Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket - Das deutsche Sonett
August Wilhelm Schlegel: Das Sonett
Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder,
Und stelle sie, getheilt, in gleiche Reihen,
Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien
Im Doppelchore schweben auf und nieder.
Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder
Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.
Den werd' ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.
Doch, wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih' ich Hoheit, Füll' in engen Gränzen.
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.
Die romanische Form des Sonettes hat im Deutschen eine wechselvolle Geschichte. Wo die einen sich durch ihre Künstlichkeit gehemmt sahen, war sie für andere die Sprungfeder für ihre Gefühle und Gedanken. Die Zweiteilung in Quartette und Terzette, die im zweiten Teil nach Pointierung verlangt, zeigt das Erbgut des antiken Epigramms, die von den ersten großen Dichtern der neuen Gattung, Dante und Petrarca, zu einer spannungsvollen Einheit von Lyrischem und Didaktischen entwickelt worden. Die Sonette Petrarcas wurden stilbildend und beeinflussten Dichter in ganz Europa wie Luiz de Camões, Lope de Vega, und Pierre de Ronsard. In England bildete sich eine eigene Form des Sonetts aus, deren Protagonist William Shakespeare war..
In Deutschland beginnt die Geschichte verhalten. Das erste überlieferte Sonett ist eine Übersetzung aus dem Italienischen. Das zugrunde liegende Gedicht stammt von Bernardino Ochini, eine faszinierende Gestalt der Reformationszeit. In der katholischen Kirche erreichte er die Position des Generals des Kapuzinerordens. Sein Lebenswandel und seine Predigten verschafften ihm den Ruf eines Heiligen. Als er die Lehren der deutschen Reformation kennen lernt, bekennt er sich offen dazu und muss in die Schweiz fliehen.
Zitat[Er] ]floh nach Genf, von dort 1545 nach Basel und Augsburg und schließlich 1547 über Straßburg nach London, wo er, wie in seinem bisherigen Aufenthaltsort, Prediger der italienischsprachigen evangelischen Gemeinde war. 1553 in die Schweiz zurückgekehrt, erregte er hier durch seine dogmatische Selbständigkeit den Argwohn der strengen Calvinisten und wurde verbannt. Ohne festen Wohnsitz umherirrend, starb er 1564 im mährischen Slavkov an der Pest.
(Quelle: Wikipedia)
1554 erscheint in Genf seine Apologia nelli quali si scvoprano li abusi, sciocheze, superstitioni, errori, idolatrie & impieta della sinagoga del Papa & spetialmente di suoi preti, monaci & fratri. Dieses antipapistische Buch enthält ein Motto-Gedicht, ein Sonett:
Al Christianesimo Bastardo
Son.
O Secol più ch'ogni altro sciocco e stolto,
O bestiale, ignorante e cieco mondo,
Poi che pur ti sei tutto in sì profondo
E tenebroso abisso immerso e involto,
Poi che così ti sei tutto sepolto
Nel caos che non ha nè fin nè fondo
D'errori, e dove il più fetido e immondo
Sterco d'empietà tutto è raccolto.
Ma così avviene a chi le chiare e pure
Fonti del ver lasciando, si riduce
A le rotte cisterne, e d'humor vuote
E cui dilettan l'atre nebbie oscure
Della menzogna, e la serena luce
Di verità più sostener non puote.
Christof Wirsung übersetzt erst einen Teil, dann das ganze Buch ins Deutsche. Dabei übersetzt er auch das Titel-Sonett, den Endecasillabo (= jede Zeile hat elf Silben) des Originals gibt er als Vierheber wieder.
Zů dem Basthardischen Christenthumb (1556)
O zeyt für andere thorecht toll /
O Wellt ohn witz / blind / vihisch / vnd
Die gantz vnd gar in finstern schlund
Versenckt / verstrickt / vnd mangels voll.
Du ligst ye vergraben wol
Im Chaos / da kein end noch grund
Der jrrthumb / gstanck / koth / vngesundt /
Da all Gotlosigkait sein soll.
So gschicht dem der den brunnen klar
Der warheit lasst / vnd sucht erstert
Cisternen / die ohn safft vnd leer
Liebt schwarzten näbel / tuncklen gfar
Der lůg: das er das häll liecht werdt
Der warheit nit kan dulden mehr.
Wirsung hat die Gattungangabe des Originals weg gelassen. Man vermutet deshalb, er habe die Gedichtform nur mechanisch übernommen, ohne ihren Charakter zu erkennen. Hier noch als Hilfe die wörtliche Übersetzung des Sonetts von Ochini:
An das bastardische Christentum. Sonett
O Jahrhundert, mehr als jedes andere töricht und dumm,
bestialische, unwissende und blinde Welt,
da du ganz in einen so tiefen
und finsteren Abgrund versunken und hineingezogen bist,
da du dich so ganz begraben hast im Chaos der
Irrtümer, das weder Ende noch Grund hat,
und wo der stinkendste und unreinste
Kot der Gottlosigkeit ganz versammelt ist.
Aber so geht es dem, der die klaren und reinen
Quellen des Wahren verlassend, sich zu den zerstörten
und vertrockneten Zisternen zurückzieht,
und den die dunklen schwarzen Nebel
der Lüge erfreuen und der das helle Licht
der Wahrheit nicht mehr ertragen kann.
Liebe Grüße Peter