Schubert / Wilhelm Müller: Die Winterreise - Wenn der Boden entzogen ist... eine Annäherung

  • Das Spannende an der Wintereise ist eben gerade, dass sie alle Facetten miteinander und nebeneinander zeigt. Hier gibt es kein eindeutig interpretierbares Charakterbild, sondern ein Hologramm des Leidens, in dem Alles zusammenkommt. Der Wanderer ist gleichzeitig ein Jammerlappen und ein Held, trotzig und larmoyant, ein Selbstmörder und ein Widerstandskämpfer, ein hoffnungslos Verliebter und ein verzweifelter Hasser. Das Geniale an diesem Zyklus ist, dass man damit niemals fertig wird. Ich glaube, um das wirklich im tiefsten Inneren zu erfassen, muss man ihn singen oder spielen,am besten über Jahre hin. So wie etwas DiFiDi, der ihn in mehreren Einspielungen je verschieden interpretiert hat. Allein den Lindenbaum, der zu meinen Lieblingsliedern gehört, kann man je nach Stimmung als elegische Sehnsuchtshymne, trotzige Selbstmordverweigerung, Archetypus des Ver- und Getriebenseins (oder was auch immer noch mehr ) verstehen und singen. Die verschiednen Interpretationen sind alle nur Mosaiksteine. Es gibt solche Extrempole wie Christine Schäfer oder Hans Hotter, mehr synthetische und konsensfähige wie Gerard Souzay oder Christian Gerhaher und überhaupt findet jeder die zu ihm passende Variante. Das zeigt nur, wie genial Schubert und Müller es fertiggebracht haben, menschliches Leiden in ein unerschöpflich komplexes Kunstwerk zu sublimieren. Dieser Zyklus ist die Apotheose der Romantik , einer Epoche, die zumindest im Lied alle Nuancen menschlicher Sehnsucht und Verzweiflung verewigt hat. Ich begreife die ganze Komplexität erst durch das eigene Erleben der Musik. Egal, wie gut oder schlecht man singen oder Klavierspielen kann - wenn man diesen Zyklus wirklich in seiner Fülle begreifen will, sollte man ihn irgendwie durcharbeiten. Und sei es auch "nur" durch intensives Notenstudium und Hôren verschiedenster Sänger/innen. Gerade die Frauen fördern auch hochinteressante Dinge zutage. Mich hat z.B. Lotte Lehmann zusammen mit Otto Klemperer im amerikanischen Exil echt umgehauen mit ihrer Emphase. Oder die fatalistisch depressive Interpretation von Christine Schäfer. Mir sind viele Nuancen aber erst durch eigenes Singen aufgegangen und obschon ich inzwischen schon mehrere Jahre mehr oder weniger kämpfend dabei bin, gibt es immer wieder Passagen, die ganz neue Verständnis-Potenziale entfalten.. Meines Erachtens ist also Alles hier Gesagte richtig , auch wenn es sich widerspricht . :fee: Gute Nacht!

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • (ich sehe auch nichts "demonstrativ-erpresserisches, rächendes" da; er denkt nicht mal an die Geliebte

    das stimmt, da war ich übereifrigt, bei seinen Suizidgdanken findet sich im Text nichts Demonstratives usw..

    An einer andern Stellen in der Winterreise schon, aber eben nicht in der Suizid-Verschärfung, nämlich in Gute Nacht, als er ans Gartentor schreibt:

    damit du mögest sehen
    ich hab ich gedacht.

    da wäre es für mich noch stärker gewesen, wenn der Wanderer sich diesen kurzzeitigen Ausrutscher in Sentimentalität versagt hätte. Aber ich will den Müllertext nicht verbessern, und vom Wanderer keine perfekte Haltung erwarten.

    etwas verwandt hiermit finde ich auch in Rückblick

    Möcht ich zurücke wieder wanken,
    vor ihrem Hause stille stehn.

    da spüre ich sowas wie Versuchung und Gefahr von Stalking, aber er tuts ja auch hier nicht.

    Zitat

    Ich glaube nicht, daß er mutig der Versuchung widersteht.

    ich würde sagen, daß er überhaupt widersteht, ist mutig.

    Zitat

    Der Wanderer zieht den Selbstmord in Erwägung. "Und seine Zweige rauschten, als riefen sie mir zu". Er interpretiert es so. Es ist nicht, als wenn die Versuchung vom Lindenbaum selber käme.

    es ist sicher wichtig, ob eine direkte, quasi animistisch-naive Wahrnehmung der "Umwelt" vorliegt oder ob diese als "als ob" reflektiert wird. Im Lindenbaum ist aber das "als ob" ja schon dadurch erzwungen, daß das Rauschen wiederum nur Rückerinnerung ist (jetzt im Winter rauscht da nix), und als Rückerinnerung diesen verführerischen Touch bekommt - quasi "so wie du damals hier gar manchen schönen Traum träumtest, so könntest du doch auch jetzt ...")

    Zitat

    Das ist Müllers revidierter Text "bis man mich trieb' hinaus", nicht Schuberts Textvorlage "daß man mich trieb hinaus".

    in der alten und neuen GA sowie im Buch von Feil hat auch die "Daß-Fassung" den Apostroph bei "trieb'", bei Bostridge fehlt er. (Ich beziehe mich bei den Textinterpretationen immer nur auf den Müllertext, was durch Schubert daraus wird, ist selbstverständlich interessant, ich möchte aber die Vermischung vermeiden).

    ich finde, auch in der daß-Version ist die Konjunktiv II-Lesung (also "daß" in Richtung "auf daß/bis daß/bis" verstanden weitaus plausibler, schon der Satzlogik wegen. Sonst müßte es ja vielleicht so heißen:

    daß ich nicht länger weile,
    des trieb man mich hinaus.

    oder so ähnlich.

    Inhaltlich m.E. viel mausiger, da der Wanderer zum rein passiven Opfer gestempelt würde.

    Zitat

    Auch Im Dorfe "was will ich unter den Schläfern säumen?" kann man als aktive Entscheidung verstehen, seine Zeit nicht bei den "Schläfern" zu verschwenden.

    da stimme ich zu.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Sie war allerdings auch seit dem ausgehenden Mittelalter ein klassisches Bettelinstrument und als solches mit fahrenden Musikanten assoziiert. Letztere standen ausserhalb der etablierten Gesellschaft - und damit wären wir bei Müllers Leiermann und sein Ausgestossen-Sein

    Im Wesentlichen ging es mir genau darum. Bettler in den vergangenen Jahrhunderten waren keine angenehme optische Erscheinung und man sah ihnen das Ausgestoßensein an. Im Übrigen denke ich nicht, dass der Leiermann leiden will, sondern er ist eine nackte Existenz jenseits des Wollens.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • ich würde sagen, daß er überhaupt widersteht, ist mutig.

    Glaube ich nicht, aber da entfernen wir uns von Müller/Schubert. Oder von Schubert vielleicht nicht so sehr. In einem Brief von 1824 an Kupelwieser schreibt er: "Jede Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir neu den gestrigen Gram". Das ist der Wunsch, weg zu sein aber auch die Angst vor der Tat.
    Der Selbstmordkandidat, der's doch nicht tut, sieht sich selber als nicht in der Lage, den entscheidenden Schritt zu machen.

    Ich glaube, dies ist es, was auch später im Wegweiser, im Wirtshaus ... vorkommt. Beim Lindenbaum hätte er es tun können (sich "wegzumachen"). Er hat's aber nicht getan. Und er weiß, er ist eben kein Werther - und noch einmal, ich sehe ich auch Müllers anti-romantische Haltung wieder. Er kann nur erwarten," daß er nicht mehr erwacht". Und in dieser Hinsicht kann man auch den Leiermann als fast positive Gestalt sehen. Derjenige, an dessen Seite er gehen könnte, ist vielleicht ein Wrack, aber diesen gibt's doch.

    in der alten und neuen GA sowie im Buch von Feil hat auch die "Daß-Fassung" den Apostroph bei "trieb'", bei Bostridge fehlt er.

    Ich habe mir gerade das Manuskript und auch die Abschrift angeschaut. Beide haben trieb' mit Apostroph.


    An einer andern Stellen in der Winterreise schon, aber eben nicht in der Suizid-Verschärfung, nämlich in Gute Nacht, als er ans Gartentor schreibt:

    damit du mögest sehen
    ich hab ich gedacht.

    Da sehe ich bei Müller eine Ironie, die bei Schubert nicht vorkommt,
    In der vorletzten Strophe:

    Die Liebe liebt das Wandern -
    Gott hat sie so gemacht -
    Von einem zu dem andern.
    Fein Liebchen, gute Nacht !

    ist das "Fein Liebchen" fast despektierlich. "Gute Nacht!" ist auch eine nicht besonders freundliche Abschiedsform.
    Und dann kommt die letzte Strophe, die man als bitter-ironisch interpretieren kann. "Wär' Schad um Deine Ruh' " - als ob deine Ruh mich irgendwie noch interessieren könnte, du dummes Flittchen. Und dann das "Gute Nacht" am Gartentor, das sie - und alle anderen - erst wieder am hellichten Tag sehen werden.

    Schubert hat's anders dargestellt und zwar mit der ersten Moll-Dur-Wendung im Zyklus. Er macht daraus einen Blick zurück in die Vergangenheit. Die Rückkehr zum Moll bringt uns in die Gegenwart zurück.


    *** EDIT: Briefzitat richtig gestellt

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Glaube ich nicht, aber da entfernen wir uns von Müller/Schubert. Oder von Schubert vielleicht nicht so sehr. In einem Brief an seinen Bruder Ferdinand sagte er (ich zitiere aus dem Gedächtnis): "Jede Nacht beim Einschlafen wünsche ich mir, nie wieder zu erwachen und jeder Morgen bringt mir den gleichen Elend wieder". Das ist der Wunsch, weg zu sein aber auch die Angst vor der Tat.
    Der Selbstmordkandidat, der's doch nicht tut, sieht sich selber als nicht in der Lage, den entscheidenden Schritt zu machen.

    Ich glaube, dies ist es, was auch später im Wegweiser, im Wirtshaus ... vorkommt. Beim Lindenbaum hätte er es tun können (sich "wegzumachen"). Er hat's aber nicht getan. Und er weiß, er ist eben kein Werther - und noch einmal, ich sehe ich auch Müllers anti-romantische Haltung wieder. Er kann nur erwarten, daß er einmal nicht wieder erwacht". Und in dieser Hinsicht kann man auch den Leiermann als fast positive Gestalt sehen. Derjenige, an dessen Seite er gehen könnte, ist vielleicht ein Wrack, aber diesen gibt's doch.


    ich glaub auch, daß wir hier - sagen wir mal von "Grundeinstellungen" her verschiedene Sichtweisen haben. Das geht dann tatsächlich von der Winterreise weg.

    Zitat

    Da sehe ich bei Müller eine Ironie, die bei Schubert nicht vorkommt,
    In der vorletzten Strophe:

    Die Liebe liebt das Wandern -
    Gott hat sie so gemacht -
    Von einem zu dem andern.
    Fein Liebchen, gute Nacht !

    ist das "Fein Liebchen" fast despektierlich. "Gute Nacht!" ist auch eine nicht besonders freundliche Abschiedsform.
    Und dann kommt die letzte Strophe, die man als bitter-ironisch interpretieren kann. "Wär' Schad um Deine Ruh' " - als ob deine Ruh mich irgendwie noch interessieren könnte, du dummes Flittchen. Und dann das "Gute Nacht" am Gartentor, das sie - und alle anderen - erst wieder am hellichten Tag sehen werden.

    Schubert hat's anders dargestellt und zwar mit der ersten Moll-Dur-Wendung im Zyklus. Er macht daraus einen Blick zurück in die Vergangenheit. Die Rückkehr zum Moll bringt uns in die Gegenwart zurück.

    das mit dem ironischen touch leuchtet mir ein. käme meiner Sicht sogar noch mehr entgegen als ein "sentimentaler Ausrutscher". das Geniale an Schubert würde ich darin sehen, daß er zwar die Ironie nicht komponiert, aber dennoch es schafft, die Sentimentalität zu vermeiden.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Peter Mattei - Lars David Nilsson: Eine Winterreise zum Wohlfühlen

    Bei BIS ist Peter Matteis Einspielung erschienen.

    Die Stimme ist sehr schön, ein Timbre aus Samt und Seide. Die Aussprache ist vorzüglich, die Diktion klar.
    Der Atem ist fast unerschöpflich und das Legato meisterhaft. Dabei fangen allerdings die Probleme an. In Gefrorene Tränen z.B. ist die Phrase: "Ihr dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß" auf einem Atem gesungen. Ein schöner Bogen, der aber leider nichts von "glühend heiß" hat. Das gleiche in Erstarrung: wunderschöne Legato-Melodien, aber was geschieht hier? Kaum etwas.
    Das war schon bei Gute Nacht zu spüren, wo die Dur-Moll Wendung am Ende unbemerkt durchgeht.
    Der Lindenbaum hat den Reiz eines schönen Volkslieds, einer alten Ballade, ein König von Thule in Grün sozusagen,
    Und es geht weiter so. Der Ansatz von Rebellion in Die Wetterfahne ist schnell verflogen.

    Die Diktion ist hervorragend, aber es ist eine Opern-Diktion: lange melodische Bögen, wo ab und zu ein Schlüsselwort betont wird. Zauberhafte hohe Piano-Töne, die aber nicht "matt zum Niedersinken" sind. Müllers Text wird wie ein Operntext vermittelt, woTraditore, morire, vendetta ... metaphorisch sind und die Wörter die Verkleidung von Gedanken, die nicht so extrem sind.
    Ganz das Gegenteil von Wilhelm Müller, wo Worte des Alltags eine Welt von extremen Gefühlen ausdrücken. In Matteis Winterreise ist das Grab in Irrlicht zum Beispiel eine Metapher, keine Erkenntnis. Es führt ja jeder Weg zum Ziel, aber dieser Ziel ist hier nicht der blanke Tod.

    Diese Winterreise ist schön und komfortabel. Dazu trägt auch der Pianist bei, der keine Konturen zeigt. In Rückblick wird nicht gestolpert, die zwei Mädchenaugen glühen sanft, um den Gesellen wird nicht schicksalhaft geschehen.

    Wo ist die Kälte, wo die Ängste, die Verzweiflung, der nahe Wahnsinn? Zuviel Ausgewogenheit, vielleicht eine vornehme Zurückhaltung, aber soll die Winterreise vornehm sein?

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Philbert:
    Ich verstehe sehr gut, was du meinst. :jaja1: Peter Mattei ist ein "lyrischer" Bariton und auch ich hatte im Vorfeld so meine Zweifel an seiner Interpretation der Winterreise, als ich von seinen Plänen las. Meine unangefochtene Nr. 1 ist übrigens - nach wie vor - Thomas Quasthoff, was dieses Werk anbelangt. Dennoch empfinde ich auch Matteis Winterreise als sehr gut gelungen und "emotional" genug, um davon ergriffen zu sein. Mag vielleicht daran liegen, dass ich die Winterreise schon immer sehr geliebt habe und ich halt ein großer Mattei-Fan bin. :love:

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Was Philbert über Peter Mattei´s "Winterreise" schreibt, kann ich - ohne diese Aufnahme gehört zu haben - vermutlich nachvollziehen; einen vergleichbaren Eindruck - schöne Stimme, schön gesungen, aber wenig Tiefgang - hatte ich bei seinem Eugen Onegin vor zwei Jahren in Paris in der Opéra Bastille ( :versteck1: ).

    Eine dem Text und der Musik in jedem Detail entsprechende und das Publikum, mich inbegriffen, zu Jubelstürmen verführende "Winterreise" konnte ich vor zwei Wochen bei der Schubertiade in Schwarzenberg erleben. Andre Schuèn und sein Begleiter Daniel Heide haben an diesem Abend eine Lehrstunde an Liedgesang und Interpretation geboten (wie ich es bei der "Winterreise" nur vor vielen Jahren von Hans Hotter und nicht ganz so lange zurück von Robert Holl gehört habe). Ich versuche mit Superlativen vorsichtig und sparsam umzugehen, aber diesen Abend würde ich als Sternstunde bezeichnen.

  • Winterreise

    Also ich bin überhaupt kein Kunstlied-Kenner und -Liebhaber, das sei mal zugegeben. Trotzdem gebe ich hier jetzt meinen Senf dazu. Ich habe einige Winterreise-CD's daheim und das nur der jeweiligen Sänger wegen. Wenn mir überhaupt das Werk einmal wirklich nahegegangen ist, ist es die Aufnahme aus dem zerbombten Berlin von 1945, gesungen erschütternd und gar nicht typisch nach Kunstlied klingend von Peter Anders. Die Welt war im Untergehen und der Gesang ging wirklich unter die Haut.
    Ansonsten liebe ich die Aufnahme von Sir Thomas Allen weil ich seine Stimme liebe, seine englischen Lieder gefallen mir übrigens sehr viel besser. Peter Mattei, ich sah das Video vom schwedischen Fernsehen, gefällt mir sehr und sollte das opernhaft sein, so ist mir das völlig egal. Er sang es wunderschön und für mich unvergleichlich, er "spielte" auch jedes Lied. Freue mich sehr auf die CD.
    P.S. sein Onegin ist für mich unvergleichlich, bin damals extra nach Wien gefahren.

    :wink: :wink: Kristin

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • P.S. sein Onegin ist für mich unvergleichlich, bin damals extra nach Wien gefahren.

    Sehe ich genauso. Ich habe ihn ja in Zürich gesehen und war restlos begeistert. :verbeugung1: :verbeugung1:

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Mattei als Onegin

    In Wien hat er die ganze entsetzliche Inszenierung gerettet. Und wenn ich nur an Salzburg denke! Es war ja nicht nur der Gesang sondern wie er die Verwandlung des Onegin gestaltete. Alles andere als oberflächlich!!! Da könnte ich jetzt eine Menge dazu schreiben.

    :wink: Kristin

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Sorry, ich weiß. Es war ein P.S. auf Brunellos Randbemerkung.
    Möglicherweise kann man es verschieben wenn es furchtbar stört.

    :wink: Kristin

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Vorausschicken möchte ich , daß mich nicht viele Aufnahmen von Herrn Fieskau ( so pflegte " nennen sie mich einfach Otto " Klemperer ihn gern anzusprechen) beeindrucken . Von der Winterreise in seiner Deutung gibt es (mind.) 11 offizielle Aufnahmen , dazu kommen noch einige nicht abgesegnete Liveaufnahmen . Ich formuliere es jetzt mal um : Es gibt 10 und eine - die eine , die mich völlig überzeugt . Aufgenommen wurde sie 1955 beim Casals-Festival in Prades . Kurz zuvor hatte Fi-Di seine gerühmte Mono - Aufnahme für die EMI mit Gerald Moore gemacht . Hier gehen die beiden etwas flotter zur Sache , die Live-Situation macht sich bemerkbar . Der Sänger wirkt jünger , ist nicht so ausgefeilt , sondern klingt natürlich , und sein Partner ist immer mit ihm , viel eindrucksvoller als im Studio . Bei der 1962 entstandenen nächsten Stereo - Aufnahme der Winterreise schon ein Stück weiter auf dem Weg zum Dr.h.c.Wandersmann , das hier hörbar - impulsive ist weg - gedacht . Für mich die Winterreise - jedenfalls mit Fischer -Dieskau / Moore .
    Die Tonqualität ist sehr gutes Mono . Es gibt 2 Ausgaben : die von INA und die spätere von Diapason . ( Diapason erwähnt nicht , daß wegen eines technischen Fehles bei der Aufnahme des Liedes der Lindenbaum aus der 53er Live-Aufnahme mit Hertha Klust "eingefügt" wurde - natürlich mit Zustimmung des Künstlers) .

    Hörprobe : https://www.youtube.com/watch?v=0B11reL4pRE

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Die Winterreisen des majors

    Teil 1
    Wenn einer eine Reise tut ...dann muß es heutzutage eine musikalische sein . Und da bietet sich - was liegt saisonal näher - die Winterreise von Schubert an . Entsprechend plane ich , in der nächsten Zeit so nach und nach meine Aufnahmen zu hören , sofern die Temperaturen nicht steigen . Den Anfang macht , sozusagen zur Orientierung , eine Aufnahme aus dem Mai (!) 1956 für Westminster . Interpreten waren der renommierte Bassbariton Heinz Rehfuss und der Pianist Erik Werba , der in der Folge auch Hans Hotter und Takao Okamura auf DG sowie Hotter , Walter Berry und Christa Ludwig bei Konzerten mit der Winterreise begleitete . Damals war es noch nicht erforderlich , für die sach - und fachgerechte Interpretation den Fortgeschrittenen-Kurs in Pastoral - Psychologie unter besonderer Berücksichtigung des Schmelz-Traumas bei Schneemännern und-frauen an der örtlichen Volkshochschule belegt zu haben . Und der Vortragende mußte auch nicht prophylaktisch Krawatte ,Gürtel und Schnürrsenkel ablegen und sich nach Ende des Konzerts die imaginären Frostbeulen behandeln lassen . Rehfuss und Werba bieten kein Psychodrama , sondern eine grundsolide - das ist als Prädikat zu verstehen - Wintereise , mit leichten Betonungen , auch mal kleinen Steigerungen , aber immer "bodenständig" . .Ein guter Anfang . ( Sehr guter Transfer auf Forgotten Records )

    https://forgottenrecords.com/en/Rehfuss-Wer…ubert--724.html https://winterreise.online/rehfuss-werba/


    Teil 2
    Das Wetter begünstigt mein gestern begonnenes Vorhaben . Der Bass Doda Conrad stammte aus Schlesien , die Pianistin Lili Kraus aus Ungarn . Bereits in den 30er Jahren gaben sie Konzerte mit der Winterreise , und gemeinsam verliessen sie 1940 Europa und traten im damaligen Niederländisch-Indien auf , auch mit der Winterreise im Schubert-Programm . Nach dem Krieg setzten sie ihre Zusammenarbeit fort , um dann 1950 für Vox in New York diese Einspielung zu machen . Durchaus mit Dramatik in Stimme und Begleitung , Lili Kraus machte das sehr gut . Für mich klingt in dieser Aufnahme aber noch etwas anderes mit : ich meine , einen Nachhall der Winterreise zu hören , die in den ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts eine Frau sang , Therese Behr - Schnabel , begleitet von ihrem Mann Artur Schnabel , der sich damals vehement für den vernachlässigten Schubert einsetzte . Das müssen frühe Sternstunden gewesen sein . Da Doda Conrad von Terese Behr - Schnabel unterrichtet wurde , Lili Kraus aber bei Artur Schnabel ihre Ausbildung erhielt , könnten sich Spuren der Interpretationsauffassung der Schnabels doch erhalten haben . Wie auch immer , im grandiosen Transfer von Forgotten Records eine unspektakuläre , aber auf ihre Weise 'komplette' Interpretation .

    https://forgottenrecords.com/en/Kraus-Conra…ubert--462.html https://winterreise.online/conrad-kraus/


    Teil 3
    Nachzutragen vom gestrigen Abend ist der dritte Teil meiner Hörreise durch die hier angesammelten Aufnahmen . Ich blieb in den 50er Jahren und hörte Dr. h.c. Winterreise , Dietrich Fischer - Dieskau . 1955 hatte er schon einige Reisen hinter sich , so auch gerade seine erste mit Gerald Moore als Begleiter . Sie sollten ihre Zusammenarbeit noch fortsetzen und weiter an ihrer Auffassung feilen ( nach meiner Auffassung zuviel ) . Hier sind sie live auf einem Festival zu hören , und die Tempi sind etwas schneller , es wirkt straffer als im.Studio . Dramatik ist schon vorhanden , aber noch im Rahmen . Sozusagen Fischer - Dieskau ohne Marinade , mit der er in der Folge nicht geizte . Von den 10 Aufnahmen , die ich mit ihm kenne (es gibt mehr , ich weiß) , ist dieses diejenige . die ich sogar gern höre .

    https://winterreise.online/fischer-dieskau-moore-2/


    Teil 4
    Diese Aufnahme weist viele Parallelen zur vorherigen auf . Angefangen damit , daß der Sänger , Gerard Souzay , auch ein Bariton ist , der ebenfalls mit seinem Begleiter , Dalton Baldwin , gerade seine erste Studio - Winterreise eingespielt hatte (1958 ) , der noch 2 weitere folgen sollten , und nun am 2.Dezember 1959 in Paris die Winterreise live vortrug . Wieder macht sich die Konzert - Situation positiv bemerkbar . Souzay wird Fischer - Dieskaus Aufnahmen gekannt haben , aber er ist ein mehr introvertierter Sänger . Seine Dramatik , an den "richtigen Stellen" durchaus vorhanden , ist nicht übertrieben , aber gegenüber seiner vorherigen und der folgenden Studioaufnahme (1962 , die aus den 70ern ist zu vernachlässigen ) wirkt er involvierter , mehr aus sich herauskommend . Der Schluß vom " Wegweiser" gefällt mir besonders , wie überhaupt auch die Begleitung durch Dalton Baldwin . Leider nur aus der tube , aber wie ich finde : Souzay / Baldwin sind hier richtig überzeugend .

    https://www.youtube.com/watch?v=TClNZBV50xo Mir ist keine andere Quelle bekannt .


    Teil 5
    1959 - Geratd Souzay singt in Paris die Winterreise , und in Köln macht der Bariton Hermann Prey in einem (Rundfunk ?) Studio seine erste Aufnahme der Winterreise , der noch einige folgen sollten , alle mit verschiedenen Begleitern . Doch für seine Premiere hat sich Prey auch gleich einen der erfahrensten Reisebegleiter gewählt : Gerald Moore , mit dem er etwas später noch einige Lieder anderer Komponisten aufnehmen wird. Prey ist grad 30 Jahre alt , am Beginn seiner Laufbahn , und noch kaum als Sänger von Liedern in Erscheinung getreten - Lieder von Wolf fallen mir ein . Der 60jährige Moore - doppelt so alt und an Winterreisen kaum zu übertreffen - wird ihm vermutlich eine große Hilfe gewesen sein . Diese Aufnahme gibt es noch nicht so lange , und sie wirkt noch frischer , lebendiger , aber auch vielleicht suchender als seine offizielle Plattenpremiere für die EMI 1961 mit Karl Engel . Jedenfalls waren die Aufnahmen der Winterreise von Prey für mich immer sehr ähnlich - "ordentlich schön" , und niicht so ganz mein Geschmack . Aber mit dieser Aufnahme , die es nur im Netz gibt , kann er für mich mit meinen anderen Interpreten mithalten .

    https://winterreise.online/hprey-moore/


    Teil 6
    Hagen war eine seiner Paraderollen , aber Josef Greindl pflegte auch den Liedgesang . Bereits 1954 nahm er mit Hertha Klust Loewe - Balladen auf ,und 1957 folgte dann die Winterreise , bei der Klust zuvor auch schon Fischer - Dieskau begleitet hatte . Eine sehr emotionale Interpretation . Greindl war Mitte 40 , als die Aufnahme entstand , hatte schon Erfahrungen gesammelt (und vielleicht auch Enttäuschungen erlebt ? ) , und das klingt hier mit . Resignation höre ich , aber keine Bitterkeit , und mit seinem Bass und dieser Interpretation ist dies für mich der Winterreisen - Blues . Hertha Klust ist ihm eine erfahrene Begleiterin . Sehr intensive Hörerfahrung .

    https://winterreise.online/greindl-klust/


    Teil 7
    Draußen ist binnen kürzester Zeit alles überzuckert , da passt die Winterreise - natürlich drinnen , nicht draußen . Vom Bass-Bariton Hans Hotter gibt es min. 10 Aufnahmen , die Hälfte sind inoffizielle Liveaufnahmen , die anderen 5 regulär erschienen .Von diesen wiederum kann man die späteren mit Werba ( DG ,1961) und Docupil (CBS ,1969) unberücksichtigt lassen . Seine wohl bekannteste Einspielung entstand für die britische Columbia (EMI) , und am Flügel saß der allgegenwärige Gerald Moore , der es verstand , auch auf Hans Hotter einzugehen . Lange Zeit,meine Lieblingsaufnahme , ich mag einfach den 'fahlen' Charakter der Aufnahme . Das klingt schon hoffnungslos . Und beim Leiermann dieser Aufnahme läuft mir immer noch ein Schauer den Rücken herunter . Aber als Gesamtzyklus ziehe ich die während des Krieges entstandenen Aufnahmen noch vor . Es ist wenig bekannt ,daß Hotter und Michael Raucheisen 2 Winterreisen aufgenommen haben . Im November 1942 spielten sie den Zyklus für die DG ein , Hier ist anzumerken , daß die bei Music & Arts erschienene Überspielung besser als die der DG klingt . Noch ein kleiner Unterschied : M & A nennt als Aufnahmedatum für alle Lieder 11/1942 , während die DG für 4 Lieder die Angabe 1943 macht . Wieso und warum da andere (?) Aufnahmen verwendet wurden , weiß heute gewiß keiner mehr bei der DG . Im Rahmen des großen Liederprojekts von Michael Raucheisen sang Hotter mit ihm die Winterreise am 24.und 25.September 1943 noch einmal , erschienen z.B. bei Preiser . Dieser zeitlich 2.Zyklus ist in den meisten Liedern ein wenig langsamer als der vorherige , wobei Raucheisen jedesmal beständig und zuverlässig spielt . Er ist - im Vergleich zu Moore - kein pianistischer Partner , sondern gefällt sich in der Rolle des Begleiters . Aber im Gegensatz zur 50er Aufnahme ist Hotter hier noch Anfang 30 , seine Stimme klingt nicht nur jünger , sondern auch anders . Und bei der zweiten Aufname setzt er noch andere Akzente , die Interpretation erscheint mir noch durchdachter . Nüchterner als etwa Fischer-Dieskau und Prey , 'moderner' als Doda Conrad . Aber die Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Winterreise von Hotter und Raucheisen sind eigentlich marginal , mehr Gechmackssache . Ich kenne tatsächlich jemanden , der mit einer Mischfassung aus Music & Arts und Preiser seine 40er Winterreise gebastelt hat . Aber wir streiten uns immer , weil er grad die falschen Lieder ausgewählt hat . Sag' ich . Er hört das anders .

    https://winterreise.online/hotter-raucheisen/ Ein Beispiel dafür , daß in Diskografien und anderen Veröffentlichungen nie berücksichtigt wird , daß es 2 Zyklen mit Hotter / Raucheisen gibt .


    Teil 8
    1933 nahm auch etwas Gutes seinen Anfang - die erste Gesamtaufnahme der Winterreise entstand . Der Bariton Gerhard Hüsch , gerade 32 , und der 4 Jahre jüngere Pianist Hanns Udo Müller spielten in den Londoner Abbey Road Studios die 24 Lieder ein . Da nicht alle Aufnahmen befriedigten , wurden ein Teil später im Jahr in Berlin erneut aufgenommen . Hüsch und Müller wählten einen sehr direkten Zugang . Hüsch hat für mich eine "schöne" Stimme , mit der er die Stimmung der einzelnen Lieder durchaus variabel wiedergeben kann . Schon auch dramatisch , wenn es erforderlich ist , mit Gefühl , aber ohne Übertreibung oder völliger Identifikation mit dem Erzähler ; ein Abstandf bleibt gewahrt ,.und von einer "Psychologisierung " ist er weit entfernt . Gemeinsam mit Müller , der ihn unauffällig ( das ist hier positiv gemeint ) unterstützt , wird ein Spannungsbogen aufgebaut , ausgerichtet auf die letzten Lieder . Dabei sind es immer wieder die Nuancen , die mich staunen lassen . Wenn ich die Aufnahme gehört habe , denke ich immer ganz kurz , die anderen braucht es nicht . Aber natürlich brauche ich meine anderen auch , denn es gelingt den Künstlern immer wieder , Schuberts Winterreise auf andere Art zu gestalten . Da müssen mir nicht alle gefallen , und manche sind nicht allzu verschieden , aber es geht hier ja um meine Präferenzen . - Die Aufnahme gibt es u.a.in guten Transfers von Preiser , Pearl und Pristine Audio .


    Hören : https://www.youtube.com/watch?v=nWHle6UVviY Info: https://winterreise.online/huesch-mueller/


    Teil 9
    Nachtrag aus der ersten Morgenstunde , als die Temperatur wieder unter 0° sank . Die lange Stunde (72 Min.) von Marko Rothmüller - Bariton - und Susanne Gyr - Piano - entstand ca.1945 in der Schweiz . Rothmüller wurde 1908 in Kroatien geboren , spielte Geige , erfuhr seine Gesangsausbildung hauptsächlich in Wien , und hatte Kompositionsunterriicht bei Alban Berg . Im September 1932 debüttierte er als Ottokar im Freischütz an der Schilleroper in Hamburg-Altona , dabei wird er noch genug vom Altonaer Blutsonntag (Juli '32) mitbekommen haben . Noch im selben Jahr trat er ein Engagement in Zürich an , wo er bis 1947 blieb .Dadurch entkam er als Jude den den braunen Haufen des Einhodigen . - Diese Aufnahme der Winterreise kann ich nicht immer hören .Mir gefällt die Stimme , aber der Gesang wirkt auf mich trostlos-resignativ , es werden nicht mehr viel Emotionen ausgedrückt . Eintönig trifft es nicht , stoisch passt auch nicht so recht - jedenfalls eine sehr zurückgenommene Auslegung , bei der die Gefühle dem Spiel der mir sehr gut gefallenen Pianistin Susanne Gyr überlassen bleiben . ( Von Marko Rothmüller findet man wenig Lieder im Netz , seine Opernrollen sind besser vertreten ) .

    https://winterreise.online/rothmueller-gyr/


    Teil 10
    Zwischen dem 23.2. und dem 13.3. 1945 entstand in 3 Sitzungen die erste von einem Tenor gesungene Gesamtaufnahme der Winterreise . Der Sänger war Peter Anders , und am Klavier begleitete ihn Michael Raucheisen . Der war immer noch damit beschäftigt , eine Dokumentation des deutschsprachigen Liedes auf Schallplatte zu erstellen , die allerdings noch beeindruckender geworden wäre , wenn die jüdischen Künstler daran hätten mitwirken können . Der Aufnahmeort war das Haus der Reichsrundfunkanstalt in Berlin , zu diesem Zeitpunkt das einzige noch intakte Gebäude im Umkreis . Ein Novum war die Aufnahme auf Magnetophonband , es gab aber nur jeweils einen Take , keine Korekturen . Das war der Situation geschuldet : Immer wieder wurden die Sitzungen durch Bombenalarm unterbrochen , wie es überhaupt auch fraglich war , ob das Gebäude beim nächsten Termin noch stand . Noch bedrohlicher : ob die Menschen noch am Leben waren . Die Alliierten standen schon auf deutschem Boden , die sowjetischen Streitkräfte rückten von Ostpreußen auf Berlin zu . Vor diesem Hintergrund sang Peter Anders die Winterreise . Er hatte eine herrliche Stimme , anders kann ich es nicht schreiben , ein Heldentenor , der nun Schubert sang , am Wort ausgerichtet , mit vollem Einsatz . Es ist intensiv , angespannt , auch an den 'schönen Stellen' wird es nicht ruhiger . Das mag zum Teil auf die "alte Schule" des Liedgesangs zurückzuführen sein , aber die Aufnahmesituation wirkt sich sicherlich auch aus . Raucheisen ist , wie schon bei den beiden Hotter-Aufnahmen , ein zuverlässiger Begleiter . Er hatte im Orchester als Geiger und Bratscher angefangen , bis er sich entschloß , Klavierbegleiter zu werden . Er war einer der gesuchtesten ab den Zwanziger Jahren , und er soll auch den geöffneten Flügel eingeführt haben (Wiki) . Er war keine "eigene" Stimme , wie Gerald Moore , aber natürlich spielt er hier doch anders als bei den langsameren Hotter-Aufnahmen . Wenn man sich auf die Interpretation der beiden Künstler einläßt , wird man von der Intensität mitgerissen .Gewiß nicht die , aber eine ganz besondere Winterreise .

    https://www.youtube.com/watch?v=PNEsmk…ZP8RlvPmaWuqyyD


    https://winterreise.online/anders-raucheisen/


    Teil 11
    Eine andere Winterreise in der originalen Stimmlage hat es zuletzt geschafft , in meine Auswahl zu gelangen . Es ist die 1980 veröffentlichte Aufnahme mit Ernst Haefliger, Tenor , und Jörg Ewald Dähler an einem Hammerflügel von ca.1820 . Haefliger konnte zum Zeitpunkt der Einspielung auf eine lange Karriere zurückblicken , er war 61 und damit älter als der Komponist und der Dichter zusammen zum Zeitpunkt der Entstehung ihrer Werke . Aber die Stimme klingt noch jung . Haefliger vermeidet jede Übertreibung und Psychologisierung , konzentriert sich ganz auf Stimme und Gesang , und wird darin kongenial unterstützt von Dähler , dessen Interpretation Schubertscher Klavierwerke auf dem Hammerflügel breite Anerkennung genießt . Von Stimmlage und Instrument quasi einer zeitgenössischen Aufführung ähnlich , so es sie gegeben hätte . Der Reisende , von dem Haefliger und Dähler hier erzählen , ist verdammt einsam . (Dank an den Kleingeist , der mir diese singuläre Interpretation an Herz und Ohr legte) .

    Hörprobe : https://www.youtube.com/watch?v=Ei_gvGX5qrA


    https://www.winterreise.online/haefliger-daehler/


    Teil 12
    Wie ich bereits erwähnte , wurde schon im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts die Winterreise von Frauen vorgetragen , so etwa von Therese Behr - Schnabel mit ihrem Mann Artur am Flügel . Die ersten Tondokumente stammen von Elena Gerhardt , die 1927 acht Lieder aus der Winterreise aufnahm . ( Alle 3 Schubert - Zyklen werden von Frauen gesungen , wohingegen ich bei Schumanns Frauenliebe und Leben keine Aufnahme von Männern kenne , aber weiß , daß Matthias Görne das mal mit Eschenbach in Salzburg gesungen hat ) . Die erste komplette Winterreise stammt von Lotte Lehmann aus den Jahren 1940 / 41 , begleitet wurde sie dabei von Paul Ulanowsky , einem der renommiertesten Begleiter der damaligen Zeit und ihr "Hauspianist" . ( Lotte Lehmann nahm auch die Müllerin und - mit Bruno Walter am Flügel - die Dichterliebe von Schumann auf ) . Lehmann war zum Zeitpunkt der Aufnahme schon eine Wagner - Legende . Doch mit Ihrem lyrischer Sopran überzeugt sie mich als Liedsängerin in der Winterreise . Es gibt sonst für mich keine von einer weiblichen Stimme gesungene Aufnahme , die ich so gern hören mag . Natürlich kann sie nicht in die Rolle des Protagonisten schlüpfen , aber sie trägt das Werk quasi singend-erzählend vor , eine Folge von Liedern , von einer großartigen Stimme gesungen . Auch Ulanowsky zeigt , warum er ihre erste Wahl war . Das ist heute 80 Jahre alt , viel hat sich in Auffassung und Ausführung geändert , aber - für mich bleibt es bei den weiblichen Stimmen das Maß aller Dinge .

    Hören : https://www.youtube.com/watch?v=-T6RgOfjyWo

    https://winterreise.online/lehmann-ulanowsky/


    Teil 13
    Meine kurz vorgestellten Aufnahmen haben sich im Laufe der Jahre herauskristatllisiert und spiegeln meine Vorlieben . Viel Altes , und tatsächlich stammt die " jüngste " Aufnahme (auch schon wieder) aus dem Jahr 2001 . Christian Gerhaher und Gerold Huber am Flügel haben eine Interpretation vorgelegt , die absolut in das meinem Geschmack entprechende Umfeld passt . Von Beginn an habe ich das Gefühl , daß da zwei Künstler länger und eng zusammen eine Auffasssung erarbeitet haben , die sie nun im Vertrauen aufeinander vortragen . Bei Gerhabers Einsatz seiner Stimme höre ich kein Überbetonen , kein Pathos , es werden Farben und Stimmungen hörbar . Jedes einzelne Lied wird individuell von den beiden angegangen , und doch bleibt der Zusammenhang erhalten . Und immer dieses vertraut und zusammen sein beim Singen der Geschichte einer Reise im Winter . Ganz am Ende schaffen sie es , daß ich unsicher bin und mich frage , ob es noch weitergehen könnte ? Das macht auch den Reiz dieser Interpretation für mich aus , und - darum steht sie nun bei mir .

    https://winterreise.online/gerhaher-huber/


    Teil 14
    Noch einmal in die Kälte . Meine Auswahl beruht ja auf meinen Kriterien , und da muss zuerst einmal die Stimme gefallen , es muß die Begleitung passen , und die Interpretation muß auch stimmen . Eine Winterreise , die , mit kleinen Einschränkungen , meinen Geschmacksvorlieben entspricht , stammt vom Bariton Bernard Kruysen und Noel Lee . Die beiden wurden in den 60er Jahren für ihre 'Melodies' in Frankreich bekannt - das ist allein deshalb schon besonders , weil Kruysen Niederländer und Lee Amerikaner war . Allerdings sprach Kruysen akzentfrei Französich , und Lee hatte in den Staaten und anschließend in Frankreich bei Nadia Boulanger studiert . Lee wehrte sich immer gegen den Begriff 'Begleiter' - er arbeitete nur mit wenigen , ausgewählten Sängern zusammen . ( Mit Doda Conrad , dessen Winterreise ich bereits erwähnte , machte er eine Aufnahme mit Schumann - Liedern ). Zu den zahlreichen Aufnahmen , die Lee als Solist machte , zählt auch eine Gesamtaufnahme der Schubertschen Sonaten inklusive der unvollständigen . Dieses bestens eingespielte Paar gab am 2. Februar 1978 im kleinen Saal des Concertgebouws in Amsterdam einen Liederabend mit der Winterreise , der glücklicherweise vom niederländischen Radio mitgeschnitten wurde . ( Es gibt noch 2 spätere Einspielungen auf CD von Kruysen mit einem anderen Begleiter , dies aber nur der Vollständigkeit halber ).
    Die kleinen Einschränkungen , die ich eingangs erwähnte , sind wohl der Live - Situation geschuldet . Es fängt etwas unbestimmt und zügig an , erst langsam werden die Künstler warm . Nach dem 12.Lied , der Mitte des Zyklus , gibt es eine Pause . Doch dann geht es Schlag auf Schlag , Kruysen und Lee steigern sich ( z.B. Der Wegweiser ), Eine dem Grunde nach nüchternen Wiedergabe ohne Psychodrama oder opernhafte Züge , aber sie nehmen die Zuhörer mit bei ihrer Steigerung . Der Schluß ist dann für mich ein für diese interpretation passender "Höhepunkt" . Und dann herrscht für über 10 Sekunden Stille ,ehe ein - ergriffener ? - Applaus einsetzt . - Ich habe den Pausen -und Schlußapplaus auf meiner Kopie herausgeschnitten , die Reisedauer reduziert sind dann auf schlanke 66 Minuten , was sich auf Spannung und Intensität nicht auswirkt . Insgesamt überzeugend ..

    Zum Abschluß soll noch ein weiterer Live - Mitschnitt vorgestellt werden , den ich als eine was-wäre-wenn Ersatz - Aufnahme höre . Der Tenor Aksel Schiotz hatte 1946 mit Gerald Moore eine grandiose Müllerin eingespielt . Zu einer Winterreise kam es jedoch nicht mehr , denn noch im selben Jahr wurde bei dem Sänger ein Akustikusneurinom festgestellt und entfernt . 1948 schaffte er ein Comeback , und auch nach einem Gehirntumor 1950 mit Beeinträchtigung der Sprechfähigkeit kämpfte er sich zurück , allerdings als Bariton . 1964 trat er mit der Winterreise , begleitet von David Burge , in der Carnegie Hall auf . Der Mitschnitt zeigt viele seiner sängerischen Qualitäten , aber ich kann mich des Gedankens " wie-wäre-es-gewesen" nicht erwehren .
    Das nun sind meine Winterreisen . Ich werde auch weiter in mir unbekannte Aufnahmen hineinhören , aber wenn mich nichts so richtig überzeugt - dann greif ich ins Regal . Und vielleicht habe ich ja einige Anregungen zum Nachhören geben können .

    Bernard Kruysen (1933-2000) / Noel Lee (1924-2013)https://www.nporadio4.nl/concerten/4739…met-winterreise https://www.youtube.com/watch?v=kFrQcKFXWL0 Amsterdam 1978

    Aksel Schiotz(1906-1975) / David Burge (190-2013) https://www.youtube.com/watch?v=FQpLUxiW5hE: New York 1964

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Eine andere Winterreise in der originalen Stimmlage

    Was ich nicht verstehe: Wenn man schon auf originale Stimmlage und originalen Hammerflügel setzt, warum transponiert man dann einzelne Lieder nach oben oder unten? Bei Schubert sind z.B. "Lindenbaum" und "Wasserfluth" nacheinander auf demselben Grundton (E), während Haefliger und Dähler bei letzterem einen Ganzton nach oben transponieren. Ich finde, dass das ein wesentlich stärkerer Eingriff in die Komposition ist, als wenn man alle Lieder z.B: für Baritonlage transponiert, aber dabei die Verhältnisse untereinander beibehält.

  • Was ich nicht verstehe: Wenn man schon auf originale Stimmlage und originalen Hammerflügel setzt, warum transponiert man dann einzelne Lieder nach oben oder unten?

    Lieber Christian ,ich kann deine Irritation nachvollziehen . Ich konnte bisher nichts von einem der Interpreten zu diesem Thema finden , und da beide nicht mehr befragbar sind , wird es als "künstlerische Freiheit" stehenbleiben , und du mußt es aushalten . Die Gründe könnten interessant sein , aber so bleibt nur die Spekulation , und die überlasse ich gern den Börsen-Jobbern . ( Mich stört es nicht - ich fantasiere lieber , daß es so ähnlich zu Lebzeiten Schuberts geklungen haben mag , wie ich auch bei Doda Conrad und Lili Kraus noch ein fernes Echo des Ehepaares Schnabel zu hören vermeine).-

    Leos Janacek : Pohadka (Märchen) für Cello & Klavier . Es spielen Gary Hoffman & Mikhail Rudy . Überhaupt finde ich diese Zusammenstellung sehr gelungen , sowohl in Hinsicht auf die Ausführung als auch die Programmzusammenstellung .

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  • Lieber Christian ,ich kann deine Irritation nachvollziehen . Ich konnte bisher nichts von einem der Interpreten zu diesem Thema finden , und da beide nicht mehr befragbar sind , wird es als "künstlerische Freiheit" stehenbleiben , und du mußt es aushalten . Die Gründe könnten interessant sein , aber so bleibt nur die Spekulation , und die überlasse ich gern den Börsen-Jobbern .

    Ich kann das natürlich gut aushalten und kam nur auf das Thema, weil ich vor längerer Zeit mal diverse Aufnahmen der Winterreise auf die Beibehaltung der originalen Tonartenverhältnisse überprüft habe, Es stellte sich heraus, dass es absolut üblich ist, innerhalb das Zyklus' nach Belieben hin- und herzutransponieren (ich glaube Pears/Britten war eine der Ausnahmen, aber sicher bin ich mir nicht mehr), was mich dann doch sehr erstaunt hat: Ich kenne z.B. keinen Pianisten, der das Adagio der Hammerklavier-Sonate mal eben nach f-moll transponieren oder auch nur auf die Idee kommen würde. Es zeigt sich mal wieder: Sänger sind halt besondere Menschen :) .
    Apropos, da fällt mir einer meiner Lieblingswitze ein:
    Nach der Generalprobe sagt der Dirigent zum Orchester: "Meine Damen und Herren, notieren Sie bitte für heute Abend noch ein paar Änderungen: Von Takt 44 bis Takt 82 spielen wir zwei Metronomstriche langsamer, die Takte 101 bis Takt 131 verlängern wir von 4/4 auf 5/4, und ab Takt 170 transponieren wir bis zum Schluss alles einen Halbton nach unten.". Die Orchestermitglieder schreiben fleißig mit, da beugt sich die Sängerin in den Graben und fragt "Gilt das auch für mich?". Worauf der Dirigent antwortet "Nein nein, Sie machen alles so wie immer!"

  • Es stellte sich heraus, dass es absolut üblich ist, innerhalb das Zyklus' nach Belieben hin- und herzutransponieren

    Hast du da nicht mal nachgehakt , etwa bei "begleitenden" Kollegen ?

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