Konzerte in Hamburg

  • All die von den CD-Aufnahmen (ich kenne nur Hänssler) bekannten Stärken waren auch gestern zu hören: sehr präzise, sachgerecht und vernünftig kam Mahlers Partiur zur Geltung. Mir persönlich wären mehr Emotionen willkommen gewesen.

    Ich finde Gielens Neunte ja sehr emotional (die Hänssler-Aufnahme noch mehr als die etwas unterkühltere bei Intercord). Ganz toll, wie im letzten Satz die Portamenti der Streicher richtig ausgespielt resp. -geschmiert werden, das geht ans Herz.


    Ein Indikatior für das Maß des Gefesseltseins des Publikums von der Musik sind die Anzahl der Huster. Gestern gab es gerade gegen Ende der Sinfonie - wo sie besonders störten - auffällig viele.

    Da kann der Gielen aber nix für, dass Ihr immer :pinch:-Wetter habt und alle erkältet rumlaufen :P.


    P.S.: Jetzt lege ich mit Gruß an Zwielicht B. Walters Vorkriegsneunte auf.

    Oh danke, Gruß zurück ;+). Ich habe ja ein zwiespältiges Verhältnis zu Walters 38er-Aufnahme, die als zeitgeschichtliches Dokument natürlich unvergleichlich ist. Aber musikalisch: Die Tanzcharaktere im zweiten Satz trifft Walter hervorragend, und auf emotionaler Ebene geht's im ersten Satz auch ab, allerdings auf Kosten der Partitur - finde ich. Manche Passagen spielt heute jedes Provinzorchester besser als die Wiener Philharmoniker damals. Aber das Thema mit der Idiomatik des Unperfekten hatten wir ja schon...


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Manche Passagen spielt heute jedes Provinzorchester besser als die Wiener Philharmoniker damals. Aber das Thema mit der Idiomatik des Unperfekten hatten wir ja schon...

    Hallo Bernd,

    ja, ich habe gelesen, was du (zuletzt im Mahler-1-Thread) dazu geschrieben hast. Obwohl ich dir dort nicht geantwortet habe, bin ich nicht deiner dort geäußerten Meinung. In Kurzform, da dir die Argumente ja ohnehin bekannt sind: Die spieltechnische Perfektion der heutigen Orchestermusiker besagt nicht, dass sie immer nur perfekt spielen können. Im Gegenteil äußert sich diese Perfektion gerade auch in einer chamäleonhaften Vielgestaltigkeit der Spielweisen, die sich äußerst, teils beängstigend schnell den Interpretationsabsichten des Dirigenten anpassen kann (das mag man beklagen, weil typischer Orchesterklang verlorengeht, der andere Bernd könnte jetzt auch was von wiener Tröten einwerfen...). Wenn also der Dirigent den Intentionen Wagners folgend einen - im Falle der Neunten - zweiten Satz derb spielen lassen möchte, dann wird er derb gespielt - gestern wurde er. Gewendet auf die erste Sinfonie: Wenn das Kontrabasssolo schön gespielt wird, liegt das nicht an dem heute deutlich besseren Spielvermögen der Kontrabassisten, sondern an der Vorgabe der Dirigentin.

    :wink: Thomas

    Gleich danach lege ich Mitropoulos 1. Sinfonie mit dem New York Philharmonic auf. Ein gutes Beispiel dafür, dass alles andere als Provinzorchester Mahlers Absichten umsetzen können (ich will nichts mehr ankündigen, weil ich ja doch nichts halte, ansonsten würde ich schreiben: Näheres beizeiten im Thread).

  • Mahler 9 gestern in Hamburg

    Ich war gestern auch im Konzert und fand es geoßartig. Gänsehaut am Schluß gehört zu diesem Werk, und sie war auch bei mir da. Sehr emotional, getragen, aber nicht zu langsam, und die Bläser (Blech wie Holz) in großer Form. Ein tolles Konzert.

    Die vielen Huster gerade bei den piano- und pianissimo-Stellen fand ich sehr schade. Ich habe vor vielen Jahrzehnten gelernt, daß man mit unkontrollierbarem Hustenreiz zu Hause bleibt und die Karten verschenkt. Aber das scheint absolut nicht mehr zu gelten. Und es wird offen und laut in den Raum gehustet - man könnte auch den Ärmel nehmen, um das Geräusch zu dämpfen.

    Am Sonntag wird live übertragen, dann hoffentlich mit weniger Hustern.

    Einmal editiert, zuletzt von Claus (24. September 2010 um 11:59)

  • Hallo Claus,

    erst einmal: Herzlich willkommen im Forum!

    Dein sehr positiver Eindruck freut mich für dich. In keiner Weise möchte ich ihn in Zweifel ziehen. Gerade bei Mahler sind die Wahrnehmungen ja sehr unterschiedlich. Carsten, der General Lavine, war gestern übrigens auch im Konzert. MIt ihm saß ich anschließend noch auf ein Bierchen zusammen. Er fand es noch mal eine deutliche Stufe unemotionaler - und das bedeutet in diesem Falle für ihn schlechter - als ich. Das heißt, bei ihm senkte sich der Daumen sogar deutlich nach unten. Aber vielleicht teilt er uns das selbst noch mit.

    Drei Hörer, drei Meinungen. Fast wie bei Juristen. Absolut einig sind wir uns bei der Bewertung der Bläser. Großartig!

    Die Radioübertragung ist gar nicht von dem gestrigen Konzert? Das dachte ich bisher.

    Viele Grüße

    Thomas

  • Die vielen Huster gerade bei den piano- und pianissimo-Stellen ...

    Darauf möchte ich extra eingehen, weil mir immer wieder auffällt, dass manche Zuhörer - oder bessser Besucher? - gerade dann husten, wenn es leise ist. Sollten sie wirklich denken, dass sie dann am wenigsten stören, weil ja kaum Musik zu hören ist? Manchmal glaube ich das fast.

  • Das heißt, bei ihm senkte sich der Daumen sogar deutlich nach unten. Aber vielleicht teilt er uns das selbst noch mit.

    Confirmed! :D Allerdings war mir von vornherein klar, dass der Gielen-Mahler nicht mein Mahler sein wird. Objektiv schlecht war die Aufführung ganz sicher nicht, aber ICH zumindest habe das Elektrisierende, Ergreifende, Emotionale dieser Sinfonie (die zu meinen Lieblingswerken überhaupt gehört) gestern abend leider gar nicht verspürt. Es wollte sich keine Gänsehaut einstellen - die Musik klang mir einfach zu kontrolliert und auf Präzision getrimmt. Grosses Lob kann ich der Orchesterleistung aussprechen.

    Hier zeigt sich einmal wieder, das die Mahler-Rezeptoren in jedem cerebrospinalen Nervensystem ganz unterschiedlich eingestellt sind.

    Auch von mir an dieser Stelle herzlich willkommen an Claus - sach mal Bescheid in diesem Thread, bei welchen Hamburger Konzerten man Dich antreffen kann!

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Ich finde Gielens Neunte ja sehr emotional (die Hänssler-Aufnahme noch mehr als die etwas unterkühltere bei Intercord).

    Hat Hänssler die Intercord-Aufnahmen nicht einfach nur wiederveröffentlicht? Ich hatte die Diskographie im Anhang der Gielen-Autobiographie so verstanden. Ich habe von der 9 die Intercord, aufgenommen 1990, mir ist sie nicht zu unterkühlt. Wann ist also die hänssler aufgenommen? Oder sind vielleicht nur einige identisch, etwa die 4.?

    :wink: Matthias

  • Hallo Matthias,

    gem. Hänssler-Booklet wurde die Neunte 2003 aufgenommen.

    Gruß, Thomas

    Nachtrag (immer serviceorientiert denken, habe ich mir gesagt, daher kurz mal alle Aufnahmedaten gem. Hänssler-Box (ist aus meiner Liste, hoffe, ich habe keinen Fehler drin)):

    Nr. 1, 2002
    Nr. 2, 1996
    Nr. 3, 1997
    Nr. 4, 1988
    Nr. 5, 2003
    Nr. 6, 1999
    Nr. 7, 1993
    Nr. 8, 1998
    Nr. 9, 2003
    Nr. 10, Adagio, 1989

  • Genau, laut eigener Aussage wollte Gielen die Neunte nochmal einspielen, weil ihm bei der Intercord-Version vor allem die Rondo-Burleske nicht vollständig gelungen zu sein schien. Es gibt aber nicht nur im dritten Satz hörbare Unterschiede zwischen beiden Versionen (vgl. die erwähnten Portamenti oder das in der älteren Aufnahme etwas schnellere Tempo im Finale, auch Gestaltung der Höhepunkte im Kopfsatz usw.). Der etwas "unterkühlte" Eindruck, den man je nach Gusto natürlich auch mögen kann, entsteht bei der Intercord-Aufnahme m.E. durch diesen extrem kühlen Studio-Sound, etwa die sehr "metallisch" klingenden Geigen (die Probleme bei den Aufnahmen mit großem Orchester im Baden-Badener Funkhaus schildert Gielen in seiner Autobiographie).

    Die Intercord-Aufnahme der Vierten ist ebenso wie das Adagio der Zehnten (früher mit Tristan-Ausschnitten gekoppelt) von Hänssler übernommen worden. Ansonsten gibt es keine Doppelungen bei Gielens Mahler-Aufnahmen, abgesehen von der älteren, noch mit dem Frankfurter Museumsorchester eingespielten Achten von 1981 (die trotz teils gruseliger Sängerleistungen nicht uninteressant ist).


    Viele Grüße

    Bernd


    PS: Bei der Vierten gefällt mir übrigens der kühle, fast schon röntgenhafte Intercord-Baden-Baden-Klang sehr gut. Beim Adagio der Zehnten dagegen stört mich der Streicherklang wieder. Die Zehnte hat Gielen ja bekanntlich vor ein paar Jahren auch in der vervollständigten Version Cooke III aufgenommen - da liegt beim Adagio also ebenfalls eine Doppelung vor.

    .

  • meine Hamburger Konzerte

    Hallo Lavine,

    wann und wo bin ich in Hamburger Konzerten?

    Ich habe NDR B abonniert, bin also meistens da. NDR Kammermusik ebenfalls. (Bei beiden habe ich ZWEI Karten, bin aber nur einer, da Strohwitwer. Wenn jemand schon weiss, was er unbedingt hören will, noch ist bei den meisten Terminen der zweite Platz frei).


    Diese Saison ausserdem viel bei "Mahler in Hamburg", eine tolle Idee, wenn auch die Realität der Buchung zum Teil Verbesserungspotential zeigte.


    Von Fall zu Fall was mich reizt, wennn ich Zeit und Geld habe. Zum Beispiel Metropolis auf Kampnagel, oder auch die bereits erwähnte Mahler 2 in der Behn-Fassung im Michel. @Amfortas: Soweit ich weiss, ist ndr-Kultur NICHT dabei, leider. Aber vielleicht irre ich mich, oder die Information ist noch nicht zu finden. Auch Mahler 8 lasse ich mir nicht entgehen, obwohl ich grosse Vorbehalte zum möglichen Klangerlebnis in der Arena habe. Ich habe sie nur einmal live gehört, unter Drewanz in Darmstadt 197x??, war ein tolles Erlebnis.


    Und schließlich die Konzerte, wo ich mitmachen darf, die nächsten Termine: 17.10. Monteverdis Marienvesper (die in diesem Jahr 400 Jahre alt ist) in der Laeiszhalle, 23.10. Händels Messias in der Kulturkirche Altona. Beide kann ich guten Gewissens empfehlen. Die Marienvesper machen wir übrigens auch am 16. im Berliner Dom und am 31. in der Leipziger Thomaskirche.

  • Hallo Claus,

    das ist ja ein äußerst ansprechendes musikalisches Programm, passiv wie aktiv.

    Mit besonderem Inteesse habe ich natürlich dein Kartenangebot gelesen. Falls die Karte für Konzert B3 (Threnos, 1. Chopin KK, Feuervogel) noch frei ist: an der hätte ich großes Interesse. Blöderweise kann ich dir noch keine PN schreiben (dazu müsstest du gem. den hiesigen Regeln erst einmal 15 Beiträge verfasst haben.

    Übrigens gibt es hier für Konzertbesuche einen eigenen Thread: https://www.capriccio-kulturforum.de/musik-erfahren…heater-konzert/

    :wink: Thomas

  • B3

    Hallo Thomas,
    dann antworte ich einfach hier. Du hast eine Antwort, und mein Zähler geht hoch ;+) . B3 ist abgehakt, ich freu mich darauf. Ist ein tolles Progamm. Ich werde gerade aus St. Petersburg zurück sein, wo wir Mozart Requiem gemacht haben werden.

  • Lieber Knulp, lieber Bernd,

    danke für eure Informationen zu Mahler mit Gielen. Mist, habe ich zwei halbe GAs und inzwischen wird's schwierig und teuer, sie beide zu vervollständigen, muß aber irgendwann sein. :cry:

    :wink: Matthias

  • (Bei beiden habe ich ZWEI Karten, bin aber nur einer, da Strohwitwer. Wenn jemand schon weiss, was er unbedingt hören will, noch ist bei den meisten Terminen der zweite Platz frei).

    Moin Claus,

    also ich möchte ganz gewiß Mahler6 mit Alan Gilbert am 9. Dezember hören. Solltest Du zu diesem Konzert noch eine Begleitung suchen, so würde ich mich über eine Nachricht freuen.

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Zitat

    Mahler6 mit Alan Gilbert am 9. Dezember hören

    gibt es auch eine Übertragung vom NDR-Kultur ?

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • gibt es auch eine Übertragung vom NDR-Kultur ?

    :wink:


    Oftmals wird am Sonntag (also dann 12.12.) um 11.00 live übertragen. Wenn nicht. wird aufgezeichnet und irgendwann gesendet. Ca. eine Woche vorher ist das Programmheft als .pdf zum Download ( http://www.ndr.de/sinfonie ) verfügbar, da steht drinnen (auf der Programmseite), ob und wann live übertragen bzw. wann gesendet wird.

  • ndr Sinfonieorchester Kammerkonzert 19.10.2010

    Ich hatte die Reihe schon erwähnt, Kammermusik mit Mitgliedern des Sinfonieorchesters, sechs Konzerte pro Saison, jeweils unter einem Thema für den Abend.

    Gestern also
    Kammermusik aus Wien

    Abonnementkonzert

    KK1 | Di, 19.10.2010 | 20 Uhr
    Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

    ANTON BRUCKNER
    Streichquintett F- Dur
    ERICH WOLFGANG KORNGOLD
    Suite für zwei Violinen, Violoncello und Klavier linke Hand op. 23

    Alexandra Psareva Violine
    Razvan Aliman Violine
    Jacob Zeijl Viola
    Anne Thormann Viola
    Katharina Kühl Violoncello
    Viktoria Lakissova Klavier (a.G.)

    Es hat mir (wieder einmal) sehr gut gefallen.

    Die Geschichte des Streichquintetts ist witzig, Bruckner schrieb es nach Aufforderung durch Hellmesberger, der es dann aber zunächst nicht aufführen wollte, weil es so gar nicht der üblichen kammermusikalischen Tradition entsprach (und entspricht).

    Der langsame Satz war (wieder einmal) für mich am schönsten.

    Die Korngold-Suite hatte ich bewußt noch nie gehört. Die Pianistin spielte den Part für die linke Hand bravourös. Die Fuge im ersten Satz holperte im Zusammenspiel ein wenig, aber nur ganz kurz, dann lief es wieder glatt. Auch hier fand ich einen Satz am Schönsten, den mittleren (Groteske).

    Ich kann diese Reihe nur immer wieder empfehlen.

  • Monteverdis katholisch-venezianische Messe der Heiligsten Jungfrau im protestantischen Nordelbien, noch dazu in der Hauptkirche St. Michaelis - kann das funktionieren? Und ob es kann!

    Der Hamburger Michel ist mit Abstand der größte barocke Kirchenbau Norddeutschlands, einer der bedeutendsten Orte evangelischer Kirchenmusik und wahrscheinlich zusammen mit der Dresdner Frauenkirche der prachtvollste protestantische Sakralbau. Der Kirchenraum ist kleeblattförmig gegliedert und verfügt über zahlreiche Emporen, Galerien und Balkone - womit er San Marco in Venedig, für das die Vesperae komponiert wurden, zumindest von den räumlichen Bedingungen her schon verdammt nahe kommt. Die Klangeffekte bei den doppelchörigen Motetten, den Abschnitten mit Echo-Effekten und weiter weg positionierten Frauenstimmen konnten hier glänzend zur Wirkung kommen - weitaus besser, als dies in einem Konzertsaal möglich wäre. Ich hatte das Glück, einen Platz auf der Nordempore zu ergattern, eben da wo auch Chor und Instrumentalisten postiert waren. Ich saß etwa drei Meter neben den Posaunisten und war somit ganz nah am Geschehen, unbelastet von etwaigen Unwägbarkeiten der Raumakustik. Es gibt allerdings zahlreiche Plätze unter den insgesamt mehr als 2000, die vermutlich weitaus schlechtere Sicht- und Hörbedingungen bieten.

    [Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a2/St._Michaelis_%28%27Michel%27%29_%28Hamburg%29.jpg]

    400 Jahre nach der Uraufführung brachte der hier heimische Chor St. Michaelis mit seinen knapp 90 Sängerinnen und Sängern das unvergleichliche Werk - erstes Oratorium der Musikgeschichte? - zu hervorragender Wirkung. Kirchenmusikdirektor Christoph Schoener, ein Routinier, der seit 1998 hier wirkt (vorher war er an der Bielertkirche in LEV-Opladen tätig), setzte ganz auf das Emotionale und Leidenschaftliche, das dieser Musik trotz ihres Rückgriffs auf alte, z.T archaische Formen inne wohnt. Er fand genau die richtige Mitte zwischen romantisierendem Ballast und puritanisch-liturgischer Kargheit. Das auf historischen Instrumenten spielende "Concerto con Anima" begleitete kompetent und verfügte über zwei ausgezeichnete Solo-Violinistinnen und eine prächtige Blechbläsergruppe.

    Geadelt wurde die Aufführung durch die Mitwirkung einer Alte-Musik-Ikone, die ich schon immer sehr mochte: Dame Emma Kirkby, inzwischen 61 Jahre alt, verfügt immer noch über einen glockenhellen Sopran. Es wirkte sehr sympathisch, wie sie während der gesamten Aufführungsdauer mit einem strahlenden, engelhaften Lächeln vor dem Chor stand und auf einen ihrer wenigen solistischen Einsätze wartete - zusammen mit Susanne Ryden legte sie ein berückend schönes "Pulchra es" hin, das zu den Höhepunkten der Aufführung gehörte.

    Gleichwohl gab es einen anderen, herausragenden Mitwirkenden, der dem Ereignis seinen Stempel aufdrückte: Die Rede ist von dem britischen Tenor James Gilchrist, der manchen vielleicht von Einspielungen J.E. Gardiners (Bach-Kantaten), Harry Christophers, Paul McCreeshs oder anderer Alte-Musik-Spezialisten aus UK bekannt ist. Der bescheiden wirkende Mann hat die Aura eines Postschalterbeamten - aber was für eine Stimme! Als er zu Beginn zwei Schritte vortrat und ein unglaublich kraftvolles, strahlendes "Deus in adjutorium" in den riesigen Kirchenraum hinein schleuderte, war eigentlich schon klar, dass darauf nur eine brennend intensive Aufführung folgen konnte. Im Verlauf des Abends ragte Gilchrist, der mit selten erlebter emphatischer Leidenschaft zu Werke ging, als wolle er die Jungfrau Maria für sich allein gewinnen (ohne indes opernhaft zu wirken), immer wieder aus dem insgesamt sehr guten Ensemble der acht Solisten heraus. Im "Gloria" schließlich meisterte er die halsbrecherischen Koloraturen in rasendem Tempo mit Bravour - eine rundum beeindruckende Leistung in einem ohnehin schon starken Kollektiv.

    Ich bin sicher, dass an diesem Abend der Musik Monteverdis viele neue Freunde hier in Hamburg gewonnen wurden. Dass es keine - und ich meine wirklich KEINE - Husterei und Handtaschenwühlerei zu verzeichnen gab, belegt sicher, wie fesselnd die Aufführung war. Für mich, der ich mit der Marienverehrung etwa so viel am Hut habe wie mit Bachblütentherapie, war es ein beglückender Abend, den ich, emotional tief berührt und von purer Schönheit überwältigt, still genoß - wissend, dass genau 20 Meter unter mir Carl Philipp Emanuel Bach seinen wohl verdienten Schlaf schläft und dass morgen an selbiger Stelle die Trauerfeier für Hannelore Schmidt wiederum zahlreiche Menschen tief bewegen wird.

    Cheers,

    Lavine

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

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