• Konzerte in Berlin

    27.4. 2010

    Berliner Philharmoniker
    Daniel Barenboim Dirigent
    Alisa Weilerstein Violoncello


    Richard Wagner
    Die Meistersinger von Nürnberg: Vorspiel zum 3. Akt
    Edward Elgar
    Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85
    Johannes Brahms
    Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68

    Das Meistersinger-Vorspiel fand ich sehr beeindruckend schwebend sich entwickelnd aufgeführt. Hier wie auch besonders in den langsamen und Piano-, bzw Pianissimo-Stellen der beiden anderen aufgeführten Werke spielte Barenboim die große Klangkultur der Berliner Philharmoniker außerordentlich gekonnt und schön zur Geltung bringend aus.

    Dies bekam gerade den langsameren Stellen des Elgar-Konzerts in seiner insgesamt eher langsamen erzromantischen Interpretation sehr gut. Auch hier fand ich vor allem das Orchester mit seinem schönen Klang sehr beeindruckend. Die Solistin, die ich nicht kannte, war gut, setzte weniger auf eine wildere Interpretation à la Du Pré oder eine schnellere, eher dadurch und durch große Klarheit überzeugende wie Pieter Wispelwey, sondern auch auf eine sehr romantische, manchchmal fast etwas verhaltene, was zu Barenboims Interpretation gut passte. Aber der Star war hier für mich ganz das Orchester. Nach dem, was Michael Schlechtriem hier heulich im Forum über Dirigenten als gute oder schlechte Begleiter aus seiner Praxiserfahrung verrieht, würde ich mal sagen, das Barenboim an diesem Abend ein sehr guter Begleiter war. Es war für mich interessant zu sehen, wie er immer wieder das Orchester vor allem lautstärkemäßig bremste, ihr wunderbares Piano ausspielen ließ, bevor es dann wieder kräftig zur Sache ging, meistens dem Orchester und der Solistin gleichzeitig zugewand war und, es sah jedenfalls für mich so aus, noch einfühlsam "feinjustierte".

    Den Kopfsatz von Brahms erster Symphonie fand ich dann noch etwas zu wenig wuchtig und, gefühlt, etwas langsam und "eckig". Dadurch kamen dann auch die Kontraste zu den lyrischen und leiseren Momenten mir nicht genug raus, danach wurde es allerding außerordentlich gut: Ganz herausragend gelang das Andante mit wunderbaren Holzbläsern und der besten, enorm lebendigen, schön klingenden Solovioline, die ich bislang in dieser Symphonie gehört habe. Im 3. Satz und im Finale wurden dann auch die Kontraste sehr schön deutlich herausgespielt, jetzt auch mit viel Tempo, Lebendigkeit und Wucht. Auch hier war wieder für mich ganz besonders großartig der Klang der Holz- und Blechbäser.

    Insgesamt war das für mich ein sehr gelungener Konzertabend, an dem es zu recht sehr lange anhaltenden Applaus in der ausverkauften Berliner Philharmonie gab.

    :wink: Matthias

  • Zitat

    Die Solistin, die ich nicht kannte, war gut, setzte weniger auf eine wildere Interpretation à la Du Pré oder eine schnellere, eher dadurch und durch große Klarheit überzeugende wie Pieter Wispelwey, sondern auch auf eine sehr romantische, manchchmal fast etwas verhaltene, was zu Barenboims Interpretation gut passte.

    Alisa Weilerstein hat mich schon letztes Jahr in Moritzburg als Mitglied eines Streichquartettes ("Große Fuge" von Bach, u.a. mit Baiba Skride) überzeugt. Sie kommt übrigens in der nächsten Saison wieder nach Berlin, habe ich irgendwo gelesen. Ich glaube zum DSO.

    Die Grundlage der Musik ist die Stille!

  • Nach dem, was Michael Schlechtriem hier neulich im Forum über Dirigenten als gute oder schlechte Begleiter aus seiner Praxiserfahrung verriet, würde ich mal sagen, dass Barenboim an diesem Abend ein sehr guter Begleiter war.


    Das ist er auch im Grunde, so kenne ich ihn, habe ihn nur schon lange nicht mehr live gehört, ah doch, mit seinem Divan-Orchester, aber das zählt nicht.

    Ich freue mich, daß seine Wagner-Vorspiel-Kultur nicht nachgelassen zu haben scheint. Brahms und Barenboim, da war ich immer skeptisch. Ich meine, solange er nicht am Piano saß. Daß die Mittelsätze gut gelungen schienen und besonders durch ihr Bläserspiel zu glänzen wußten, glaube ich sofort. Hat er in Chicago gelernt.

    Danke für den Bericht.


    Alex


    "In the year of our Lord 1314 patriots of Scotland, starving and outnumbered, charged the field of Bannockburn. They fought like warrior poets. They fought like Scotsmen. And won their freedom."

  • Zitat

    Richard Wagner
    Die Meistersinger von Nürnberg: Vorspiel zum 3. Akt
    Edward Elgar
    Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85
    Johannes Brahms
    Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68

    Aber was ist das für eine furchtbare Mischung? :hide: (Na ja, bin ja fern von Berlin)

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Ich hab mal die Brahms-Sinfonien 3+4 live mit Barenboim und der Staatskapelle gehört, das war richtig gut. Also schön und warm und trotzdem transparent und so, mit wunderbaren Bläsern. Die Chicago-Brahms-Aufnahmen hatte ich mal ausgeliehen, die mochte ich auch gar nicht. Aber so kenne (nicht nur) ich Barenboim, mal hü, mal hott.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Nachdem die anderen "großen" Orchester ihre Programme für die Spielzeit 2010/2011 vorstellten, haben dies nun (wie stets, als Letzte) auch die Berliner Philharmoniker getan.

    Wenig überraschend, aber doch: Sir Simon hat einen Mahler-Zyklus angekündigt, der auch noch in die folgende Spielzeit reichen soll. Wie zuletzt allgemein üblich, wird ein derart "klassisches" Werk wie eine Mahler-Symphonie kontrastiert. Beispiel: So wird die 5. mit Purcells "Funeral Music for Queen Mary" gegeben. Insgesamt werden in der kommenden Saison die Symphonien 1 bis 6 gespielt.

    Bei den Gastdirigenten bleiben die bekannten Namen wie Abbado, Haitink, Thielemann, Gergiev, Mackerras; es kommen aber gleich vier Debütanten hinzu, die bereits für Aufmerksamkeit sorgten: Andris Nelsons, Yannick Nézet-Séguin, Yutaka Sado und Elvind Gullberg Jensen.
    Insegsamt sind es einfach sehr viele große Namen, die angesagt sind. Allerdings fehlt leider Jansons, der in den vergangenen Jahren regelmäßig hier war (diesmal dann nur beim Musikfest im September).

    Mehr unter der bekannten Adresse:
    "http://www.berliner-philharmoniker.de/

    :wink:


    P.S.: Mein nächster hiesiger Konzertbesuch findet Dienstagabend statt: Das DSO unter Metzmacher (mit Brandauer als Sprecher) mit Werken von Schreker, Schillings und Schönberg in der Philharmonie. s. auch:
    "http://www.dso-berlin.de/content/e43/e2…AR=displayEvent"
    Vielleicht sieht man sich ja.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • So, gestern waren wir also im Konzert.

    Folgendes Programm boten das DSO und Ingo Metzmacher:

    Franz Schreker "Vorspiel zu einem Drama"
    Max von Schillings "Das Hexenlied"
    Arnold Schönberg "Pelleas und Melisande"

    Für einige Besucher dürfte der Höhepunkt schon vor der Pause stattgefunden haben - beim Hexenlied übernahm Klaus Maria Brandauer die Sprecher-Rolle. "Bravo!"

    Aber der Reihe nach.
    Die Konzertreihe, in die der gestrige Abend thematisch eingebunden war, trägt den Namen "Versuchung". Diesmal sollte über die ausgewählten Stücke der Bogen zwischen Liebe, Tabu, Passion und Tod gespannt werden.

    Den Beginn machte wie geschrieben Schrekers Vorspiel zu einem Drama, also die leicht umgeschriebene Ouvertüre zu seiner Oper "Die Gezeichneten", dem Drama des hässlichen Mannes. Allzu oft bekommt man Schreker in hiesigen Konzertstätten ja nicht zu hören, insofern war ich über den Fakt, dass es auf dem Programm stand, an sich schon froh. Doppelt froh war ich darüber, das Stück so klar aufgegliedert, in seinen Einzelheiten zu hören. Der Aspekt des Aufklingens der sogenannten Moderne war da. Weniger froh war ich allerdings, dass die emotionale Seite des Ganzen dabei etwas weniger beachtet wurde. Viele, vielleicht zu viele Details, die doch zu häufig nebeneinander gestellt wurden, als dass sie zu einem durchaus ja auch spätromantischen Gesamten gefügt wurden.

    Dann das von Schillings mit begleitenden Noten versehene Hexenlied, eine Ballade von Ernst von Wildenbruch. Die Musik von Schillings bleibt nachträglich nicht im Ohr; es ist irgendwie gut gemacht, illustriert den Text, kann daneben aber letztlich keine deutlichen Akzente setzen. Es hat mir im Zusammenhang aber durchaus gefallen. Die zugrundeliegende Ballade ist dagegen für jemanden wie mich schon etwas härteres Brot. Es wird die Geschichte des Priesters Medardus erzählt, der sich auf dem Totenbett an die Begegnung mit einer jungen Frau erinnert, die er als Geistlicher auf den Scheiterhaufen vorbereiten sollte - und fast geküsst hätte. Das Lied dieser Frau ("aus fernen Landen, wo Liebeszauber die Menschen verstanden") singt der Priester im Sterben.
    Das ist weniger gefühlvoll als gefühlig, schwülstig. Dass es gleichwohl ein Erlebnis war, dieses Hexenlied zu hören, war vor allem Brandauer geschuldet. Er brach das uns doch fremd erscheinende Schwülstige auf, indem er dem Text über seine Darstellung der verschiedenen Rollen (Priester, Prior, Frau) eine zweite Ebene verlieh - ohne die Ballade einem Scherz zu opfern, ohne es quasi "besser zu wissen". Das war schon großes Schauspiel.
    Entsprechend der Beifall, die Bravos.

    Letztlich der Schönberg. Hier gilt nach meinem Empfinden das gleiche wie ad Schreker. Viele Details, einzelne Instrumente(ngruppen) werden immer wieder herausgestellt, aber der große Bogen - hier das Gefühl, die Liebe, das Geheimnis - kommt zu kurz. Das wirkt dann schließlich gestückelt, wenig folgerichtig oder unbedingt, hat etwas Behauptetes. Schade. Zuhause habe ich Aufnahmen des Schönberg-Pelleas von Thielemann und Boulez. Bei Thielemann ist das sehr schwelgerisch, aber in sich stimmig; bei Boulez ist es klarer, transparenter - aber eben nicht kalt oder unbeteiligt; eine sehr gelungene Aufnahme, wie ich finde.
    Wie gesagt, dieses Niveau erreichte das DSO mit Metzmacher für mein Empfinden leider nicht.
    Aber auch hier gab es viel Beifall. In einer allerdings nicht ausverkauften Philharmonie.

    Der Gang zum heutigen "Casual Concert" "http://www.dso-berlin.de/content/e43/e2…AR=displayEvent" lohnt für mein Dafürhalten aber auf jeden Fall. Schon allein wegen Brandauer.

    Das gestrige Konzert wird übrigens am Sonntag, dem 30. Mai, ab 20.04 Uhr im Klassikradio des RBB zu hören sein, "http://www.kulturradio.de/programm/sendu…abend_2004.html".

    Viel Vergnügen dabei.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Ganz herzlichen Dank, lieber Ekkehard, für die ausführliche Besprechung des Konzertes mit der Versuchungs-Thematik, dessen hoch attraktives Raritätenrepertoire im ersten Teil so ganz nach meinem Geschmack ist, obwohl ich mit dem oftmals allzu nüchternen Interpretationsansatz Metzmachers, wie auch Du ihn schilderst, ebenfalls nicht viel anfangen kann. Werde mir aber trotzdem auf jeden Fall die RBB-Ausstrahlung des Mitschnitts zu Gemüte führen.
    In diesem Zusammenhang möchte ich - nur um Mißverständnissen vorzubeugen - darauf hinweisen, daß das Konzert nicht am kommenden Sonntag, sondern am So., 30.05.2010 ab 20.04 Uhr gesendet wird.

    :wink:
    Johannes

  • Lieber Johannes,

    hab vielen Dank für den Hinweis. Habe das Radio-Sende-Datum in meinemPost geändert!
    :wink:


    Im Übrigen: Ich habe Metzmachers Dirigate eigentlich immer gern erlebt. Das mit dem "nüchternen Interpretationsansatz" ist gleichwohl nicht von der Hand zu weisen, diesmal hat es für mich nicht so recht funktioniert.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • 30.05. 2010, Konzerthaus Berlin

    Robert Schumann zum 200. Geburtstag

    Andreas Staier - Hammerflügel (Erard, Paris, 1837)

    Andreas Staier spielte an diesem Abend ungfähr das Programm seiner Schumann-CD "Hommage a Bach". Sein besonderes Anliegen war es an diesem Abend sichrlich, aufzuzeigen, wie Schumann Bach aufgegriffen hat, vielleicht auch um etwas aus dem übergroßen Schatten Beethovens herauszukommen, sich hierzu sozusagen Rückendeckung bei einem anderen Großen, dessen Wiederentdeckung sich damlas gerade erst vollzog, zu suchen: Zwischen zwei Großen läßt sich eher die eigene Unabhängigkeit entwickeln.
    Diesem Anliegen dienten auch zwei kurze, eingeschobene, locker vorgetragene Vorträge Staiers, zur Wiederentdeckung Bachs in Schumanns Zeit und zur Frage der Metronomisierung Schumanns, an die Staier sich weitgehend hielt, wobei er abschließend auch zur Frage der geistigen Gesundheit Schumanns am Ende launig bemerkte, er wohne ja als Nicht-Rheinländer schon lange im Rheinland: Also wer am Rosenmontag in den Rhein springe, müsse geistig ganz gesund sein.

    Interessant und sehr überzeugend war für mich, wie Staier schon in einigen Stücken des "Album an die Jugend" und dann noch deutlicher in den noch älteren 4 Klavierstücken Op. 32 den Bach-Einfluß hörbar machte. Herausragend spielte er dann zunächst die ersten drei Fughetten aus Op. 126, wunderschön die Waldszenen, wieder Stücke aus dem Album für die Jugend, dabei z.B. ganz köstlich kantabel das "Lied der italienischen Marinari", die weiteren Fughetten aus Op. 126 und schloß mit den gut akzentuierten Kinderszenen. Aber der Höhepunkt waren für meine Begleiterin und mich die Fughetten Op 126, die ich nicht nur noch nie so schnell, dabei mit einer betonten formalen Strenge und so sehr Bach-nah interpretiert, sondern auch so außerodentlich differenziert gespielt, gehört habe.

    Als kleiner Wermutstropfen muß lediglich vermerkt werden, dass meine Begleiterin und ich vor der Pause rätselten, ob er an einigen wenigen Stellen die Nebentaste noch etwas mitgenommen hätte oder sich verspielt hätte oder ob es am Klavier lag. Aber in der Pause machte sich dann ein Klavierstimmer eifrig am anonsten sehr hübschen alten Erard mit einem schönen Klang zu schaffen. Danach war es dann deutlich besser, lediglich an einigen wenigen Stellen glaubte ich noch, die Mechaniken der Nebentaste sich etwas mitbewegen zu hören. Das ist mir bei Hammerflügel-Aufnahmen auf CD noch nie so aufgefallen. Dafür passte der trockenere, resonanzärmere Sound des Hammerflügels besonders gut zu den Stücken, in denen Staier Schumanns Bach-Verarbeitung verdeutlichen konnte.

    Insgesamt war dies ein sehr gelungener Abend, der besonders überzeugend für einige, der weniger gespielten Stücke Schumanns geworben hat.

    :wink: Matthias

  • Abschied

    Das war's dann also. Ingo Metzmacher hat sich vom DSO verabschiedet. Das letzte Konzert, 14. Juni.

    Der Abend stand indirekt unter dem Motto der ablaufenden Spielzeit, "Versuchung". Dazu folgende Stücke:
    Claude Debussy "Prélude à l'après-midi d'un faune"
    Henri Dutilleux "Tout un monde lointain..."
    Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 6 "Pastorale"

    Es war im Programmheft als eine Reise in ein Traumland angekündigt. Von erotischen Wunschvorstellungen, von Klangzauber, vom Verhältnis des Menschen zur Natur ist dort die Rede. Vorlagen lieferten Mallarmé (Debussy) und Baudelaire (Dutilleux).

    Am Beginn, mit Debussy, verlangt Metzmacher seinem Noch-Orchester einiges ab. Die Zeit wird gedehnt. Da kann nicht jeder mittun, einige Einsätze verwackeln, die Spannung wird teilweise überstrapaziert. Dennoch ein farbenreicher, sehr differenzierter und letztlich transparenter Klang, der die Musik öffnet. Wie üblich: So habe ich das noch nicht gehört.

    Dann der Dutilleux, den zumindest ich nicht nur nicht so, sondern schlicht überhaupt noch nicht gehört hatte. Gut, dass sich das änderte. Der Beginn wirkt tatsächlich improvisiert, später entwickelt sich immer deutlicher die Struktur, die aus Variationen von Themen erwächst. Cello und Orchester üben sich im Dialog. Leise Passagen dominieren. Für mich war das ungemein spannend, es gab immer wieder Neues zu entdecken, das werde ich mir auf jeden Fall auf CD holen, um es Zuhause in Ruhe nochmals hören zu können.
    Den Cello-Solo-Part übernahm Alban Gerhardt. Mir eigentlich eher als Mann der ruhigeren Töne vertraut. Insofern kam er hier zum Zuge, wusste aber auch in heftigeren, improvisiert wirkenden Passagen zu überzeugen. Ausdauernder Beifall. Als Zugabe dann Bach solo von Gerhardt.

    Nach der Pause dann der Schlusspunkt. Die Pastorale. Eine gute Wahl. So viel Musik auf einmal gibt es auch nicht allzu häufig, sehr luzide. Dabei ohne Triumph oder Auftrumpfen, ein schöner, nach dem Grollen des 4. Satzes sich in einen besseren Tag auflösender Abschluss.
    Beifall. Langanhaltender Beifall. Eine Frau aus den ersten Geigen holt einen Blumenstrauß. Mehr Beifall. Tatsächlich dann stehende Ovationen. Als Metzmacher dann noch einmal allein - das Orchester hat das Podium geräumt - heraus kommt, steht das gesamte (verbliebene) Publikum.

    Nun ist er also weg, kommt noch als Opern-Dirigent nach Berlin zurück (Rake's Progress, Staatsoper im Schiller-Theater, in diesem Dezember). Mir fehlt Metzmacher. Wer wird hier Vivier oder Dutilleux aufführen? Wo bleiben diese besonderen, Saison-überspannenden Programme?
    Letztlich aber ist dieser Abschied vermutlich aus mehreren Gründen folgerichtig. Da ist viel über das Verhältnis von Orchester zum Dirigenten geschrieben worden - wenig Nettes. Dem Ende einer Liebesbeziehung wohnte man auch am Montagabend nicht bei. Metzmacher fast schon beschwingt, gelöst, heiter - als ob da eine Last abfällt.
    Und die Rezeption. Im RBB hat Clemens Goldberg die vertraute Kritik geäußert: Es fehlt an Sinnlichkeit, es fehlt an Hingabe. Das habe ich auch schon so gehört. Es trifft in meinen Ohren aber eher da, wo das Gefühlsame an der Grenze zum Gefühligen lebt. Da nimmt Metzmacher zurück - zu Lasten des Schwelgens, Schwebens. Das Detail gewinnt da über den großen Bogen. Im Tagesspiegel wird das Abschlusskonzert oberflächlicher, aber positiver betrachtet. Dort aber wird vor allem der Blick in die nur habwegs sichere Zukunft des DSO gelenkt. Ein Orchester, das ohne Chefdirigenten auskommen wird, zumindest in der nächsten Spielzeit. Tugan Sokhiev wird weiter als Wunschkandidat gehandelt - ein entsprechendes Ergebnis steht aus.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Ich bedauere den Abschied Metzmachers auch sehr. Ebenso fehlte mir es auch nie an Sinnlichkeit oder Hingabe. Metzmachers gut durchdachte Intepretationen sorgten für mich eigentlich immer für Konzert-Highlights. Leider hatte ich für das Abschiedskonzert keine Zeit, dabei mag ich besonders das Dutilleux-Konzert sehr gerne und schätze auch Gerhardt sehr.

    :wink: Matthias

  • Musik Fest Berlin 2010

    Für uns hat dann gestern Abend das diesjährige Musik Fest Berlin begonnen.
    Und wie!

    Mariss Jansons und das Koninklijk Concertgebouworkest waren zu Gast in der Philharmonie.
    Auf dem Programm Strawinsky (Symphonies d'instruments à vent) - Bartók (Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta) - Berio (Quatre dédicaces für Orchester) - Strawinsky (Der Feuervogel).

    Ein ungemein spannendes Programm, wie ich finde. Zumal es Gelegenheit gab, das Orchester gleichsam in seine Einzelteile (-gruppen) aufgegliedert zu erleben. Beim ersten Strawinsky des Abends also nur die Bläser. Das Blech kam bei manchen Einsätzen zwar ein wenig zu spät, aber schon hier zeigte sich die Qualität dieses Orchesters - zumal im Zusammenspiel mit Jansons, auf dessen geringste Regung die Musiker reagierten.
    Vor dme Konzert wurde ja auf Krankenhausaufenthalte Jansons hingewiesen, schon gemutmaßt, dass er vermutlich gar nicht in Berlin auftreten könnte. Dass seine Gesundheit in irgend einer Weise angegriffen wäre, war nicht zu sehen. Einmal mehr wirkte Jansons auf mich wie der "tanzende Dirigent", der sein Orchester förmich mitreißt.
    Vor der Pause mit dem Bartók'schen Konzert dann ein wirklicher Höhepunkt (diesmal ganz ohne Bläser). Von ppp bis fff war alles da, wo es hingehört, oder sinnvoll erscheint. Dynamisch, homogen, extrem spielfreudig - so wirkten die Musiker auf uns. Es war eine echte Freude, in der Philharmonie zu sein. "Bravos".

    Nach der Pause dann die deutsche Erstaufführung der Dédicaces von Berio. Dabei handelt es sich offenbar um unabhängig voneinander enstandene Stücke, die erst von Pierre Boulez kombiniert wurden. Musikalisch für mich der spannendeste Teil des Abends. Stimmen, Melodien werden in den verschiedenen Instrumentengruppen echohaft gespielt, unterschiedliche Rhythmen kommen gleichzeitig zum Einsatz - es entsteht das Gefühl eines großen Pulsierens, einer wirklichen Lebendigkeit.
    Zum Abschluss mit dem Feuervogel dann wieder eine Möglichkeit, zu zeigen, was man kann - und das Concertgebouworkest kann das alles. Wobei ich das nicht falsch zu verstehen bitte: Hier zeigte niemand vor, was er Tolles anstellen kann und wartete auf den fälligen Applaus. Hier zeigte sich lediglich, was Orchester und Dirigent an Tönen, Klängen, Emotion hervorbringen können (das war eben keine Schau, wie man sie beispielsweise bei den Berliner Philharmonikern unter Rattle mit den mittlerweile wohl schon üblichen Laut-/Leise-Exzessen hin und wieder zu hören bekommt).

    Am Ende Standing Ovations, Bravos, zwei Zugaben, strahlende Gesichter. Ein wirklich begeistertes Publikum, geeint von dem Gefühl, einem besonderen Abend beigewohnt zu haben. Sagt man sonst gern, dass das Orchester bei Jansons wie auf der Stuhlkante sitzend spielt, galt das an diesem Abend auch für das Publikum. Erstaunlich, wie leise es wirklich einmal werden kann im ausverkauften Haus.

    Warum ist Jansons eigentlich nicht Chefdirigent der BPhil geworden?

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Warum ist Jansons eigentlich nicht Chefdirigent der BPhil geworden?

    Das muss man wohl die Berliner Philharmoniker fragen, die Rattle zweimal gewählt haben.

    Natürlich ist Jansons ein hervorragender Dirigent. Aber dass er jetzt öfter mal als der große Obendrüber gehandelt wird, erstaunt mich doch. Im Grunde ist sein Kernrepertoire in der Zeit von ca. 1860 bis 1950 angesiedelt. Dass er bei seinen beiden Orchestern vielleicht zweimal pro Saison Alibi-Zeitgenössisches auf's Programm setzt, ändert wenig daran. Ein trauriges Kapitel ist m.E. seine Beschäftigung mit Komponisten der Wiener Klassik: Vollständige Ignoranz sämtlicher Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis, Haydn kommt wie bei Karajan daher. Ähnlich der Beethoven. Vor ein paar Jahren habe ich ihn mal mit Schuberts Unvollendeter gehört, du liebe Zeit... Selbst bei Brahms und dem pastosen Bruckner (ich kenne die Zweite bzw. die Siebte) frage ich mich, was an diesen Interpretationen außergewöhnlich sein soll. In Operndingen ist Jansons bekanntlich extrem heikel, das wäre bei einem eventuellen Chefposten in Berlin kein gutes Omen für die Salzburger Osterfestspiele.

    Dass er einen hervorragenden Feuervogel macht, bezweifele ich nicht.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Zitat

    Das muss man wohl die Berliner Philharmoniker fragen, die Rattle zweimal gewählt haben.


    Entschuldigung, das war unbedacht von mir, da hast Du natürlich Recht. Nehmen wir meine Ausgangsfrage einfach mal als eine eher rhetorische.


    Im Übrigen nur ganz kurz zu Deinen Einwänden contra Jansons wie enges Kernrepertoire, keine Wiener Klassik oder Hip, Opern-Probleme:
    Von mir aus ist auch das alles zutreffend. Solange er aber das, was sein Repertoire ausmacht, in besonderer Weise abliefern kann, reicht mir das eigentlich. Wozu gibt es denn Gastdirigenten?

    Aber wir kommen hier wahrscheinlich wirklich vom eigentlichen Faden ab.


    :wink:

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Entschuldigung, das war unbedacht von mir, da hast Du natürlich Recht. Nehmen wir meine Ausgangsfrage einfach mal als eine eher rhetorische.

    Nein, wieso. Die Frage, warum die Berliner Philharmoniker sich zweimal für Rattle entschieden haben, ist doch durchaus eine legitime. "Kommerzielle Gründe", wird der ein oder andere jetzt gleich rufen, ist ja auch nicht falsch. Aber nach allem, was man weiß, spielt(e) auch der Wunsch nach einer Erweiterung des Repertoirehorizonts in Richtung Vergangenheit und Gegenwart, partiell auch in Richtung anderer Aufführungspraktiken (Hip) oder Musikformen (Jazz etc.) eine Rolle, möglicherweise auch die Frage nach anderen Wegen des Konzertbetriebs. Vieles davon hat Rattle bisher nur teilweise oder schlecht oder gar nicht eingelöst. Aber ein paar Versuche gab's immerhin. Jansons dagegen steht, das kann man in München und wohl auch in Amsterdam sehen, für den Status Quo des traditionellen Konzertbetriebs. Allerdings mit einem klaren Schwerpunkt auf der klassischen Moderne, immerhin.


    Im Übrigen nur ganz kurz zu Deinen Einwänden contra Jansons wie enges Kernrepertoire, keine Wiener Klassik oder Hip, Opern-Probleme:
    Von mir aus ist auch das alles zutreffend. Solange er aber das, was sein Repertoire ausmacht, in besonderer Weise abliefern kann, reicht mir das eigentlich. Wozu gibt es denn Gastdirigenten?

    Das mit den Gastdirigenten ist so eine Sache, wie man noch kürzlich bei Thielemann erleben konnte... Im übrigen ist das Repertoire von Jansons ja nicht klein. Er dirigiert offenbar leidenschaftlich gerne Haydn und Beethoven - die Frage ist nur: wie? Den Gastdirigenten würde er das wohl kaum überlassen.


    Aber wir kommen hier wahrscheinlich wirklich vom eigentlichen Faden ab.

    Mittelbar geht's doch um den Berliner Konzertbetrieb - so ganz OT finde ich das nicht.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Die beste Frage der letzten Tage. :thumbup:

    Vielleicht, weil sie geahnt haben, dass er lieber in Amsterdam bleiben würde? Weil die das bessere Orchester und die schöneren Grachten haben? ;+)

    Ich denke nach wie vor, dass Rattle für die Berliner eine gute Wahl ist, auch konsequente Fortsetzung von Abbado. Künstlerisch nach meiner Meinung nicht auf dessen Niveau, aber gesamt beachtlich. Da spielt vieles eine Rolle: Stiftung, Education, Repertoire. Rattles Rolle da ist für die Berliner nicht zu unterschätzen.

    Gruß, Frank

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Also gut, wenn's denn also nicht OT ist...

    Die causa Rattle empfinde ich als extrem kompliziert; je länger ich mich damit im weitesten Sinne befasse, desto komplizierter.
    Zunächst: Ich bin ein Freund Rattles. Insofern habe ich mich auch gefreut, dass die Philharmoniker seinen Vertrag verlängerten. Ich habe Rattle dabei vor allem angerechnet, dass er das Repertoire öffnete, ich bei ihm Musik zu hören bekam, die eben nicht immer nur Klassik-Mainstream ist. Und weil es hier irgendwie auch ums Mögen geht: Ich schätze Rattle, weil er mir als zweifelnder, suchender Dirigent erscheint - nicht als strahelnder Podiums-Zampano, der gnadenlos dominiert.

    Aber: Immer häufiger verlasse ich die Philharmonie mit gemischten Gefühlen. So habe ich dort unter Rattle manches erstmals gehört wie beispielsweise "Paradies und die Peri" oder "Eclairs sur l'au-Dela" - und dann habe ich später stets Aufnahmen gehört, die mir deutlich besser gefielen.
    Generell habe ich das Gefühl, dass Rattle eine Art "Schneller-Höher-Weiter" verfolgt und vorführt, was sein Orchester vermag. Das ist häufig beeindruckend, häufig erstaunlich laut, zu häufig aber irgendwie hohl und unbefriedigend. Interessanterweise scheint dieser Bombast-Sound aber beim Berliner Abo-Publikum durchaus gut anzukommen.

    Warum das Orchester sich für Rattle entschied? Da hast Du vermutlich die wesentlichen Punkte angesprochen.
    Was mich irritiert, ist das auf mich als Außenstehenden zum Großteil distanziert wirkende Verhältnis von Dirigent und Orchester. Wobei ich denke, dass Rattle sich das durchaus anders wünschen würde - aber das ist natürlich Mutmaßung, eher schon Kaffeesatzleserei. Gleichwohl werde ich den Eindruck nicht ganz los, dass Rattle eben genau so bestimmend-tonangebend ist, wie es das Orchester zulassen mag.

    Also: So beeindruckende Konzerte wie am Sonntag habe ich mit Rattle lange nicht erlebt. Und die für mein Empfinden interessanteren, besseren Programme bietet schon seit längerem das DSO.

    Aporpos DSO: Tughan Sokhiev ist dort heute als offizieller Chefdirigent präsentiert worden. Ob er die Linie von Nagano und Metzmacher fortsetzt?

    :wink:

    Jein (Fettes Brot, 1996)

  • Hallo Bernd,

    Du schriebst ja unter anderem zu Rattle und seiner Wiederwahl durch die BPhil

    Zitat

    Aber nach allem, was man weiß, spielt(e) auch der Wunsch nach einer
    Erweiterung des Repertoirehorizonts in Richtung Vergangenheit und
    Gegenwart, partiell auch in Richtung anderer Aufführungspraktiken (Hip)
    oder Musikformen (Jazz etc.) eine Rolle...

    Und daran musste ich denken, als ich vorhin in der neuen Rondo las. Auf der letzten Seite, "Zugabe" überschrieben, wird dort auch über den "besten Hornisten der Welt", Radek Baborak, berichtet. Er verließ die BPhil - "auch aufgrund von Diffenrezen" mit Rattle, wie es dort weiter heißt. Und: "'Große Speisekarte, wenig Spezialitäten', fasste Baborak das Profil seines ehemaligen Chefs zusammen." Zwei Sätze drauf wird Baborak noch zitiert, dass er nach sieben Jahren bei den BPhil alle Orchestererfahrungen gesammelt habe, die auf diesem Gebiet zu machen seien.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

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