Konzerte in Darmstadt
Darmstadt, 07.02.2010
Darmstadt liegt für mich gut erreichbar. Außerdem finden dort immer wieder bemerekenswerte Konzerte statt, die ich gern besuche - Grund genug, einen Thread aufzumachen, in den Berichte über Konzerte in Südhessen eingebracht werden können.
Aktueller Anlaß: Das 5. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt am letzten Sonntag, das ich erleben konnte. Es war insofern mit einem Experiment verbunden, als ich meinen elfjährigen Neffen eingeladen hatte. Er hat sich schon lange gewünscht, mit mir ein normales Symphoniekonzert zu besuchen, nachdem wir bislang zweimal auf sogenannten Familienkonzerten waren. Bei diesem Programm war ich mir allerdings nicht sicher, ob es auch für ihn paßte.
Einen Mittelpunkt bildete nämlich die "Ekklesiastische Aktion" von Bernd Alois Zimmermann (über Werke des Komponisten gibt es ab hier mehr), ein gut halbstündiges Werk für zwei Sprecher, Baß-Solo und Orchester: Ein Sprecher zitiert Bibelworte, die aus pessimistischer Perspektive das Unrecht der Welt beklagen, was der Sänger mit ausgedehnten Lamento-Passagen übernimmt. Rechts und links an den Seiten standen zwei Posaunisten, das Blech spielt überhaupt eine wichtige Rolle, ebenso wie die massiv aufgebotenen Perkussionisten. Am Ende der Bachchoral "Es ist genug", den schon Alban Berg in seinem Violinkonzert zitiert, und es bricht mit einer unwillig wirkenden Orchestergeste ab. Der zweite Sprecher rezitiert Teile der Dostojewski-Legende "Der Großinquisitor": Christus kommt um 1500 in das Spanien der Inquisitionszeit, wirkt Wunder, wird verhaftet und im Kellerverlies vom 90jährigen Großinquisitor verhört; der monologisiert allerdings, denn Christus spricht kein Wort, sondern küßt am Ende den verbitterten Greisen, der dem Christentum abgeschworen hat, auf den Mund - und wird fortgejagt.
Der Komponist läßt Solisten und Dirigent nicht nur als Musiker agieren, sondern gibt genaue szenische Anweisungen, z. B. die, daß die Akteure am Ende in Meditationshaltung verharren sollen - das wurde in Darmstadt allerdings nicht umgesetzt. Ich fand es passend, denn das Werk leidet m. E. ohnehin an einer etwas zu deutlichen Zurschaustellung der pessimistischen Sicht des Komponisten (der sich kurz nach der Komposition das Lebenb nahm). Ich fand es allerdings insgesamt beeindruckend, die Sprecher verkörperten glaubwürdig und mit großem Engagement die Botschaften des Werkes, vor allem der Bassist überzeugte.
Meine Befürchtung, daß mein Neffe hier überfordert und deshalb sosehr abgeschreckt sein würde, daß er weitere Besuche dieser Art ablehnen würde, bewahrheitete sich nicht, auch wenn ihn die anderen beiden Werke mehr ansprachen. Hier erstmal die Fakten:
Zitat07.02.2010, 11:00 Uhr
Staatstheater Darmstadt
5. Sinfoniekonzert
Claude Debussy: Nuages und Fêtes aus Trois Nocturnes
Bernd Alois Zimmermann: Ich wandte mich um und sah an das Unrecht, das geschah unter der Sonne. Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Baß-Solo und Orchester
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98Andreas Daum, Baß; Harald Schneider, Aart Veder, Rezitation; Staatsorchester Darmstadt; Ltg.: Hans Drewanz
Ursprünglich sollte das Konzert mit einem Auszug aus The Dream of Gerontius (Edward Elgar) eröffnet werden, doch waren Anfang Januar die Noten aus England noch nicht eingetroffen, so daß statt Elgar Debussy ins Programm aufgenommen worden war, leider nur die ersten zwei Sätze der Nocturnes; den dritten hatte man wohl so kurzfristig nicht einbeziehen können (wegen des zusätzlich erforderlichen Frauenchors vermutlich). Mein Bedauern darüber wurde allerdings deutlich relkativiert durch das, was ich da hörte: So geschmeidig, klar, durchsichtig, dabei von emotionaler Wärme erfüllt, habe ich Debussy im Konzertsaal noch nicht oft erlebt. Was der alte Hans Drewanz (früher über 30 Jahre GMD in Darmstadt) da mit den seinen hinlegte, war ganz große Kunst! Das Gleiche läßt sich über Brahms' Vierte sagen: auch hier wunderbar ausbalanciert, transparent, herbstlich-warm getönt - eindrucksvoll und berührend! Mein Neffe begeisterte sich auch am meisten für Brahms und erklärte mir hinterher eindeutig, daß er weitere Erfahrungen dieser Art mit mir zu erleben wünsche.
Dem jungen Manne kann geholfen werden.