Giuseppe di Stefano - Verglühen einer Jahrhundertstimme
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„Er könnte der Größte von uns sein – wenn er es nur ernsthaft anginge.“ (Jussi Björling)
„Ich muss gestehen, dass diese Stimme eine der schönsten ist, die ich je gehört habe.“ (Arturo Toscanini)
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1. Biografie
Anfänge
Giuseppe di Stefano, geboren am 24.Juli 1921 in Motta Sant’Anastasia bei Catania in Sizilien, gestorben am 3. März 2008 in Santa Maria Hoè - vorausgegangen war ein brutaler Überfall auf seinem Zweitwohnsitz in Diana (Kenia) im Dezember 2004 - galt als der Tenorpartner Maria Callas’.
Begründet wurde dieses überwiegend durch die uns bleibenden Aufnahmen, denn die gemeinsamen Opernauftritte belaufen sich dagegen lediglich auf 45! Der letzte gemeinsame Bühnenauftritt war bereits im Dezember 1957 mit Verdis „Un ballo in maschera“. Die Konzertauftritte mit Maria Callas 1973/1974 muss man leider unter dem Titel „Abgesang“ führen.
Seine Lehrer waren Danilo Fois (Anwalt und Freund), Adriano Tocchio (Chorsänger der Mailänder Scala), Luigi Montesanto (Bariton und späterer Manager) und vor seinem Operndebüt der Dirigent Roberto Moranzoni, obwohl festgehalten werden kann, dass er ein Gesangsstudium nie beendet hat.
Am 06.01.1941 wurde di Stefano in die Armee einberufen, doch kurz vor dem Abmarsch nach Russland rettete ihn ein Offizier, so dass er in Italien bleiben konnte. Di Stefano trat unter dem Künstlernamen ‚Nino Florio’ bei Unterhaltungsabenden und Varietés auf. Danach floh er vor einem weiteren Armeezugriff in die Schweiz, wo es zu einem ersten Engagement am Züricher Opernhaus kam (‚La Traviata’), ohne dass es zum Auftritt kam. Di Stefano betätigte sich ab 1944 bis ca. März 1945 als „Radiosänger“ (‚de Stefani’) bei Radio Lausanne unter Otto Ackermann, machte seine ersten Aufnahmen und brachte es zu lokaler Berühmtheit.
Operndebüt, Karrierestart und Amerika
Di Stefanos Operndebüt fand am 20.04.1946 als Des Grieux in „Manon“ von Jules Massenet in Reggio Emilia statt, anfangs seine Paraderolle. [J. M. Fischer gibt dagegen irrtümlich den Des Grieux Puccinis an (vgl. Fischer, J. M., a. a. O., S. 344)].
Danach folgten weitere Auftritte u. a. in Venedig und Genua, Barcelona. Nach seinem Debüt an der Mailänder Scala 1947 („Manon“) ging er bereits 1948 an die Metropolitan Opera (25.02.1948 „Rigoletto“). Sein Vertrag dauerte bis 1952. Die Sommermonate verbrachte er mit Engagements in Mexiko und Südamerika.
Die Zusammenarbeit mit Edward Johnsons Nachfolger Rudolf Bing führte wegen unterschiedlicher Auffassungen bei Operninszenierungen - Bing war Vertreter des Regietheaters - und den damit verbundenen szenischen Proben zu Spannungen, die di Stefano dazu brachten, den Vertrag einseitig zu kündigen. Dieses wiederum zog ein Auftrittsverbot in den USA nach sich, welches erst in der Spielzeit 1955/1956 aufgehoben wurde.
Ein wichtiger Karrierepunkt war die Zusammenarbeit mit Arturo Toscanini für Verdis „Messa di Requiem“ zum 50. Todestag des Komponisten (der Mitschnitt wurde veröffentlicht). Toscanini schenkte ihm ein Goldmedaillon, welches di Stefano zeitlebens getragen haben soll.
Italien und Maria Callas
Nach di Stefanos Rückkehr nach Italien im Sommer 1951 sang er in Genua, Triest, Catania und Verona. Danach führte es ihn wieder nach Südamerika zu Gastspielen u. a. in Rio de Janeiro. Im September 1951 erfolgte der erste gemeinsame Auftritt mit Maria Callas in „La Traviata“ in Sào Paulo. Erst 1952 kam es zu den berühmten gemeinsamen Auftritten in Mexiko. Maria Callas setzte sich für ihn ein, da er 1948 seinen Vertrag mit der Scala gebrochen hatte. Mit der Saison 1954/1955 kam Donizettis „Lucia di Lammermoor“ unter Karajan zur Premiere. Das Operntraumpaar Callas – di Stefano war geboren.
Fachwechsel
1955 vollzog di Stefano endgültig den Fachwechsel ins Zwischenfach (spinto). Er übernahm Rollen wie: Don José, Don Alvaro, Turriddu und Ricardo. Wenige Kritiker wie Rodolfo Celletti wiesen bereits damals auf die Probleme hin. Trotz des Fachwechsels folgte 1955 „La Traviata“ unter Carlo Maria Giulini in der Inszenzierung von Luchino Visconti. Di Stefano war von der Regiearbeit jedoch nicht überzeugt, auch kam es zu Eifersüchteleien mit Maria Callas, so dass er nach der Premiere ausstieg. Von 1956 (Radames!) bis 1958 eröffnete der primo uomo di Stefano die Scala-Saison. Nach dem Gastspiel 1956 mit der „Lucia“ an der Wiener Staatsoper, wurde di Stefano dort ab 1957 regelmäßiger Gast. Der Kontakt zu Maria Callas wurde erst Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wieder aufgenommen.
Probleme, Canzonensänger und Operettensänger
Ab 1958 machten sich ernsthafte Probleme – physischer und psychischer Natur – bemerkbar. Engagements wurden zu Risiken, da sich die Anzahl der Absagen steigerte.
1960 näherte sich das Ende an der Scala, obwohl er noch 1961 die Uraufführung von „Il calzare d’argento“ von Ildebrando Pizzetti sang. Di Stefano orientierte sich u. a. zur Wiener Staatsoper (bes. nach Karajans Abgang), wo Giuseppe Zampieri zu seinem „Ersatzmann“ wurde. Eine Rückkehr an die Scala 1962 mit dem Rodolfo in „La Bohème“ unter Karajan/Zeffirelli zerschlug sich wegen Missverständnissen und/oder Intrigen.
Danach folgten weltweite Auftritte und Absagen, berühmt wurde die Absage 1963 an der Covent Garden Opera, als Luciano Pavarotti als Rodolfo einsprang. Eine Rückkehr an die Met in „Les contes d’Hoffmann“ am 27.01.1965 war ein Fiasko, ebenso sein letzter Auftritt an der Wiener Staatsoper am 17.01.1966 in „Tosca“. Er sang in „Rienzi“ unter einem begeisterten Hermann Scherchen, liebäugelte mit einer Wagnertenor-Karriere, sang Monteverdi, Britten (Rundfunk), versuchte sich sogar am Otello, ein einmaliges Ereignis in Pasadena und Resultat einer vollkommenen Fehleinschätzung seiner Stimme.
Darauf folgte eine Karriere als Operettentenor in Lehárs „Land des Lächelns“ (Start am 01.09.1966 in Berlin). Der Erfolg konnte jedoch in anderen Rollen nicht wiederholt werden. Außerdem trat er immer wieder mit mehr oder minder anspruchsvollen Canzonen auf. Obwohl seine eigentliche Opernkarriere bereits Mitte der 1960er Jahre abgeschlossen war, zog sich di Stefano erst in den 1980er Jahren zurück. Seine letzten Auftritte hatte er 1995 (!) in Mexiko Stadt und Kremsmünster.
2. Stimme
Giuseppe di Stefanos Vorbilder waren Caruso, Gigli (Stimme), Schipa (Musikalität) und Pertile (Expression). Gefallen fand er am Gesang del Monacos und Björlings; Wunderlich sah er als Nachfolger an. Er selbst war Vorbild für viele nachfolgende Sänger wie z. B. Pavarotti, Carreras und Domingo.
Wenn man bedenkt, dass sein Operndebüt 1946 stattfand und er bis Anfang der 1960er Jahre auf höchstem Niveau sang, kann man nicht von einer sehr kurzen (Opern-)Karriere sprechen.
Trotzdem hätte seine Laufbahn auf der Opernbühne wesentlich länger dauern können, er war immerhin erst Mitte Vierzig, wenn seine stimmlich-technische Ausbildung, seine Rollenauswahl und sein Lebenswandel diesem förderlicher gewesen wären. Er war leidenschaftlicher Spieler und Raucher, ausgiebige Probenarbeiten sowie ein professionelles Einsingen vor dem Auftritt waren nicht seine Sache. Langes Vorbereiten an einem Auftrittsabend beförderte seiner Ansicht nach das Lampenfieber. Sein Mangel an Selbstkritik tat ein Übriges.
Stimme i. e. S.
Di Stefano war ein leichter lyrischer Tenor bzw. lirico leggero. Seine Stimme war ein Naturereignis, die er leider kontinuierlich aufzehrte. Sie war jugendlich frisch, natürlich, warm und voller Leidenschaft. Jedoch ließ di Stefano ein wichtiges Prinzip der Gesangsausbildung, nämlich die Bewahrung der Stimme, vollkommen außer Acht.
Die Stimme hatte großes Volumen mit mittlerem Umfang, großer Durchschlagskraft und gekonntem mezza voce (tragende Halbstimme), war jedoch von Intonationsunsicherheiten nicht gefeit.
Thomas Semrau gibt als das entscheidende Problem der Stimme di Stefanos den Registerwechsel (passaggio) an. Dieser sollte bei einem Tenor bei e1 oder f1 einsetzen. Di Stefano empfand das für seine Stimme als unzureichend, um seine Rollenverlagerung zum dramatischeren Fach (spinto) zu ermöglichen und setzte den Registerwechsel bei as1 an. Dieses wiederum führte zu einem Hinauftreiben des Brustregisters und zum sog. offenen Singen (offene Vokalbildung). (Vgl. Semrau, Thomas, a. a. O., S. 155f.) Dieses ist richtig, jedoch keine wirkliche Überraschung. M. E. lassen sich - neben den nicht zu unterschätzenden psychologischen Gründen - fast alle Stimmprobleme auf mangelhaften Registerausgleich zwischen Bruststimme und Falsett, d. h. auf Falscheinsatz der zwei unterschiedlichen Muskelsysteme zurückführen, da dieser absoluten Grundfertigkeit des Belcanto offenbar unzureichendes Interesse gewidmet wurde/wird; anders während der Sängerausbildung des "Belcanto-Zeitalters".
Der Verlust di Stefanos sicherer Höhe war ein schleichender Prozess, permanentes ermüdendes Forcieren, Verlust der Geschmeidigkeit und Abgleiten durch „Bruch“ ins Falsettieren waren die Folge.
Technik
Di Stefano sah in der richtigen Atmung die einzig erlernbare Technik für einen Sänger. Dieses widerspricht seiner (falschen) Einschätzung beim Registerwechsel, sowie die teilweise Ignorierung von weiteren rein technischen Belcantoqualitäten (Triller, Verzierungen, Appoggiaturen, Portamenti etc.). Eine wirkliche Adaption der traditionellen Belcanto-Techniken wurde nicht vollzogen.
Seine Einfärbungen und Phrasierungen waren in der Hochzeit brillant, Legato und Mecca di voce anfangs sehr gut. Gerade sein Diminuendo auf dem hohen C war vorzüglich (Gounod, Faust: Salut! Demeure chaste et pure).
Expression
Di Stefano besaß eine hervorragende Diktion bzw. Wortdeutlichkeit (recitar cantando) - wenn auch seine Textsicherheit nicht die Beste war - große Expressivität und Wahrhaftigkeit der Interpretation (cantante di razza (Vollblutsänger)). Sein dramatisches Bühnentemperament, besonders wenn er die adäquaten Partnerinnen hatte, war außergewöhnlich. Durch seinen Charme und seine außerordentliche Bühnenpräsenz konnte er viele stilistische und technische Mängel überspielen.
Puccini-Partien lagen di Stefano besonders, allerdings blieb ihm der Vorwurf nicht erspart, alles 'wie Puccini' zu singen, ein großer Stilist war er nicht.
Timbre
Giuseppe di Stefano besaß eine Naturstimme mit erstaunlichem Timbre, wenn es um den Wiedererkennungswert geht. Das Timbre hatte eine glühende Intensität mit einschmeichelnden Schmelz, an dem sich viele nachfolgenden Sänger orientierten.
3. Auftritte und Repertoire
Sein Repertoire umfasste 50 (größere) Tenorrollen. Seine bevorzugten Rollen waren: Des Grieux aus „Manon Lescaut“, Rodolfo aus „La Bohème“ und der Nemorino aus „L’elisir d’amore“. Seine häufigsten Opernauftritte hatte er als Rodolfo, Cavaradossi, Des Grieux (Massenet), Riccardo, Don José, Il duca di Mantova, Nemorino, Werther, Alfredo. Den Sou Chong („Land des Lächelns“) sang er in dreihundert Aufführungen.
Insgesamt sang er in über 900 Aufführungen und über 300 Operettenaufführungen, darüber hinaus zahlreiche Konzerte.
Anfangs (1946 bis ca. 1952) galt sein Schwerpunkt dem Repertoire des Belcantos bzw. der Übergangsphase; Bellini, Donizetti). Danach (ca. 1952 bis ca. 1966) folgte die Verlagerung auf Puccini, Verismo und „schwerer“ Verdi. Den letzten Abschnitt seiner Gesangskarriere (ab ca. 1966) widmete er der Operette („Land des Lächelns“ u. a.), dem Konzert und den italienischen Canzonen.
4. Herausragende Aufnahmen
Gesamtaufnahmen
15 verschiedene Opern nahm Giuseppe di Stefano im Studio auf, davon 10 mit Maria Callas. „Tosca“ und „Lucia di Lammermoor“ nahm er jeweils zweimal auf, ebenso Verdis „Messa di Requiem“.
Anzumerken ist, dass davon fünf Werke nie von di Stefano und Callas gemeinsam auf der Bühne interpretiert worden sind („Cavalleria rusticana“, „I Pagliacci“, „Il Trovatore“, „La Bohème“, „Manon Lescaut“).
Bei den herausragenden Aufnahmen ist selbstverständlich an erster Stelle die Referenzaufnahme von Puccinis „Tosca“ mit Victor de Sabata und Maria Callas, Tito Gobbi, Franco Calabrese, Angelo Mercuriali, Melchiorre Luise, Dario Caselli, Alvaro Cordova sowie dem Chor und Orchester der Mailänder Scala von 1953 zu nennen.
Direkt danach folgt m. E. die Live-Aufnahme von Donizettis „Lucia di Lammermoor“ mit Herbert von Karajan und Maria Callas, Rolando Panerai, Niccola Zaccaria, Giuseppe Zampieri, Luisa Villa, Mario Carlin sowie dem Chor der Mailänder Scala und dem RIAS Sinfonie-Orchester Berlin von 1955.
Als dritte Gesamtaufnahme möchte ich Bellinis „I Puritani“ mit Tullio Serafin und Maria Callas, Rolando Panerai, Nicola Rossi-Lemeni, Angelo Mercuriali, Carlo Forti, Aurora Cattelani sowie dem Chor und Orchester der Mailänder Scala von 1953 aufführen, obwohl di Stefano einen „Puccini-Arturo“ singt.
Einzelne Arien und Lieder
Massenet, Manon: Chiudo gli occhi – o dolce incanto (1944)
Volkslied: Cantu a timuni (1947)
Gounod, Faust: Salut! Demeure chaste et pure (Live 1950)
Verdi, Messa di Requiem: Ingemisco (1951)
Verdi, Un ballo in maschera: Teco io sto – non sai tu che se l’anima mia – o Qual soave brivido (1956; mit M. Callas)
Puccini, Manon Lescaut: No, pazzo son (1957)
5. Fragen zur Diskussion
War di Stefano ein Jahrhundertsänger?
Hat er sich für seine Stimme die falschen Rollen zugemutet?
War seine Stimme überstrapaziert, falsch ausgebildet oder das Nachlassen seiner Stimme dem Lebenswandel geschuldet?
Was bleibt von Giuseppe di Stefano?
Bis dann.
Primärquellen:
Semrau, Thomas, Alles oder Nichts – Giuseppe di Stefano, Salzburg-Wien-Frankfurt am Main 2002
Kesting, Jürgen, Die Großen Sänger, 4 Bände, Hamburg 2008
Fischer, Jens Malte, Große Stimmen – Von Enrico Caruso bis Jessye Norman, 1. Auflage Stuttgart 1995
Steane, John. B., The Grand Tradition – Seventy years of singing on record 1900-1970, Second Edition, Second impression Portland 1993
[size=8]Kutsch, K. J./Riemens, Leo, Großes Sängerlexikon, München 1999/2000, DVD