STRAUSS: "Daphne" - Oper Frankfurt, 10.April 2010
"Daphne", Text von Joseph Gregor, Musik von Richard Strauss - alleine das kein Grund, die Oper Frankfurt zu besuchen.
Grund allerdings: Inszenierung: Claus Guth, Bühnenbild: Christian Schmidt, Dirigat: Sebastian Weigle, Daphne: Maria Bengtsson und Corinna Schnabel (letztere als alte Daphne).
Warum dies? Claus Guth macht gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Schmidt aus dem ziemlich verquasten Text von Gregor und der gelegentlich genialischen Musik Strauss nicht nur das Beste, nein: er verhilft beidem erst zur entgültigen Geltung. Warum? Die Geschichte von Daphne, der Tochter des Flussgottes Peneios, die, von Leukippos, dem Schäfer, begehrt und von Apollon, dem Sonnengott, geliebt, sich am Ende in einen Lorbeerstrauch verwandelt (ist nicht das griechische Wort für Lorbeer verwandt oder gleich mit dem Namen Daphne?), ist für sich allein nicht abendfüllend, nicht erschöpfend, teilweise auch gar kitischg. Guth nun erzählt die Geschichte aus einer zunächst überraschenden, dann aber absolut einleuchtenden Perspektive: Zu den einleitenden Holzbläserklängen des Vorspiels sehen wir eine alte Frau am Stock eine immense, offenbar verlassene Villa betreten und erkunden. Gras hat sich im Inneren über die Eingangstreppe Gewalt verschafft, die Vitrinen, die Schränke sind zerbrochen, überall liegt die Patina vieler Jahre auf, vieler Jahre, in denen das Anwesen offenbar unbenutzt war. Die alte Frau tastet sich weiter vor, in einen Raum, der wohl einmal ein Esszimmer gewesen sein könnte. Punktgenau mit der ersten Eintrübung der Musik setzt ihre Erinnerung ein: Wir sehen niemand anderen als die gealterte Daphne, die am Ende ihres Lebens an den Ort zurückgekehrt ist, sich dem Ort stellt, an dem sie einst grausames erlitten hat: Nicht nur, dass die von der Männergesellschaft des merkwürdig antiken Kultes ihres Vaters missbraucht wurde, nein, sie erinnert sich auch an den Tag, an dem sie von Apollon geliebt wurde und Leukippos verlor, den Apollon in Eifersucht erschlug. Zwei Männer und ihre Eltern verloren, ein Trauma. All dessen erinnert sich Daphne nun, und langsam erwacht der Bühnenraum zum Leben: Girlanden für das "Fest" werden gespannt, Daphne begegnet sich selbst in jungen Jahren, in denen sie Zuflucht in einem von ihr liebevoll mit Naturutensilien ausgestatteten Wandschrank findet (in ebendem wird sie aus Liebe ihre Unschuld an Apollon verlieren und wird sie von ihrem Vater missbraucht werden), sie begegnet ihrer Sandkastenbekanntschaft Leukippos, der nun, erwachsen, pubertär?, sie begehrt, sie erlebt das Trauma des Missbrauchs auf des Vaters "Fest", sie erlebt die bis zur Gewalt gehende Strenge der Mutter, die sie nicht versteht, nicht verstehen kann.....und sie durchlebt den Abend, der ihr Leben verändert, ja, sie verkrustet hat: Wie Apollon - hier ein einfacher Mann, etwas rüpelhaft (er wird sich am Ende selbst umbringen) - sich Zutritt zu dem Kult, den ihr Vater pflegt, verschafft. Wie sie sich näher kommen. Wie sie aus Liebe sich einem Mann nähert. Wie Apollon schließlich den eifersüchtigen Leukippos erschlägt. Wie sie erkennt, dass Leukippos eigentlich ihre Liebe gehört. Wie Apollon sich umbringt. Wie Ihre Eltern tatenlos, ja gesichtslos zusehen.
All das zeigt Guth in eindringlichen, ja beklemmenden Bildern, die stets genau zur Musik entwickelt sind. Das Bühnenbild changiert zwischen der Patina und einer - imagnierten - Frische, Daphne erscheint sich selbst mehrfach (alt - mädchenhaft - kindlich), der Zuschauer wird angehslten, dem Geschehen atemlos, ja, teils entsetzt, zu folgen. Die Personenführung ist bis in die kleinste Geste stets aus der Musik entwickelt, nie erscheint hier ein Widerspruch zu entstehen. Apollons Erscheinen auf dem Fest ist eine hübsche Remineszenz an Jens Daniel Herzogs "Lohengrin"-Inszenierung und der Erscheinung der Titelfigur dort, alle Figuren einschließlich des Chores sind präzis, beklemmend genau geführt. Diese Inszenierung, wenn sie am Premierenabend nicht so große Konkurrenz (durch Parsifal in Stuttgart und Les Dialogues des Carmelites in München) gehabt hätte, wäre sicher ein Kandidat für die Inszenierung des Jahres.
Das alles getragen von Maria Bengtsson, die die Daphne sensationell singt: Die Stimme kommt von Mozart her, hat aber die notwendige Fülle und Strahlkraft, um sich über das Orchester im Zweifelsfall erheben zu können - eine ungewöhnliche Besetzung, die grandios gelingt. Neben ihr Daniel Behle als Leukippos, tenoralen Schmelz und jugendliche Frische verströmend. Tanja Ariane Baumgartner ist als Gaea vielleicht etwas jung, aber ihr prachtvoller Alt wird der Partie absolut gerecht. Matthew Best ist ein dämonischer, nachgerade orgelnder Peneios, in dieser Inszenierung rollendeckend. Lance Ryan tut sich als Apollon zunächst schwer, vielleicht ist seine Stimme auch nicht recht mein Geschmack, aber er steigert sich und ist in seiner letzten großen Arie sogar sehr gut. Seinen avisierten Siegfrieden hier sehe ich allerdings mit Bedenken entgegen.
Das Ende der Oper, Daphne verwandelt sich in einen Baum, resp. in Guths Lesart: sie verkrustet die entsetzlichen Erlebnisse, die sie gerade gemacht hat, in sich, wird dadurch alt, schwach, unsicher, gehört fast ganz dem Orchester, das Sebastian Weigle mehr als phänomenal einstudiert hat. Durchhörbar bis ins kleinste Detail, dabei von Anfang an von einer merkwürdig schwebenden Transzendenz, die sich selbst in den großen Entladungen nicht verliert: Grandios. In diesem Repertoire scheint der Dirigent ganz und gar in seinem Element.
Am Ende riesige wohlverdiente Bravi für Bengtsson, und danach frenetische für Weigle - wäre Claus Guth dagewesen, wäre er, ich hoffe es doch, ebenso wie Bengtsson gefeiert worden: Eine grandiose Inszenierung einer doch problematischen Oper.
Hingehen!
C.