Wiener Klassik in HIP - Modeerscheinung oder der Weisheit letzter Schluss?

  • Ich habe mir gestern abend noch den DLF-Hakla-Mitschnitt (vom Donnerstag) mit Andrea Lucchesini (Beethoven Sonate nr. 29) auf historischen Klavier (irgend ein Nachbau) reingezogen: Überzeugende Alternative zu Brautigam, vor allem was den 4. Satz (diese absolute Hammerfuge) angeht. Lucchesini (Baujahr 1965), während seiner Lehrjahre Schüler von Maria Tipo, bevorzugt - nach seiner mündlichen Mitteilung im DLF- den modernen Konzertflügel, hat aber in Bonn auf Hammerklavier gespielt, weil der 2009-Beethovenzyklus (alle Sonaten + Diabelli-Var.) für dieses Instrument vorgesehen war... ob Hakla mit HIP oder Nicht-HIP mag ich noch nicht entscheiden => beide Varianten ... hat sich einer von euch andere Wiedergaben vom Bonner 2009-Zykus reingezogen, Feedback dazu würde mich interessieren...

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • HIP-Klang ist nicht notwendigerweise dünn. Im Gegenteil kommen bei guten Aufnahmen die Holzbläser farbiger rüber und damit kann der Gesamtklang sogar voller wirken. Dünn klingen eben nur leider viele Hammerklaviere, sobald mehr als eine Handvoll weiterer Instrumente dabei sind. So bin ich auch nach einigen Jahren mit der gewiß sehr guten Einspielung der Mozart-Konzerte mit Bilson/Gardiner nicht recht warm geworden, weil der Klimperkasten in Konzerten mit massiver Bläserbesetzung wie 482 oder 491 einfach anämisch gegenüber dem Orchester wirkt.

    Bei Soloaufnahmen und Kammermusik, wo man wohl auch entsprechende Räume und Mikro-Abstände wählt, ist das was anderes.

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Andrea Lucchesini (Beethoven Sonate nr. 29) auf historischen Klavier (irgend ein Nachbau)

    Hab ich auch gehört, fand ich eher mittelmäßig interpretiert. Zudem war die Tonqualität recht bescheiden. Was aber interessant war: es wurde gesagt, dass im letzten Jahr, anläßlich eines Festivals im Beethoven-Haus Bonn, alle Sonaten auf Pianoforte gegeben wurden. Und es scheint von allen Mitschnitte zu geben. Ich glaub ich muss da mal anrufen.......

    .


    --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


    Immer noch da ... ab und an.

  • Ich habe soeben dreimal die D 845 von Schubert gehört: Zechlin, Schuchter, Staier. Die letzten zwei wirklich gute Pianisten (über den ersten schweigen wir lieber), aber Staier eben auf einem Fortepiano (Johann Fritz, Wien 1825), und wie er im ersten Satz beim Leitthema plötzlich den Lautenzug einsetzt, den dieses Fortepiano noch hat, das ist ganz phantastisch. Wie insgesamt die Obertöne sprühen, wie der Bass niemals ins Sumpfige abdriftet - so etwas bekommt man nur mit einem historischen Instrument hin. Und es verhindert, das zum Beispiel Schubert überhaupt überempfindsam gespielt werden kann. Und vielleicht, sah Schubert das ja auch so, dass er seine Sonaten gar nicht so pathetisch gemeint hat, wie sie manchmal auf modernen Steinways erklingen, nicht wahr? - Davon abgesehen, mag ich auch die NonHIP-Aufnahme von Schuchter sehr gerne. Ich bin ja kein JaKobiner. :D

    .


    --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


    Immer noch da ... ab und an.

  • Noch was: Niemand spielt Debussy auf einem Ruckers-Cembalo von 1640, obwohl das bestimmt total irre klingen würde, wieso also Beethoven auf einem Steinway-Flügel von 2009?

    .


    --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


    Immer noch da ... ab und an.

  • Noch was: Niemand spielt Debussy auf einem Ruckers-Cembalo von 1640, obwohl das bestimmt total irre klingen würde, ....

    Leider! :P Denn DEBUSSY hat von seinen sechs geplanten Kammermusik-Sonaten nur drei vollendet, also auch nicht die geplante vierte für Oboe, Horn und Cembalo. Sehr schade, es wäre sicher ein ausgezeichnetes Werk geworden!
    (Wobei noch anzumerken ist, dass zu Beginn ds 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von neuen Werken für Cemablo enstanden sind (POULENC, de FALLA, DISTLER, etc.), die aber meist für Cembalo-Nachbildungen gedacht waren, mit welchen man damals ganz frisch die Musik des Barock HIP interpretierte. Der Klang dieser Instrumente entsprach allerdings keineswegs den originalen Cembalos des Barock und diese Intrumente sind längst aus dem HIP verschwunden, sind nun aber ihrerseits HIP für die Musik des 20. Jahrhunderts.... :stern:

    Gruß pt_concours

    W o h n z i m m e r w e t t b e w e r b:
    Petit concours à la maison... (S. Richter, 1976)

  • [...] wieso also Beethoven auf einem Steinway-Flügel von 2009?

    Worauf zielst Du mit Deiner Frage, lieber Florian? Willst Du damit unterschwellig einfließen lassen, daß man Beethoven auf einem Instrument seiner Zeit spielen muß, um zu einem angemessenen ästhetischen Ergebnis zu kommen? Damit hätten wir allerdings genau die Grundsatzdiskussion, die ich für sinnlos halte.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • auch dessen [R. Norringtons] Credo, daß es nicht darauf ankomme, welche Instrumente man nehme (alte oder moderne), sondern wie man sie spiele.

    Da hat Norrington ja auch erstmal recht – ob historisch informiert musiziert wird oder nicht, hängt nun tatsächlich nicht zu allererst von den verwendeten Instrumenten ab. Oder anders gesagt: Wenn ASM Darmsaiten aufzieht, ist das, was dann aus der Geige rauskommt, nicht automatisch historisch informiert.

    Andererseits kann man natürlich der Ansicht sein, dass zu einer historisch informierten Praxis nicht allein die Rekonstruktion einer zeittypischen Spielweise (etwa hinsichtlich der Tempowahl, der Agogik, der Phrasierung usw.) gehöre, sondern eben auch die Rekonstruktion eines zeittypischen Klangbildes, das dem Komponisten vorgeschwebt haben müsse (schlicht, weil er kein anderes kennen konnte).

    Letztlich halte ich das weitestgehend für eine Geschmacksfrage. Ich selbst mag sehr gern den Klang historischer Instrumente und für mich ist die historische Aufführungspraxis ein großer Gewinn gewesen, weil sich mir eigentlich erst in HIP-Interpretationen die Werke vieler Komponisten – darunter insbesondere die Wiener Klassiker – erschlossen haben.

    Andererseits würde ich aus dieser Vorliebe kein Gesetz ableiten wollen oder sowas – schlicht, weil man dabei vergessen würde, dass es neben der Geschichte der Musik auch so etwas wie die Geschichte ihrer Interpretation und eine Geschichte der Aufführugspraxis gibt. HIP ist somit daselbst eine historische Größe und das polarisierende Für und Wider HIP ebenso (letzteres ist dabei doch eigentlich längst überholt – zumindest bei den praktizierenden Musikern).

    Ob HIP sich also dereinst als der »Weisheit letzter Schluss« erwiesen haben wird, wird sich wohl noch zu erweisen haben. Eine »Modeerscheinung« ist es aber ganz sicher nicht – dafür hat die Historisierende Praxis einfach inzwischen viel zu sehr auch auf die nicht auf historischen Instrumenten praktizierenden Musiker ausgestrahlt.

    Ach so, vielleicht noch ein Hinweis: es gibt eine bei Hänssler erschienene, IMO ganz bemerkenswerte Doppel-CD, auf der der Violinist Matthias Metzger und der Pianist Gerrit Zitterbart Beethovens Sonaten für Violine und Klavier op. 12, 1-3 sowie einige weitere Werke gleich zweimal eingespielt haben - und zwar einmal auf modernen Instrumenten und einmal auf historischen Instrumenten (Zitterbart spielt dabei einmal auf einem Steinway "Modell D" und einmal auf der Kopie [Walker 2001] eines Hammerflügels von Anton Walter [1795]). Das Klangbild der beiden Interpretationen ist naklar schon ziemlich different - die interpretatorische Praxis unterscheidet sich eher marginal. Gespielt wird bei beiden Interpretationen - unabhängig von den verwendeten Instrumenten - historisch informiert. Also: was man lieber mag, wird einfach Geschmacksache sein, mehr nicht ...

    Hier das Bildchen:

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Noch was: Niemand spielt Debussy auf einem Ruckers-Cembalo von 1640, obwohl das bestimmt total irre klingen würde, wieso also Beethoven auf einem Steinway-Flügel von 2009?

    Gähn. Dieses "Argument" ist schon so oft widerlegt worden, dass es wirklich langweilt: Erstens ist ein Steinway-Flügel von 2009 kein völlig anderes Instrument als sein historischer Vorgänger sondern dessen Weiterentwicklung. Ein Cembalo hingegen unterscheidet sich von beiden durch die Art der Klangerzeugung und daraus resultierend die fehlende Anschlagsdynamik. Zweitens wäre es selbstverständlich legitim, Debussy auf einem Cembalo von 16irgendwas zu spielen, wenn es denn künstlerisch überzeugend gelingen würde. Nur, weil man mit guten Gründen bezweifeln kann, dass das möglich ist, macht das niemand, aber nicht, weil es aus irgendwelchen ideologischen Gründen "verboten" wäre. Dass es unzählige künstlerisch überzeugende Darstellungen von Beethoven-Sonaten auf modernen Instrumenten gibt, kann hingegen nur bezweifeln, wer aus ideologischer Borniertheit gar nicht mehr hinhört. Die Vorstellung, dass ausgerechnet ein alle Grenzen sprengendes Werk wie Beethovens Hammerklaviersonate aus den Beschränkungen eines ganz bestimmten Instrumentes heraus gedacht und allein dort angemessen denk- und spielbar sei, finde ich geradezu niedlich.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Die Vorstellung, dass ausgerechnet ein alle Grenzen sprengendes Werk wie Beethovens Hammerklaviersonate aus den Beschränkungen eines ganz bestimmten Instrumentes heraus gedacht und allein dort angemessen denk- und spielbar sei, finde ich geradezu niedlich.

    Mal abgesehen davon, daß Du, lieber Christian, hier die Anhänger alter Instrumente etwas pauschal in die Strafecke stellen möchtest (so erscheint es jedenfalls mir): Wenn Du daraus ableiten wolltest, daß eine angemessene Interpretation der Hammerklaviersonate auf einem Instrument um 1820 grundsätzlich unmöglich sei, landest Du damit auf der anderen Seite der unsäglichen Grundsatzdebatte um die Wahl des richtigen Klaviers.

    Bemerkenswert finde ich dabei den von Algabal erwähnten Ansatz von Gerrit Zitterbart (kenne die Aufnahmen allerdings nicht), der womöglich gerade das nachweisen möchte, daß nämlich die Wahl des Instruments nicht gar so entscheidend ist.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Bemerkenswert finde ich dabei den von Algabal erwähnten Ansatz von Gerrit Zitterbart (kenne die Aufnahmen allerdings nicht), der womöglich gerade das nachweisen möchte, daß nämlich die Wahl des Instruments nicht gar so entscheidend ist.

    Naja, sie ist schon entscheident für das Klangbild - aber die Interpretation auf einem Steinway aus dem Jahr 2009 ist nicht aufgrund des gewählten Instruments historisch uninformiert.

    Die gezeigte CD ist jedenfalls ziemlich interessant.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Naja, sie ist schon entscheident für das Klangbild

    O.k. - doch ob damit beide Wege zu unterschiedlichen musikalischen Charakteren führen, die evt. im Widerspruch miteinander stehen (im Sinne unterschiedlicher Beethoven-Bilder) - das wäre die für mich interessante Frage (die nach Deinem Hinweis auf die nur marginalen Unterschiede in der Interpretation wohl verneint werden müßte).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Mal abgesehen davon, daß Du, lieber Christian, hier die Anhänger alter Instrumente etwas pauschal in die Strafecke stellen möchtest (so erscheint es jedenfalls mir): Wenn Du daraus ableiten wolltest, daß eine angemessene Interpretation der Hammerklaviersonate auf einem Instrument um 1820 grundsätzlich unmöglich sei, landest Du damit auf der anderen Seite der unsäglichen Grundsatzdebatte um die Wahl des richtigen Klaviers.

    In die "Strafecke" kommt ja wohl jemand, der gegen ein Verbot verstoßen hat. Da ich aber gerade umgekehrt gegen Verbote argumentiert habe, verstehe ich nicht, wie Dein Eindruck zustande gekommen ist. Aus dem von mir Geschriebenen ist er jedenfalls nicht ableitbar. Auch im zweiten Teil Deines Beitrags hast Du mich missverstanden: Ich bin der Meinung, dass ein Stück wie die Hammerklaviersonate im Grunde genommen auf gar keinem Instrument, egal ob historisch oder modern, "angemessen" interpretiert werden kann. Das Stück ist größer, weitreichender als die Möglichkeiten jedes Instrumentes, so dass jede klangliche Realisierung immer nur einen Teil das Ganzen darstellen, also prinzipiell nicht "an-gemessen" sein kann. Arthur Schnabel hat mal sinngemäß gesagt, er interessiere sich nur für Musik, die schöner sei als sie gespielt werden kann. Dem liegt derselbe Gedanke zugrunde.

    Viele Grüße,

    Christian

  • und daraus resultierend die fehlende Anschlagsdynamik

    Ja, ich hab nicht richtig nachgedacht, gerade bei Debussy keine Anschlagsdynamik, ist natürlich nicht sehr überzeugend. Sagen wir also stattdessen: Debussy auf einem Erard von 1803. (Wobei, die Preludes auf einem Cembalo; ich würde das wirklich gerne hören - gibt es sowas?) --- Und man kann - finde ich - eben nicht einfach sagen, dass ein Steinway eine Weiterentwicklung ist, er ist die Entwicklung in eine andere Richtung, nicht was die Mechanik, aber was den Klang anbelangt.

    Die Vorstellung, dass ausgerechnet ein alle Grenzen sprengendes Werk wie Beethovens Hammerklaviersonate aus den Beschränkungen eines ganz bestimmten Instrumentes heraus gedacht und allein dort angemessen denk- und spielbar sei, finde ich geradezu niedlich.

    Ich behaupte ja nicht, dass man gerade Beethoven bitte nur auf einem Broadwood spielen darf, oder Schubert nur auf einem Fritz-Fortepiano, aber ich empfinde das vor allem klanglich als am schönsten, richtigsten, angemessensten - jaja, ich weiß, höchst subjektiv...
    Und Kempff/Beethoven, Schubert/Schuchter, Schumann/Demus, Mozart/Pires und sogar Fischer/Bach möchte ich keinesfalls missen.

    .


    --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


    Immer noch da ... ab und an.

  • Ich bin der Meinung, dass ein Stück wie die Hammerklaviersonate im Grunde genommen auf gar keinem Instrument, egal ob historisch oder modern, "angemessen" interpretiert werden kann. Das Stück ist größer, weitreichender als die Möglichkeiten jedes Instrumentes, so dass jede klangliche Realisierung immer nur einen Teil das Ganzen darstellen, also prinzipiell nicht "an-gemessen" sein kann.

    Das wiederum leuchtet mir ohne weiteres ein - danke für die Klarstellung!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich finde die Hammerklavier-Sonate ja kein wirklich gutes Beispiel in dieser Diskussion, dafür ist sie dann doch ein bißl zu extrem. Allerdings heißt sie ja lustigerweise eben Hammerklavier-Sonate. Beethoven könnte sich dabei was gedacht haben. Oder ist das ein völlig blöder Gedanke?
    Es wird ja auch immer wieder gesagt, Beethoven hätte Klavierstücke geschrieben, die den Umfang der Klaviatur eines Fortepianos gesprengt hätten. Ist das wirklich so? (Das ist keine rethorische Frage). Beethovens Broadwood hatte eine Klaviatur von sechs Oktaven, sein Graf (das Piano seiner letzten Jahre) sogar sechs Oktaven nebst Quart. Das ist gerade mal eine halbe Oktave weniger als z.B. ein Steinway von 1882.

    .


    --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------


    Immer noch da ... ab und an.

  • Und man kann - finde ich - eben nicht einfach sagen, dass ein Steinway eine Weiterentwicklung ist, er ist die Entwicklung in eine andere Richtung, nicht was die Mechanik, aber was den Klang anbelangt.

    Historisch gesehen war der entscheidende Schritt der von der Zupf- (Cembalo) bzw. Tangentenmechnanik (Clavichord) zur Hammermechanik. Erst dieser Schritt hat eine völlig neue Art von Tasteninstrumenten hervorgebracht. Alles, was seither folgte, waren Weiterentwicklungen, die die Grundidee nicht mehr veränderten: Filz-Hammerköpfe, Stahlrahmen, Repetitionsmechanik usw.. Alles Schritte, die Spielbarkeit und Klang veränderten, aber kein Schritt mehr, der an grundsätzlicher Bedeutung dem ersten Schritt zur Hammermechanik gleichkäme, denn keiner von ihnen veränderte noch einmal die prinzipielle Art der Klangerzeugung.

    Ich behaupte ja nicht, dass man gerade Beethoven bitte nur auf einem Broadwood spielen darf, oder Schubert nur auf einem Fritz-Fortepiano, aber ich empfinde das vor allem klanglich als am schönsten, richtigsten, angemessensten - jaja, ich weiß, höchst subjektiv...

    Das macht ja nichts ;+) . Ich bin halt gewohnt, die Partituren sehr genau zu lesen, und da sehe ich z.B. in Schuberts großen Sonaten sehr viele extreme dynamische Forderungen, die selbst auf heutigen, aber schon gar nicht auf historischen Klavieren realisierbar sind: Z.B. müssten am Ende des langsamen Satzes von D 960 im dreifachen ppp und anschließendem dimin. noch ganztaktige Akkorde hörbar zur einer Linie (dem Zitat aus "Der Tod und das Mädchen") verbunden werden, in deren Hintergrund zusätzlich noch Begleitfiguren stattfinden. Das ist nur möglich, wenn das Instrument auch im zartesten pianissimo noch genügend "Länge" hat. Ansonsten bleibt entweder das "ppp" oder die Linie auf der Strecke.

    Es wird ja auch immer wieder gesagt, Beethoven hätte Klavierstücke geschrieben, die den Umfang der Klaviatur eines Fortepianos gesprengt hätten. Ist das wirklich so? (Das ist keine rethorische Frage). Beethovens Broadwood hatte eine Klaviatur von sechs Oktaven, sein Graf (das Piano seiner letzten Jahre) sogar sechs Oktaven nebst Quart. Das ist gerade mal eine halbe Oktave weniger als z.B. ein Steinway von 1882.

    Er verlangt in op. 101 ein Contra-E. An manchen Stellen (z.B. in op. 14/1) schreibt er crescendo auf liegenden Tönen, usw.. Das sind aber nur ein paar Äußerlichkeiten, bei denen er über die Möglichkeiten des Instrumentes hinausgeht. Die wichtigeren Sachen sind eher in der Struktur der Kompositionen zu finden.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Zitat

    HIP-Klang ist nicht notwendigerweise dünn. Im Gegenteil kommen bei guten Aufnahmen die Holzbläser farbiger rüber und damit kann der Gesamtklang sogar voller wirken.


    Das mag ich als Holzbläser, der zumindestens ein wenig daran gewöhnt ist, auf andere Holzbläser zu hören, nicht bestätigen. Auf meine Ohren wirken die klassischen Originaltröten (bzw. deren Kopien) immer deutlich flacher, eindimensionaler und damit klanglich scherenschnittartiger als gut gespielte moderne Holzblasinstrumente.

    Im Hinblick auf Tastenintrumente bin ich alles andere als ein Spezialist, aber da gilt für mich bislang Vergleichbares: Wenn ein wirklicher Könner auf einem modernen Flügel spielt, höre ich neben einem grundsätzlich runderen Klang und einer größeren dynamischen Spannbreite auch viel mehr Farben und Schattierungen als bei dem sicherlich ebenfalls meisterlich spielenden HIP-Kollegen.

    Ich kann auch nix dafür :angel: - meine ganz persönlichen Lauscher sind nun mal so beschaffen... :schaem:

    Beste Grüße

    Bernd


  • Das mag ich als Holzbläser, der zumindestens ein wenig daran gewöhnt ist, auf andere Holzbläser zu hören, nicht bestätigen. Auf meine Ohren wirken die klassischen Originaltröten (bzw. deren Kopien) immer deutlich flacher, eindimensionaler und damit klanglich scherenschnittartiger als gut gespielte moderne Holzblasinstrumente.

    Im Hinblick auf Tastenintrumente bin ich alles andere als ein Spezialist, aber da gilt für mich bislang Vergleichbares: Wenn ein wirklicher Könner auf einem modernen Flügel spielt, höre ich neben einem grundsätzlich runderen Klang und einer größeren dynamischen Spannbreite auch viel mehr Farben und Schattierungen als bei dem sicherlich ebenfalls meisterlich spielenden HIP-Kollegen.

    ich meinte nicht in erste Linie die Instrumente als solche, sondern den Gesamtklang, der sich einstellt. Nun liegt das natürlich teils auch daran, dass eine große Zahl älterer Aufnahmen hoffnungslos streicherdominiert ist (und am Ende die Holzbläser nicht gut gespielt werden) und diese relativen Gewichte der Klanggruppen bei HIP ganz anders sind. Meistens wird ja behauptet, dass alte Instrumente obertonreicher seien und anders (teils schlechter, teils besser) miteinander verschmelzen als moderne. (Eigentlich sollte so etwas doch meßbar sein, man kann doch eine Frequenzanalyse des Obertonspektrums machen?). Voller ist insofern sicher keine so richtig gute Beschreibung, zugegeben. Dennoch empfinde ich z.B. Schuberts Oktett wesentlich farbenreicher mit Originalinstrumenten als im auf mich homogener wirkenden Klangbild moderner Instrumente.
    Und wo Harnoncourt m.E. ganz klar recht hat, ist, dass bei modernem Blech im piano der Schmettereffekt fehlt. Frage ist eben nur, bis wann man den überhaupt haben wollte und ab wann man den Farbeffekt, den moderne Trompeten im piano ergeben, bevorzugte

    Bei Tasteninstrumenten bin ich dagegen geneigt, Dir zuzustimmen. Es fällt mir schwer, die klanglich stärker voneinander abgehobenen Register nicht als störend inhomogen wahrzunehmen. Die Verfechter finden aber anscheinend gerade das schön und charakteristisch und den Klang moderner Flügel als "Einheitsbrei".

    Das scheint mir letztlich der entscheidende Punkt. Man könnte sich sogar einig sein, was "dünn" und was "voll" klingt. Aber der eine hört bei "voll" eben "fett" und "Einheitsbrei", im andern Fall charakteristische Klangfarben in unterschiedlichen Registern und Lagen. Der andere inhomogenes Gequieke bzw. einen satten, gleichmäßigen Sound.

    Viel interessanter finde ich aber eigentlich andere Dinge. Von wenigen Ausnahmen, wie den o.g. Harnoncourt, Jacobs abgesehen pflegen die HIPisten eine sehr geradlinige Interpretationsweise. Vermutlich ist das, zumindest bei Orchestermusik, nicht so falsch. (Wenn man keine oder kaum Proben hat, kann man nur relativ geradlinig durchspielen, sonst gibt es völliges Chaos.) Dennoch wäre zu überlegen, ob nicht zumindest einige Klavier- und Kammermusik wesentlich freier gespielt werden sollte. z.B. eine "Sonata quasi una fantasia"? Vor solcher "Subjektivität" schrecken jedoch die meisten zurück. Die Quellen geben hier nach meinem Stand widersprüchliche Auskünfte, was rubato u.a. Freiheiten betrifft. (Von Beethoven wird sowohl überliefert, dass ein Tempo nur für den Beginn eines Satzes gelten würde als auch, dass Schwankungen nur für "feine Ohren" vernehmlich sein sollten...)

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Mich würde grundlegend einmal interessieren, warum bei HIP im Falle von Streichinstrumenten ein wichtiges Detail immer weggelassen wird:

    Es handelt sich um die Lagenwechsel.
    Bis in's 20Jhdt. herein war es üblich, jeden Ton anzurutschen.
    Im Falle des Cellos war Casals einer der wichtigsten , der damit aufhörte.

    Nun ist es ja wirklich interessant und wichtig, HIP-informierte Aufführungen hören zu können, aber diese Lagenwechsel werden dabei ausgespart.
    Ich kann auch verstehen, warum: Sie sind für unsere Ohren einfach potthäßlich.

    Auf dieser Seite kann man sich z.B. ganz legal Aufnahmen mit dem amerikanischen Cellisten Hans Kronold anhören, alle aus der Zeit um 1905-1913:
    "http://www.archive.org/details/CollectedWorksOfHansKronold"

    Ich höre immer wieder gerne die "Traumerei" , eine Aufnahme von 1905. :D
    Was mir als erstes auffällt: Der Cellist vibriert.
    Und er rutscht auf dem Griffbrett herum, daß ich die Schleimspuren förmlich vor mir sehen kann.

    Nun, das ist HIP, und zwar ganz echt.

    Aber so möchte man es dann heute doch nicht haben, insoferne sind einige HIP- Auswüchse für mich einfach nicht echt.

    Wie gesagt, ich finde HIP im Prinzip total klasse und man kann eine Menge lernen und als Musiker seinen Horizont enorm erweitern.

    Aber die Sache mit den Lagenwechseln finde ich eigenartig und manche Diskussionen über Non-Vibrato auch, denn jeder kann hören, daß 1905 vibriert wurde.

    Interessant in diesem Zusammenhang finde ich immer die Begegnung mit einer Mahler- Partitur.
    Mahler hat enorm viele Portamenti in die Streicherstimmen reingeschrieben. Meines Erachtens hat er dies getan, weil er NUR an diesen Stellen ein Portamento haben wollte, an allen anderen Stellen nicht. Er kannte seine Orchester und damals wären Ihm Portamenti an ALLEN Stellen um die Ohren geflogen, aber dies wollte er halt nicht.

    lg,

    Michael

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!