Die Harfe – Himmel und Erde in Theorie und Praxis

  • Nichts desto gehört überbordende Chromatik einfach nicht zum Idiom der Harfe.

    In der Vergangenheit gab es allerdings Versuche, der Harfe die Chromatik beizubringen. Wenn man den Informationen hier (http://www.jochenscheytt.de/debussy/debuss…spourharpe.html) glauben darf, gab es um 1900 einen Konkurrenzkampf zwischen Pleyel und Erard (mir bislang eher als Klavierbauer bekannt). Demnach produzierte Pleyel eine chromatische Harfe und beauftragte Claude Debussy, für die Neuerung zu werben, Ergebnis: Die Danses für chromatische Harfe und Streichorchester. Gegenschlag von Erard, das die Doppelpedalharfe propagierte: Auftrag an Maurice Ravel, er komponierte 1905 Introduction et Allegro für Harfe, begleitet von Streichquartett, Flöte und Klarinette.

    Nach meiner Quelle gewann Erard.

    PS: Die Geschichte mit Anja Linder finde ich beeindruckend!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Das ist wirklich sehr beeindruckend und wieder einmal ein Beispiel dafür, wie Katastrophen und grosses Leid von manchen Menschen in Chancen und Neuanfänge umgewandelt werden können. Mich machen solche Berichte immer sehr glücklich, weil sie zeigen, dass wir nicht verdammt sind, vor dem "Schicksal" zu kapitulieren.

    Edwins Komposition für Harfe und Sopran "Je vis je meurs" nach Texten von Louize Labé habe ich nach meiner Rückkehr aus der magischen Stadt Prag in meiner Post gefunden und bin sehr glücklich, geehrt und bewegt, dass er sie mir nicht nur geschenkt sondern auch (unverdientermassen) gewidmet hat. Es ist schwierig, sich für derart kostbare Geschenke zu bedanken. Vielleicht geht das gar nicht aber das Glück, das sie geben , kommt zum Spender zurück? Das würde ich mir jedenfalls wünschen!
    Im Moment suche ich nach einer Harfenistin/Harfenisten, die die Lieder spielen kann und will und hoffe dann im zweiten Schritt, dass ich sie auch singen kann. Edwin komponiert nämlich weder neobarock noch neoklassizistisch, sondern mit allem Gepäck das ein Künstler im Jahr 2011 mit sich trägt.
    :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Edwin komponiert nämlich weder neobarock


    Der erste Entwurf war sogar neobarock - aber dann dachte ich: Schauen wir mal, was man mit der Harfe so alles anfangen kann, wenn sie einen schönen Sopran begleitet...

    Die Sache mit der Idiomatik ist bei allen Instrumenten haarig. Die Instrumentalisten unserer Tage sind so gut, daß sie nahezu alles spielen können, was mit der Technik des Instruments zu bewältigen ist. Soll heißen: Ein Crescendo auf einem einzigen Pizzicato-Ton ist immer noch so unmöglich wie ein ununterbrochenes Glissando auf dem Klavier. Aber selbst zweistimmige kontrapunktische Passagen auf den Streichinstrumenten sind heute drin, und man kann einem Trompeter Passagen abverlangen, die man früher nicht einmal in die Flöte geschrieben hätte.
    Nur: Hat das mit dem Instrument noch etwas zu tun oder ist es ein reiner Effekt?

    Da wir uns hier mit der Harfe befassen: Es gibt ein paar moderne Spieltechniken, die durchaus interessant sind, so ist etwa ein Pedal-Glissando möglich - wenngleich nie mehr als im Umfang eines Ganztons (das Pedal verschafft jeder Saite genau diesen Ambitus). Man kann also beispielsweise von As nach B glissandieren; auch Vierteltöne sind möglich, wenn man ein Pedal in der Stellung zwischen zwei Halbtönen hält. Eine bestimmte Spieltechnik ergibt auf den tiefen Saiten den Klang von grollendem Donner, mit einer anderen Technik wiederum kann man Hagel niederprasseln lassen. Das alles und noch mehr ist auf der Harfe möglich - aber man darf sich nicht täuschen: Das ist nicht wirklich idiomatische Harfenmusik, sondern ein Reseervoir an möglichen Effekten.

    So ist es auch mit der Chromatik. Ich bin bei Harfenmusik, die über die herkömmlichen Möglichkeiten hinausgeht, skeptisch. Zumindest ich verbinde mit der Harfe keine überbordende Chromatik - und wenn man Chromatik einsetzen will, dann gibt es Mittel und Wege dazu. Schließlich kann man die Saiten beispielsweise ja auch so stimmen: c-des-e-fis-gis-a-b
    Ich finde es enorm reizvoll, für ein Instrument zu schreiben, das eben nicht alles kann, und bei dem man sehr genau disponieren muß, ehe man mit der Ausarbeitung beginnt - beispielsweise: Wie komme ich von einem b-Bereich in einen Kreuz-Bereich - ist es überhaupt notwendig, alle Saiten umzustimmen, oder kann man mittels enharmonischer Verwechslung den Harfenisten vor Verzweiflungsanfällen retten?

    Genau darin sehe ich den großen Vorteil von Anja Linders "Anjamatic": Die Modulation entspricht eher dem innerlich Gehörten. Das heißt, man kann auf einen b-Moll-Dreiklang einen H-Dur-Dreiklang folgen lassen, der wirklich als H-Dur notiert ist und nicht als Ces-Dur. Aus der Harfe jedoch ein chromatisches Instrument zu machen, verfälscht meiner Meinung nach die Idiomatik - weshalb sich die chromatischen Instrumente auch nicht durchgesetzt haben.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Ein wirklich toller Beitrag. Meine erste erste Amtshandlung hier ist, mich über die Harfe schlau zu lesen, einem Instrument, mit dem auch ich mich bisher sehr wenig beschäftigt habe, welches mir aber immer sehr gefiel. Der Gedanke, der Ursprung sei über den Bogen gekommen ist schon verstörend, wenn man bedenkt, wie friedvoll der Ton ist bzw. "blumig" wie ich irgendwo hier gelesen habe.

    Was ich allerdings nicht verstehe ist, warum die Saiten der Akkorde möglichst nahe beieinander liegen sollten. Rein wegen der Praktikabilität, dass man quasi nicht gleichzeitig an alle Saiten käme? Es ist ja nicht das unumständlichste Instrument, sage ich mal :)

  • Es gibt ein paar moderne Spieltechniken, die durchaus interessant sind, so ist etwa ein Pedal-Glissando möglich - wenngleich nie mehr als im Umfang eines Ganztons (das Pedal verschafft jeder Saite genau diesen Ambitus).

    Ein wirkliches Glissando ist das aber nicht. Denn die Saiten stimmen ja "plötzlich" um und nicht kontinuierlich (deswegen kann ich mir gerade auch nicht vorstellen, wie man die Vierteltöne mit halbem Pedal erzeugt). Ein Glissando, das auch sehr gut im Orchester durchkommt, kann man aber mit einem Stimmschlüssel erzeugen, den man an eine (vorzugsweise hohe) Saite drückt und nach oben oder unten zieht (und vorher mit der anderen Hand laut anzupft).

    Edwin, ich nehme an, wenn du dein Stück online stellen wolltest, hättest du es bereits getan (im Komponistenforum). :?:
    Ansonsten: Würde mich sehr interessieren!

  • Ein wirkliches Glissando ist das aber nicht. Denn die Saiten stimmen ja "plötzlich" um und nicht kontinuierlich (deswegen kann ich mir gerade auch nicht vorstellen, wie man die Vierteltöne mit halbem Pedal erzeugt).


    Meine Quelle ist:
    Ertugrul Sevsay: Handbuch der Instrumentationspraxis.
    Sevsay schildert genau die Bauweise und gibt konkrete Beispiele für halbes Pedal und Pedalglissando an. Wenn ich mir die Mechanik der Pedale ansehe, merke ich übrigens nichts, was konkret gegen die Möglichkeit des Halbpedals spricht. Wenn ich mich nicht irre, sind das quasi Seilzüge, und die sollten eigentlich ein kontinuierliches Umstimmen zulassen.
    :wink:

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Was ich allerdings nicht verstehe ist, warum die Saiten der Akkorde möglichst nahe beieinander liegen sollten. Rein wegen der Praktikabilität, dass man quasi nicht gleichzeitig an alle Saiten käme?

    Ohne hier Fachwissen anbieten zu können: Ich nehme an, ja, damit möglichst leicht Glissandi in den diversen Harmonien gespielt werden können.

    Vielleicht kann das jemand anders besser erklären...?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • :sleeping:


    Meine Quelle ist:
    Ertugrul Sevsay: Handbuch der Instrumentationspraxis.
    Sevsay schildert genau die Bauweise und gibt konkrete Beispiele für halbes Pedal und Pedalglissando an. Wenn ich mir die Mechanik der Pedale ansehe, merke ich übrigens nichts, was konkret gegen die Möglichkeit des Halbpedals spricht. Wenn ich mich nicht irre, sind das quasi Seilzüge, und die sollten eigentlich ein kontinuierliches Umstimmen zulassen.
    :wink:

    Also entweder ihr habt in Wien andere Harfen oder der Sevsay schreibt ziemlichen Murks (wobei ich das Buch eigentlich als ganz gut in Erinnerung habe). Die Pedale drehen nämlich oben zwei Wirbel, die die Saite abrupt verkürzen. Es gibt also keine Zwischenstufen - siehe Bild:

    [Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/32/Pedale_und_Tonarten.gif]

  • Oh ja, die Harfe - egal ob die Europäische oder Afrikanische (Kora) - damit verbinde ich immer wahre Sphärenklänge.

    Für mich gibt es kein anderes Instrument, was so etwas besser bringt.

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Zitat

    Ein wirkliches Glissando ist das aber nicht. Denn die Saiten stimmen ja "plötzlich" um und nicht kontinuierlich (deswegen kann ich mir gerade auch nicht vorstellen, wie man die Vierteltöne mit halbem Pedal erzeugt). Ein Glissando, das auch sehr gut im Orchester durchkommt, kann man aber mit einem Stimmschlüssel erzeugen, den man an eine (vorzugsweise hohe) Saite drückt und nach oben oder unten zieht (und vorher mit der anderen Hand laut anzupft).

    Angemerkt sei, dass der, naja "Weltmusik"(oder wie man diesen Stil auch immer nennt...)-Harfenist Rüdiger Oppermann seine keltische Harfe mit Hebeln (o. ä.) versehen hat, mit denen er die Saiten umstimmen und so Blues-ähnliche Glissandoeffekte erzeugen kann, Zu hören ist das etwa auf:

    http://www.amazon.de/Neues-aus-Harf…4501308&sr=8-12

    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51x7aeZEG6L._SL500_AA300_.jpg]

    Gruß,

    Normann

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • In letzter Zeit schwelge ich immer in etherischen Harfenklängen, wie beispielsweise diese hier:

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    2 Mal editiert, zuletzt von Ingo Richter (9. Februar 2022 um 22:09)

  • Wow, nicht einfach nur 2 Harfen:

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  • Musik ist universell:

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  • eine verrückte Welt um uns rum, allgegenwärtig derweil:

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  • ARTS MUSIC 1995 (2010)

    Besonders reizvoll sind die Stücke von Dittersdorf und Boieldieu, Händel ist irgendwie Routine auf sehr hohem Niveau (das ist aber eine ganz persönliche Empfindung ohne Anspruch auf allgemeine Gültigkeit). Claudia Antonelli spielt ganz gut, als Spitzenharfenistin kommt sie mir aber nicht vor.

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

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