Liebe Capricciosi,
gleich zu Beginn räume ich freimütig ein, dass ich bislang kein allzu großes Interesse an Klaviermusik gehabt habe. Das soll sich aber gerne ändern und ich bin gerade dabei, mich durch die Klavierwerke Claude Debussys zu hören. Als großer Anhänger seiner Orchestermusik stelle ich fest, dass mir die dort zu findenden schillernden Farben, das unbändige Leuchten und die großartigen Ideen auch in den Klavierwerken wieder begegnen. Gerne würde ich in diesem Thread die Meinung wirklicher Kenner lesen, die mir zu den Werken und den Einspielungen mehr sagen können.
Hier erst einmal meine Eindrücke - unter dem Vorbehalt frischer Hörerlebnisse zu lesen und hoffentlich kenntnisreich zu kommentieren:
Suite bergamasque L 75 (1890-1905)
1. Prélude
2. Menuet
3. Clair de Lune
4. Passepied
Die Suite, benannt nach Worten des Dichters Paul Verlaine, ist die einzige Klaviersuite Debussys, die mir bereits länger bekannt ist. Besonders Clair de Lune zählt zu den vielerorts abgenudelten Stücken, doch bei genauem Hinhören finde ich es immer noch ein harmonisch, melodisch und rhythmisch reizendes Stück. Reizvoll dazu im Kontrast ist der vierte, fast an die Musik des Barock gemahnende Teil "Passepied". Die Stimmung der Vorgänger bleibt erhalten, obwohl es eine recht statische Bewegung der Achtelnoten gibt. Das tut für mich hinsichtlich der Stimmigkeit der Suite keinen Abbruch.
Estampes L 100 (1903)
1. Pagodes
2. La soirée dans Grenade
3. Jardins sous la pluie
Die ost-asiatischen Pagoden des ersten Stücks erscheinen vor dem inneren Auge. Wenn man bedenkt, dass Debussy Eindrücke der Gamelan-Musik auf der Pariser Weltausstellung sammeln konnte, so meint man, diesen Einfluss hier deutlich hören zu können. Im zweiten Stück denke ich erst an einen Anflug von Orientalismen, wähne mich dann aber deutlich in spanischen Gefilden, angedeutet durch kleine musikalische Fetzen. Dennoch bleibt es für mich purer Debussy und kein Plagiat spanischer Folklore. Im dritten Stück regnet es in Paris, und zwar ordentlich. Schnelle Triolen prasseln nieder, doch das ganze hat nichts Bedrohliches. Es fühlt sich eher an wie die Freude über einen warmen Sommerregen.
Images I L 110 (1904/1905)
1. Reflets dans l‘eau
2. Hommage à Rameau
3. Mouvement
Bei diesem Zyklus bin ich voll in meinem Element! Bilder, Assoziationen - das ist mein Ding! Ob es die Reflektionen auf dem Wasser sind, die Referenz an Rameau (den ich als einen der wenigen Barock-Komponisten wegen seiner unerhörten Farben wirklich liebe) oder das fast wie eine Toccata klingende Mouvement: Das ist Musik, die mich trifft!
Images II L 111 (1907)
1. Cloches à travers les feuilles
2. Et la lune descend sur le temps qui fût
3. Poissons d‘or
Die zweite Serie der Images gefällt mir noch besser als die erste. Das Glockengeläut durch das Laub kommt ohne aufgesetzte Dramatik daher, ist dadurch aber nicht weniger eindringlich. Zugegeben, die Goldfische höre ich nicht wirklich, ein schönes Stück ist's trotzdem.
Children's Corner L 113 (1906-1908)
1. Doctor Gradus ad Parnassum
2. Jimbo‘s Lullaby
3. Serenade for the doll
4. The snow is dancing
5. The little shepherd
6. Golliwog‘s cakewalk
Gottseidank ist Children's Corner kein trockenes musikpädagogisches Werk. Debussy widmete den Zyklus zwar seiner Tochter, schrieb ihn aber nicht im leicht spielbaren Stil für Kinder. Er benannte die Sätze (auf englisch, aufgrund der Herkunft des Kindermädchens) nach Spielsachen seiner Tochter, verlieh diesen also ein gewisses Eigenleben. Das ganze klingt schlicht und komplex, komisch und anrührend zugleich. Das Schlaflied für den kleinen Elefanten (Jimbo's Lullaby) oder die Zeichnung des Hampelmanns (Golliwog's Cake Walk) sind liebevolle Miniaturen, für Kinder verständlich, ohne dabei profan zu sein.
Préludes I L 117 (1909/1910)
1. Danseuses de Delphes
2. Voiles
3. Le vent dans la plaine
4. Les sons et les parfums tournent dans l‘air du soir
5. Les collines d‘Anacapri
6. Des pas sur la neige
7. Ce qu‘a vu le vent d‘ouest
8. La fille aux cheveux de lin
9. La sérénade interrompue
10. La cathédrale engloutie
11. La danse de Puck
12. Minstrels
Préludes II L 123 (1910)
1. Brouillards
2. Feuilles mortes
3. La puerta del vino
4. Les fées sont d‘exquises danseuses
5. Bruyères
6. Général Lavine, eccentric
7. La terrasse des audiences du clair de lune
8. Ondine
9. Hommage à Samuel Pickwick Esq. P.P.M.P.C.
10. Canope
11. Les tierces alternées
12. Feux d‘artifice
Die Préludes wirken auf mich erst einmal gar nicht so anders als die Images. Der Wind in der Ebene, Schritte im Schnee oder die versunkene Kathedrale - all das sind kraftvoll und scheinbar leicht zugleich geschriebene Miniaturen. Auch die meisten anderen der 24 Stücke wirken auf mich, als würden sie schwerelos schweben, als seien sie mühelos dahin getupft. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es sein muss, das eben so getupft klingen zu lassen und nicht kräftig aufgemalt. Und dass er dem Capriccio-Vorsitzenden gleich die Nummer 6 des 2. Buchs widmet - ein toller Zug vom alten Claude!
Études L 136 (1915)
1. Pour les cinq doigts d‘après monsieur Czerny
2. Pour les tierces
3. Pour les quartes
4. Pour les sixtes
5. Pour les octaves
6. Pour les huit doigts
7. Pour les degrés chromatiques
8. Pour les agréments
9. Pour les notes répétées
10. Pour les sonorités opposées
11. Pour les arpèges composés
12. Pour les accords
Oh je, bei Etüden brauche ich echt Hilfe! Geht es nur mir so oder muss man möglicherweise ausübender Musiker sein, um den Reiz solcher Werke zu spüren?
Meine Einspielungen, die ich in den letzten Tagen gehört habe, sind folgende:

Werner Haas
Philips, 1960/1962

Arturo Benedetti Michelangeli
DGG, 1970-1987

Jean-Yves Thibaudet
Decca, 1994-1998
Ich hoffe darauf, mehr über die Klavierwerke Debussys von euch erfahren zu können!
Versteht disen Thread-Start also bitte eher als Frage denn als Antwort! ;+)
LG
C.
gleich zu Beginn räume ich freimütig ein, dass ich bislang kein allzu großes Interesse an Klaviermusik gehabt habe. Das soll sich aber gerne ändern und ich bin gerade dabei, mich durch die Klavierwerke Claude Debussys zu hören. Als großer Anhänger seiner Orchestermusik stelle ich fest, dass mir die dort zu findenden schillernden Farben, das unbändige Leuchten und die großartigen Ideen auch in den Klavierwerken wieder begegnen. Gerne würde ich in diesem Thread die Meinung wirklicher Kenner lesen, die mir zu den Werken und den Einspielungen mehr sagen können.
Hier erst einmal meine Eindrücke - unter dem Vorbehalt frischer Hörerlebnisse zu lesen und hoffentlich kenntnisreich zu kommentieren:
Suite bergamasque L 75 (1890-1905)
1. Prélude
2. Menuet
3. Clair de Lune
4. Passepied
Die Suite, benannt nach Worten des Dichters Paul Verlaine, ist die einzige Klaviersuite Debussys, die mir bereits länger bekannt ist. Besonders Clair de Lune zählt zu den vielerorts abgenudelten Stücken, doch bei genauem Hinhören finde ich es immer noch ein harmonisch, melodisch und rhythmisch reizendes Stück. Reizvoll dazu im Kontrast ist der vierte, fast an die Musik des Barock gemahnende Teil "Passepied". Die Stimmung der Vorgänger bleibt erhalten, obwohl es eine recht statische Bewegung der Achtelnoten gibt. Das tut für mich hinsichtlich der Stimmigkeit der Suite keinen Abbruch.
Estampes L 100 (1903)
1. Pagodes
2. La soirée dans Grenade
3. Jardins sous la pluie
Die ost-asiatischen Pagoden des ersten Stücks erscheinen vor dem inneren Auge. Wenn man bedenkt, dass Debussy Eindrücke der Gamelan-Musik auf der Pariser Weltausstellung sammeln konnte, so meint man, diesen Einfluss hier deutlich hören zu können. Im zweiten Stück denke ich erst an einen Anflug von Orientalismen, wähne mich dann aber deutlich in spanischen Gefilden, angedeutet durch kleine musikalische Fetzen. Dennoch bleibt es für mich purer Debussy und kein Plagiat spanischer Folklore. Im dritten Stück regnet es in Paris, und zwar ordentlich. Schnelle Triolen prasseln nieder, doch das ganze hat nichts Bedrohliches. Es fühlt sich eher an wie die Freude über einen warmen Sommerregen.
Images I L 110 (1904/1905)
1. Reflets dans l‘eau
2. Hommage à Rameau
3. Mouvement
Bei diesem Zyklus bin ich voll in meinem Element! Bilder, Assoziationen - das ist mein Ding! Ob es die Reflektionen auf dem Wasser sind, die Referenz an Rameau (den ich als einen der wenigen Barock-Komponisten wegen seiner unerhörten Farben wirklich liebe) oder das fast wie eine Toccata klingende Mouvement: Das ist Musik, die mich trifft!
Images II L 111 (1907)
1. Cloches à travers les feuilles
2. Et la lune descend sur le temps qui fût
3. Poissons d‘or
Die zweite Serie der Images gefällt mir noch besser als die erste. Das Glockengeläut durch das Laub kommt ohne aufgesetzte Dramatik daher, ist dadurch aber nicht weniger eindringlich. Zugegeben, die Goldfische höre ich nicht wirklich, ein schönes Stück ist's trotzdem.
Children's Corner L 113 (1906-1908)
1. Doctor Gradus ad Parnassum
2. Jimbo‘s Lullaby
3. Serenade for the doll
4. The snow is dancing
5. The little shepherd
6. Golliwog‘s cakewalk
Gottseidank ist Children's Corner kein trockenes musikpädagogisches Werk. Debussy widmete den Zyklus zwar seiner Tochter, schrieb ihn aber nicht im leicht spielbaren Stil für Kinder. Er benannte die Sätze (auf englisch, aufgrund der Herkunft des Kindermädchens) nach Spielsachen seiner Tochter, verlieh diesen also ein gewisses Eigenleben. Das ganze klingt schlicht und komplex, komisch und anrührend zugleich. Das Schlaflied für den kleinen Elefanten (Jimbo's Lullaby) oder die Zeichnung des Hampelmanns (Golliwog's Cake Walk) sind liebevolle Miniaturen, für Kinder verständlich, ohne dabei profan zu sein.
Préludes I L 117 (1909/1910)
1. Danseuses de Delphes
2. Voiles
3. Le vent dans la plaine
4. Les sons et les parfums tournent dans l‘air du soir
5. Les collines d‘Anacapri
6. Des pas sur la neige
7. Ce qu‘a vu le vent d‘ouest
8. La fille aux cheveux de lin
9. La sérénade interrompue
10. La cathédrale engloutie
11. La danse de Puck
12. Minstrels
Préludes II L 123 (1910)
1. Brouillards
2. Feuilles mortes
3. La puerta del vino
4. Les fées sont d‘exquises danseuses
5. Bruyères
6. Général Lavine, eccentric
7. La terrasse des audiences du clair de lune
8. Ondine
9. Hommage à Samuel Pickwick Esq. P.P.M.P.C.
10. Canope
11. Les tierces alternées
12. Feux d‘artifice
Die Préludes wirken auf mich erst einmal gar nicht so anders als die Images. Der Wind in der Ebene, Schritte im Schnee oder die versunkene Kathedrale - all das sind kraftvoll und scheinbar leicht zugleich geschriebene Miniaturen. Auch die meisten anderen der 24 Stücke wirken auf mich, als würden sie schwerelos schweben, als seien sie mühelos dahin getupft. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es sein muss, das eben so getupft klingen zu lassen und nicht kräftig aufgemalt. Und dass er dem Capriccio-Vorsitzenden gleich die Nummer 6 des 2. Buchs widmet - ein toller Zug vom alten Claude!

Études L 136 (1915)
1. Pour les cinq doigts d‘après monsieur Czerny
2. Pour les tierces
3. Pour les quartes
4. Pour les sixtes
5. Pour les octaves
6. Pour les huit doigts
7. Pour les degrés chromatiques
8. Pour les agréments
9. Pour les notes répétées
10. Pour les sonorités opposées
11. Pour les arpèges composés
12. Pour les accords
Oh je, bei Etüden brauche ich echt Hilfe! Geht es nur mir so oder muss man möglicherweise ausübender Musiker sein, um den Reiz solcher Werke zu spüren?
Meine Einspielungen, die ich in den letzten Tagen gehört habe, sind folgende:
Werner Haas
Philips, 1960/1962
Arturo Benedetti Michelangeli
DGG, 1970-1987
Jean-Yves Thibaudet
Decca, 1994-1998
Ich hoffe darauf, mehr über die Klavierwerke Debussys von euch erfahren zu können!
Versteht disen Thread-Start also bitte eher als Frage denn als Antwort! ;+)
LG
C.
„Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)