Schumann, Robert: Dichterliebe op. 48

  • Wie gefällt Euch die Interpretation Wunderlichs?

    Lieber Christian! Ich habe mir Deinen Link angehört, und finde, dass er das recht gut singt. Aber ich teile Philberts Meinung, dass es Wunderlich zu "elegisch" anlegt, für mich klingt es zu sehr nach (gekünsteltem) Vortrag, nach jemandem, der die Noten bekommen hat, um das Lied zu singen. Meiner Meinung sind ihn bei diesem Lied Peter Schreier oder Ian Bostridge eindeutig überlegen. Den beiden kaufe ich ab, dass sie sich mit dem Text bzw. mit der Figur identifizieren, was ich bei Wunderlich nicht merke.
    (wobei Bostridge hier teilweise sehr leise singt; das müsste ich live hören, um es wirklich beurteilen zu können)

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Wie gefällt Euch die Interpretation Wunderlichs?

    Ein Blick auf meine wirklich ausufernde Wunderlich-Diskographie zeigt sofort, welch ein unbedingter Wunderlich-Fan bin. Und ich liebe diese Dichterliebe sehr, aber im direkten Vergleich steht sie für mich nicht ganz oben.

    Wunderlich ist ganz der jugendlich Liebende und das kommt dem Zyklus durchaus zu Gute. Aber gerade in dieser Aufnahme mit Giesen scheint er mir noch zu sehr am Beginn seiner Liederkarriere zu stehen. Das ist mir um Nuancen zu unbekümmert, zu wenig scheint er (hier speziell in der vierten Strophe) mir zu wenig Akzente zu setzen. Den '66iger-Zyklus aus Edinburgh finde ich da übrigens schon viel gereifter.

    Was mich für ihn natürlich immer und sofort einnimmt, ist diese unglaublich direkte Anspreche, die Schönheit der Stimme und die Eloquenz im Singen.

    Ganz anders Peter Pears (mit Britten), der nun wahrlich nicht über eine 'schöne' Stimme verfügte, dem man den jugendlichen Elan auch nicht unterstellen konnte, dessen Dichterliebe und auch dessen 'Und wüßten's die Blumen' für mich aber trotzdem und gerade auch durch das Zusammenspiel mit Britten eine andere Qualität im Liedgesang darstellt. Nicht nur, dass Britten mehr erzählt als Giesen, Pears selber, mit allen vokalen Schwächen, die er hatte, kann diesen gebrochenen Menschen viel besser, weil viel akzentuierter darstellen. Gut, dass ist eher ein Erwachsener und Wunderlich vielleicht eher ein junger Mensch. Aber auch Ältere können sich erinnern. ;)

    https://www.youtube.com/watch?v=1Ti--KQdGko

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Es stimmt. Edinburgh '66 ist viel engagierter. Auf dem Weg dazu befindet sich Salzburg '65:
    https://www.youtube.com/watch?v=K5oCu6KvfhU
    ... aber die Studio-Aufnahme ist von Oktober 1965! Wohl hat das Publikum ihn zu mehr Engagement bewogen ...

    Heine fängt wie gesagt klischeehaft romantisch an: Herz-Schmerz schon in der ersten Strophe!
    Dazu die Konjunktive, die dazu beitragen, daß fast alle betonten Silben lang sind (wüßten, ließen, men, sprächen, aber auch tief, heilen, weinen, traurig ...).
    Schumann antwortet mit einer fließenden Melodie und einem Blümchenteppich im Klavier.

    Bei der dritten Strophe allerdings ist es beinahe zuviel des Guten. Man ist von den Blumen zu den Nachtigallen aufgestiegen, jetzt geht's gleich in die Sterne ...

    Schumann folgt aber Heine ganz klug: der erquickende Gesang, der in der zweiten Strophe fröhlich erschallen soll, wird gar nicht in der Komposition angedeutet, es bleibt das "heilende Weinen". Keine strophische Variation im romantischen-Klischee Teil. Kleiner Trost in dieser schmalzigen Welt: die Melodie paßt am besten zum letzten Vers: Und sprächen Trost mir ein.

    Da kommt aber die letzte Strophe. Heine wechselt zuerst die Farben. wüßten -> wissen. Es kommen kurze Silben, offene Laute (können, wissen). Die weiblichen Endung ist hier auf einer kurzen Silbe, was das "s" noch beißender macht.
    Schumann hier moduliert von a-moll Richtung g-moll. Dazu rahmt er den pianistischen Blumenteppich ein mit Achteln über und unter den Zweiunddreißgsteln.
    In den letzten zwei Versen kommt die Giftspritze: "selbst zerrissen" mit Konsonantenhäufung und offenen kurzen Vokalen. Schumann zerreißt hier buchstäblich den Blümchenteppich im Klavier und läßt im Nachspiel die Fetzen fliegen.

    Josef Protschka und Helmut Deutsch bzw. Peter Schreier/Norman Shetler machen es für meinen Geschmack am besten.
    Bei Bostridge/Drake würde ich bemängeln, daß er bei "zerrissen" etwas over the top ist und auch daß er wüßten kurz singt. Klar, in der neuen Rechtschreibung ist es "wüssten", aber eine lang Silbe paßt für mich besser, was den Text und die Musik betrifft.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Du hast völlig recht Wolfram, Wunderlich wirkt manchmal eine Spur zu unbekümmert - das trifft es gut, finde ich. Den 66er Zyklus kenne ich noch nicht! Danke für den Tipp!

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Schumann folgt aber Heine ganz klug: der erquickende Gesang, der in der zweiten Strophe fröhlich erschallen soll, wird gar nicht in der Komposition angedeutet, es bleibt das "heilende Weinen". Keine strophische Variation im romantischen-Klischee Teil. Kleiner Trost in dieser schmalzigen Welt: die Melodie paßt am besten zum letzten Vers: Und sprächen Trost mit ein.

    Da kommt aber die letzte Strophe. Heine wechselt zuerst die Farben. wüßten -> wissen. Es kommen kurze Silben, offene Laute (können, wissen). Die weiblichen Endung ist hier auf einer kurzen Silbe, was das "s" noch beißender macht.
    Schumann hier moduliert von a-moll Richtung g-moll. Dazu rahmt er den pianistischen Blumenteppich ein mit Achteln über und unter den Zweiunddreißgsteln.
    In den letzten zwei Versen kommt die Giftspritze: "selbst zerrissen" mit Konsonantenhäufung und offenen kurzen Vokalen. Schumann zerreißt hier buchstäblich den Blümchenteppich im Klavier und läßt im Nachspiel die Fetzen fliegen.

    Sehr schön formuliert :) Besonders Dein letzter Satz. Man merkt hier - und eigentlich bei allen Stücken des Zyklus - wie genau Schumann den Ton Heines trifft, wie die Musik den Text interpretiert, ihm eine zusätzliche Dimension verleiht.

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Hallo Philbert! Du hast Deinen Beitrag zwar nicht an mich gerichtet, aber ich habe ihn mit großem Interesse gelesen und möchte mich für die genaue Schilderung bedanken.
    Die Aufnahme von Protschka/Deutsch kannte ich nicht, ich habe sie eben gehört, gefällt mir sehr gut! (abgesehen davon, dass ich Helmut Deutsch vor fast genau einem Jahr mit der Dichterliebe gehört habe und er da ziemlich oft danebengehaut bzw. gut hörbar mitgegrunzt hat).

    Aber ist "wüssten"/"wüßten" nicht sowieso eine kurze Silbe, unabhängig von der Rechtschreibung? Bin aber kein Germanist.
    Auch wenn zu Heine/Schumann natürlich eine lange Silbe an dieser Stelle besser passen würde.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Aber ist "wüssten"/"wüßten" nicht sowieso eine kurze Silbe, unabhängig von der Rechtschreibung?

    Freilich - ohne jetzt den Schumann-Heine-Capriccio-Kontext zu kennen.

    EDIT: Hier sehe ich gerade den Kontext:

    Zitat von Philbert

    Dazu die Konjunktive, die dazu beitragen, daß fast alle betonten Silben lang sind (wüßten, ließen, men, sprächen, aber auch tief, heilen, weinen, traurig ...).

    Wie gesagt: Spreche ich bei "wüssten" die betonte Silbe lang, ist es zumindest kein korrektes Deutsch, das dürfte klar sein.

    Was der schönen Beschreibung von Philbert natürlich keinen Abbruch tut.

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Spreche ich bei "wüssten" die betonte Silbe lang, ist es zumindest kein korrektes Deutsch, das dürfte klar sein.

    Lassen wir es als Positionslänge gelten.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Wiaßertn stimmt, und auch, dass "ia" langes "ü" ersetzen kann (süß --> siaß). Allerdings wird das "ia" in "wiaßert" anders gesprochen als in "siaß". In zweitem wird das i nämlich gedehnt (zumindest in Wien).

    Allerdings verstehe ich den Wienbezug noch nicht ganz. Schumann war Sachse, während Heine und Protschka eher Deinen Gefilden entstammen. Philbert wiederum stammt aus der Heimat Asterix'. :)

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Irgendwie muss ich den Bezug zur Sache verloren haben, hatte tatsächlich Schubert im Kopf :versteck1:

    Kann vielleicht mal ein Sachse ...

    (Zu Düsseldorf möchte ich vorsichtig sein, das ist ja schon niederrheinisch. Etwas weiter südlich ist das aber ganz sicher eine kurze Silbe.)

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Oh je, Köln und Düsseldorf in einen Topf geschmissen - das gibt Haue!

    Das ist in der Tat nicht ganz ungefährlich :) Etwa so gefährlich, Dortmund und Schalke in einen Topf zu werfen :)

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Ich habe nun nicht alle 11 Seiten durchgelesen, von daher weiß ich nicht, ob diese Aufnahme bereits besprochen wurde, bezweifle das aber.

    https://www.youtube.com/watch?v=-0Au8x…uvZxQgnTwgdDj10

    Nina Dorliak und Richter mit der Dichterliebe in Moskau 1956.

    Ich bin zunächst einmal ein wenig verwirrt. Einmal, weil eine Frau den Zyklus singt und dann weil es auf Russisch ist. Andererseits ist das vielleicht gar nicht einmal solch ein Problem, weil der Text ja nun wirklich bekannt ist.

    Je länger ich diese Aufnahme anhöre, je faszinierter bin ich davon. Sie nimmt mich dann doch gefangen. Beide, Dorliak wie auch Richter zeichnet dieses unglaublich langsame Tempo aus, was gleichzeitig beiden die Möglichkeit des 'Hineinhören' in den Text und die Musik bietet. Ich habe das Gefühl, sie lauschen jeder Empfindung in extremster Weise hinterher, wollen gar keine Geschichte erzählen, sondern sind mehr an dem interessiert, was Text und Musik anbieten.

    Wer von euch kennt denn diese Aufnahme und wie beurteilt ihr sie?

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Nina Dorliak und Richter mit der Dichterliebe in Moskau 1956.

    Danke für die Anregung, Wolfram!

    Ich hab es mir 2 Mal ganz angehört und einige Lieder und Stellen öfter.

    Als allererstes: ganz wunderbar finde ich das Nachspiel von S Richter. Also wenn man sich das mal antun möchte, dann lohnt es sich allein dafür in diese Aufnahme reinzuhören.

    Ansonsten:
    Gerade bei so einer krassen Änderung sollte man wirklich fair sein und in Betracht ziehen, dass man sich überhaupt auf eine andere Aufnahme einlassen muss.
    Die Frauenstimme ist kein Problem für mich, finde ich interessant und würde gerne mehr davon hören. Interessant, weil man sehen würde, ob sich eine interpretatorische Frauenversion herauskristallisieren würde :versteck1: .
    Problematisch könnten eventuell dann inhaltlich so Sachen wie „nur eine kennt meinen Schmerz, sie hat ja selbst zerrissen...“ werden.

    Wenn ich das Russische erstmal beiseite lasse: Ich finde viele Lieder durchaus schön und getroffen, wie zB Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne; Ich will meine Seele tauchen; Und wüßten's die Blumen, die kleinen oder Das ist ein Flöten und Geigen; Ich hab im Traum geweinet.

    Ich muss aber sagen, dass mir nach 2 mal hören die Lieder nicht genug Variation im Ausdruck bringen. Doch eher insgesamt verhalten und introvertiert. Es gibt schon auch lebhaftere Stellen und hier und da mehr extrovertierter Ausdruck, aber insgesamt ist mir das zu uniform, was ich nicht als im Sinne des Textes empfinde.

    Gerade meine beiden Lieblingslieder sind leider für mich verstellt. Ich grolle nicht wird indiskutabel durch das halbe Tempo. Eine der schönsten Basslinien komplett für die Katz. Wo man gerade da doch sonst so schön zulangt :jaja1: . Und bei Ein Jüngling liebt ein Mädchen fehlt einfach alles, was es braucht. Vom grossen, heiligen Köln hör ich auch nicht genug, und das ist natürlich unverzeilich :D .

    Zur Übersetzung : da bin ich streng. Musik in der Übersetzung hör ich mir eigentlich nicht freiwillig an. Ich denke mir es muss was verloren gehen. Hier bei dieser Version stört es mich allerdings nicht, weil ich Russisch so ausgesprochen gerne höre. Irgendwie inspiriert es mich. Aber ansonsten gehe ich deshalb auch nicht in die ENO in London. Verdi auf Englisch? Nein, Danke.
    Ich finde es inzwischen leider auch bei Belletristik unangebracht und gehe davon aus, dass mir mindestens 50% des Werks verloren gehen. Im Grunde lese ich es dann „nur noch“ für die Story.

    Ich habe das Gefühl, sie lauschen jeder Empfindung in extremster Weise hinterher, wollen gar keine Geschichte erzählen, sondern sind mehr an dem interessiert, was Text und Musik anbieten.

    Ja, in der Tat, es macht diesen Eindruck. Allerdings ist mir das bei Ich grolle nicht wirklich zu viel. Da muss man ja fast lachen. Und so war die Ironie wohl nicht gemeint.
    Aber ansonsten stimme ich Dir zu.

    Ich hör mir jetzt das Nachspiel nochmal an <3 .

    :wink:

  • Schumann hat bekanntlich Dichterliebe Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet, so dass eine Interpretation durch eine Sopranistin einen gewissen Grad an Authentizität für sich reklamieren kann.
    Diese Dichterliebe habe ich in folgender CD-Ausgabe:

    Dies hat den Vorteil, dass ich auch den gedruckten Text habe.
    Die Höhen sind etwas verzerrt, was am meisten in Ich grolle nicht stört. Es war ja eine Live-Aufnahme im Moskauer Konservatorium.
    Dorliac hat eine Art aristokratische Eleganz, eine klare Aussprache und viele Farben.
    Ich grolle nicht ist besonders gelungen. Es ist "Nicht zu schnell" überschrieben und das nehmen Dorliac und Richter fast überwörtlich. Allerdings trifft Dorliac den "ich rege mich nicht auf" Ton, der gleichzeitig bedrohend und mitleidend ist. "Ich sah dich ja in Traume" ist tatsächlich eine Traumvision hier. Das Lied, das so oft zu einem banalen Wutausdruck wird, bekommt hier seine Vielschichtigkeit wieder.
    Ähnliche Traumvision in Hör ich das Liedchen klingen. Wunderschöne mezza voce.
    Ein Jüngling liebt ein Mädchen ist wohl die einzige Stelle, wo die Übersetzung das Versmaß nicht respektiert.

    Alles in allem eine reflektierte Dichterliebe, keine expressionistische.
    Über Richter braucht man eigentlich nichts zu sagen. Wer seinen Schubert und Wolf mit Fischer-Dieskau kennt, weiß, was für ein genialer Liedpianist er ist.

    Die Übersetzung, ja nun ...
    Im Lied ist es anders als in der Oper, besonders wenn man mit Schumann und Heine zu tun hat. Der Effekt von Mund - Wund (erbar süsse) - Stund in Ich will meine Seele tauschen verschwindet, um nur ein Beispiel zu nennen. Sonst hat diese Übersetzung den Vorzug, daß sie - bis auf die o. a. Ausnahme - das Versmaß beibehält. Und Dorliac weiß, die russischen Vokale so schön auszukosten ...

    Nachher kommt übrigens Er ist gekommen in Sturm und Regen. Da zeigen Dorliac und Richer, daß sie auch stürmisch sein können. Ihre Ausdruckspalette in Dichterliebe ist denn gewollt.
    Und Clara + Rückert leidet weniger an der Übersetzung als Robert + Heine.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Vielen Dank, Philbert, für Deine Erklärungen !
    Gut zu hören, dass die Übersetzung gut gelungen ist und dass auch Du, mit Deiner Kenntnis der Sprache, diese Aufnahme als mehr als befriedigend in dieser Hinsicht empfindest. Das "Auskosten " kann ich besonders unterstreichen, so hört es sich wirklich an, selbst für meine Ohren, die einfach nur nach der musikalischen Komponente der Sprache gehen.

    Ich grolle nicht ist besonders gelungen. Es ist "Nicht zu schnell" überschrieben und das nehmen Dorliac und Richter fast überwörtlich. Allerdings trifft Dorliac den "ich rege mich nicht auf" Ton, der gleichzeitig bedrohend und mitleidend ist. "Ich sah dich ja in Traume" ist tatsächlich eine Traumvision hier. Das Lied, das so oft zu einem banalen Wutausdruck wird, bekommt hier seine Vielschichtigkeit wieder.

    Ok, das verstehe ich. ....Allerdings, als banalen Wutausbruch empfinde ich das Lied normalerweise nicht. Ich empfinde es als ein durch Sarkasmus gezügeltes inneres Grollen. Die Lautstärke soll nur die Intensität der durch Selbstbeherrschung gezügelten inneren Wut widerspiegeln und nicht einen Verlust von Selbstbeherrschung darstellen. Und richtig schnell ist es ja auch normalerweise nicht, sondern eben gezügelt auch im Tempo.

    Und wie gelingt diese Selbstbeherrschung ? Dadurch, dass man die Person trotzdem liebt: ("mein Lieb, wie sehr Du elend bist"). Bei Fischer-Dieskau ganz gut gelungen, finde ich *. Bei der Aufnahme hier geht mir dieses innerer Grollen komplett verloren; es wird bewusst hervorgehoben, dass man eben nicht grollt. Eine Art Ohnmacht oder Apathie wird hier dargestellt. Was für mich enttäuschend ist, denn die Musik soll mE nach die Ironie des Textes wiederspiegeln. Aber man kann es auch anders verstehen und das "Nicht Grollen" wörtlich nehmen.

    Sowieso ist für mich die Dichterliebe ein Versuch, die unendlich vielen emotionalen Fazetten von Liebesenttäuschung darzustellen. Aber natürlich nicht die Reaktion ein und derselben Person, sonder sozusagen das Repertoire der menschlich möglichen Reaktionen. Und dass jemand richtig wütend werden kann durch enttäuschte Liebe, gehört einfach als menschliche Reaktion dazu.
    Mir ist deshalb diese Aufnahme hier zu uniform. Aber das ist vielleicht deshalb, weil nur die Reaktion einer bestimmten Person dargestellt werden sollten. Das kann ich natürlich verstehen.

    * Ausserdem, ich wiederhole es nochmal: die Basslinie im Klavier ist einfach eine der schönsten "in all of music" und der Effekt, den sie produziert geht mir komplett verloren, wenn es zu langsam ist.
    EDIT: hier schnell bei 8:20 wunderbar nachzuhören:
    https://www.youtube.com/watch?v=sX1LTPV0QuA

    :wink:

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!