Traduttore, traditore - Übersetzte Sprachkunstwerke

  • Wie irgendwo schonmal erwähnt, habe ich "Verbrechen und Strafe" in Geiers Übersetzung gelesen (viele Jahre vorher in einer anderen aus einer Bücherei), andere Bücher in unterschiedlichen älteren Übersetzungen (vermutlich einschl. Rahsin und Röhl (noch eine Generation älter als Rahsin, aber damit eben auch nur eine Generation jünger als die Autoren selbst), aber hauptsächlich die vom Aufbau-Verlag und dtv (da sehe ich zB, dass bei dtv Jüngling, Dämonen und Karamasov von drei unterschiedlichen Leuten übersetzt wurden; ich habe die mit ca. 20 innerhalb eines Jahres oder so gelesen, ohne dass mir da etwas störend aufgefallen wäre).
    Wenn ich recht erinnere, habe ich bei der ersten Lektüre der Brüder Karamasov (oder zwischen den ersten beiden, wobei aber nur wenige Jahre dazwischen lagen) sogar zwischen Insel TB (eines Freundes) und dtv gewechselt. Mir sind da triviale Unterschiede aufgefallen (zB trinken, wenn ich recht erinnere, Aljoscha und Iwan zusammen Tee und eine Speise wird einmal als Konfitüre, einmal als Kompott (was für mich unterschiedliches Zeug ist) bezeichnet), aber ich fand nie etwas unlesbar oder sehr unterschiedlich in der Atmosphäre.
    Bzgl. der neuen Übers. Geiers war mir hauptsächlich (darauf wurde auch in den Rezensionen immer hingewiesen) aufgefallen, dass Soziolekte stärker ausgeprägt sind, während in den älteren Übersetzungen das weit weniger der Fall ist. Ich meine aber mich zu erinnern, dass einzelne Rezensenten dies übertrieben oder manieriert fanden. Nun kann ich das (wie die meisten deutschsprachigen Feuilletonisten) beim Russischen überhaupt nicht beurteilen. Aber generell glaube ich, dass im Zweifel eine eher neutrale Übersetzung meist besser ist. Ich habe vage etwas im Hinterkopf, wo ein englischer Dialekt/Slang als "Berlinern" übersetzt wurde (My Fair Lady macht das so, aber das meine ich nicht) und es ist eher nach hinten losgegangen. Ebenfalls erinnere ich mich an eine online-Diskussion über die hochgerühmte Moby-Dick-Übersetzung, bei der ich eine Passage, nämlich als Ismael anheuert und der Übersetzer den Jargon der Quäkerkapitäne ("thou hast" etc.) auf eine sehr eigentümliche Weise übertragen hat, unfreiwillig komisch fand.
    Es kommt halt auch immer drauf an. Bei Dostojewskij (aber vielleicht ist der Eindruck ja durch meine geglätteten Übersetzungen entstanden) sind Sprache und pittoreske Stimmung nicht so zentral.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Bzgl. der neuen Übers. Geiers war mir hauptsächlich (darauf wurde auch in den Rezensionen immer hingewiesen) aufgefallen, dass Soziolekte stärker ausgeprägt sind, während in den älteren Übersetzungen das weit weniger der Fall ist. Ich meine aber mich zu erinnern, dass einzelne Rezensenten dies übertrieben oder manieriert fanden. Nun kann ich das (wie die meisten deutschsprachigen Feuilletonisten) beim Russischen überhaupt nicht beurteilen. Aber generell glaube ich, dass im Zweifel eine eher neutrale Übersetzung meist besser ist. Ich habe vage etwas im Hinterkopf, wo ein englischer Dialekt/Slang als "Berlinern" übersetzt wurde (My Fair Lady macht das so, aber das meine ich nicht) und es ist eher nach hinten losgegangen. Ebenfalls erinnere ich mich an eine online-Diskussion über die hochgerühmte Moby-Dick-Übersetzung, bei der ich eine Passage, nämlich als Ismael anheuert und der Übersetzer den Jargon der Quäkerkapitäne ("thou hast" etc.) auf eine sehr eigentümliche Weise übertragen hat, unfreiwillig komisch fand.

    Ja, furchtbar ist sowas. War das nicht "Wuthering Heights", wo es irgendein Übersetzer für eine gute Idee gehalten hat, den rustikalen Yorkshire-Dialekt des alten Joseph durch breitestes Stadtberlinerisch wiederzugeben? Allerdings ist das eigentlich nur konsequent, weil es eh schon wurscht ist: Die Assoziationen, die ein Dialekt oder Slang im Original hervorruft, lassen sich in einer anderen Sprache mit den dort zur Verfügung stehenden Dialekten oder Slangs sowieso nicht replizieren.

    Und die alte Reclam-Übersetzung der Lysistrate lässt die Spartanerinnen Bärndütsch reden. Sollen wir dann etwa auch Alkman-Übersetzungen ganz in höchstalemannisch halten? Und was machen wir mit der Sappho und ihrem äolischen Dialekt?

    Via kimmp a mia wia r a Goutt
    da Lackl do, wos dia wisawii sitzt
    und heat wia siass du lochst
    voun da Neichn...

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Via kimmp a mia wia r a Goutt
    da Lackl do, wos dia wisawii sitzt
    und heat wia siass du louchst
    von da Neichn...

    Und das ist jetzt Äolisch? Oder Alemannisch? Oder Bärndütsch?

    8o :D

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Da würde ich äolisch vermutlich noch besser verstehen...
    (Mein Griechischlehrer wäre zwar nicht ganz Feuerzangenbowlentauglich gewesen, aber er trat noch um 1990 (mit damals ca. 60) praktisch immer im dreiteiligen Anzug mit Taschenuhr auf und trug auch ein Spitzbärtchen, das ins Kaiserreich gepasst hätte, sogar einen leichten Sprachfehler hatte er.* Er fällt mir gerade nur ein, weil er in so einem übertriebenen Genöle irgendeine Heidelberger oder Marburger Philologiekoryphäe nachmachte, die ihm angeblich am Beginn des Studiums (weil er nur auf einem Realgymnasium mit weniger Griechischstunden gewesen war), angekündigt hatte: Dann wärden Sä mit däm ääohlischen Dialekt aber Schwärichkeiten haben (die der strebsame Student, der das 40 Jahre später erzählte, angeblich aber nicht hatte).

    Allerdings habe ich Wuthering Heights nur auf englisch gelesen, d.h. das Berlinern (o.ä.) muss irgendwo anders auch vorgekommen sein. So weit geht Geier meiner Erinnerung nicht und ich will auch gar nichts gegen die Übersetzungen sagen. Mir schien weniger das Lob für Geier, als die Herabstufung anderer Übersetzungen der russischen Klassiker, das bei vielen dieser Kommentare mitschwang, nicht angemessen. Ich bilde mir eigentlich ein, ein recht gutes Gefühl für die Flüssigkeit und Lesbarkeit von Übersetzungen zu haben (mir fallen bei Übersetzungen aus dem Englischen reihenweise Unbeholfenheiten auf, auch ohne das Original zu kennen), und hatte mit zahlreichen unterschiedlichen der russ. Klassiker nie Schwierigkeiten.

    * Der in der Schnurre "Der Besuch im Karzer" verspottete Lehrer (und seine Sprechweise, offensichtlich ein Vorbild für einige Pauker aus der Feuerzangenbowle) soll zumindest inspiriert von einem Lehrer an meinem Gymnasium Mitte des 19. Jhds. gewesen sein.

    https://www.projekt-gutenberg.org/eckstein/schulhum/schul17.html

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Von Bulgakows Der Meister und Margarita gibt es eine (relativ) neue Übersetzung ins Deutsche von Alexandra Berlina, erschienen 2020 bei Anaconda. Gefördert vom Deutschen Übersetzerfonds. Habe das Buch selbst schon eine Weile auf dem Schreibtisch liegen, es ist schön gebunden, und ist unglaublich günstig. Leider habe ich wenig Zeit, "sowas" zu lesen.


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

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