Natalie Dessay
Was haben Joan Sutherland, Lucia Aliberti und Anna Netrebko gemeinsam?
Sie alle wurden zu Beginn ihrer internationalen Karriere zur „neuen Callas“ ausgerufen, und selbstverständlich war es keine von ihnen.
Auch Natalie Dessay ist keine neue Callas, aber im Rahmen ihres Stimmfaches ist sie die Einzige die man m.E. völlig zu recht als ihre Nachfolgerin bezeichnen könnte.
Für mich ist sie eine absolute Ausnahmeerscheinung und DIE Singschauspielerin unserer Zeit.
Wie Callas will Dessay mehr als nur schöne Töne produzieren, sie wirft sich mit ihrer ganzen Stimme, ihrer ganzen Seele, ihrem ganzen zierlichen Körper in ihre Rollen und schafft Figuren, die man so schnell nicht vergisst.
Dessays Vita kann, wie so oft, bei Wikipedia nachgelesen wurde, daher hier nur die wichtigsten Daten.
Geboren wurde sie 1965 als Nathalie Dessaix in Lyon, obgleich sie ursprünglich Tänzerin werden wollte, studierte sie schließlich in Bordeaux Gesang und Schauspiel. Ihren Rollen allerdings merkt man ihre ausgeprägte Neigung zu Tanz und Bewegung immer wieder an wenn sie (z.B. als Marie in „La fille du Regiment“ oder als „Feuer“ in Ravels „L'enfant et les sortilèges“ ) wie ein Irrwisch über die Bühne fegt, oder als Olympia ihre Koloraturen auch schon mal mit einem angedeuteten Spitzentanz zu Gehör bringt.
Zu Beginn ihrer Laufbahn war Dessay ein reiner Koloratursopran. Die Puppe Olympia und Mozarts Königin der Nacht gehörten zu ihren Paraderollen, Lakmés „Glöckchenarie“ wurde zu einem beliebten „Renner“ in ihren Arienabenden.
Mit den Jahren gab sie einige dieser Partien (die sie einmal in Spötterlaune mit „kurz, langweilig und verteufelt schwer“ charakterisiert hat) zugunsten lyrischerer Partien auf.
Bei einem Duettabend mit Rolando Villazón wechselte sie von Olympia zu Antonia und sang Auszüge aus „La Traviata“ von der sie sagt, daß die Rolle an der Grenzen ihrer Möglichkeiten liegt. Dennoch sang sie im Sommer 2009 in Santa Fé ihre erste Violetta, ich kenne keine offiziellen Kritiken, sondern nur ein paar Berichte von Opernbesuchern, aber die sind durchaus positiv. Der Germont des Abends war Ehemann Laurent Naouri, der sehr gelobt wurde.
Um 2001 hatte Dessay eine lange andauernde Stimmkrise und musste mehrfach operiert werden, nicht Wenige malten bereits das Karriereende an die Wand, doch sie hat sich wieder erhotl und ist heute gefragter und erfoglreicher denn je, auch wenn es Leute gibt die sagen, daß ihre Stimme nicht mehr ganz den lupenreinen Nachtigallenklang von ehedem hat. Wie auch immer, ich finde ihre heutigen Leistungen beeindruckend genug.
Hier einige ihrer DVD-Mitschnitte:
„Manon“
Ein Livemitschnitt aus dem Gran Teatro del Liceu in Barcelona. Für Partner Rolando Villazón war es das erste von leider mehreren Krisenjahren, und auch wenn er immer wieder berückend schöne Momente hat (Traumerzählung), so hört man ihm doch an, daß nicht alles zum Besten stand. „Ah fuyez...“ hat mich wirklich erschreckt, und ich möchte das nie wieder so von ihm hören.
Dessay ist eine hinreißende Manon, ein egoistisches, dennoch verletzliches, liebenswertes und sehr triebhaftes Wesen, das DesGrieux, der gar nicht weiß wie ihm geschieht, in St. Sulpice auf eine Weise umgarnt daß man rote Ohren kriegen könnte, und das (anders als kurz zuvor Netrebko mit gleichem Partner in Berlin) ganz ohne neckische Spielchen mit irgendwelchen Briefen an strategischen Körperstellen.
Wie schrieb jemand (Severina? Fairy?) einmal in jenem anderen Forum:
„Schöner kann man einen Kerl nicht rumkriegen“.
Sie singt und spielt großartig, und auch wenn man RV wie gesagt die nahende
Krise gelegentlich anhört, sind sie ein tolles Paar von dem ich hoffe, daß es doch noch einmal gemeinsam auf der Bühne stehen wird.
„La fille du regiment“
Ich möchte behaupten daß wer diese Regimentstochter gesehen hat, sich nie mehrwirklich für eine andere begeistern kann. Dessay wirbelt wie ein Derwish über die Bühne, schwingt das Bügeleisen oder auch mal das Gewehr zu ihren halsbrecherischen Koloraturen und strapaziert die Lachmuskeln auf’s Äußerste. Und das alles bei nahezu perfektem Gesang.
Ich habe die Liveübertragung aus New York im Kino gesehen und war hellauf begeistert von der witzigen Regie, von Juan Diego Florez, dessen Fan ich normalerweise nicht gerade bin, der mir hier aber sehr, sehr gut gefällt, und vor allem natürlich von der phänomenalen Natalie Dessay, deren Marie m.E. DER Maßstab ist an dem künftige Interpretinnen gemessen werden müssen. Ich will gar nicht schlau daherreden, das können andere besser, und rate einfach nur dringend die DVD zu erwerben, so das sträflicherweise noch nicht geschehen sein sollte. Ich kann nicht anders, ich muß Feenhüte vergeben, obwohl dieses Privileg eigentlich der Feenkönigin vorbehalten ist.
Offen gestanden fesselt mich die Musik nicht übermäßig, ich finde sie schön, aber ich kann mir nicht helfen: m.E. wird sie dem düsteren Stoff nicht wirklich gerecht. Ich hab’s in meiner Amazon-Besprechung erwähnt: ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was Giuseppe Verdi daraus gemacht hätte, besonders bei der Figur des Claudius der doch eigentlich ein gefundenes Fressen für den großen Theatermann gewesen sein müsste. Sei’s drum, nicht Verdi hat sich des Stoffen angenommen sondern Ambrois Thomas. Ich habe die DVD wegen Dessay und Keenlyside gekauft und beide haben mich nicht enttäuscht, Keenlyside hat toll gesungen und auch darstellerisch aus der Rolle rausgeholt was in dieser Opernfassugn aus ihr rauszuholen ist, Natalies Ophelie wird auf herzerreißende Weise wahnsinngi und ich kann den Begeistrungstaumel des Publikums gut nachvollziehen. Ich bin vermutlich ein Banause, aber ohne Dessay allerdings würde ich mir die Oper vermutlich nicht so schnell wieder ansehen.
Dessay in einigen ihrer größten Rollen. Die Puppe Olympia ist mit gleich drei verschiedenen Versionen vertreten (was Dessay die Gelegenheit gibt, wieder einmal ihre Wandelbarkeit unter Beweis zu stellen): als Porzelanpuppe, als lebensgroße Shirley-Temple-Puppe und, in der anrührendsten Fassung, als autistisches junges Mädchen das durch die Kraft der Musik und der Liebe zum Leben erwacht. Diese letzte Version steht vermutlich in direktem Kontrast zu Offenbachs Absichten, aber ich kann sie nie sehen ohne zu weinen, so gut gefällt sie mir.
Wir erleben Dessay in den Wahnssinnsszenen aus „Hamlet“ und „Lucie de Lammermoor“. In dieser Szene geht sie derart in ihrer Rolle auf, wie ich das noch bei keiner Sängerin erlebt habe und diese Szene allein ist den Erwerb der DVD wert. :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:
Besonders gefällt sie mir in der kleinen Szene als „Feuer“ in „L’enfant et les sortilèges“ eine Oper, die ich bisher nur dem Namen nach kannte, auf die ich durch diesen Auftritt aber sehr neugierig geworden bin.
Zerbinettas ist ebenfalls zweimal vertreten und in beiden Versionen gefällt mir Dessay sehr. Mit ihrem Ehemann Laurent Naouri dürfen wir sie in einer Szene aus „Orphée aux Enfers“ erleben, Dessay als Euridice, Naouri als der sie umgarnende und als Fliege verkleidete Jupiter. Eine Szene die man so vermutlich nicht mit jedem x-beliebigen Bühnenpartner spielen würde und die Dessay zu dem entzückenden Geständnis veranlasst hat, daß sie sich bei den Proben zunächst geniert habe „Vielleicht denken die Leute ja, wir machen das zuhause auch so“.
Die Arien der Königin der Nacht und Bernsteins tragi-komisches „Glitter and be gay“ runden eine DVD ab die m.E. bestens geeignet ist, die ganze Kunst dieser außergewöhnlichen Sängerin zu zeigen.ö