Schumann, Robert: Dichterliebe op. 48

  • Ich habe noch einen Nachtrag zur Nummer 3, der aber vielleicht total an den Haaren herbeigezogen ist, mir nur heute beim Dante-Hören so in den Sinn schoss.

    Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne

    Dante ist inzwischen im Paradiso angekommen und entgegen aller Unkenrufe ist es da kein bisschen langweiliger als in der Hölle -im Gegenteil, superspannend!
    Seine geliebte Beatrice zeigt ihm alle 9 Himmel (ich dachte bisher immer , der 7. wäre Gipfel der Seligkeit, nun ist's sogar der 9. :angel: ) und dort ist die Rose Maria, die Lilie sind die Apostel, die Taube der Heilige Geist und die Sonne Gott selbst.
    Also alles, was ein anständiger Christ zu lieben hat. Rose, Lilie, Taube Sonne.
    Und das "ich lieb sie nicht mehr" wâre dann der Abfall vom rechten Glauben hin zur profanen irdischen Liebe?
    Da die himmlische und die irdsiche Liebe auch in den Nummern 5 und 6 ein Thema sind.....
    Hat Heine Dante gelesen und das gewusst?

    Ich bin wahrscheinlich im Momernt etwas obesessiv in meiner Divina Commedia Begeisterung und schiesse sicher übers Ziel hinaus aber die Idee kam halt so. :rolleyes:

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Obsessive Danterei ist immer gut!

    Liebe Fairy,

    sicher hat Heine Dante gekannt. Belege (direkte Zitate in Werk und Briefverkehr oder von der Lit.wiss. sichtbar gemachte Bezüge) müßte ich raussuchen und ich arbeite gerade über was anderes... ;+)

    Die Bildlichkeit oder streckenweise fast schon Emblematik der von Dir zitierten Symbole sind hinsichtlich Heines vom Herausgeber der Hanser-Ausgabe in deren erstem Band Sn. 666-668 unter dem Stichwort "Bild-Chiffren" kurz gelistet. Peter wird die Ausgabe vermutlich dahaben. In der Düsseldorfer Ausgabe muß man in die Einzelerläuterungen steigen.

    Nein, Heine hat in "archaisch modernisierender Weise" (das Oxymoron sei mir verstattet) selbstverständlich bereitliegende Bilderwelten aufgegriffen und sich nutzbar gemacht, nicht nur die der Literatur seiner Zeit (die sich gerade so recht dem Orient zu öffnen begann), sondern selbstverständlich auch prominente Pools vergangener Autoren und literarisch-ikonographischer Systeme.

    Dante, der selbst ein Synthetiker war, indem er unterschiedliche Symbolreihen oder Chiffren sammelte und synoptisch in sein Werk (nicht bloß die DC) inkorporierte, wird zuvörderst unter Heines Anlaufstationen gewesen sein.

    Wobei, wie Du schon andeutest, Heines Leistung nicht im Fortspinnen solcher Bilder-Pools bestand, sondern wohl im souverän-kreativen Umgang mit der Tradition, was eigenwillige Dekonstruktion und Parodie miteinschloß.

    Deine Deutung der Abkehr teile ich.

    Alex :wink:


    "In the year of our Lord 1314 patriots of Scotland, starving and outnumbered, charged the field of Bannockburn. They fought like warrior poets. They fought like Scotsmen. And won their freedom."

  • Obsessive Danterei ist immer gut!

    Werter Graf, leider haben wenige Mitbürger dafür Verständnis, denn wer kennt schon die Divina Commedia wirklich oder nur annähernd?

    Aber da ich mittlerweile schon davon träume, und mir die Sünder wie die Seligen des Nachts erscheinen könnte es mit der Obsession langsam mal wieder abklingen. Muss mich wohl schnell auf das nächste Grossprojekt stürzen....... um die Begeisterungen umzukanalisieren.

    Dass meine Heine -Assoziation dein Wohlwollen findet, ist jedenfalls beruhigend. Unsereins glaubt sich ja leider viel zu schnell ein bisschen abseitig und durch- bzw übergedreht. :stern:
    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Bei Capriccio gibt es schon eine ganze Menge interessanter Fäden. Diesen hier entdecke ich leider erst relativ spät.

    Vielen Dank für die guten und interessanten Analysen. Ich habe viel gelernt.

    Hier meine Sicht der Dinge zur Tonart des ersten Liedes:

    Ich tendiere zur Grundtonart Fis-moll.

    In den ersten vier Takten wechseln sich Subdominante und Dominante ab. Das dissonante cis ist ein Nonenvorhalt zum h, das allerdings zugegebenermaßen erst relativ spät folgt. Da die Akkordfolge H-moll - Cis-Dur in Takt 3 und 4 ja wiederholt wird, kann man beim Übergang von Takt 2 zu Takt 3 hören und sehen, wie das cis im musikalischen Fluss zum Einsatz kommt. Es ist nicht nur ein Vorhalt, sondern sogar ein vorbereiteter Vorhalt. Die Verwendung von solchen gilt ja seit der Renaissance als ganz besonders behutsamer Umgang mit der Dissonanz. Man könnte meinen, dass sich durch diese Wiederholung der Takte 1 und 2 an genau der angesprochenen Stelle eine ungewöhnliche Funktionsfolge ergibt: Auf die Dominante in Takt 2 folgt die Subdominante in Takt 3. Natürlich lässt sich das achselzuckend als "eine Wiederholung eben" abtun. Aber vielleicht steckt auch System dahinter. Bei Dieter de la Motte heißt es in der Harmonielehre, dass die Funktionsfolge Dominante - Subdominante selten sei, lediglich wenn einer der Akkorde als Sextakkord erklänge, begegne man der Akkordfolge öfter. Vermutlich spielt hier das Bemühen um das Vermeiden von Parallelen eine Rolle. Vielleicht wirkt diese (uralte) Ästhetik ja hier noch nach, denn die Subdominante steht ja auf der Terz (der einzige weitere harmoniefremde Ton, das ais im unteren System ist übrigens eine angesprungene Nebennote ohne funktionale Bedeutung, das h in Takt 2 ist die charakteristische Dissonanz der Dominante und ein deutlicher Hinweis auf eine zugundeliegende Tonart Fis-moll.

    Bisheriges Fazit: Funktionsfolge und Dissonanzbehandlung sind im Vorspiel nicht unbedingt außergewöhnlich. Was mich fasziniert ist dieser fließende Perpetuum-mobile-Eindruck, der nicht zuletzt durch dieses die beiden Zweitakter verbindende cis entsteht. Mir scheint es, als hätten diese beiden Takte schon lange hin und her pendeln können, bevor sie schließlich irgendwann in das Bewusstsein des Hörers (oder Sängers) treten... und damit den Zyklus initiieren.

    In den nächsten 8 Takten werden verschiedene Ausweichungen vorgenommen, die jeweils durch Zwischendominanten (und z. T. auch die dazugehörigen und direkt vor den Zwischendominanten erklingenden Zwischensubdominanten) entstehen. Die Zielakkorde dieser Ausweichungen lassen sich aber allesamt auf die Tonart Fis-moll beziehen:

    - Auf E-Dur am Ende von T. 5 folgt A-Dur, die Tonikaparallele von Fis-moll, der Vorgang wiederholt sich in T. 7 und 8

    - Auf E-moll und Fis-Dur in T. 9 folgt H-moll, die Subdominante von Fis-moll

    - Auf G-moll und A-Dur folgt D-Dur, die Subdominantparallele von Fis-moll

    Danach wiederholt sich der gesamte Vorgang inklusive Vorspiel (in dem der Bezug zur Tonika Fis-moll ja wieder deutlicher wird). Entscheidend finde ich auch noch, dass auch das Nachspiel dem Vorspiel entspricht.

    Es wurde diskutiert, ob man von der Tonart Fis-moll ausgehen könne, auch wenn Fis-moll gar nicht erklingt. Ich meine doch, dass das möglich ist. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Alternativen vor Augen führt. Konkret geäußert wurde hier bisher A-Dur (in meinen Augen die einzig denkbare Alternative). Nun erkläre man aber einmal den Cis-Dur-Septakkord in Takt 2... (eine nichtaufgelöste Zwischendominante zur Tonikaparallele von A-Dur? Da bleibe ich lieber bei Fis-moll!). Denkbar ist auch, von ständigen Modulationen auszugehen... und im Prinzip tue ich ja auch nichts anderes, wenn ich A-Dur in T. 6 bzw. 8, H-moll in T. 10 und D-Dur in T. 12 Ausweichungen nenne, ich empfinde diese Akkorde allerdings eher als vergängliche Episode, nicht als bedeutsame Zieltonart.

    Weiteres Fazit: In meinen Augen ist Fis-moll als Grundtonart eindeutig auszumachen. Es bleibt aber die Faszination eines Liedes, dessen Tonika nicht ein einziges Mal erklingt. Und dieses harmonische Streben nach einem Ziel, das nie erreicht wird, ist doch das ideale Sinnbild für das Sehnen und Verlangen, von dem dieses Lied (und der gesamte Zyklus) handelt.

    Tharon.

  • Lieber Tharon, serh schön, dass du diesen Thread wieder aus dem Dornröschenschlaf wachküsst. Es scheint irgendein Fluch auf ihm zu liegen, denn schon im T-Forum haben wir es nie geschafft, ihn zu Ende zu bringen.
    Falls du die Interpretation irgendeines Lieds übernehmen möchtest, dein Einstieg macht Dich allemal zum hervorragenden Kandidaten: also bienvenu! Die Liste steht auf der vorherigen Seite. Verhandlungen mit den bis dato eingetragenen Anwârtern sind wahrscheinlich hochwillkommen.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Liebe Fairy Queen,

    der thread reicht ja bis "Ich grolle nicht". Ich habe noch ein bisschen aufzuarbeiten. Wenn ich dort aber angekommen bin, könnte ich es mir schon vorstellen, ein Lied zu übernehmen.

    Hier ein weiterer Gedanke (mehr nicht...) zum dritten Lied:

    Die Sache mit dem Atmen finde ich durchaus spannend. Ich habe gerade FiDi mit Brendel zur Hand. FiDi atmet ebenfalls nach "Sonne". Von der Partitur her ist das wohl auch der sinnvollste Moment, denn das ist das Versende, auf das das erste ritardando hinzielt (was hier recht ausgiebig ausfällt). Ich habe mir in diesem Zusammenhang ´mal das Metrum des Gedichtes angeschaut. Heines Textvorlage ist ja bezüglich der Verslängen extrem unregelmäßig. Feststellbar ist aber die Dominanz eines daktylischen Metrums (auf eine Betonung folgen zwei unbetonte Silben). Dieses Versmaß wird nur dreimal durchbrochen. Einmal in Vers 2 ("Liebeswonne", T. 4), einmal in 3 ("nicht mehr", T. 5) und gravierend für den gesamten Vers geltend in Vers 6 ("sie selber, aller Liebe Wonne"). Wenn man sich nun anschaut, wie Schumann die Melodie rhythmisiert... dann stellt man fest, dass er versucht diese Unebenheiten in Heines Metrik zu glätten und in seinen Grundrhythmus einzupassen. Von daher könnte ich mir auch vorstellen, das Lied "durchzusingen", denn metrische Akzente scheinen nicht gewollt zu sein.

    Interessant finde ich auch, dass auf das erste ritardando kein Angabe "a tempo" folgt. Durch das Anfangstempo nach "Sonne" entsteht ja nach dem ritardando ein Bruch und ehrlich gesagt kann ich vom Text ausgehend nicht unbedingt einen Grund dafür ausfindig machen. Vorher heißt es"sie selber, aller Liebe Wonne, ist Rose und Lilie und Taube und Sonne", danach heißt es "ich liebe alleine die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine, die Eine!". Das ist doch nicht Reflexion und Schlussfolgerung sondern eher zweimal dasselbe (oder habe ich etwas übersehen?). Mich würde interessieren, ob es eine Aufnahme gibt, in der das ritardando ab "ist Rose und Lilie und Taube und Sonne" weniger stark, aber dafür kontinuierlich bis zum Schluss weitergeführt wird. Als Sänger (der ich leider nicht bin), würde ich das wahrscheinlich zumindest mal ausprobieren.

    Tharon

  • Hallo Tharon,

    Hier meine Sicht der Dinge zur Tonart des ersten Liedes:

    Ich tendiere zur Grundtonart Fis-moll.

    als ich gerade in die Noten gesehen habe, dachte ich spontan "klar, fis-moll, was sonst?" Nach genauerer Betrachtung plädiere ich aber doch eher für A-Dur: Die einzige vollständige Kadenz im ganzen Lied ist die in A-Dur, und die kommt gleich viermal und an sehr exponierter Stelle, nämlich zu Beginn der beiden Strophen (T. 5 bis 8 bzw. T. 16 bis 19) vor. Die Subdominante ist hier eindeutig als D-Dur mit Sext statt Quint, nicht als h-moll zu hören (man erkennt das sehr leicht, wenn man mal die Quint A einfach hinzunimmt, also aus dem Subdominant-Sextakkord einen Sub-Quintsextakkord macht; die harmonische Funktion ändert sich dadurch überhaupt nicht; hingegen wirkt besonders hier aber auch am Anfang ein hinzugefügtes gis als Sixte ajouté von h-moll deutlich verändernd), es folgen ganz normal E-Dur-Septakkord und A-Dur-Tonika. Das ist zu Beginn natürlich noch nicht so eindeutig, insbesondere weil jeweils nach dem ersten D-Dur/h-moll jeweils Cis-Dur-D7 folgt. Da aber die erwartete Auflösung nach fis-moll nicht stattfindet, höre ich diesen Beginn eher als harmonischen Schwebezustand zwischen fis-moll und A-Dur (und den Cis-7 wie Du geschrieben hast als nicht aufgelöste Zwischendominante), als eine Art harmonisches Pendel, welches erst mit dem Einsatz der Gesangsstimme Richtung A-Dur ausschlägt und dort sein Ziel erreicht. Hier stellt sich für mich zum ersten (und abgesehen von der Wiederholung in der zweiten Strophe auch einzigen) Mal ein Grundtongefühl ein. Bei einer angenommenen Grundtonart fis-moll müsste man diese Stelle hingegen als Ausweichung einer nie erklingenden Grundtonart hören, und das ist mir nicht möglich, weil mit der wiederholten A-Dur-Kadenz im harmonischen Gesamtgefüge des Stückes eine Grundtonart sehr wohl etabliert wird. Auch in Bezug auf den Text des Liedes finde ich den beschriebenen Schwebezustand als quasi komponiertes Fragezeichen durchaus plausibel.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Na, ich seh´s und hör´s anders. Es gibt ja nicht nur eine vollständige Kadenz in A-Dur, sondern auch eine in H-moll (T. 9/10) und eine in D-Dur (T. 11/12). Das sind in meinen Ohren diminuierte Kadenzvorgänge der zuvor stattgefundenen A-Dur-Kadenz. In irgendeiner Form Zieltonart nennen kann ich das aber nicht.

    Vielleicht noch ein Aspekt: Das nächste Lied steht in und beginnt mit A-Dur. Man höre Lied 1 und 2 hintereinander. Ist das dieselbe Tonart wie zuvor? Diesem Eindruck wird doch durch den Lied 1 abschließenden Cis7 geradezu entgegengewirkt...

    Tharon.

  • Hallo Tharon,

    Na, ich seh´s und hör´s anders. Es gibt ja nicht nur eine vollständige Kadenz in A-Dur, sondern auch eine in H-moll (T. 9/10) und eine in D-Dur (T. 11/12). Das sind in meinen Ohren diminuierte Kadenzvorgänge der zuvor stattgefundenen A-Dur-Kadenz. In irgendeiner Form Zieltonart nennen kann ich das aber nicht.

    Vielleicht noch ein Aspekt: Das nächste Lied steht in und beginnt mit A-Dur. Man höre Lied 1 und 2 hintereinander. Ist das dieselbe Tonart wie zuvor? Diesem Eindruck wird doch durch den Lied 1 abschließenden Cis7 geradezu entgegengewirkt...

    ich gebe Dir insofern recht, als die beiden Kadenzen in T. 9/10 und T. 11/12 ebenfalls vollständig sind. Aber sowohl h-moll als auch D-Dur kommen eindeutig als Grundtonart des Stückes nicht in Frage, sind also hier ohne Zweifel Ausweichungen. Durch die Wiederholung der A-Dur-Kadenz bekommt diese ein ungleich stärkeres Gewicht im harmonischen Gesamtgefüge, durch die exponierte Stellung am Beginn des Gesangseinsatzes noch mehr, und schließlich liegt - ebenfalls durch die Wiederholung - die komplette Folge T-S-D-T nur hier in A-Dur vor. Das ist zugegeben immer noch eine vergleichsweise "instabile" Tonika, aber relativ eben doch die stabilste des Stückes. Sie deshalb als Ausweichung von einer "virtuellen" Tonika zu hören, die selbst nicht ein einziges Mal erklingt, halte ich für weniger plausibel. Dass das Nachspiel sich harmonisch wieder von der Tonika entfernt und das beschriebene "Fragezeichen" wiederholt, ist durch den Text ("mein Sehnen und Verlangen") gut nachvollziehbar, während die A-Dur-Kadenz jeweils bei "Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen" bzw. "...als alle Vögel sangen" steht, also vergleichsweise "Bodenständiges" beschreibt.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Mein frz. Liedführer gibt Tharon recht. Was aber nichts heissen muss. Allerdings ist es schon ein bisschen unwahrscheinlich dass nur in diesem einzigen Fall zwei aufeinanderfolgende Lieder in derselben Tonart stehen sollten. Das widersprciht so ziemlich allen Gewohnheiten hinscihtlich der Tonartenfolge, die Schumann bei seinen Liedzyklen hatte. Aber auch das ist natürlich kein schlagendes Gegenargument.
    Mich uberzeugt am ehesten Tharons Aussage, vom Ziel das nie erreciht wird. wenn gleich im ersten lied die tonika nie erreciht wird, ist das ein sehr mächtiges Symbol.
    Ich habe leider die Noten gerade nicht zur Hand und bin gleich unterwegs. Evtl kann mal jemand nachsehen ob dieser fis-moll Akkord im Nachspiel eine Rolle spielt?
    Dann wäre der Kreis geschlossen und diese Tonart noch wahrscheinlicher.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Liebe Fairy,

    Allerdings ist es schon ein bisschen unwahrscheinlich dass nur in diesem einzigen Fall zwei aufeinanderfolgende Lieder in derselben Tonart stehen sollten. Das widersprciht so ziemlich allen Gewohnheiten hinscihtlich der Tonartenfolge, die Schumann bei seinen Liedzyklen hatte.

    im Heine-Liederkreis stehen "Schöne Wiege meiner Leiden" und das folgende "Warte, warte, wilder Schiffsmann" beide in E-Dur. In den Kerner-Liedern "Erstes Grün" und das folgende "Sehnsucht nach der Waldgegend" beide in g-moll, "Könnt' ich Dich in Liedern preisen", "Wärst du nicht, heil'ger Abendschein" beide in Es-Dur, "Dass Du so krank geworden" und "Hörst Du den Vogel singen" beide in As-Dur. Usw.

    Mich uberzeugt am ehesten Tharons Aussage, vom Ziel das nie erreciht wird.

    Wie gesagt: "Im wunderschönen Monat Mai" beschreibt noch kein unerreichbares Ziel sondern einen stabilen Ausgangspunkt. Da ist die stabile Kadenz (die ja zweifellos dort steht) also textkonform.

    Ich habe leider die Noten gerade nicht zur Hand und bin gleich unterwegs. Evtl kann mal jemand nachsehen ob dieser fis-moll Akkord im Nachspiel eine Rolle spielt?
    Dann wäre der Kreis geschlossen und diese Tonart noch wahrscheinlicher.

    Es gibt im ganzen Lied keinen einzigen fis-moll-Akkord.

    Viele Grüße,

    Christian

  • "...da hab´ ich ihr gestanden
    mein Sehnen und Verlangen."

    Dieser Gedichtschluss soll ein stabiler Ausgangspunkt sein? Hier bleibt doch alles offen! Warum nicht auch die Harmonik? Mal abgesehen davon verstehe ich die nie erreichte Tonika auch eher als Vorausdeutung auf das unerreichbare Liebesglück, das erst im Verlauf des Zyklus´ zur Gewissheit wird.

    Und Fis-moll im letzten Lied? Naja, das letzte Lied steht in Cis-moll (das Nachspiel enharmonisch verwechselt und verdurt in Des-Dur). Das fehlende Fis-moll aus dem ersten Lied wäre also Subdominante. Nicht dass ich dem allzu viel Bedeutung beimessen würde, aber die Aussage "es gibt im ganzen Lied keinen einzigen Fis-moll-Akkord" ist ja wohl einfach nicht korrekt. Fis-moll wird ganz normal als Subdominante verwendet: T. 6 auf "Träume", T. 10 auf "holt einen", in T. 38 auf "senken ins", von T. 24 - 27 gewinnt Fis-moll sogar kurzzeitig die Funktion eines tonalen Zentrums ("auch sie muss sein noch länger, als wie zu Mainz die Brück"). Der letzte (!) Akkord des eigentlichen Liedes ist übrigens ein Fis-moll-Akkord mit subdominantischer Sexte, von dort aus wird für das Nachspiel nach Des-Dur moduliert.

    Ich bin noch nicht so weit, als dass ich schon etwas Fundiertes zum letzten Lied sagen könnte, aber weil sie sich hier geradezu aufdrängen, hier ein paar Spekulationen:
    Das letzte Lied dieses Zyklus... ist das das Ende der Geschichte? Das Ende der Leiden? Vorläufig sehe ich das nicht so (lasse mich aber gern belehren). Das Lied in Cis-moll verkündet am Schluss, der Liebeskummer sei überwunden. Dann folgt im Nachspiel eine Melodie, die dem Nachspiel von Lied 12 (Am leuchtenden Sommermorgen) entnommen ist. Dieses Lied 12 endet trotz schwermütigem Inhalt in B-Dur. Die Analogie Dur=Glück, Moll=Unglück funktioniert hier also nicht so ohne weiteres (romantische Ironie?). In Lied 12 ist diese Melodie, die dann am Schluss des Zyklus´zitiert wird, der Kommentar zu den Versen "...du trauriger, blasser Mann." Im Nachspiel zu Lied 16 folgen darauf ein paar weitere Takte in Des-Dur. Ist das ein Schluss, der darstellen möchte, dass der Kummer überwunden ist? Im Moment sieht das für mich äußerst fragwürdig aus. Mir scheint der Schluss des Zyklus´ ähnlich offen zu sein, wie auch der Schluss des ersten Liedes, hier macht sich jemand nur vor, er habe mit der Sache abgeschlossen... soweit meine oberflächliche Assoziation. Wenn das aber zutrifft, dann muss auch das Tonartenverhältnis doch nicht zu einem Abschluss führen. Wenn das letzte Stück eindeutig in Fis-moll stünde, dann wäre ja Schluss! "In Lied 1 hat´s gefehlt, in Lied 16 wird es endlich nachgeliefert, nun können wir das Buch zuklappen..." Aber so einfach ist es ja nicht. Hier ertrinkt ja niemand im Bach, hier (so zumindest meine erste Lesart) bleibt jemand verhaftet in seinen Illusionen. Das darf doch keinen Abschluss darstellen!

    Und hier noch eine besonders verwegene These (man möge sie bitte zerpflücken, dann kann ich wieder ruhig schlafen!): Das letzte Lied endet in Des-Dur. Das ist enharmonisch verwechselt Cis-Dur. Cis-Dur aber ist die Dominante von Fis-moll, der Tonart, in der zumindest für mein Verständnis das erste Lied steht. Klingt das so, als ginge das Ganze von vorne los?

    Tharon.

    edit: Gerade bemerke ich, dass Ch. Kühn das Wörtchen "Nachspiel" von Fairy Queen wohl auf das Nachspiel zum 1. Lied verstanden hat. Dort gibt es in der Tat keinen Fis-moll-Akkord. Ich glaube aber aus Fairy Queens Worten herauszulesen, dass sie das Nachspiel des gesamten Zyklus´ meint.

  • Siehst Du, lieber Matthias, das ist der Unterschied zwischen einer ironischen Romantik und einer romantischen Romantik: ich finde sowas nicht ironisch sondern tragisch.... :cry: :rolleyes:
    Lieber Christian, ich hatte eigentlich nur opus 39, 42 und 48, die alle im selben Jahr enstanden sind, gemeint und die für mich die einzigen wirklichen in sich geschlossenen Zyklen sind. Aber wenn man's weiter fasst, hast du gewiss Recht.

    Immerhin ist Dornröschen wieder aufgewacht, vielleicht schaffen wirs ja eines schônen Tages doch noch, den Fluch der 13. Fee aufzuheben. :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Bei gleichzeitiger großer Begeisterung für opus 39 konnte ich mit der Dichterliebe zu meinem eigenen Leidwesen nie richtig viel anfangen. Heines Texte berühren mich nicht wirklich, und der musikalische Gestus der meisten dieser Lieder ist mir ebenfalls bislang seltsam fremd geblieben - einzelne Nummern wie "Ich grolle nicht" oder "Ich hab im Traum geweinet" wirken geradezu abstoßend auf mich, ohne dass ich ihren *objektiven* :D musikalischen Wert in Frage stellen oder mein Missbehagen andersweitig vernünftig begründen könnte.

    Noch schlimmer ergeht es mir mit "Frauenliebe und -leben". Mehrere Versuche, den Zyklus komplett durchzuhören, sind kläglich gescheitert, irgendwann in der Mitte erlag ich jedes Mal der Versuchung, unverzüglich den Aus-Knopf zu betätigen.

    Andere Lieder Schumanns (die meisten aus opus 39, aber auch verschiedene spätere Sachen) gehören hingegen für mich zum Großartigsten, was die Musik der Romantik überhaupt zu bieten hat.

    Verstehe das, wer will.....

    Viele emotionale Grüße

    Bernd

  • Lieber Bernd, ich verstehe das zumindest ein bisschen. Für mich ist der opus 39 auch der absolute Höhepunkt in Schumanns Liedkunst (die Myrthen kommen dem aber ziemlich nahe) und ich bin nach wie vor überzeugt, dass Schumann Eichendorff viel organischer und kongenialer vertont hat als Heine.

    Trotzdem finde ich die Dichterliebe wunderschön, wenn man ich sie halt als ein ganz eigenes Kunstwerk ansehe, dass viel mehr mit Schumann als mit Heine zu tun hat.
    Ich grolle nciht, finde ich übrigens besonders toll, hast Du das mal mit Hans Hotter gehört? Der grollt so sehr angeblich nicht, dass sich Heine wahrscheinlich darüber grollend im Grabe rollt.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Hallo Tharon,

    "...da hab´ ich ihr gestanden
    mein Sehnen und Verlangen."

    Dieser Gedichtschluss soll ein stabiler Ausgangspunkt sein? Hier bleibt doch alles offen! Warum nicht auch die Harmonik?

    ich hatte genau das Gegenteil geschrieben: Bei "Im wunderschönen Monat Mai" beschreibt die stabile A-Dur-Kadenz einen stabilen Ausgangspunkt. Offen bleibt die Harmonik bei den Ausweichungen danach (also bei "da hab ich ihr gestanden...") und im Nachspiel nach der zweiten Strophe.

    Und Fis-moll im letzten Lied? Naja, das letzte Lied steht in Cis-moll (das Nachspiel enharmonisch verwechselt und verdurt in Des-Dur). Das fehlende Fis-moll aus dem ersten Lied wäre also Subdominante. Nicht dass ich dem allzu viel Bedeutung beimessen würde, aber die Aussage "es gibt im ganzen Lied keinen einzigen Fis-moll-Akkord" ist ja wohl einfach nicht korrekt.

    Wie Du in Deinem edit schon geschrieben hast, habe ich mich in der Tat nur auf das erste Lied und dessen Nachspiel bezogen. Noch einmal zusammengefasst: Das Vorspiel zu "Im wunderschönen Monat Mai" beginnt mit dem subdominantischen Akkord d-fis-h, der als h-moll über Cis-7 geht, die folgende Auflösung nach fis-moll aber zweimal verweigert. Das d im Bass schafft sozusagen auch bei zwei Versuchen einfach nicht den Kadenzverlauf cis-fis. Im dritten Anlauf - und diesmal unterstützt durch den Gesangseinsatz - wird der Akkord als D-Dur mit Sext statt Quint gedeutet und geht konsequent über E-7 nach A-Dur, Bassverlauf also d-e-a. Das d ist also diesmal Grundton, nicht Terz, die kadenzierende Wirkung 4-5-1 ist dabei stärker als es 6-5-1 gewesen wäre. Die harmonische Entspannung dieser gefundenen Lösung wird zusätzlich durch das wegfallende ais vor dem h gezeigt. Anders gesagt: Nach zwei vergeblichen Versuchen, die Kadenz in der einen Richtung - nämlich nach fis-moll - abzuschließen, liegt die vorläufige Lösung in der Wendung nach A-Dur. Das passt auch zum stabilen Ausgangspunkt "Im wunderschönen Monat Mai". Was in diesem Monat geschah ("hab ich ihr gestanden..."), stellt natürlich die harmonische Stabilität wieder in Frage, deshalb die folgenden Ausweichungen. Nach der Wiederholung in der zweiten Strophe weist das Nachspiel wieder in die unsichere Zukunft, indem es die gefundene A-Dur-Stabilität erneut in Frage stellt. Soweit im Groben meine Analyse. Angenommen, ich würde der Grundtonart fis-moll folgen, müsste ich die vierfach wiederholte A-Dur-Kadenz als Ausweichung von fis-moll hören, ohne dass dieses fis-moll je erklungen wäre oder im weiteren Verlauf erklingen würde. Eine Ausweichung kann aber als zeitweilige Entfernung von einer Grundtonart als solche nur wahrgenommen werden, wenn diese Grundtonart auch schon erkennbar und etabliert war, oder wenn sie es wenigstens im Nachhinein wird. Wie soll sie das aber sein, ohne im ganzen Lied auch nur ein einziges Mal zu erklingen? Wenn wirklich "alles offen" bliebe, könnte man von einem Stück ohne eindeutige Tonart ausgehen (wie z.B. in Brahms' Intermezzo op. 118 Nr. 1), aber dazu ist die vierfach wiederholte A-Dur-Kadenz in diesem kurzen Lied m.E. einfach zu auffällig, zu dominierend, an zu exponierter Stelle, harmonisch also zu sehr stabilisierend. Fazit: Das Lied steht in A-Dur, die Stabilität dieser Grundtonart ist zwar deutlich angegriffen aber nicht zerstört. Auch das passt zum Text: Ein ängstlicher und gefährdeter, aber hoffnungsvoller, optimistischer Beginn.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Liebe Fairy, ich habe schon verschiedene Versionen im Radio gehört, aber die mit Hotter (den ich in vielen seiner mir bekannten Aufnahmen großartig finde!) war leider noch nicht dabei.

    Ich selber besitze den Zyklus nur in einer Version mit Peter Schreier, dessen Timbre ich im Gegensatz zu seiner musikalischen Intelligenz und darstellerischen Kraft nicht sonderlich schätze.

    Mir fällt es offengestanden schwer, mir von Werken, zu denen ich nur wenig Zugang habe, mehrere Einspielungen zuzulegen.

    Christian und Tharon, lasst euch durch die kleinen Einsprengsel nicht in eurer Harmonik-Diskussion stören. Ich finde sie sehr spannend und bedaure gerade, dass mir der Notentext nicht vorliegt.

    Viele Grüße

    Bernd

  • Lieber Christian (schreibe ich jetzt einfach ´mal so),

    ich stelle fest, dass sich unsere Argumente wiederholen.

    Hier ist das, was ich von dir mitgenommen habe:

    1. In der Tat gibt es eine komplette A-Dur-Kadenz im Lied, die sogar wiederholt wird. Es ist die einzige Kadenz, die wiederholt wird. Sie steht nicht zu Beginn des Liedes, aber immerhin beim Einsatz der Gesangsstimme.
    Erwiderung: Wie schon erwähnt folgen darauf zwei weitere vollständige Kadenzen in anderen Tonarten. Diese werden nicht mehr wiederholt. Ein derartiger Vorgang klingt in meinen Ohren nicht nach einer Ausgangstonart, sondern nach einer modulatorischen Verdichtung. Es geht zunächst nach A-Dur und dann, sich steigernd und beschleunigend, nach H-moll und D-Dur. Ich höre keine Zentraltonart. Vor kurzem habe ich die "einfache" Klaviersonate C-Dur KV 309 von Mozart vorliegen gehabt. Dort gibt es einen ganz ähnlichen Vorgang in der Durchführung. Ein halbwegs gewichtiger Modulationsschritt bekommt eine gewisse Dauer zuerkannt, dann folgen weitere in schnellerer Folge. Ich glaube, so etwas gibt es sehr häufig. Bei Mozart dient das Ganze dazu, einen Höhepunkt anzusteuern. Bei Schumann hört es sich für mich so an, als werde durch diese harmonische Beschleunigung ein Perpetuum Mobile in Gang gehalten.
    2. Es gibt ein Problem, eine Ausweichung von einer Tonart wahrzunehmen, die gar nicht erklingt.
    Erwiderung: Das Problem kann ich nachvollziehen. Statt deshalb aber von A-Dur als Grundtonart auszugehen, würde ich eher den Begriff "Ausweichung" vermeiden wollen. Hiermit revidiere ich eine zuvor getroffene Aussage. Die nachgebesserte Formulierung könnte heißen: "Nach einer Einleitung mit der Subdominante und Dominante von Fis-moll folgt ein sich zuspitzender Modulationsvorgang, der schließlich wieder zur Subdominante und Dominante von Fis-moll zurück führt.

    Noch zwei Anmerkungen:
    1. Du wirst nicht im Ernst behaupten wollen, diese acht Verse erlaubten eine Vertonung, die von einer stabilen Harmonik zu einer vakanten führt. Der Aufbau des Liedes ist Vorspiel (a) - Strophe 1 (b) - Zwischenspiel (a) - Strophe 2 (b) - Nachspiel (a). Schumann sieht keine Handlungsfolge, sondern Lyrik par excellence. Die Vertonung wird sich also als Ganzes deuten lassen müssen. Es gibt keinen stabilen Ausgangspunkt bei "Im wunderschönen Monat Mai", sondern einen indifferenten Ausgangspunkt beim Vorspiel.
    2. Es tut mir Leid, hier solche Banalitäten kundzutun... aber für mich ist Anfang und Ende eines Werkes ziemlich bedeutsam für die Frage nach der Harmonik.

    Letztlich habe ich verstanden, dass man das Lied anders sehen kann. Ich sehe es eben nicht so.

    Herzliche Grüße und Danke für die anregende Diskussion,

    Tharon.

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