Gerade also das „Lied von der Erde“ mit Araiza, Fassbaender und Giulini mit Partitur vor Augen gehört. Manch eine erinnerung ist da zu relativieren, manche wiedrum nicht.
Kommen wir erst einmal zu Giulini. Ich wundere mich, dass Bernd gerade noch einmal bekräftig hat, die Aufnahme setze die Vortragsbezeichnungen Mahlers genau um. Mein Eindruck ist dies nicht. Gerade der Kopfsatz schient mir da gerade im Dynamischen eingermaßen undifferenziert. Selten gibt es da (Lieder 1 – 5) weniger als Mezzoforte, auch im Orchester, Akzente werden recht weich gesetzt, sforzati sind als solche oft kaum wahrnehmbar.
Momente der gespannten Leere, so wie sie Sir Colin Davis in seiner Aufnahme mit Vickers/Norman aus dem „Abschied“ herauskitzelt, gibt es hier meinem Empfinden nach ebenfalls nicht. Auch den „Trauermarsch“ (Abschied, Ziffer 41 ff.) habe ich schon deutlich schmerzvoller gehört (Bernstein / Horenstein; besonders die Holzbläserstelle ab Ziffer 46). Insofern erscheint mir Giulinis Leitung auch hier eher durchschnittlich zu sein.
Jetzt aber: Araiza singt besser als ich es in Erinnerung hatte, zumindestens was die Textverständlichkeit angeht. Und ja, seine Stimme eignet sich an sich nicht schlecht für die Partie: hell, klar, einigermaßen durchschlagskräftig. Leider fehlt ihm die Gabe der Textausdeutung und bloße Emphase scheint mir der Königsweg hier nicht zu sein. Wenn man daran denkt, was ein René Kollo unter Bernstein aus dem Text macht (allein sein heulender Affe ist an Intensität kaum zu übertreffen; von „Von der Schönheit mag ich gar nicht reden), dann ist Araiza durchweg meilenweit davon entfernt eine befriedigende Leistung zu erbringen.
Und Brigitte Fassbaender? Wäre ihre Stimme bloß herb, ich ließe mit mir reden. Sicher mag auch eine zu „plüschige“ Stimme missfallen, beides stellt in meinen Ohren allerdings das jeweilig andere Ende einer Skala da, deren Mitte ich für ideal halte. Bisweilen empfinde ich die Stimme aber auch als eher dicklich, Spitzentöne auf Nebensilben (z.B. im vierten Lied) werden eher hochgezogen, überhaupt sind ihre Höhen nicht schön und selten wirklich Piano. Sie wabert mir dann auch zu sehr. In der tiefen Lagen wird nicht selten gedrückt (z.B. besonders unschön: „Abschied“, Ziffer 54). Das zweite Lied deutet sie auf der Textebene kaum aus, ein „schauernd“ (5 vor Ziffer oder, ein „mit zärtlichem Audruck“ (2 nach Ziffer 9) oder gar ein „innig“ (Ziffer 13) höre ich nicht. Die Koketterie und Erotik des vierten Liedes geht ihr vollkommen ab. Das setzt sich im „Abschied“ auch so fort, wenngleich das gestalterisch sicher noch am überzeugendsten ist, mich aber an keiner Stelle berührt.
Agravain