Kritikberechtigung - Wer die Eiche kratzt

  • Kritikberechtigung - Wer die Eiche kratzt

    Aus dem Thread Pianisten – die Unterschätzten, die Überschätzten und die richtig Schlechten ausgelagert.

    audiamus


    Ich behaupte also:....

    Behaupten kannst Du viel, gleichwohl: Was stört es die deutsche Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihr kratzt.

    Was wird das hier überhaupt? Ein Thread, in dem nach Lust und Laune Pianisten-Bashing betrieben werden kann? Mal eben einen Namen dahin gerotzt und den eigenen Mageninhalt gleich hinterher geschickt? Wirklich traurig...

    Gruß, Cosima

  • Zitat von »Florian Voß«
    Ich behaupte also:....


    Behaupten kannst Du viel, gleichwohl: Was stört es die deutsche Eiche, wenn sich ein Wildschwein an ihr kratzt.

    Was wird das hier überhaupt? Ein Thread, in dem nach Lust und Laune Pianisten-Bashing betrieben werden kann? Mal eben einen Namen dahin gerotzt und den eigenen Mageninhalt gleich hinterher geschickt? Wirklich traurig...

    Gruß, Cosima


    O, wir sind aber sehr guter Laune. - Im Übrigen: ich betreibe hier kein "Bashing", ich bekunde nur meine Meinung. Und, das ist die Krux, für jeden überschätzten Pianisten, wird ein anderer unterschätzt. Benenne ich ersteren, mache ich möglicherweise Platz frei für letzteren. Insofern finde ich Kritik an schlechten und überschätzten Künstlern berechtigt (ich würde meinen, das kannst du mir zugestehen).

    .


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Hallo Florian,


    selbst ein Experte wie Joachim Kaiser kann nur behaupten, obwohl er seine Behauptungen wahrscheinlich schlüssiger begründen könnte als Du. Ich verstehe als Sänger vom Klavierspiel so viel wie die Kuh vom Kreppelbacken ( Kreppel = Pfannkuchen ), maße mir in Gesangsfragen allerdings eine begründbare Kompetenz an, die trotzdem höchst subjektiv sein dürfte.

    Also : Bist Du Pianist ? Hast Du beim Hören die jeweiligen Noten vor Dir ?


    Ciao. Gioachino :wink:

    miniminiDIFIDI

  • :mlol: :faint: :vv: Das ist endlcih mal ein gesundes (Berufsstands-)Selbstbewusstsein!


    Hier stellt sich für mich aber eine grundsätzliche Frage nach der Kritikfähigkeit von Laien und das betrifft nicht nur Pianisten sondern uns Alle, die wir hier munter unsere Meinungen über Musik und deren Ausführungen äussern. Ich gehe von einem menschlichen Grundrespekt gegen jede Leistung aus Aber in diesem Rahmen:
    Sind alle (oder müssen alle), die Dirigenten und deren Interpretaionen eines Werkes kritisieren, Dirigenten sein oder schonmal dirigiert haben?
    Wenn dem so wäre, könnten wir grosse Teile dieses Forums(und anderer Foren) sofort "entsorgen". Oder muss man Regisseur sein um etwas zu einer Interpretation einer Oper zu sagen? Oder ist hier jeder Sänger, der Sänger kritisiert?
    Natürlich kann man anders über Dinge schrieben, die man selbst in- und auswendig kennt. Ich kann zu pianistischen Interpretationen trotz Grundkenntnisse im KlavierSpielen nicht viel mehr beitragen als reine Geschmacksurteile und sehr subjektive Beschreibungen/Bilder. Aber solche Forum bieten ja gerade dafür Raum, wenn ich das Konzept richtig verstanden habe. Den aggressiven( oder um im offenbar beliebten Jargon der Körperausscheidungen zu bleiben "anpissenden") Ton gegen Florian kann ich da nciht nachvollziehen.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Ich gehe von einem menschlichen Grundrespekt gegen jede Leistung aus

    Du meinst, dass es von „menschlichem Grundrespekt“ zeugt, wenn renommierte Pianisten wie Backhaus, Kempff, Brendel oder Pollini, die sich jahrzehntelang mit Musik auseinandersetzt haben, mit ein paar Schlagworten öffentlich abgekanzelt werden? Und dies eben nicht in Form einer subjektiven und persönlichen Geschmacksäußerung (z. B. "ich empfinde xy im Stück yx als langweilig, weil..."), sondern in Form von absoluten Werturteilen (xy ist überschätzt. xy ist langweilig.)? Geschmacksäußerungen kann man verkünden, wie man möchte, ich finde sie interessant und hilfreich, wenn ich die entsprechende Person etwas einschätzen kann – für (diffamierende) Werturteile, wie hier geschehen, braucht es handfeste Begründungen. Man kann das alles natürlich beschönigend als „Kritik“ bezeichnen, ich nenne es nach wie vor Pianisten-Bashing.

    Gruß, Cosima

  • Natürlich kann man anders über Dinge schrieben, die man selbst in- und auswendig kennt. Ich kann zu pianistischen Interpretationen trotz Grundkenntnisse im KlavierSpielen nicht viel mehr beitragen als reine Geschmacksurteile und sehr subjektive Beschreibungen/Bilder. Aber solche Forum bieten ja gerade dafür Raum, wenn ich das Konzept richtig verstanden habe. Den aggressiven( oder um im offenbar beliebten Jargon der Körperausscheidungen zu bleiben "anpissenden") Ton gegen Florian kann ich da nicht nachvollziehen.

    F.Q.

    Hier sollte man allerdings berücksichtigen, dass durch die Abtrennung der Diskussion Cosimas ursprüngliches Posting und die Antworten darauf verfälscht im Raum stehen, weil sie den Anlass nicht mehr zu berücksichtigen scheinen. Der war einer jener Wertungsthreads, zu denen es mit Recht sehr geteilte Meinungen gibt, weil sie zu nicht hinterfragbaren Meinungsäußerungen einladen, die dann abstrakt im Raum stehen bleiben.

    Von daher kann ich Cosimas ursprüngliche Klage und letzte Antwort sehr gut verstehen.

    Daraus hier jetzt aber ein allgemeines Kritiker-Bashing zu entwickeln und zu fordern, dass künftig nur noch Hühner sich zu Eiern äußern dürfen, ist aber ebenfalls Unsinn und geht in der Tat an dem Sinn eines solchen Forums vorbei, das ja ausdrücklich zum Meinungsaustausch zwischen (in der Regel) Laien einlädt.

    Ich finde ja auch, dass man eine Meinung wie die, Pollini sei ein Langweiler (generell, notabene!), wenigstens an Beispielen erläutern und begründen sollte, sage dazu aber nichts, weil ich mich im Pianistischen nicht sonderlich sicher fühle. Andererseits ist es m. E. auch legitim, einmal solche Zuspitzunĝen in den Raum zu stellen, denn sie ergeben nicht selten auch fruchtbare Diskussionen. Dies könnte ja noch eine werden.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Vielleicht ist dies ein passender Platz um eine alte Hommage an Fritz Kreisler zum Thema Musikkritiker aufzupolieren:

    Beißend Kreisler umkreißend

    Heute findet keine Zeitung
    Irgendwo noch mehr Verbreitung
    Durch Musikkritiker.

    Drum geht, wer Musik erkoren
    Posten in verschied'nen Foren
    Als Musikkritiker.

    Hat man ein bisschen Ahnung, was Musik ist.
    Hat man mehr gehört als viele Leut’,
    Weiß noch, was dem eig’nen Ohr ein Glück ist.
    Warnt man gern andere vor allem, was mal reut'.

    Weil man aber große Ziele
    Besser trifft bei diesem Spiele,
    Als Musikkritiker,

    Zielt man gerne auf was Hehres
    Und dazu noch Populäres,
    Als Musikkritiker.

    Weil man kein Banause ist von Haus aus,
    Drum gefällt Gefälliges ihm nicht,
    Und so ficht' er seinen Strauß mit Strauss aus,
    Nicht der Johann, nein, der and’re ist der Wicht.

    Wer dem Publikum zu willig,
    Findet man, ist viel zu billig,
    Als Musikkritiker.

    Schwärmen alle für die Schöne,
    Sagen andere: "Ich stöhne!"
    Als Musikkritiker.

    Wie könnt’ man mit ihr zufrieden sein,
    Hat man doch ein absolutes, manisch' Ohr?
    Niemals kriegt sie wirklich saub're Töne rein,
    Und sogar ihr russisch kommt uns spanisch vor.

    Wer mag auf der Bühne eine Puppe,
    Wenn sie stimmlich kleine Brötchen bäckt.
    Karajan und Schönklang sind uns schnuppe,
    Sind sie doch am Orff auch noch verdregkt.

    Doch sind wir konsequent
    Verkennen kein Talent,
    Solang' es möglichst unbeliebt
    Ist und nur Wenige vergnügt.

    Schreit mal das Publikum „Hurra!'',
    Es nützt ihm nichts, schon sind wir da!
    Wenn ich dann lese
    Wie mancher bese
    auf mich dann reagiert, ist's Recht.
    Denn nur wer kontrovers ist, ist nicht schlecht!

    Dass die Welt es wisse,
    Lest die lustigen Verrisse
    Des Musikritikers!

    Es lebe die Kritik!

    (sehr frei nach Georg Kreisler)

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Wir sollten davon ausgehen, dass alle bis jetzt genannten und bewerteten Pianisten ihr Instrument optimal beherrschen und auch davon, dass niemand weiß, wie z. B. Schubert gespielt werden muss. Übrig bleibt ein sehr schmaler Korridor für die subjektive Einschätzung von Person und Interpretation. Pollini hat sich gewiss nie durch außerberufliche Eskapaden in die Schlagzeilen gebracht, sondern ausschließlich durch herausragende Interpretationsansätze, mögen sie uns gefallen oder nicht.

    Wenn Richter nie auswendig gespielt hat, was mich stets irritierte, minderte das keineswegs seine Bedeutung als Spitzenpianist.

    Übrigens : Jemand, der sein Instrument beherrscht, kann nicht schlecht sein, heißt sie oder er auch Zechlin, Karajan oder Netrebko, meint


    Gioachino :pfeif:

    miniminiDIFIDI

  • Gegen Zuspitzungen der Art, Interpret X oder Komponist Y sei über- oder unterschätzt, habe ich nichts einzuwenden (auch wenn's manchmal etwas arg von oben herab klingt) - sie sind legitim, in diesem Forum, das offen für allke Interessierte ist, allemal. Wenn derartige Behauptungen - auch solche wie die, Z sei langweilig (oder spannend) - nicht näher begründet werden, dann sind sie eben nichtssagend ("Bashing" finde ich dabei eine übertriebene Bezeichnung) - na und? Ich kann ja auch nachfragen... ;+) Und wenn daraus eine interessante Diskussion entspringt, wie Rideamus andeutet - umso besser!

    Im übrigen finde ich es - eine Erfahrung, die ich immer wieder mache, besonders im Konzertsaal - verdammt schwierig, manchmal unmöglich, einigermaßen vernünftig und klar zu begründen, warum mir die eine Interpretation gefällt oder auch nicht, warum ich die Kunst des einen mag und die des anderen nicht.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Guten Morgen.

    Ich unterstelle Florian jetzt mal, daß er mit seiner Threaderöffnung auch provozieren wollte - Fragen wie Antworten. - Beinahe bin ich mir sicher, daß er - hätte ihn jemand danach gefragt - näher auf seine Meinungen eingegangen wäre. - Warum so eine Geschichte dann in Richtungen auswächst wie hier, ist mir ein Rätsel.

    Einen angenehmen Tag wünscht allen,

    Bernhard


    "Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgehaftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit."
    Joris-Karl Huysmans

  • Warum darf man eigentlich loben, obwohl man keine Ahnung hat, aber nicht kritisieren?
    Das eine ist doch so laienhaft wie das andere, aber wenn man beides lassen müsste, könnte man wohl die Internetforen gleich zusperren.

    Es ist auch gewiß nicht richtig, dass alle Pianisten, die eine größere Zahl von Aufnahmen hinterlassen haben, ihr Instrument in gleicher (oder gar alle in vollkommener Weise beherrschen). Dass hier z.B. zwischen Pollini und Kempff ein nicht unbedingt zu vernachlässigender Unterschied besteht, kann auch ein Laie, etwa anhand der Fuge in op.106 oder Schumanns op.17, ii o.ä. nachvollziehen (Prokofieffs 8. Sonate oder die Chopin-Etüden hat Kempff vermutlich nicht gespielt). Und weniger offensichtliche, aber hörend auch nicht allzuschwer erkennbare Unterschiede gibt es eben auch in den Klangfarben, die unterschiedliche Pianisten ihren Instrumenten zu entlocken vermögen usw. (Vgl. z.B. Backhaus und Gulda einerseits, Michelangeli oder Zimerman andererseits) Daraus folgt keine endgültige Wertung, aber das sind schon objektive Unterschiede (nur hinsichtlich zweier grob umrissener Aspekte).

    Kater Murr

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wenn Richter nie auswendig gespielt hat

    Kleine Richtigstellung: Richter war bekannt für sein phänomenales Gedächtnis. Erst Ende der 70er-Jahre hatte er begonnen, vom Blatt zu spielen. :wink:

    ..........

    Zum Rest: Nichts gegen Zuspitzungen und nichts gegen Meinungsäußerungen, das schrieb ich bereits. Aber hier wurde – wie Rideamus bereits anmerkte – ein „Wertungsthread“ eingerichtet. Wie kann man die Lebensleistung eines Künstlers mit Formulierungen wie „überschätzt, langweilig, schlecht“ abtun? Und dies dann auch noch als absolutes Werturteil deklarieren? Und dann sollen bitteschön die anderen Mitglieder freundlich nachfragen, wie dies gemeint sei? Liegt die „Beweislast“ nicht auf Seiten derer, die solche Werturteile in den Raum stellen?

    Wenn das für die Mehrzahl hier jedoch alles so legitim und selbstverständlich und was-weiß-ich ist, dann nur zu. Ich habe keine Lust mehr auf diesen Thread.

    Gruß, Cosima

  • Zitat

    für (diffamierende) Werturteile, wie hier geschehen, braucht es handfeste Begründungen. Man kann das alles natürlich beschönigend als „Kritik“ bezeichnen, ich nenne es nach wie vor Pianisten-Bashing.


    Meines Erachtens ist Cosimas Kritik sehr berechtigt. Man muss Kriterien der Bewertung haben, und diese Kriterien setzen eine mehr oder weniger ausdrückliche Vorstellung von Qualitätsmerkmalen in Bezug auf Werk bzw. Interpretation bzw. Aufführung voraus. Diese Merkmale wiederum dürften irgendwie mit dem inhaltlich zu tun haben, was man unter dem künstlerischen Wert einer Sache versteht - daran, dass das ein schwieriges Thema ist, krankt es immer wieder. Bloße Selbstetablierung als Connoisseur hat jedenfalls mit Kompetenz wenig zu tun, dürfte eigentlich klar sein. In der Tat scheint Kritikersein allerdings ein beliebtes Spiel zu sein.


    Zitat

    Daraus hier jetzt aber ein allgemeines Kritiker-Bashing zu entwickeln und zu fordern, dass künftig nur noch Hühner sich zu Eiern äußern dürfen, ist aber ebenfalls Unsinn und geht in der Tat an dem Sinn eines solchen Forums vorbei, das ja ausdrücklich zum Meinungsaustausch zwischen (in der Regel) Laien einlädt.

    Zwischen prozeduralem Wissen ("Kinderszenen" spielen können) und deklarationalem Wissen (sprachliche Aussagen über die "Kinderszenen" machen können, die die in ihnen verwendeten Mittel, Schumanns Intentionen, ihre Geschichte, ... betreffen, sprachliche Aussagen über eine Interpretation der "Kinderszenen" machen können, die deren Qualität betreffen, ....) besteht ein großer Unterschied. Daher braucht wohl ein Praktiker nicht unbedingt ein guter Kritiker zu sein. In der Regel wird er jedoch über mehr Kriterien verfügen als jemand, der nicht über Grundbegriffe der Musiktheorie verfügt, denn mit diesen muss er sich wohl befasst haben.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Ein Thema so alt wie Kunst und Kunstkritik. Darum zur unterhaltsamen Lektüre:

    Gotthold Ephraim Lessing

    Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt

    Tadeln heißt überhaupt, sein Mißfallen zu erkennen geben.
    Man kann sich bei diesem Mißfallen entweder auf die bloße Empfindung berufen, oder seine Empfindung mit Gründen unterstützen. Jenes tut der Mann von Geschmack: dieses der Kunstrichter. Welcher von ihnen muß das, was er tadelt, besser zu machen verstehn?

    Man ist nicht Herr von seinen Empfindungen; aber man ist Herr, was man empfindet, zu sagen. Wenn einem Manne von Geschmack in einem Gedichte oder Gemälde etwas nicht gefällt: muß er erst hingehen, und selbst Dichter oder Maler werden, ehe er es heraussagen darf: das gefällt mir nicht? Ich finde meine Suppe versalzen: darf ich sie nicht eher versalzen nennen, als bis ich selbst kochen kann?

    Was sind die Gründe des Kunstrichters? Schlüsse, die er aus seinen Empfindungen, unter sich selbst und mit fremden Empfindungen verglichen, gezogen und auf die Grundbegriffe des Vollkommnen und Schönen zurückgeführt hat.

    Ich sehe nicht, warum ein Mensch mit seinen Schlüssen zurückhaltender sein müsse, als mit seinen Empfindungen. Der Kunstrichter empfindet nicht bloß, daß ihm etwas nicht gefällt, sondern er fügt auch noch sein denn hinzu. Und dieses denn sollte ihn zum Bessermachen verbinden? durch dieses denn müßte er grade des Bessermachens überhoben sein können.

    Freilich, wenn dieses denn ein gutes gründliches denn ist, so wird er leicht daraus herleiten können, wie das, was ihm mißfällt, eigentlich sein müßte, wenn es ihm nicht mißfallen sollte.

    Aber dieses kann den Kunstrichter höchstens verleiten, einen Fingerzeig auf die Schönheit zu geben, welche anstatt des getadelten Fehlers da sein könnte und sollte. Ich sage verleiten: denn verleitet wird man zu Dingen, zu welchen man nicht gezwungen werden kann, und zu Dingen, welche übel ausschlagen können.

    Wenn der Kunstrichter zu dem dramatischen Dichter sagt: anstatt daß du den Knoten deiner Fabel so geschürzet hast, hättest du ihn so schürzen sollen; anstatt daß du ihn so lösest, würdest du ihn besser so gelöset haben: so hat sich der Kunstrichter verleiten lassen.

    Denn Niemand konnte es mit Recht von ihm verlangen, daß er sich so weit äußerte. Er hat seinem Amte ein Genüge geleistet, wenn er bloß sagt: dein Knoten taugt nichts, deine Verwicklung ist schlecht, und das aus dem und dem Grunde. Wie sie besser sein könnte, mag der Dichter zusehen.

    Denn will er ihm helfen, und der Dichter will sich helfen lassen, und geht hin, und arbeitet nach den Anschlägen des Kunstrichters um: es ist wahr, so ist ihm der Dichter und der Leser Dank schuldig, wenn die Umarbeitung gelingt; – aber wenn sie nicht gelingt?

    So fehlt auch nicht viel, die ganze Schuld fällt auf ihn allein. Und nur in diesem Falle dürfte er, um seine Meinung zu rechtfertigen, genötigt sein, den Pfuscher von der Staffelei wegzustoßen, und selbst Pinsel und Pallet in die Hand zu nehmen.

    »Glück zur Arbeit! Eben hier haben wir dich erwartet, guter Mann! Wenn du fertig bist, alsdenn wollen wir vergleichen!«
    Und wer glaubt nicht, vergleichen zu können!

    Wehe ihm, wenn er nur schlecht und recht verbessert hat; wenn er es genug sein lassen, Fehler zu vertilgen; wenn es ihm nicht gelungen, uns für jeden mit einer ganz neuen, ganz unerwarteten Schönheit zu überraschen! Was für ein Arzt, der einen Blinden bloß sehen macht, und ihm nicht zugleich, statt der matten grauen Augen, die ihm die Natur bestimmte, schöne blaue oder feurige schwarze Augen erteilt!

    »War das der Mühe wert? An jenen Fehler waren wir schon gewohnt: und an die Verbesserung sollen wir uns erst gewöhnen.«

    Vielleicht hätten wir den Fehler auch gar nicht bemerkt, und die Verbesserung hat ihn uns zuerst bemerken lassen. Wir werden unwillig, wenn wir finden, daß uns das, was uns so lange gefallen hat, nicht hätte gefallen sollen.

    Kurz, wenn der Kunstrichter durch Tadeln beleidigt, so beleidigt er durch Bessermachen doppelt.

    Mache es besser! ist zwar die Ausforderung, welche der getadelte Schriftsteller an ihn ergehen läßt, aber nicht in der Absicht, daß sie angenommen werden soll. Es soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen. Nimmt sie der Kunstrichter an, und er ist unglücklich: so ist ihm das Handwerk auf einmal gelegt.

    Nimmt er sie an, und er ist glücklich – Aber wer wird es ihm zugestehen, daß er glücklich ist? Kein Mensch in der Welt. Weder die Künstler, noch seine Kollegen in der Kunstrichterei.

    Unter jenen ist es dem Getadelten nicht zuzumuten: und den übrigen – keine Krähe wird der andern die Augen aushacken: die Reihe könnte auch an sie kommen.

    Diese aber verdammen ihn des bösen Exempels; er hat sich seines Rechts vergeben; nun wird man das Bessermachen von ihnen allen fordern; dafür muß er gestraft sein!

    Und überhaupt sind die Kunstrichter die einzige Art von Krähen, welche das Sprichwort zum Lügner machen.

    ++++

    :wink: Agravain

  • Wenn ich das richtig sehe ist hier ein Aspekt noch garnicht angesprochen worden.

    Ich denke jeder Pianist hat Musik die ihm liegt und andere die ihm weniger liegt, so bin ich der Meinung, dass z.B. Barenboim grossartig spielt wenn es bei Beethoven um gefühlvolles, verträumte witziges etc geht, dass er aber doch relativ stark daneben liegt wenn es um die sehr explosiven aggressiven harten Stücke (op 2,1 Appassionata, Hammerklavier u.ä.) geht.

    Also ist ein solches Urteil das einen ganzen Pianisten abqualifiziert völlig unsinnig.

    Ich habe bisher bei sehr vielen Pianisten immer noch bestimmte Stücke gefunden die mir sehr gut gefallen. Und Joachim kaiser zeigt in seinen Kritiken (zB zu den Beethovensonaten) wie extrem differenziert Kritik sein kann und sein sollte. Er findet sogar oft einzelne Passagen die er grossartig findet obwohl ihm der Satz ansonsten so nicht gefällt.

    Ich meine Musikkritik - die sinnvoll fair und vielleicht nachvollziehbar ist - sollte sich immer nur auf eine einzelne Leistung, ein Stück beziehen niemals auf einen Musiker insgesamt. Allenfalls kann man noch etwas zu einer Tendenz zu einem Musiker sagen (wie bei meiner Meinung bei Barenboim) aber damit ist dann aber auch Schluss.

    Zur Härte von Kritik:
    Ich bin übrigens der Meinung, das jemand der es OK findet sich so hart und radikal zu äussern, also einen Pianisten gleich zu einem schlechten Pianisten oder Musiker zu erklären, weil der nicht die eigenen Vorstellungen von der Musik befriedigt, der darf sich nicht beschweren, wenn ein zweiter der die Interpretation aber gut findet daraufhin ihn zu einem unmusikalischen und völlig ahnungslosen Menschen erklärt, weil er dieser Meinung ist. Das ist dann aber genauso OK. Wer provozieren will, darf sich über Provokation durch andere nicht beschweren.

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Nietzsche)
    In der Tat spuckte ... der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten von Radios übereingekommen sind Musik zu nennen (H Hesse)
    ----------------------------
    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)

  • Hätte Florian geschrieben " Zechlins Schubert - Interpretation gefällt mir nicht ", wäre er dafür gelobt oder getadelt worden. Basta ! Er aber behauptet : Dieter Zechlin ist ein schlechter Pianist.

    Eine solche Feststellung schreit doch nach Widerspruch, oder ?


    Ciao. Gioachino

    miniminiDIFIDI

  • Zitat

    Ich meine Musikkritik - die sinnvoll fair und vielleicht nachvollziehbar ist - sollte sich immer nur auf eine einzelne Leistung, ein Stück beziehen niemals auf einen Musiker insgesamt


    Ja. Damit muss sie jedenfalls beginnen. Erst wenn ein Interpret ziemlich häufig ...., dann kann man mit Recht an seinen Fähigkeiten allgemein zweifeln.

    Verwechseln möchte ich nicht:

    - ob ein Kritiker es besser machen können muss. Dazu: wohl nicht (siehe Lessing oben)

    - ob ein Kritiker über Begriffe verfügen muss, mit deren Hilfe er eine Interpretation analysieren kann. Dazu: sicher.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Weder Lob noch Tadel - Verständnis

    Befremdet hat mich in anderen Internetforen (weniger in "Capriccio", sonst wäre ich hier auch nicht Mitglied geworden) gerade immer die Lust am Bashing einerseits, an der Lobhudelei andererseits, von denen ich in der Tat glaube, dass sie, wie Kater Murr andeutet, zwei Seiten derselben Medaille sind - nämlich eines im Grunde konsumistischen (die Werke als bloße Genussobjekte und -vorwände nehmenden) Kulturgeschwätzes. Insofern kann auch ich mit den von Cosima bemängelten Pauschal-Wertungen wenig anfangen - gehe allerdings mit einer Art hermeneutischem "principle of charity" davon aus, dass beim solchermaßen hier auf "Capriccio" 'Herausplatzenden' noch mehr dahinter ist und dass er/sie dass im Zweifelsfall (mehr oder weniger 'fachlich', theoretisch, intuitiv usw.) auch begründen kann. Von daher bin ich so einen Thread wie den mit den Pianisten gegenüber zwar auch ziemlich skeptisch, schließe aber nicht aus dass auch in ihm sich Diskussionsniveau entwickeln kann.

    Generell finde ich differenzierte Auseinandersetzung anhand der Werke immer dann den Königsweg, wenn sie ihren Ausgang von einem Gespür für/einem Wissen um etwas Positives im Werk hat, um etwas an dem mir liegt, was ich hören/lesen/erkennen will. Dieses deutlich zu machen führt m. E. am weitesten, und die von Lessing [danke, Agravain!] beschriebene Gefahr, es dabei auch mal 'besser zu wissen', hat man in Kauf zu nehmen. Die wenige Jahrzehnte nach Lessing aufblühende romantische Kunsttheorie hat ja auch deshalb den Begriff des "Kunstrichters" zugunsten dessen des "Kunstkritikers" in die Ecke gestellt, weil ihre Vertreter (Novalis, Schlegel etc.) den Glauben hatten dass Kritik die Kunstwerke aufschließen, "universalisieren" , steigern kann. (Cf. Walter Benjamins "Kunstkritik"-Aufsatz.) Diesen Glauben habe ich auch, sonst würde ich Foren wie dieses - auch wenn wir hier natürlich in den seltensten Fällen Kritik als eigene Kunstform praktizieren - gar nicht aufsuchen.

    Das Den-Daumen-Senken kann eigentlich nur hygienischen (= abwehrenden) oder rein polemischen ( = rhetorischen, ausdrucksverliebten) Zwecken dienen, ansonsten ist es sicher wenig aussagekräftig.

    ________________________________________________________________________________________________________

    Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi

  • Natürlich wird in dieser Diskussion ein Hauptthema von Foren wie dem unseren angesprochen: Wer darf kritisieren? Wie heftig darf die Kritik eines (interessierten) Laien generell ausfallen?

    Zunächst: Wenn nicht jeder irgendwie kritisieren dürfte, bräuchten wir uns hier überhaupt nicht auszutauschen. Die wenigsten unter uns sind ausübende (oder gar professionielle) Musiker beziehungsweise Musikwissenschaftler. Insofern werden wir nicht umhin kommen, in großer Zahl reine Werturteile ohne theoretischen Unter- oder Überbau zu lesen. So soll es ja auch sein.

    Das heißt für mich allerdings nicht, dass ich ein besonderer Freund von pauschalem Runtermachen wäre. Wenn, wie hier, apodiktisch ein negatives Werturteil in den Raum geschleudert wird, kann man bestenfalls hoffen, dass eine lebendige Debatte folgt. Doch entspricht die meist dem Ausgangsposting; will sagen: Wenn jemand gleich zu Beginn munter drauf los holzt, werden vermutlich Beiträge folgen, die von ähnlicher Güte sind. Darüber kann sich niemand wundern.
    Ob dies allerdings inhaltlichen Ertrag (jenseits solcher Meta-Threads) bringt, wage ich zu bezweifeln.

    Immerhin aber habe ich mir jetzt mal aus Interesse folgendes bestellt:

    Dem folgend, was der Graf im Urspungsthread schrieb, bin ich gespannt, wie der gescholtene Pollini das gestaltet.

    Jein (Fettes Brot, 1996)

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