, wie tief die Wunde ist.

    Ich nehme es dir nicht übel, ich nehme es dir nicht übel.

    Richter ist nicht so aggressiv wie Eschenbach, aber er weiß ganz gut, die Linie zu halten (wohlgemerkt: ich höre mir die CD an).
    Ich höre hier nicht so sehr Selbstmitleid als eben Mitleid. Von Wut ist nichts zu spüren, eher Nostalgie. Wo man bei Heine verstehen könnte, dass die Geliebte etwas Dämonisches hätte (die Herzensnacht, die Schlange), ist sie hier eine Verwundete, selber eher ein Opfer.

    Beide Aspekte sind im Text und in der Musik drin. Dorliac und Richter unterstreichen eher das eine, Fischer-Dieskau und Eschenbach eher das andere.

    Das hat auch mit dem Klang der Sprache zu tun:
    grolle strahlst Pracht Strahl Traume frißt ... diese Anhäufung gibt es im russischen Text nicht. Und das "ich grolle nicht" hat eben die Aggressivität drin, während "ja nje serzhus" eher lieblich klingt. Dadurch, dass statt "cht" ein einfaches "s" am Ende ist, wird der Vokal gedehnt: serzhús, was noch lieblicher klingt.
    Ich sah die Schlang, die Dir am Herzen frißt -
    wird zu
    Terzajet grud tvoju zmeja-toska
    (gefettet das, was die Musik hervorhebt).
    Wenn es zmeja toska grud tvoju terzajet wäre, wäre man dem Original Heine-Schumann näher. Aber es würde nicht mehr reimen.

    Georgi Vinogradov singt eine andere Übersetzung:
    https://www.youtube.com/watch?v=IOtQG_6hlFo
    die rauher klingt.

    Übrigens, die ganze Dichterliebe mit Vinogradov hört man hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=aDf6yXFBNy4

    und sie gefällt mir auch ganz besonders.

    Sein Pianist, Georg Orentlicher, ist präsenter als Richter (wohl der Aufnahmesituation verdankt), aber nicht so nuanciert.
    Vinogradovs Aussprache ist auch "proletarischer" (ohne negative Konnotation von mir) als die aristokratische Aussprache Dorliacs. Beide wurden 1908 geboren, aber mit einem völlig unterschiedlichen Hintergrund - auch geographisch: er in Kazan, sie in Sankt Petersburg.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Vielen Dank, Philbert, das ist ja alles sehr aufschlussreich! Und für mich wirklich interessant.

    Alles, was Du über die Sprache sagst, die gesamte Rückübersetztung und vor allen die Schlüsse für die dadurch sich ändernde Interpretation kannst Du eigentlich in das Thema "Oper übersetzt - prima la Verständlichkeit" kopieren.

    Beide Aspekte sind im Text und in der Musik drin.

    Ja, das sehe ich auch so, aber mein Vorzug ist die eher herkömmliche Interpretation.


    By the way, es wäre undenkbar gewesen 1965 im Moskauer Konservatorium Schumann auf Deutsch zu singen.

    Auch ein interessanter Aspekt . Dann könnte man sowieso als allererstes argumentieren: lieber übersetzt, als gar nicht, selbst wenn es einen ziemlich veränderten Geschmack dadurch bekommt.

    :wink:

  • Ich denke, im Lied ist es eben anders als in der Oper.
    Im Lied ist die Sprache unter einem Vergrößerungsglas, in der Oper nicht.

    Alles, wie immer, IMHO.

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