Wiener Klassik in HIP - Modeerscheinung oder der Weisheit letzter Schluss?

  • Wiener Klassik in HIP - Modeerscheinung oder der Weisheit letzter Schluss?

    Ich streite mich ja gerne, und damit ich mich nicht über das Für und Wider von HIP in der Wiener Klassik und der sich anschließenden Romantik in den jeweiligen Fach-Threads streiten muss, denn die sollen ja ihr jeweiliges Subjekt behandeln, eröffne ich hiermit diesen Kampfplatz.

    Es herrscht ja mittlerweile fast die übereinstimmende Ansicht, dass Barock-Musik kaum noch auf modernen Instrumenten goutierbar ist (Ars Nova und Renaissance schon gar nicht), aber diese Neuerung der Aufführungspraxis wurde ja nun auch schon vor gut 50 Jahren eingeführt - ich persönlich habe von Anfang an die Musik vor 1750 in historisch informierter Interpretation gehört, das war seit den 80er Jahren fast unvermeidlich (wenn wir von einigen Clavierwerken Bachs absehen).

    Die HIP-Fraktion in der Wiener Klassik hat sich allerdings noch nicht so lange durchgesetzt, eigentlich erst seit den frühen 90ern, und es werden auch heute noch auf dem Markt mehr konventionelle Einspielungen publiziert. - Mir allerdings würde es kaum noch im Traum einfallen eine solche Einspielung zu kaufen, wenn es eine HIPpe Alternative gibt. Es ist mittlerweile sogar so weit gekommen, nachdem ich z.B. Andreas Staier für mich entdeckt habe, dass ich Schubert-Aufnahmen von Zechlin, oder Mozart-Aufnahmen von Pires nur noch schwer anhören kann, ohne zu denken, das klingt falsch.

    Wie seht ihr das? Möge die Vorstellung beginnen...

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Kann ich als absoluter HIP-Laie mal fragen, ob HIP direkt mit der alten Aufstellung der Streicher (Kontrabässe/erste Geigen links, Bratschen/Celli in der Mitte, zweite Geigen rechts) einhergeht oder ob sich die konventionelle Instrumentation und neue Streicheraufstellung nicht parallel entwickelt haben? Oder gibt es für sowas irgendwo einen allgemeinen HIP-Thread...?

    :wink: Philipp

  • Ich finde HIP oder nicht HIP, beides hat seine Berechtigung und sollte es auch weiterhin geben.

    Zum einen kann niemand von uns sagen ob der Komponist von damals nicht begeistert wäre wenn er seine Werke auf neueren Instrumenten hören würde, teilweise wurden ja sogar Sachen garnicht für ein konkretes Instrument geschrieben, was sollte denn dann das Richtige sein?

    Auch können wir die Musik heute garnicht mehr so hören wie man sie damals gehört hat, wir haben einen ganz anderen musikalischen Horizont oder Background, ganz andere Hörerfahrungen auf deren Hintergrund wir hören, die gesamte Umwelt, das Umfeld alles war anders und ist garnicht mehr so wiederherstellbar.

    Außerdem hat jeder andere klangliche Vorlieben, sollte er deshalb auf bestimmte Musik verzichten müssen? Ich z.B. mag den Cembaloklang überhaupt nicht, mir gefällt aber die Musik Bachs und Couperins etc auf dem Klavier unheimlich gut (bedaure, dass es manche Musik nur auf Cembalo gibt und nicht auf Klavier), andere finden eine Beethoven Sinfonie in Originalbesetzung ziemlich dünn, ihnen gefällt sie aber anders gespielt sehr gut. Das hat doch alles seine Berechtigung.

    Kommt auch noch dazu, dass wir doch z.B. über die damals gespielten Tempi sehr wenig wissen.

    Also hören wir uns doch beides an und jeder bilde sich nach seinem Geschmack seine Meinung und höre sie dann so wie sie ihm gefällt oder auch mal auf die eine mal auf die andere Weise.
    Das eine oder andere zur alleine seligmachenden Wahrheit hochzustilisieren wäre völlig falsch. HIP ist kein Wert an sich.

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Nietzsche)
    In der Tat spuckte ... der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten von Radios übereingekommen sind Musik zu nennen (H Hesse)
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    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)

  • Kann ich als absoluter HIP-Laie mal fragen, ob HIP direkt mit der alten Aufstellung der Streicher (Kontrabässe/erste Geigen links, Bratschen/Celli in der Mitte, zweite Geigen rechts) einhergeht oder ob sich die konventionelle Instrumentation und neue Streicheraufstellung nicht parallel entwickelt haben?

    Die "alte" "deutsche" Streicherpositionierung war bis Mitte des 20. Jhds. wohl weiter verbreitet, ungeachtet vibrato, Riesenorchester, rubato, Instrumentationsretuschen usw. Diese Frage liegt m.E. quer zu HIP, obwohl sich Hipisten natürlich eigentlich an die alte Aufstellung halten sollten. (Allerdings hat sich diese Sitzordnung als "Standard" wohl auch erst um 1800 (?) herausgebildet.) Das geht soweit, dass Harnoncourt (leider!) bei den Beethovensinfonien mit dem COoE ebenso wie beim Mozart mit dem Concertgebouw-Orchester die Aufstellung mit allen Geigen links vom Dirigenten verwendet.

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wo wir gerade bei Harnoncourt sind, bzgl rubato und Agogik... :stumm: Dasselbe bei Jacobs. HIP ist bisweilen nicht so weit von Furtwängler entfernt, wie man gern glauben möchte.


    "In the year of our Lord 1314 patriots of Scotland, starving and outnumbered, charged the field of Bannockburn. They fought like warrior poets. They fought like Scotsmen. And won their freedom."

  • HIP ist bisweilen nicht so weit von Furtwängler entfernt, wie man gern glauben möchte.

    Inwiefern? Bei Furtwänglers Beethoven-Interpretationen leuchtet mir das beispielsweise gar nicht ein: oft viel zu langsame Tempi, die den dynamischen Charakter zu sehr ins Romantisch-Fließende abmildern. Auch ein Überladen des Streicherapparats bei vielen anderen Aufnahmen, sogar bei Leibowitz, empfinde ich mittlerweile eher als störend. Historisch orientierte Wege begeistern mich im allgemeinen dann, wenn das klangliche Ergebnis die Kontraste und die rhythmische Dynamik klar herausrabeitet: Wie Norrington mit seinen Stuttgartern an Mozart, Haydn und Beethoven herangeht, finde ich überzeugend - auch dessen Credo, daß es nicht darauf ankomme, welche Instrumente man nehme (alte oder moderne), sondern wie man sie spiele. Insofern ist es für mich auch kein entscheidendes Kriterium, ob etwa bei Haydn-Sonaten historische Klaviere oder moderne Steinways erklingen; viel wichtiger finde ich, ob und wie es dem Interpreten gelingt, Spannungen zu entwickeln und wieder aufzulösen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Das eine oder andere zur alleine seligmachenden Wahrheit hochzustilisieren wäre völlig falsch. HIP ist kein Wert an sich.

    Einverstanden. Allerdings kannn durch gelungene HIP-Wiedergaben scheinbar vertraute Wendungen überraschend neu gehört werden. Deshalb würde ich HIP nicht zu klein reden. Ich denke z.B. an die Beethoven-Klaviersonaten-Wiedergaben durch Brautigam. Ich bin daher auch heute auf Andrea Lucchesinis Beethovenspiel (DLF) mit dem Hammerflügel gespannt. Die Berio-Sonate wird von Lucchesini nicht hip-mäßig gespielt :D , obwohl es möglicherweise da auch noch manches auszuloten gäbe ? Die Schönbergklavierstücke aus frühen sog. freiatonalen Phase gibt es inzwischen auch in HIP-Version.

    Was z.B. die Beethovensche Sinfonik angeht, so hat Gurnemanz Beitrag es auf einen - für mich - stimmigen Punkt gebracht. Toscanini + Scherchen wären für mich z.B. die bessere Alternative zu Furtwängler ohne HIP.

    Interessant wären auch Beethovenschen Quartette als HIP. Gibt es da etwas ? Ich bin nur mit Emerson, Guaneri & Co vertraut ..

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Einverstanden. Allerdings kannn durch gelungene HIP-Wiedergaben scheinbar vertraute Wendungen überraschend neu gehört werden. Deshalb würde ich HIP nicht zu klein reden. Ich denke z.B. an die Beethoven-Klaviersonaten-Wiedergaben durch Brautigam.

    Mal abgesehen davon, dass hier ein altes Klavier ausnahmsweise gut klingt, finde ich Brautigam zwar durchaus gut, aber weitgehend vergleichsweise konventionell... :rolleyes:

    Staier hat momentan anscheinend die Diabelli-Variationen im Konzertprogramm. Von ihm sind jedenfalls Beethovensche Solosachen oder Klavierkonzerte lange überfällig...

    Zitat


    Interessant wären auch Beethovenschen Quartette als HIP. Gibt es da etwas ?

    sehr wenig. 3x op.18 (Mosaiques, Turner u. Smithsonian Q.), nur vereinzelte der mittleren Quartette. Das Q. Mosaiques hat op.130/133 im Konzert gespielt, aber Aufnahme ist mir keine bekannt.

    Besonders bei Beethoven besteht m.E. insofern ein ziemlich großer Unterschied in der "Neuheit" des HIP-Zugangs gegenüber anderen Komponisten, weil hier einfach schon seit Beginn der Tonaufzeichnung ziemlich unterschiedliche Zugänge dokumentiert sind. Dagegen wurden ja von Barockmusik (und teils auch Haydn u. Mozart), überhaupt nur relative wenige ausgewählte Stücke wahrgenommen und auch nicht in einer solchen Bandbreite dargeboten. (Klar es gibt Ausnahmen wie Furtwänglers romantisch-dramatischer Mozart, Scherchens Haydn u.a.) Bei anderen Komponisten ist es aufgrund der geringeren Vielfalt viel einfacher z.B durch einen HIP-Zugang neue Aspekte herauszustellen.

    Kater Murr

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    (B. Pascal)

  • Interessant wären auch Beethovenschen Quartette als HIP.

    Es gibt eine sehr schöne Einspielung einiger Quartette von den Schuppanzighs, mittlerweile auch wieder zu einem bezahlbaren Preis (vor einem knappen Jahr hat die CD noch das drei bis vierfache gekostet). Der Clou an der Aufnahme ist, das die Schuppanzighs die Orginal-Instrumente Beethovens verwenden.

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Mal abgesehen davon, dass hier ein altes Klavier ausnahmsweise gut klingt

    Ich finde ja, dass diese Aussage auf ein schlechtes Ohr hinweist :D :hide: , oder auf einen schlechten Geschmack. Wenn HIP, dann richtig. Gerade bei Tasteninstrumenten, klingen die Orginale eigentlich immer besser als die Kopien - die Kopien haben oft kein so reiches Obertonspektrum, und das ist ja gerade, was den Orginalklang eines Pianofortes ausmacht. Gegen ein Walter von 1780, ein Pleyel von 1840 kommt kein Nachbau an.
    Andererseits kann ich natürlich verstehen, dass genau dieser obertonreiche Klang anfänglich irritieren kann. Aber man hört sich da schon rein... :D :hide:

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Zitat

    Interessant wären auch Beethovenschen Quartette als HIP. Gibt es da etwas ?


    sehr wenig. 3x op.18 (Mosaiques, Turner u. Smithsonian Q.), nur vereinzelte der mittleren Quartette. Das Q. Mosaiques hat op.130/133 im Konzert gespielt, aber Aufnahme ist mir keine bekannt.

    Ich kenne davon nur die Aufnahme der Mosaiques und die fand ich ziemlich dröge. Ausgezeichnet finde ich aber diese:

    Vom Schuppanzigh-Quartett, die z.B. auch die Streichquartette des Beethoven-Schülers Ferdinand Ries sehr gut eingespielt haben, würde ich mir einen kompletten Beethoven-Zyklus wünschen. Sie haben auch ein paar Hydn-Streichquartette eingespielt, aber die kenne ich noch nicht.

    Zur allgemeinen Frage, mir ist der HIP-Klang auf alten INstrumenten inzwischen tendenziell lieber. Bis zur Frühklasssik gehen für mich nur noch wenige Ausnahmen und dann höre ich eben z.B. Gould, nicht so sehr Bach. Im klassischen und romatischen Repertoire möchte ich zwar, soweit kann ich Gurnemanz folgen, nicht auf in ihrer Art gute Aufnahmen verzichten, möchte aber auf jeden Fall HIP-Aufnahmen kennen und bevorzuge klar im Non-HIP-Bereich Aufnahmen, die von HIP stark beeinflußt sind, z. B. bei Beethoven Järvi mit den Bremern oder Norrington 2 oder Herreweghe, Haydn mit Rattle, bzw. "Proto-HIP"-Aufnahmen wie Rossini mit V. Gui, der in der Prä-HIP-Zeit schon besonders intensives Quellenstudium betrieben hatte und dem Originalklang möglichst nah zu kommen versuchte.

    Besonders würde ich mir, nachdem ich Norringtons Wagner-CD kennengelernt habe, von ihm einen HIP-"Ring" wünschen. Schon Wagner klagte ja, dass seine Musik viel zu langsam gespielt würde. Gute. sehr transparente Aufnahmen gibt es zwar, vor allem Boulez, aber der Klang insbesondere der Bläser dürfte HIP doch noch einmal sehr anders ausfallen.

    Ebenso würde ich gerne Verdi in HIP hören. Insbesondere waren auch hier die verwendeten Blasinstrumente sehr andere, aber hier liegt dann auch schon das besonders große Problem, dass sie sich zu Verdis Zeiten sehr schnell veränderten und je nach Zeit und Ort schon damals unterschiedliche Lösungen gewählt worden sind.

    :wink: Matthias

  • Die Schönbergklavierstücke aus frühen sog. freiatonalen Phase gibt es inzwischen auch in HIP-Version.

    Tatsächlich? Gab es zu der Zeit noch keine Konzertflügel? Hast du da mal Aufnhamen gehört, bzw. wenn ja, was hältst du davon?

  • Ich sehe das kein bisschen dogmatisch und sehr vielschichtig, denn ich habe mich schon sowohl über Mozart-HIP schwarzgeärgert als auch begeistert endlich an Beethoven gefreut, was mir ohne HIP nciht gelungen ist.
    Es hängt also gazn und gar von der jeweiligen einspielung und deren Glaubwürdigkeit ab. Malgoire, eienr der HIP-Urväter ist mit den Mozartopern eine Katastrophe fûr mich, blutleeres Genudele-wenn er nicht immer wieder so tolle Sänger hätte würde ich mir das nicht mehr antun. Aber wegen Veronique Gens gibts halt am sonntag dann nochmal Don Giovanni. HAïm, die mit Händel Weltspitze ist, hat mich mit Mozart auch nicht überzeugt. Was ich dagegen toll fand ist René Jacobs Mozart und ganz besonders begeistert hat mich Arthur Schonderwoord. Der Mann hat mir Beethoven geschenkt und er ist einfach ein Genie :juhu: :juhu: :juhu:
    Also kein Pauschalurteil von mir-jede einzelne Einspielung muss eigenständig gewertet werden.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Zitat

    Tatsächlich? Gab es zu der Zeit noch keine Konzertflügel? Hast du da mal Aufnhamen gehört, bzw. wenn ja, was hältst du davon?

    hat mich leider nicht vom Hocker gerissen, schade. Die Schönberg-Solo-Klavier-Stücke mag ich bisher immer noch am liebsten mit dieser taiwanesischen Pianistin, deren namen ich mir niemals merken kann, die aber auch in der zeitgenössischen Moderne (Boulez, Barraque) sehr engagiert ist, wir haben schon mal in einen anderen Thread über sie diskutiert...

    Zitat

    Staier hat momentan anscheinend die Diabelli-Variationen im Konzertprogramm. Von ihm sind jedenfalls Beethovensche Solosachen oder Klavierkonzerte lange überfällig...

    warum ist das nicht bis zu mir gedrungen ? Diabelli-Variationen auf Hammerklavier wäre was, allerdings hat mich der letzte Mitschnitt (DLF) der Gouldbergvariationen mit Staier-Live nicht sonderlich beeindruckt,schade, um so mehr aber eine Auswahl der Bachschen Toccaten und Fugen mit Staier-Live ..

    Zitat

    finde ich Brautigam zwar durchaus gut, aber weitgehend vergleichsweise konventionell...

    meinst du z.B. in den Tempi ? also bei der Patetique und Waldstein habe ich einen anderen Eindruck, habe aber nicht allle Cds davon ...

    Zitat

    bevorzuge klar im Non-HIP-Bereich Aufnahmen, die von HIP stark beeinflußt sind, z. B. bei Beethoven Järvi mit den Bremern oder Norrington 2 oder Herreweghe

    ja ich auch, was Järvi angeht, und auch die ersten beiden Beethovensinfonien unter Norrington.. der letzte Pastoralemitschnitt mit Herrweghe von France Musique hat sich auch gelohnt...

    Zitat

    Also kein Pauschalurteil von mir-jede einzelne Einspielung muss eigenständig gewertet werden.

    ja, + ich denke, dass ist Grundtenor der meisten Beiträge zu HIP...

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Insofern ist es für mich auch kein entscheidendes Kriterium, ob etwa bei Haydn-Sonaten historische Klaviere oder moderne Steinways erklingen; viel wichtiger finde ich, ob und wie es dem Interpreten gelingt, Spannungen zu entwickeln und wieder aufzulösen.

    Aber dann vergleiche doch mal zwei (recht) aktuelle Aufnahmen, Staier auf dem Fortepiano:

    Und Planes auf dem modernen Flügel:

    Ganz ohne Zweifel ist Alain Planes ein hervorragender Pianist, seine Haydn-Interpretationen sind eigenständig und schön, aber Andreas Staier ist nun ja auch zweifelsfrei ein großartiger Pianist, doch er hat noch den Vorteil, auf einem Fortepiano der Haydnzeit zu spielen. Und - ich kann mir nicht helfen - es klingt einfach stimmiger. Es entspricht viel mehr dem Tänzerischen der Haydn-Sonaten, wirkt nicht so mächtig im Klang.
    Hätte ich nun keine Alternative, würde ich sagen: ich kaufe die Planes-Aufnahme; aber wenn im Regal Staier daneben steht: keine Frage, welche CD ich schnell in die Innentasche des Mantels stecke.

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Danke, lieber Florian, für die Hinweise: Leider kenne ich weder Staiers noch Planès' Haydn-Einspielungen. Selbst habe ich vor kurzem Leif Ove Andsnes und Ragna Schirmer (beide auf modernem Flügel) und einige HIP-Aufnahmen aus dieser günstigen Brilliant-Gesamteinspielung im Vergleich gehört:

    Während ich hier z. B. Bart van Oort (der übrigens auch an einer wunderbaren HIP-Gesamteinspielung der Haydn-Trios beteiligt ist, ebenfalls bei Brilliant erschienen) durchaus faszinierend finde (trotz gelegentlich merkwürdiger Agogik ein bezwingendes kontrastreiches Spiel), finde ich das Spiel von Ursula Dütschler, die offensichtlich nur Mezzoforte kennt (oder liegt's am Instrument) fast durchgehend langweilig. Andsnes (eher knackig-dynamisch) und Schirmer (etwas schwerblütiger, sinnlicher im Vergleich) mag ich sehr.

    Ich bleibe dabei: Authentische und künstlerisch überzeugende Interpretationen sind mit alten wie modernen Instrumenten gleichermaßen möglich; ich habe da keine grundsätzliche Präferenz, jedenfalls nicht bei Haydn, Mozart und Beethoven.

    Die von Dir aufgeworfene Frage "Wiener Klassik in HIP - Modeerscheinung oder der Weisheit letzter Schluss?" würde ich übrigens mit einem klaren "Weder - noch" beantworten. ;+)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Ah ja, die Box muss ich mir auch noch zulegen. Deiner Beschreibung entnehme ich, dass sie mit Abstrichen zu empfehlen ist. Die Staier-Aufnahmen von Haydns Sonaten sind jedenfalls grandios. Alles in allem drei CDs, die für Rund 20 Euro in einer Box zu haben sind, allerdings nicht mehr mit den schönen Cover.

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Deiner Beschreibung entnehme ich, dass sie mit Abstrichen zu empfehlen ist.

    Immerhin: Bei dem Preis! Allerdings warne ich Dich: Es sind überwiegend Nachbauten im Spiel, keine Originale (erwähne es nur, weil das Dir wichtig ist; ich selbst kann nicht beurteilen, ob moderne Kopien alter Instrumente grundsätzlich schlechter sind).

    Wirklich uneingeschränkt empfehlen kann ich die schon angesprochene Gesamtaufnahme der Klaviertrios: für mich so etwas wie ein Nonplusultra dessen, was man bei Haydn mit HIP erreichen kann: so lebendig, spielfreudig, kontrastreich! Insgesamt gesehen, finde ich übrigens die Trios - viele aus der Zeit des gereiften Meisters der Pariser und Londoner Symphonien - interessanter als die Sonaten (aber das wäre ein eigenes Thema):


    Van Swieten Trio (Bart van Oort mit unterschiedlichen Streichern; Brilliant)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Das wichtigste wurde für mich schon gesagt, nämlich dass keiner weiß, ob ein Komponist von damals, den Orchesterklang von heute schätzen würde. Nun kann man sich entweder dran festbeißen und sagen "Es wurde aber für HIP komponiert, also soll es auch mit HIP gespielt werden!!!!", oder man ist flexibel genug, um auch weiterhin zu sagen "Das heißt nicht, dass die Musik nicht auch auf einem Neo-Orchester gut klingt!".

    Ich selbst kann mit HIP bisweilen gar nix anfangen, was nicht bedeutet, dass ich es nicht schon oft genug gewagt hätte. Der Klang ist mir einfach zu dünn. Ich sehe den Klang der heutigen Orchestren als einen Fortschritt, den ich einfach nicht mehr missen will. Auch Mozart als HIP ist nicht mein Fall, ich kann es einfach nicht genauso genießen. Teilweise musst ich mir hierbei schon anhören "Dann magst du keinen Mozart, sondern 'nur' Musik von ihm." Damit kann ich leben, die Noten die von einem modernen Orchester gespielt werden sind schließlich diesselben wie damals, und wie gesagt werden wir nie erfahren, wie Mozart selbst in dieser Sache gedacht hätte.

    :wink:

    "Ohne Musik wär alles nichts."

  • Kennt jemand das Ensemble "Les folies françoises"? Ein serh interessantes Unternehmen mit Instrumenten, die die "24 violons du Roi" wiederbeleben wollen. Ich habe gestern zufällig eine Radiosendung über diese Truppe gehört und war fasziniert von ihren Barockeinspielungen, aus denen es zahlreiche Beispiele gab. U.A. Kantaten von Bach und Bernier, aber auch ein bisschen Rameau und Couperin. Was ich dagegen gar nciht gut fand, war das Mozart-Beispiel. Zuerstmal hatte ich den Eindruck, das falsch gespielt wird, es klang leicht daneben intoniert. Natürlich wird NICHT falsch gespielt, aber der Radiosprecher erklärte , dass das Ensemble eigens nachgebaute Streich-Instrumente zwischen der Violine und einem Cello das auf der Schulter liegt, spielt und die Tonumfänge/Stimmungen dieser Instrumente heute nciht mehr unserer Gewohnheit entsprechen. Da ich beim Hören mit Küchenarbeit befasst war, habe ich nicht alles 1zu 1 mitbekommen aber es klang serh interessant, was da erzählt wurde.
    An den Mozart-Klang konnte ich mich jedoch nciht gewöhnen. :shake:
    Ich weis nciht, ob "Les folies françoises" noch Anderes aus der Wiener Klassik eingespielt hat. Ich habe darauf jedenfalls eher keine Lust.....
    Von Bach und Rameau und aus dem frz. Barock würde ich dagegen gerne viel mehr hören.

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